Eine Portion Zuhören extra, bitte …

Eine Portion Zuhören extra, bitte …

 

Es gibt wahrhaft Menschen, die erklären dir allen Ernstes deine Sichtweise auf Dinge und Gegebenheiten, ohne nachzufragen, ob dies überhaupt erwünscht ist, doch mit einer „Expertise“, die einem jegliche Eloquenz raubt. Ich möchte das einmal näher erläutern, weil mir das in der letzten Zeit häufiger passiert ist und nachdem ich das im Freundes und Bekanntenkreis kundtat, ich auf ähnliche Kuriositäten gestoßen bin. Zum einen fühlt man sich nicht so allein, dass das nur einem selbst passiert, doch zum anderen erstaunt es, das es keine Einzelfälle sind, nein, es gibt dahingehend allem Anschein nach einen gesellschaftlichen Konsens. Doch bevor ich das große und ganze betrachte, bleibe ich im Einzelfall, um zu verdeutlichen worum es überhaupt geht:

Da erklärt ein reifer Mann in durchaus netten und gesetzten Worten, wie sich eine Frau zu fühlen hat, wenn sie sich nicht ernst genommen fühlt, auf ihr Äußeres reduziert wird bzw. sexualisiert wird. Dieser Mann fragt nicht etwa die Frau nach ihren Erfahrungen, ihrer Gefühlswelt; nein, er erklärt ihr die „Welt“ in der sie lebt (als ob sie das nicht wüsste) und wie sie eben diese zu sehen und zu empfinden hat. Tja, zum Schluss erklärt er ihr, dass sie nicht alles auf eine Goldwaage legen dürfe, obwohl sie gar nicht im Besitz einer solchen ist …

Es gibt auch den wohlgesonnenen, deutschen Christen, der einem Juden das Judentum erklärt und natürlich den Antisemitismus; liebevoll und freundlich, möglichst mit Zitaten der Bergpredigt erklärt. Dieser gut meinende Christ, der alle Juden mag, kann auch verstehen, das jüdische Menschen in Deutschland „hypersensibel“ auf Antisemitismus reagieren, doch sollte der „der Jude“ nicht allzu empfindlich sein, die meisten meinen es gar nicht so., zumal man ja heute gar nicht mehr erkennt, ob jemand Jude ist oder nicht…

Des weiteren erklärt der Heterosexuell gern dem Homosexuellen wie er sich zu benehmen hat…

Der nicht lehrende Vater informiert die Lehrerin wie sie ihren Unterricht zu gestalten hat, war er doch selbst einmal Schüler und weiß somit bestens Bescheid…

Gern erklärt auch der der Städter den Land-und Forstwirten welche Fehler sie hinsichtlich des Umweltschutzes begehen…

und … und … und…

Die Liste wäre mit so vielen Beispielen zu füllen, doch die Beispiele allein sind nicht zielführend, sie sind nur das Produkt, einer grassierenden Erklärungswut, die die Betroffenen gar nicht, oder kaum zu Worte kommen lässt, ihnen wirklich zu zuhören, scheint aus der Zeit gefallen zu sein.

Doch nicht nur in Unterhaltungen stoßen wir auf solche Erfahrungen, so wird in größerem Kreis „psychologisiert“, warum ein Krimineller so und nicht anders gehandelt hat, bis in die tiefen seiner Kindheit und eventuellen Beweggründe wird hinein „geforscht“, besonders häufig befeuert durch Presse und andere Medien. Was immer auch an Schrecklichem passiert, der Täter steht im Mittelpunkt, die oder das Opfer bleibt, auch im Blickwinkel der Öffentlichkeit, allein zurück. Wir schärfen den Täter-blick und nicht den Opferblick, nein, wir verweigern damit dem Opfer nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch Respekt und gegebenenfalls benötigte Hilfe.

Nur wenn Opfer ohne erkennbaren Täter zu erblicken sind, z.B. nach Unfällen auf der Autobahn, dann werden Mobiltelefone zu Kameras…

Manchmal frage ich mich, nehmen wir uns noch die Zeit, unser Denken und Handeln zu Hinterfragen, uns zu reflektieren?

Aber es geht auch über das private Umfeld hinaus.

