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Rena Jacob geboren am 3. Juni 1950 in Berlin-Reinickendorf.

Mein Leben begann nicht mit meiner Geburt, sondern mit meiner Zeugung, denn ich bin ein Inzestkind. Das heißt, dass mein Vater auch mein Großvater ist und meine Mutter gleichzeitig meine Schwester. Ich will das aber nicht familiär ausweiten, denn Verwandtschaftsgrade sind ja nur zur besseren Strukturierung da, und sagen wenig über die emotionalen Beziehungen aus. Für meine Innerfamiliäres Verhältnis ist meine Mutter meine Mutter und mein biologischer Vater ist für mich mein Großvater. An einem Sonnabend um 23:50 bin ich also geboren, natürlich galt ich als nichtehelich, da meine Mutter den Namen des Vaters des Kindes nicht angab. Da dies in respektablen Familien im Jahr 1950 nicht ging, wurden schnellstens ein Ehemann für meine Mutter und ein Vater für mich gesucht. Da mein Großvater über hervorragende Verbindungen verfügte, fand sich schnell ein aufstrebender junger Mann, der bereit war zwecks Karriere meine Mutter zu ehelichen und mich als Tochter anzunehmen.

Am 28. Juli 1951 heiratete meine Mutter Eva Wienig den aus Leipzig stammenden Lothar Jacob, der dann auch die entsprechende Vaterrolle bei mir einnahm. Auch meine Geburtsurkunde wurde geändert, so wurde aus dem Säugling Rena Wienig, vaterlos, Rena Jacob. Aber diesem der junge Mann wurde nicht nur Frau und Kind unterschoben, wobei er sich freiwillig wegen der Kariere dazu hergab, er bekam auch eine kranke Frau. Eva Jacob, geborene Wienig war an Tuberkulose erkrankt. Dies wäre zu damaliger Zeit durch heilbar gewesen, doch sie zog es vor, kodeinsüchtig wie sie später war, sich kaum behandeln zu lassen. An eine liebevolle Mutter kann ich mich nicht erinnern, nur an eine kranke und wütende Frau. Meine Mutter war gewalttätig, was meine frühe Kindheit zur Tortur werden ließ. In den letzten Jahren meiner Mutter habe ich sie nur bettlägerig erlebt und es erfolgte ein Rollentausch zwischen uns, ich versorgte meine Mutter und sie machte meine Hausaufgaben der ersten beiden Schuljahre. Somit kann ich gar nicht nachvollziehen, wie ich lesen und schreiben erlernte, aber letztendlich zählt das Resultat, ich kann es.  In meiner Erinnerung war mein Stiefvater gut zu mir, obwohl er durch seine Tätigkeit bei der Berliner Polizei wenig zu hause war, so war er doch so etwas wie ein Halt für mich. Im Mai 1958 zogen meine Mutter und ich zu meinen Großeltern, Erich und Luise Wienig. Meine Mutter war nun gänzlich pflegebedürftig und dies übernahm nun meine Großmutter. Nun gingen die Ärzte bei uns ein und aus, doch am Gesundheitszustand meiner Mutter änderte sich wenig. Am 23. Dezember 1958 um 14:45 verstarb meine Mutter nach ihrem zweiten Blutsturz.

An diesem Abend, nur Stunden nach dem Tode meiner Mutter lernte ich zwei Dinge, zum einen erlebte ich die Heuchelei der Trauer, denn vorher wurde im Familienkreis selten über meine Mutter ein gutes Wort gesagt, und jetzt am frühen Abend waren alle zutiefst betrübt. Für mich als achtjährige war das kaum nachzuvollziehen. Selbst meine Tante, die Schwester meiner Mutter, ja auch sie hatte Tränen in den Augen. Ich selbst schämte mich unsäglich, denn ich war nicht traurig. Jeder strich mir übers Haar und bedauerte mich, ich machte ein ernstes Gesicht, weil es von mir erwartet wurde, doch Trauer stellte sich bei mir nicht ein. Aber dieser ereignisreiche Abend war noch nicht zu Ende, die Familie strömte ins Haus und irgendwann wurde ich mit sehr viel guten Wünschen und noch mehr Umarmungen ins Bett geschickt. Mein Großvater kam um mich zuzudecken und mir eine gute Nacht zu wünschen, so dachte ich, doch er legte sich neben mich und tröstete mich auf sehr erwachsene Weise. Dabei erklärte er mir, dass er mich sehr liebt, dies auch nur aus Liebe tut und ich sein Prinzesschen wäre.

