Als Auschwitz-Erlass wird der Erlass Heinrich Himmlers vom 16. Dezember 1942 bezeichnet, mit dem die Deportation der innerhalb des Deutschen Reichs lebenden Roma angeordnet wurde, um sie – anders als bei vorausgegangenen individuellen oder kollektiven Deportationen – als komplette Minderheit zu vernichten. Der Erlass selbst ist nicht überliefert. Er wird in den ihm folgenden Ausführungsbestimmungen („Schnellbrief“) des Reichskriminalpolizeiamts (RKPA) vom 29. Januar 1943 als Bezug zitiert:
„Auf Befehl des Reichsführers SS vom 16.12.42 (Tgb. Nr. I 2652/42 Ad./RF/V.) sind Zigeunermischlinge, Rom-Zigeuner und nicht deutschblütige Angehörige zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft nach bestimmten Richtlinien auszuwählen und in einer Aktion von wenigen Wochen in ein Konzentrationslager einzuweisen. Dieser Personenkreis wird im nachstehenden kurz als ‚zigeunerische Personen‘ bezeichnet. Die Einweisung erfolgt ohne Rücksicht auf den Mischlingsgrad familienweise in das Konzentrationslager (Zigeunerlager) Auschwitz.“
Der Schnellbrief trug den Titel „Einweisung von Zigeunermischlingen, Rom-Zigeunern und balkanischen Zigeunern in ein Konzentrationslager.“
Gleichartige Deportationsanordnungen wie mit dem Schnellbrief vom 29. Januar 1943 ergingen am 26. und 28.Januar 1943 für die „Donau- und Alpenreichsgaue“ sowie am 29. März 1943 für den Bezirk Bialystok, das Elsass, Lothringen, Belgien, Luxemburg und die Niederlande. Gegenüber den burgenländischen und den ostpreußischen Roma verwies das RKPA auf ähnliche Anweisungen vom 26. Mai bzw. 1. Oktober 1941 sowie vom 6. Juli 1942.
Eine Vorstufe des Erlasses war das Himmler-Thierack-Abkommen vom 17. September 1942. Es lautete: Asoziale Elemente aus dem Strafvollzug, Juden, Zigeuner, Russen, Ukrainer (sollen) an den Reichsführer SS zur Vernichtung durch Arbeit ausgeliefert werden.
Hunderttausende Sinti und Roma wurden auf Grund dieses perfiden Rassenwahns bestialisch getötet:
… wie Robert und seine Familie
„Ich habe meine Eltern und Geschwister wieder gefunden. Wir sind auf dem Transport in das Konzentrationslager. Ich weiß, was uns bevorsteht, meine Eltern wissen es nicht. Ich habe mich nun innerlich so weit durchgerungen, dass ich auch den Tod ertragen werde. Ich danke noch einmal für alles Gute, das Sie mir erwiesen. Grüße an alle Kameraden. Auf Wiedersehen im Himmel! Euer Robert.“
Abschiedsbrief von Robert Reinhardt, der mit 14 Jahren von Pirmasens nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet wurde.
Rosa Winter ist 1923 geboren und stammt aus einer Familie reisender Sinti. Sie wurde 1938 im Sammellager Maxglan bei Salzburg eingesperrt, dann nach Ravensbrück deportiert, von wo aus sie in die verschiedenen Nebenlager gebracht wurde. Rosa Winter ist die einzige Überlebende ihrer Familie.
Wenn ich keine Zigeunerin gewesen wär, wär ich ja nicht ins KZ gekommen. Ich hab keine Vorstrafen gehabt, gar nichts, ich war noch ein Kind. Nur wegen der Rasse sind wir hineingekommen, weil wir Zigeuner sind. Ich glaube, so etwas wie ein KZ könnte es bei uns nicht mehr geben. Heutzutage würde er nicht lange existieren, der Hitler. Weil die Leute viel schlauer und intelligenter sind als früher. Wenn er heute wo eine Rede halten würde, ist er weg. Bringens ihn um. Auf der Stelle.
Vor 1938 waren wir da und dort, im ganzen Österreich sind wir herumgezogen. Wie dann der Hitler gekommen ist, sind wir in Salzburg gewesen, meinen Vater habens gleich genommen und nach Dachau gebracht. Wir haben noch keine Ahnung gehabt, was dort ist. So fünfzehn, sechzehn Jahre bin ich damals gewesen.