Da erklärt dir ein deutscher Christ, seines Zeichens Antisemitismus-Beauftragter, deutschen (auch Juden) was Antisemitismus ist. Nicht, das er Falsches in den Raum stellt; doch die Kleinigkeiten des Alltag blendet er aus, weil das (Kraft seines Amtes) nicht seine Aufgabe ist. Wie diese Kleinigkeiten aus sehen? Nun, da sitzt man in der U-Bahn, zwei Jugendliche machen sich gegenseitig an, der eine: „Du, Jude…“ der andere darauf: „Du bist auch so´n Opfer…“ Was fühlt der jüdische Mitbürger?, nein, danach wird nicht gefragt, wem soll er das erzählen, um nicht einen verständnislosen Blick abzubekommen, ihm ist doch gar nichts passiert.

Doch drehen wir diese Mini-Story mal um: Am Strand von Mallorca, zwei einheimische Jungs knuffen sich, sagt der eine: „Du besoffener Deutscher…“; sagt der andere: „Halts Maul, du grölender Engländer…“ Was denken und fühlen die umliegenden Touristen?, zucken sie mit den Achseln, fühlen sie sich vielleicht gar nicht angesprochen (vielleicht sind sie gerade nüchtern), oder trifft es sie ???

Wenn dann noch ein malloquinischer Tourismusbeauftragter daherkäme, und den Deutschen erklären würde, was Vorurteile gegen Deutsche auf Mallorca sind und was nicht, dann wüsste der Deutsche jedenfalls ganz genau, wann er sich ärgern darf und wann nicht. Ob wir das so mögen würden, das uns auch noch unser Betroffenheitsspektrum vorgeschrieben wird, nun ich weiß nicht …

Aber gehen wir noch weiter aus dem persönlichen Spektrum hinaus und schauen uns mal in der Medienwelt um.

Da erklären uns deutsche Nahost-Experten zu Konflikten bzw. zu Annäherungen wie in jüngster Zeit, auf. Die Menschen, um die es geht, werden natürlich nicht gefragt. Zumal diese Experten (ein Freund von mir nennt sie Karl-May-Forscher) ihre Expertise nicht als eine Sichtweise unter vielen darstellen, nein, ihre Sicht scheint nicht diskussionswürdig, sondern feststehend zu sein. Das heißt, dem werten Zuhörer bzw. Zuschauer wird eine subjektive Sichtweise als objektives Bild dargestellt.

Kommen dann doch in einer anderen Thematik wirkliche Wissenschaftler zu Wort, wie gerade zu erleben durch die Pandemie, sind Teile der Bevölkerung total verunsichert, weil Wissenschaft nun einmal davon lebt, kontrovers und in Schritten voran zu gehen, denn das ist die Bevölkerung gar nicht gewohnt, ergo werden Teile von ihnen misstrauisch, ja, abwehrend.

Doch so geht es munter weiter, zu Zeiten einer „me too-Debatte“ sitzen Männer im Halbkreis in öffentlich rechtlichen Sendern, und reden über Befindlichkeit der Frauen. Auch ein beliebtes Bild, ist es wenn Männer an ähnlichen Orten zum Thema Lohngerechtigkeit zwischen Frauen und Männern diskutieren. Natürlich ist auch immer eine Alibi-Frau dabei, manchmal sogar zwei, die häufiger sagen „darf ich mal ausreden“, als zum Thema zu sprechen.

Wir können natürlich die Liste erweitern, denn wenn ältere weiße, männliche Menschen über Gerechtigkeit in einer „black-lives-matter“ Debatte zusammen sitzen, dann hat das alles so sein ganz eigenes Geschmäckle, wie der Schwabe so nett sagen würde.

Gehen wir nun die Hierarchieleiter noch eine Sprosse weiter, so wird das kaum besser, da erklärt uns ein Präsident, das wir Deutschen zu fleißig sind, und das so gar nicht geht, deshalb werden wir mal kurz mit Strafzöllen belegt. Doch wir Deutschen können das auch, denn wir zeigen ebenso gern auf andere, wie sie denn zu regieren bzw. reagieren zu haben. Uraltsätze, die gar nicht mehr gedacht werden dürften, wie:“Am Deutschen Wesen, soll die Welt genesen.“ kommen da in einem hoch, wenn ein wohlmeinender Minister andere Staaten rügt, in den letzten Jahren am liebsten Israel, denn die haben es allem Anschein immer noch nicht verstanden.

Tja, und hat sich eine Meinung verfestigt, dann wird sie nicht revidiert, ihrer Zeit angepasst oder den erforderlichen Gegebenheiten. Um auch hier ein Beispiel zu nennen, im Lockdown wurde von allen gesellschaftlichen Seiten vorausgesetzt, dass Frauen (also Mütter) neben anstrengendem Homeoffice, natürlich Kinderbetreuung, Homescooling und weitere versorgende Tätigkeiten übernehmen; Lösungsansätze wurden erst später angedacht, doch in der Breite nie zur Disposition gestellt.