Wegen des standhaften Verhaltens meines Großvaters, Erich Wienig, in der NS-Zeit, war diese Zeit und die Politik ein ständiger Begleiter für mich. Manchmal hatte ich das Gefühl, selbst alles erlebt zu haben, denn wenn Kindern immer und immer wieder davon erzählt wird, dann machen sie es sich zu Eigen, so war es bei mir. Viele ehemalige Leidensgenossen gingen bei uns ein und aus, so dass manche Parlamententscheidung vorher bei uns vorweg genommen wurde. Ich bewunderte meinen Großvater.

Sechs Jahre blieb ich das Prinzesschen meines Großvaters, sechs Jahre in denen ich dachte, dass es allen Mädchen so erginge wie mir, nur dass mir das nicht gefiel. Die Zeit zwischen 1958 und 1964 war auch eine andere als Heute, es gab keine Jugendzeitungen, keine Aufklärung und Sexualität war insgesamt, auch unter Kinder und Jugendlichen, kein Thema. Zu dem ging es mir äußerlich gut, viele meinten, dass ich dankbar sein soll, dass meine Großeltern für mich da wären, andere Kinder müssten in Heime. Also war ich dankbar und ließ meinen Großvater gewähren. Es gab auch keine offensichtliche Gewalt mehr in meinem Leben, alles lief nach außen hin wahrlich glanzvoll. Mein Großvater war ein geachteter Mann, eine respektable Persönlichkeit und auch meine Großmutter war eine angesehene Person. Im Sommer 1964 las ich Dumas „Der Graf von Monte Christo“ und war davon so inspiriert, dass mich auch lebenslänglicher Kerker nicht schreckte, so aber fand ich mich bewaffnet vor meinem Großvater wieder und verbot ihm, mich je wieder anzufassen. Es hatte funktioniert, er ließ von da an von mir ab.

Meine Großmutter schwieg zu allem. Sie wusste aber durchaus Bescheid, denn sie war es, die mir sagte, dass mein Großvater auch mein Vater war. Damals war ich sechzehn Jahre alt. Ich überprüfte es mit scheinbar „nichtigen“ Fragen und meine Tante Inge fiel darauf auch hinein und bestätigte mir, dass ich die Tochter meines Großvaters war, also ein Inzestkind.

Nach bestandener Schule ging ich zum Studium weg aus Berlin. Ich dachte nicht, dass ich in mein Großelternhaus noch einmal zurückkehren muss, aber das Leben geht halt nicht immer die gewünschten Wege. Während des Studiums lernte ich meinen Mann kennen, einen Afroamerikaner. Dieser starb dann in Vietnam am 12. August 1969, drei Monate später kam mein Sohn David zur Welt. Um mit meinem Sohn auch mein Studium zu beenden zu können, musste ich zurück nach Berlin und das tat ich auch. Wir zogen ins Haus meines Großvaters und dort blieb ich, bis ich in den Schuldienst eintrat.

Mit der Geburt meines Sohnes änderte sich nicht nur mein Leben, sondern auch meine Einstellung zu meiner Familie, die ich nun insgesamt sehr kritisch sah. Doch ich war bereit eine andere familiäre Vorstellung zu leben und dies tat ich auch, diesen Weg habe ich bis Heute nicht bereut.

Nach fünfzehn Jahren fing die Vergangenheit mich einzuholen. Obwohl meine Großeltern bereits tot waren und ich keinen Kontakt mehr mit meiner Herkunftsfamilie hatte, kam es nun wieder zum Vorschein, jetzt als Krankheit, in Form von schweren Depressionen. Keiner, weder Ärzte noch ich wussten warum ich so schwer erkrankte, ich war zur Verdrängungskünstlerin mutiert, ich wusste nichts aus meiner Kindheit. Ja, ich wollte auch nichts wissen. Über 20 Jahre habe ich mit mannigfaltigen Therapien meine Kindheit, mein Martyrium aufgedeckt und bearbeitet. Eine Zeit, in der ich arbeitsunfähig wurde und meinem Leben eine neue Richtung geben musste. Keine leichte Aufgabe, aber eine zu bewältigende.

Aber auch viele sehr glückliche Momente durchzogen mein Leben, mein Sohn, meine Schwiegertochter, und meine beiden Enkel. Nun habe ich eine Familie wie ich es mir immer vorgestellt habe, denn Wünsche und Visionen können Realität werden. Als Sahnehäubchen zu meinem heutigen Leben muss ich noch meinen Lebensgefährten nennen. 

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