Einmal, in der Früh, sind wir aufgestanden, und der ganze Platz war umstellt, von der Polizei und von Kriminalisten. Alles aufstehen, hat es geheißen, und mitgehen, wir kommen weg. Auf Lastautos habens uns rauf, ganze Familien, die dort gewohnt haben. In Salzburg haben sie uns auf eine Rennbahn, in Boxen hinein. Wo sonst ein Pferd drinnen ist, waren wir zwei, drei Familien. Später ist in Maxglan ein Lager aufgemacht worden. Wieder haben sie die Leute in solche Boxen hinein, familienweise. Oh Gott, von kreuz und quer sind die Menschen dorthin geschickt worden. Zusammengesammelt und weiter verschickt. Arbeiten mußten wir dort, schwere Arbeit, Straßen bauen. Gearbeitet hast du genug, aber Geld hast keines gekriegt, gar nix, nur einen Haufen Schläg, von den Beamten genauso wie von manchen Häftlingen.
Im Vergleich mit Ravensbrück war das aber tausend gegen eins. Erstens war ich mit meinen Eltern und Geschwistern zusammen, und so viele Schikanen und Methoden hat es in Maxglan noch nicht gegeben. In Ravensbrück haben alle ganz gleich ausgeschaut. Wie ich angekommen bin, haben ein paar geschrieen, bist du auch da! Aber ich hab niemand gekannt.
Jede mit einer Glatze, dasselbe gestreifte Gewand, ich hab niemand erkannt. Die Haar waren ganz weg, so wie auf der Hand. Wenn sie nachgewachsen sind, sind die Leute freiwillig hingegangen und haben gebeten, abschneiden. Weil soviele Läuse waren, soviel Ungeziefer, das können Sie sich nicht vorstellen. Nichts zum Anziehen haben wir gehabt, nur ein Gewand mit kurze Ärmel, ganz dünn.
Schwer arbeiten haben wir müssen, Straßen bauen. Viel Hunger, viel Schläge. Und die Kälte. Damals haben sie die Leute noch nicht bei lebendigem Leib vergast, sie haben sie moralisch umgebracht. Mit der vielen Arbeit, mit dem vielen Hunger und mit den vielen Schlägen. So bist du zugrunde gegangen. Und wenn du tot warst, hinein in den Ofen, nicht einer, immer gleich ein ganzer Haufen. Wenn du eine Vorarbeiterin gehabt hast, die von den Zigeunern war, hat sie schon gesagt, rastets euch aus, die hat aufgepaßt, wenn die Beamtin gekommen ist. Aber im Winter hast freiwillig gearbeitet, so schnell wie möglich, sonst wärst du erfroren. Kilometersteine haben wir ausgegraben und Pflastersteine. Normale Arbeit hat es dort keine gegeben. Außer in der Schneiderei und in der Strohflechterei. Aber wenn Ihnen dort eine Nadel kaputt gegangen ist, war das Arbeitssabotage, habens dich umgebracht. Nähen hab ich sowieso nicht können, hab überhaupt keinen Dunst gehabt. Einmal war ich in der Strohflechterei, Zöpfe aus Stroh haben wir flechten müssen, für solche Taschen, die man jetzt auch wieder kaufen kann. Das hab ich nicht zusammengebracht. Mein Stück Brot hab ich immer anderen Häftlingen gegeben, damit sie für mich die Arbeit machen. Sonst hätte ich 25 gekriegt! Also hab ich geschaut, daß ich von dort wieder wegkomm. Viele Zigeuner haben draußen gearbeitet.
Ein Kommando hat es gegeben, praktisch ein Todeskommando, in das bist du strafweise versetzt worden. Aus einem Sumpf hast den Dreck in so einen blechernen Schubkarren schöpfen und wegführen müssen. Schlitzig war das alles, wenn jemand hineingefallen ist, ist er ganz langsam untergegangen. Aber du hast ihm nicht helfen dürfen. Je mehr er geschrien hat, je mehr er herumgehaut hat, desto schneller ist er untergegangen. Vierzehn Tage war ich dabei, weil ich irgend etwas gestohlen hatte, irgend etwas zum Essen.
Aber KZ-Geld hab ich keines gekriegt. Niemand hat uns etwas gesagt, ich hab gar nicht gewußt, daß es so etwas gibt, lesen hab ich ja nicht gelernt. Nach vielen Jahren erst bin ich draufgekommen. Meine Tochter hat dann angesucht, sie ist schriftgelernt. Haben sie zurückgeschrieben: abgelehnt. Vorher wollten sie noch wissen, ob ich vor 1938 überhaupt in Österreich war. So viele Zeugen hab ich dafür gebraucht. Mehr wie genug hab ich gebracht, aber noch mehr hätten sie wollen. Abgelehnt. Mein ganzes Leben war ich in Österreich. Nicht einmal zehn Groschen habens mir geben.
aus: Ich geb Dir einen Mantel, daß Du ihn noch in Freiheit tragen kannst. Widerstand im KZ. Österreichische Frauen erzählen, hrsg. von Karin Berger u. a., Wien 1987.
Foto 1: Sinti in Auschwitz – Quelle: histirische-eschborn.de · Foto 2 : Roma-Razzia – Quelle: planet.wissen.de
Hinterlasse einen Kommentar