Das Sonderkommando des KZ Auschwitz-Birkenau war ein ganz besonderes Arbeitskommando von Häftlingen. Es bestand aus ausschließlich jüdischen Häftlingen des Vernichtungslagers, die dazu gezwungen wurden, die Ermordung der Deportierten vorzubereiten, sie auszuplündern und ihre Leichen anschließend in den Krematorien des Vernichtungslagers Auschwitz zu verbrennen. Das Kalkül der Lager-Führung bestand hierbei vor allem in der ‚psychischen Schonung’ des SS-Personals und zur Beruhigung der selektierten Menschen. Zugleich sollte die Zeugenschaft des ‚fabrikmäßigen’ Massenmordes verhindert werden, indem die Angehörigen des jeweiligen Sonderkommandos erschossen und verscharrt wurden, so dass diese Gruppe immer wieder durch neue Häftlinge ersetzt werden musste. Die ankommenden Menschen wurden nach der Ankunft an der „Rampe“, nach der so genannten ‚Selektion’ durch Ärzte, meist direkt zu den Gaskammern in den Krematorien geführt. Alte Menschen, Behinderte oder Säuglinge wurden per Lastwagen zu dem Ort der bestialischen Verbrechen ‚gekarrt’. Dort wurden sie von Häftlingen des Sonderkommandos empfangen, die sie beruhigen und ihnen beim Auskleiden behilflich sein mussten. Bei der eigentlichen Ermordung in den Gaskammern war das Sonderkommando nicht beteiligt; das Giftgas Zyklon B wurde nur vom SS-Personal in die entsprechenden Öffnungen geschüttet. Nach der Ermordung mussten die Leichen aus den, als Duschen getarnten, Gaskammern gebracht und, wie es im Nazijargon hieß, „verwertet“ werden. Dies bedeutete für die Häftlinge des Sonderkommandos, dass sie die Toten nach Wertgegenständen durchsuchen und die Goldzähne ausreißen mussten.
Von den weiblichen Leichen wurden die Haare abgeschnitten. In der Anfangszeit der Vernichtungsaktionen in Birkenau wurden die Leichen in großen Gruben verscharrt. Um keine Beweise für den Massenmord zu hinterlassen, sowie die Anzahl der Getöteten schwerer nachvollziehbar zu machen, wurden später die Leichen in den Krematoriumsöfen verbrannt. Auch die bereits vergrabenen Toten wurden dazu exhumiert. Die Asche wurde großenteils in die Soła, einen Nebenfluss der Weichsel, geschüttet. Viele Häftlinge des Sonderkommandos hielten dem psychischen Druck dieser Tätigkeit nicht stand, begingen Suizid oder verloren den Verstand. Mindestens ein Häftling ist bekannt, der sich mitsamt der Leiche, die er trug, in die Verbrennungsgrube stürzte, um sich so umzubringen. Der in der Nähe stehende SS-Mann Grünberg erschoss ihn.
„Am nächsten Tag (…) hat man uns wie durch Zufall in das berüchtigte ’Sonderkommando’ gesteckt. Dort erklärte man uns, dass wir zur Verstärkung gekommen sind, um als Leichenträger oder als ’Chevra Kadischa’ zu arbeiten. Seitdem sind schon 20 Monate vergangen, es erscheint mir wie ein Jahrhundert, es ist ganz unmöglich, Euch alle Prüfungen zu beschreiben, die ich hier durchgemacht habe. (…) Seitdem ich hier bin, habe ich niemals an die Möglichkeit der Rückkehr gedacht, ich wusste ebenso wie wir alle, dass die Verbindung mit jener Welt unterbrochen ist, es ist hier eine andere Welt. Wenn Ihr wollt, so ist es die Hölle, aber Dantes Hölle ist ungeheuerlich lächerlich im Vergleich zur Wirklichkeit von hier und wir sind ihre Augenzeugen, die nicht überleben dürfen.“ CHAIM HERMAN (03.05.1901-26.11.1944), Brief an seine Frau und Tochter vom 6. November 1944, in: Inmitten des grauenvollen Verbrechens. Handschriften von Mitgliedern des Sonderkommandos, Oswiecim 1996. S.261 und 263.
