Hintergründe
Die ortsansässige Bevölkerung war Juden gegenüber großteils feindselig, bestenfalls gleichgültig gegenübergestellt. Seit Generationen hatte sie Juden, die ihre Nachbarn gewesen waren, mit demütigenden Bestimmungen leben sehen. Juden waren aus ihren Häusern vertrieben, vor ihren Augen ermordet oder in Lager deportiert worden, worauf die lokale Bevölkerung meistens nicht reagiert hatte. Zum Teil kollaborierte sie auch mit den Mördern. Viele griffen nach jüdischem Eigentum, das in aller Öffentlichkeit geplündert wurde. Dennoch gab es in dieser Welt des kläglichen Versagens von Moral und Werten eine kleine Minderheit, die außergewöhnlichen Mut aufbrachte und an ihren moralischen Werten festhielt; die Gerechten unter den Völkern.
Oftmals war es ein gradueller Prozess, in dessen Verlauf die Retter immer stärker involviert wurden. Die Bereitschaft, während Razzien oder Verhaftungen jemandem ein Versteck zu gewähren, ihm einen vorübergehenden Zufluchtsort für ein, zwei Tage zu geben, bis sich ein anderer Ort gefunden hatte, wurde zu einer Rettung über Monate und Jahre.
Der Preis, den die Retter für ihre Taten zu zahlen hatten, war von Staat zu Staat unterschiedlich. In Osteuropa richteten die Deutschen nicht nur diejenigen, die Juden versteckten, sondern auch ihre Angehörigen hin. Die lokale Bevölkerung wurde gewarnt, Juden zu helfen. In Westeuropa war die Reaktion weniger extrem, dennoch gab es auch dort Gerechte unter den Völkern, die inhaftiert, gefoltert und in Lager deportiert wurden, wo sie ums Leben kamen. Jedoch besteht angesichts der Grausamkeit der Judenverfolgung und der Entschlossenheit ihrer Verfolger, Juden bis zum letzten zu jagen, kein Zweifel, dass die Furcht, entdeckt und somit zum Opfer der Nazi-Brutalität zu werden, die natürliche Hilfsbereitschaft von Menschen in den besetzten und kollaborierenden Ländern hemmte. Retter und Gerettete lebten in ständiger Angst. Über ihnen schwebte die Gefahr, von Nachbarn oder Kollaborateuren denunziert oder ausgeliefert zu werden.
Bis zum Jahr 2010 hat Yad Vashem Gerechte unter den Völkern aus 44 Staaten und Nationen anerkannt. Bei ihnen handelt es sich um eine vielfältige Gruppe: Christen aller Kirchen und Bekenntnisse, Moslems und Agnostiker; Männer und Frauen verschiedenen Alters; Angehörige verschiedener gesellschaftlicher Schichten – Wohlhabende und Arme, Intellektuelle und Menschen ohne Bildung, Personen des öffentlichen Lebens sowie Menschen vom Rande der Gesellschaft, Stadtbewohner und Bauern, aus allen Ecken Europas und einer Vielzahl von Berufsfeldern: Universitätsprofessoren, Lehrer, Ärzte, Priester, Nonnen, Diplomaten, Arbeiter, Dienstpersonal, Polizisten, Fischer, ein Zoo-Direktor, ein Zirkusbesitzer und viele andere.
Die am häufigsten vertretende Hilfeleistung durch Gerechte unter den Völkern:
Das Verstecken von Juden in den Häusern ihrer Retter oder auf Bauernhöfen
In den dörflichen Gegenden Osteuropas wurden Gruben oder Bunker als Versteck für Juden unter Häusern, Ställen und Scheunen gegraben. Juden wurden auch auf Dachböden, in Wäldern, auf Friedhöfen und anderen Orten verborgen, die ihnen Schutz boten, einschließlich Abwasserkanälen und Zookäfigen. Die physischen Bedingungen in den Verstecken waren oft unerträglich. Die Versteckten lebten in überfüllten, finsteren und kalten Orten, doch sie wussten, dass auch ihre Retter in großer Angst lebten. Die Retter versorgten die Versteckten mit Nahrung – keine einfache Aufgabe und eine Belastung für den Haushalt armer Familien. Manchmal wurden die Juden als Verwandte und Adoptivkinder ausgegeben. Juden wurden auch in Stadtwohnungen versteckt und jüdische Kinder in Klöster gebracht, wo Nonnen und Priester ihre wahre Identität verbargen. In Westeuropa wurden Juden hauptsächlich in Häusern, auf Bauernhöfen und in Klöstern versteckt.
Das Verschaffen gefälschter Papiere und falscher Identitäten
Das Annehmen einer nichtjüdischen Identität setzte den Erhalt gefälschter Dokumente und konstante Unterstützung voraus, um die gefälschte Identität zu etablieren. Ein Teil der Retter waren professionelle Fälscher, andere waren Beamte, denen es möglich war, gefälschte Dokumente auszustellen. Geistliche fälschten Taufscheine und ausländische Diplomaten stellten Visa, Pässe oder Schutzpässe entgegen der offiziellen Politik ihrer Staaten aus. Ende 1944 stellten Diplomaten in Budapest Schutzpapiere aus und hissten die Fahnen ihrer Staaten an ganzen Häuserblöcken, um Juden diplomatische Immunität zu verleihen.
Die Aktivitäten deutscher Retter
Deutsche und österreichische Retter waren im Reichsgebiet, aber auch an allen Orten, die die Deutschen besetzt hatten, aktiv. Sie versteckten Juden, die untergetaucht waren, statt sie deportieren zu lassen oder aus den Lagern geflohen waren. Sie halfen Juden an andere Orte zu schmuggeln. Einige wenige wagten es sogar, öffentlich gegen die Ermordung von Juden zu protestieren. In den besetzten Gebieten gab es Industrielle, die Zwangsarbeiter in ihren Fabriken vor der Deportation und den Todeslagern retteten. Andere Deutsche und Österreicher holten Juden heimlich aus Ghettos und Lagern und halfen ihnen, an sicherere Orte zu gelangen. In einer Zeit, da die meisten Deutschen und Österreicher regimetreu waren und Befehle ausführten, ragten die wenigen heraus, die es wagten, den Mordplan zu boykottieren. Unter ihnen waren auch Regierungsbeamte, die ihre Position dazu verwendeten, um Juden zu retten. Es gab sogar Armeeoffiziere, die sich gegen SS-Leute stellten, die gekommen waren, um eine Aktion durchzuführen. Wie in anderen Ländern kamen auch in Deutschland und Österreich die Retter aus allen Gesellschaftsschichten und repräsentieren eine Vielfalt von Altersgruppen, Berufen und Weltanschauungen.
Schmuggel von Juden und Fluchthilfe
Es gab Menschen, die Juden halfen, besonders gefährliche Gebiete zu verlassen und in sicherere Regionen zu fliehen. Sie schmuggelten Juden aus Ghettos und Gefängnissen und halfen ihnen, die Grenzen in andere Staaten wie die neutrale Schweiz, Gebiete unter italienischer Kontrolle, aus denen Juden nicht deportiert wurden, oder Ungarn vor der deutschen Besatzung im März 1944 zu überqueren.
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