Vergessen · Verdrängen · Erinnern

Vergessen · Verdrängen · Erinnern

 

Jeder von uns hat schon das eine oder andere vergessen. Ob aus Unachtsamkeit oder geringer Konzentration ist dabei wenig erheblich. Das fängt bei Kleinigkeiten an: Wo liegen meine Schlüssel?,  jetzt hab ich die Eier vergessen zu kaufen oder wer hat das weiße Seidengarn gesehen? . Solche Kleinigkeiten sind störend, aber sie gehören mehr oder weniger zum Alltag eines jeden. Erheblicher wird es, wenn man Geburtstage oder Hochzeitstage vergisst. Dann gehen mit dieser Vergesslichkeit auch Gefühle von Missachtung bis Kränkung beim anderen einher. Weil uns das mehr oder weniger bewusst ist, führen wir unter anderem Terminkalender, ob handschriftlich oder digital, nun das entscheidet jeder für sich selbst; denn der Knoten im Taschentuch ist heute nicht mehr so aktuell. Jedenfalls sind wir bemüht, so wenig wie möglich zu vergessen und doch geschieht es immer und immer wieder. Über die uns begleitende „normale“ Vergesslichkeit hinaus, gibt es die Verdrängung. Wir können also Dinge oder Ereignisse wegdrängen, um einer Belastung zu entgehen. In manchen Fällen ist ein solches unterbewusstes Handeln segensreich bis überlebenswichtig.

„Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden.“ Sören Kierkegaard

Traumatisierte Menschen müssen oftmals ihr traumatisches Erlebnis so weit verdrängen, um in Alltag bestehen zu können. Dies gilt oftmals für Opfer von Krimanalität, sexueller Gewalt, Kriegserlebnissen oder der Shoa. Ein solcher Verdrängungsprozess ist zwar für eine gewisse Zeit akzeptabel, doch die Seele des Einzelnen verlangt irgendwann, auch nach Jahrzehnten, gehört, gesehen und erfühlt zu werden.

Wir werden dann zum Erinnern gezwungen und entsprechend unseres eigenen Leidensdrucks machen wir uns auf den Weg des Zurückschauens, des Erarbeitens. Solch einen Weg zu gehen, der oftmals ohne professionelle Hilfe nicht begehbar ist, ist lang und äußerst beschwerlich. Das Zurückrufen von Empfinden auf den verschiedensten Ebenen ist häufig so schmerzlich, wie das Erlittene selbst. Doch der Weg aus dem Vergessen lohnt sich, denn nun schenkt man sich ein neues, selbst bestimmtes Leben. Es bleibt ein Leben mit Höhen und Tiefen, zum Glück. Doch es steht nicht mehr völlig unter dem Diktat des Traumas.

„Alles was man vergessen hat, schreit im Traum um Hilfe.“ Elias Canetti 

Dass wir vergessen können ist also absolut wichtig für uns Menschen, denn könnten wir alles Erlebte sofort vergegenwärtigen, wären wir handlungsunfähig, ob der Fülle aller gespeicherter Informationen. Wir wären überfordert. Doch Fragmente des Erlebten begleiten uns, in Gefühlen, Ahnungen oder Intuitionen. Darauf bauen wir einen Teil unserer Erfahrungen auf, denn auch das Vergessene hinterlässt Spuren bei jedem von uns.

„Nichts ist im Verstand, was nicht zuvor in der Wahrnehmung wäre.“ 

Arabisches Sprichwort

Um dem gesellschaftlichen Vergessen teilweise zu entgehen, haben wir Feier- und Gedenktage, oder wenigstens Gedenkstunden beziehungsweise Minuten. Denkmäler, Hinweistafeln oder zum Beispiel Stolpersteine, aber auch Grabmale sind steinerne Erinnerer. Uns ist also durchaus bewusst, dass wir aufmerksam gemacht werden, doch oftmals nehmen wir solche Hinweise als gegeben hin und übersehen sie geflissentlich. Eine Erinnerungskultur hat sich wenig etabliert.

„Gedächtnisse haben kalte Seelen, die Fühlenden Erinnerung.

Johann Christoph Friedrich

Die großen Ereignisse zu erinnern fällt uns noch häufig leicht, doch dem Einzelnen in seinem vergangenen Leid oder auch in seiner guten Tat zu gedenken, fällt uns ungemein schwer, weil solche Schicksale so stark an den Rand gedrängt wurden, dass es einer Verdrängung gar nicht mehr bedarf. So etwas gerät in Vergessenheit, auch oder wegen unserer schnelllebigen Zeit.

„Was geschehen ist, darf man nicht vergessen, um für die Zukunft dagegen gefeit zu sein. Ignatz Bubis 

Entsinnen wir uns gemeinsam, machen wir einander aufmerksam und weisen andere darauf hin, dass das Vergessene, das Weggedrängte ab und zu mal ins Licht der Gegenwart gerückt werden muss, um aus dem Erlernten die Gegenwart zu gestalten und Impulse für die Zukunft zugeben.

Im Erinnern liegt unsere Veranwortung.

Nehmen wir sie wahr!

Fotos: a) Kind: Geo 2007 und b) Vergißmeinnicht Geo 2009 c) Knoten: angebliche Quelle: fotocommunity.de

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