Beispiele der Rückwärtsgewandtheit, der Wahrnehmungsstörung, des Nicht-Zuhörens könnten hier ein -masse zusammengetragen werden, doch letztendlich geht es im Einzelnen, wie auch im Großen und Ganzen um sehr viel mehr.

Was ist verwerflich daran den oder die Betroffenen zu fragen, wie siehst du das?, mit Empathie zuzuhören, eventuell nachzufragen, und sich verstehend heranzutasten. In solchen Momenten muss, ja soll sich niemand aufgeben, niemand seine Position verlassen. Doch wäre es nicht ein Schritt aufeinander zuzugehen, mehr von anderen zu erfahren?, und sich ganz nebenbei selbst zu bereichern, an Wissen und Emotionen.

Was ist so schrecklich daran, sich zu irren und das auch zuzugeben. Wir sind Menschen, wir dürfen das. Denn wenn wir (meistens) ehrlichen Herzens sind, dann wussten wir es zum Zeitpunkt des Irrtums halt nicht besser; was bitte ist daran schlimm dazuzulernen?, und somit Irrtümer zu revidieren? Warum sollte ich, wider besseren Wissens, auf einem Irrtum beharren? Fördert das meine Glaubwürdigkeit? Nein, es zeigt nur meine Sturheit und vielleicht noch meine Rechthaberei auf, ob das nun der gewünschte Effekt ist, da bin ich doch sehr im Zweifel.

Warum ist es selten möglich, eine Gegebenheit in ihrer Zeit immer wieder neu zu betrachten, ganz gleich ob es Regularien, Gesetze, oder Denkweisen sind; die Welt dreht sich bekanntermaßen, und Veränderungen gehören dazu. Auch was „Gestern“ richtig erschien, muss „Heute“ nicht mehr richtig sein, und kann, nein, muss in einem neuen Licht betrachtet werden. Ist es nicht sehr erwachsen und aufgeschlossen, immer wieder den Blick neu zu schärfen und gut Hinzuhören?

Dies ist keine Absage an den Dialog, das Gespräch oder die Unterhaltung, nein, ganz im Gegenteil, es ist die Voraussetzung für gutes Zuhören. Denn alles andere sind Statements, Worthülsen oder so genannte „Totschlaginstrumente“ in Form von „…ist halt meine Meinung.“

Das Zuhören bringt uns einander näher, bringt uns Verständnis für einander aufzubringen, erweitert uns im günstigsten Fall und kann (fast) immer lehrreich sein. Zuhören, heißt auch, sich dem anderen zuzuwenden, ihm Zeit zu schenken und Aufmerksamkeit. Dazu kommt, so als Nebeneffekt, es ist kostenfrei (seltenst umsonst) und kann auch in Pandemiezeiten via elektronischer Medien bewerkstelligt werden, ohne Maske und ohne Ansteckungsgefahr.

Auch wenn das Zuhören vielleicht im Trend der Zeit ist, denn im Moment scheint das Heraus brüllen eher ein Merkmal des Momentums zu sein, so liegt es doch an uns, Trends zu entwickeln und sie zu kultivieren. Niemand verbietet uns, uns von den allzu lauten abzuwenden und uns den Leiseren zuzuwenden, um ihnen wirklich Aufmerksamkeit und Gehör zu verschaffen. Es liegt doch an uns, an jedem Einzelnen, hinzuhören, auch die leiseren Töne zu vernehmen, ins wirkliche Gespräch zu kommen. Vorträge, Reden oder Statements welcher Art auch immer, haben bestimmt ihren Platz in unserer Gesellschaft, doch können wir nur wirklich weiter kommen, Visionen entwickeln, neue Sichtweisen erfahren, wenn wir alle Sinne empfangsbereit halten. Lasst uns nach Sendern Ausschau halten, die uns bereichern, vielleicht überraschen und uns ganz bestimmt zum Nachdenken anregen, nur so können wir uns selbst und gesellschaftlich weiter entwickeln; tja, und das das sollte doch immer unser Ziel sein, ganz gleich in welcher Position, in welchem Alter oder welchen Phase unseres Lebens wir gerade sind.

Reden wir also MIT-EINANDER, nicht ÜBER einander. Hören wir zu… Denn ein wenig klüger zu werden, hat bis jetzt jedenfalls noch niemandem geschadet…

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