“Mein erster Eindruck beim Eintritt in das Lager war brutal. Unsere Gruppe ging zuerst an der Baracke der SS-Leute vorbei, die sich am Eingang jedes Sektors notierten, wer in das Lager hinein- oder hinausging. Das Lager d bestand aus zwei Barackenreihen. Die beiden ersten waren größer als die anderen und dienten als Küchen. In der Mitte aller Baracken befand sich die Baracke des Sonderkommandos. Wir marschierten geschlossen aus dem Krematorium hinaus, aber anstatt nach rechts in Richtung unserer Baracke mussten wir nach links durch einen kleinen Birkenwald gehen. Wir erreichten ein kleines Haus, das „Bunker II“ oder „das weiße Haus“ hieß, wie ich später erfuhr. In diesem Moment wurde das Gemurmel menschlicher Stimmen immer lauter. Da war ein kleines Haus mit Strohdach, das früher wahrscheinlich einem Bauern der Gegend gehört hatte. Wir erhielten Befehl, uns gegenüber aufzustellen, nah an der Straße, die vor dem Haus verlief. Von dort aus konnten wir so gut wie nichts sehen, weder
rechts noch links. Es wurde Abend, und das Gemurmel rührte von Menschen her, die in unsere Richtung kamen. Neugierig wie immer, trat ich näher heran, um zu sehen, was da passierte. Vor der Kate sah ich ganze Familien stehen, die warteten: junge Männer, Frauen, Kinder. Es müssen insgesamt zweihundert oder dreihundert Personen gewesen sein. Ich weiß nicht, woher sie kamen, aber ich nehme an, dass sie aus einem polnischen Ghetto deportiert worden waren. Später, als ich verstanden hatte, wie dieses Tötungssystem funktionierte, konnte ich mir denken, dass diese Menschen zum „Bunker II“ geschickt worden waren, weil die anderen Krematorien voll waren. Darum brauchten sie auch zusätzliche Häftlinge, um diese Drecksarbeit zu machen.“ Shlomo Venezia
Die Anzahl der in das Sonderkommando gezwungenen Häftlinge variierte stark. Im Mai 1944, als über 350.000 vorwiegend ungarische Juden ermordet wurden, gehörten 874 Häftlinge dazu, während es Ende Oktober des Jahres nur noch 100 Mann umfasste. Insgesamt mussten etwa 2.200 Häftlinge im Sonderkommando arbeiten. Von diesen überlebten nur etwa 110 das Kriegsende, zumeist durch eine List, in dem sie sich in andere Arbeitskolonnen einreihten und so der Tötung der Häftlinge der Sonderkommandos entgingen.
„Er nahm eine Dose, öffnete sie und warf den Inhalt durch die kleine Öffnung. Dann verschloss er die Öffnung und verschwand. Nach wenigen Augenblicken wurde das ununterbrochene Schreien und Weinen von drinnen noch lauter. Es dauerte zehn oder zwölf Minuten, dann herrschte Stille. In der Zwischenzeit wurde uns befohlen, hinter das Gebäude zu gehen. Schon als wir hergekommen waren, hatte ich ein seltsames Leuchten aus dieser Richtung bemerkt. Als ich näher trat, begriff ich, dass dieses Licht von dem Feuer in den Gräben kam, die etwa zwanzig Meter entfernt waren. Die Deutschen schickten uns also auf die andere Seite des Hauses, wo die Gräben waren. Sie befahlen uns, die Leichen aus der Gaskammer herauszuholen und sie vor den Gräben abzulegen. Ich selbst bin nicht in die Gaskammer hineingegangen. Ich blieb draußen und musste zwischen Gaskammer und Gräben hin- und herlaufen. Andere Männer des Sonderkommandos, die erfahrener waren als wir, hatten die Aufgabe, die Leichen so in die Gräben zu werfen, dass das Feuer nicht gelöscht wurde. Wenn die Leichen zu eng zusammenlagen, konnte keine Luft zwischen ihnen zirkulieren, und das Feuer hätte erlöschen oder an Intensität verlieren können. Das hätte die Kapos und die Deutschen, die uns bewachten, wütend gemacht.“ Shlomo Venezia
Die Männer des Sonderkommandos wurden gänzlich isoliert von an den anderen Häftlingen gehalten, nur in diesen Gruppen gab es jüdische Kapos, Männer also, die die Arbeitsanweisungen der SS für die Gruppe annahmen. So waren diese Männer nicht auch noch der Willkür dieser Gruppe der grausamen Kapos ausgesetzt. In Außenkommandos war das dann nicht mehr so.
„Er muss ein paar Jahre älter als ich gewesen sein, kaum fünfundzwanzig. Alle, die zwischen dem Bunker und den Gräben an ihm vorbeigingen, drängten ihn weiterzugehen, bevor Otto Moll ihn so sehen würde. Aber er antwortete niemandem und verharrte völlig reglos, den Blick ins Leere gerichtet. Als der SS-Oberscharführer ihn sah, ging er zu ihm und brüllte: „Du verfluchter Jude! Warum arbeitest du nicht, du Judenschwein? Beweg dich!“ Dabei begann er auf ihn einzupeitschen. Der Mann rührte sich jedoch nicht, als ob nichts zu ihm durchdrang. Er versuchte noch nicht einmal, sich vor den Schlägen zu schützen. Ich denke, er hatte vollständig den Verstand verloren, sein Geist war bereits nicht mehr in dieser Welt. Er schien weder Schmerz noch Angst zu spüren. Otto Moll war wütend über diesen Widerstand und über das Ausbleiben jeder Reaktion auf seine Schläge. Er zog seine Pistole aus dem Gurt. Wir gingen weiter hin und her und sahen, wie der Deutsche aus einer Entfernung von nur wenigen Metern auf den Mann schoss.“ Shlomo Venezia
Otto Moll, SS-Hauptscharführer, war ab Juni 1942 Leiter der Krematorien in Auschwitz-Birkenau und war ferner an vielen Verbrechen wider die Menschlichkeit beteiligt, im Mai 1946 wurde er in Landsberg für seine Verbrechen hingerichtet. Die meisten Sonderkommando-Mitglieder erlebten das Ende des Krieges nicht, denn die nationalsozialistischen Verbrecher wünschten keine Zeugen ihrer Gräueltaten. Vier Überlebende, Shlomo Dragon, Henryk Tauber, Alter Feinsilber und Dr. Miklos Nyiszli, sagten jedoch vor verschiedenen Gerichten aus. Außerdem wurden nach der Befreiung des Lagers Tagebücher und Berichte in jiddischer Sprache gefunden. Sie stammten von den Sonderkommando-Häftlingen Salmen Gradowski, Lejb Langfuß und Salmen Lewenthal, die die wichtigen Dokumente auf dem Lagergelände vergraben hatten.
Texte v. Shlomo Venezia aus dem Buch „Meine Arbeit im Sonderkommando Auschwitz“ Karl Blessing Verlag 2008 · Bild 1: Gaskammern – Quelle: sonderkommando.info · Bild 2: Verbrnnung von Leichenbergen – Quelle: deathcamps.org · Zeichnungen: vom Auskleiden, an der Gaskammer, Zerstoßen von Knochen durch Häftlinge: von David Olerere aus dem Buch von Shlomo Venezia. Letztes Foto: Giftgasdose Zyklon B – Quelle: gelsenzentrum.de
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