Früher waren oftmals Lebenswege vorgezeichneter als heute, denn in einer globalisierten Welt kommen zu viele Unwägbarkeiten auf einen zu, so dass ein Weg nicht immer ausreicht um sein Leben, in den verschiedensten Phasen zu gestalten.
Als Kind reichte es früher aus, seinen Schulweg zu beschreiten, eventuell noch die eine oder andere private Unternehmung, doch im Großen und Ganzen konnte man sich recht frei, je nach Elternhaus, entfalten. Doch heute beschleicht einen das Gefühl, dass das gar nicht mehr ausreicht ‚nur’ ein einigermaßen intakter Mensch innerhalb der Gesellschaft zu werden, heute muss man fit gemacht werden, um in der Unübersichtlichkeit zu bestehen. Die ersten ‚Fitnesstrainer’ auf die die Kinder von heute treffen, sind ihre Eltern. Zum einen steht der schulische Erfolg ganz oben, wobei es das auch schon früher gab, doch dazu kommen diverse außerschulische Aktivitäten, ob es Sport, Musik oder eine exotische Fremdsprache ist, ist weniger erheblich, doch der Stundenplan von manchen Kindern und Jugendlichen gleicht einem zehn bis vierzehn Stundentag. Diese Kinder werden von Termin zu Termin chauffiert und das nicht nur auf oftmals ‚normalen’ Entwicklungswegen, sondern auf gut ausgebauten Strassen, die Erfolg versprechen. Schon hier, in so frühen Jahren der Entwicklung bleiben einige auf der Strecke des Weges, kommen schon gar nicht mehr auf die bereits bekannte Straße des verheißenden Erfolges. Natürlich gibt es auch Hilfen für die etwas langsameren, wie auch immer diese aussehen und wie qualitativ hochwertig sie auch sein mögen, auch diese Hilfen sind Unterstützungen der Be-schlenigung, um eben den Anschluss an die Vorbeifahrenden nicht zu verlieren. Kaum einem dieser am Straßenrand stehenden wird vermittelt, dass sein Tempo und seine Herangehensweise völlig in Ordnung ist, kaum einem wird der Freiraum geschaffen seine eigene Straße zu finden und diese zu erproben.
Die Jugend wäre eine schönere Zeit, wenn sie erst später im Leben käme.
Charlie Chaplin
Haben dann elterliche Fitnesstrainer, manchmal mit Unterstützung, manchmal ohne, ihre Sprösslinge über die geteerten Straßen der erforderlichen Entwicklung gebracht, müssen diese nach einem kurzen Landstrassenparcours, der zwar noch eine Geschwindigkeitsbegrenzung hat, geschleust von entsprechenden Coaches, Ausbildern, Dozenten oder Professoren zu den entsprechenden Autobahnauffahrten, der jeweiligen Karrieren. All die, die es geschafft haben, ohne Verzögerung, diese Auffahrt zu erreichen, denen winkt augenscheinliche eine glatte Durchfahrt auf der Überholspur der Lebensautobahn. Aber natürlich blieben auch hier eine Menge junger Leute auf den Straßen oder Landstraßen zurück, manche wollten nicht weiter, andere konnten auch gar nicht mehr. Doch auch hier gibt es Programme, wie wirkungsvoll auch immer sie sein mögen, die diese ‚Langsamen’ soweit zu bringen, dass sie die Auffahrt in die Produktivität finden. Ob diese dann den Prozess des Einfädelns in den fließenden Verkehr schaffen, na, das bleibt dann noch dahingestellt.
Der Zug der Zeit ist ein Zug, der seine Schienen vor sich her rollt. Der Fluss der Zeit ist ein Fluss, der seine Ufer mitführt. Robert Musil
Der soweit getrimmte Mensch, der sich gut auf dieser Autobahn zurechtfindet, wird dann mit allen Mitteln versuchen, die Überholspur zu erreichen. Manchmal muss er drängeln, mal die Lichthupe benutzen, mal fährt er gefährlich dicht auf und manchmal hat einfach nur Glück eine winzige Lücke zu finden. Dann gibt es solch privilegierte Autobahnbenutzer, denen Platz gemacht wird, weil ihre Statussymbole, welche auch immer das sein mögen, sie ‚berechtigen’ auf eben dieser Überholspur zu sein. Fairness und Rücksicht sind hier oftmals die falschen Wegbegleiter und werden somit auch kaum berücksichtigt.
Wer zwingen will die Zeit, den wird sie selber zwingen; wer sie gewähren lässt, dem wird sie Rosen bringen. Friedrich Rückert
Doch jeder wird irgendwann mal ausgebremst. Mancher durch die eigene Körperlichkeit, die diese hohen Tempi nicht aushält, andere wiederum durch selbst verschuldete Unfälle oder auch durch Staus des wirtschaftlichen Kreislaufs. Wie auch immer, so zurückgeholt, versetzt es die Menschen oftmals in einen Ruhemodus, der schwer auszuhalten ist. Denn bis zu diesem Moment war kaum etwas wichtiger als Be-schleunigung; Ent-schleunigung war, wenn überhaupt nur ein intellektueller Vorgang, der aber kaum mit Leben erfüllt war. Zwar kennt auch Beschäftigte Zeiten der Entspannung, doch inwieweit er diese auch wirklich lebt, das ist dann eine durchaus individuelle Sache. Denn in der langen Phase der Be-schleunigung ging doch einiges verloren, das Lauschen der Stille, der Geruch der entsprechenden Jahreszeit oder auch das längere Verweilen beim Hinschauen. Werden diese Dinge aber nicht immer wieder geübt, ja trainiert, dann gehen sie einem als Fertigkeit schon verloren und man muss sie sich neu erarbeiten, doch ob das unter dem Zwang der Entschleunigung möglich ist, das entscheidet letztendlich doch jeder selbst.
Die Gegenwart allein ist wahr und wirklich: sie ist die real erfüllte Zeit, und ausschließlich in ihr liegt unser Dasein. Arthur Schopenhauer
Ent-schleunigung ist nicht nur eine Modeerscheinung oder eine Lebenseinstellung von Menschen, die sich solche ‚Exzentrik’ leisten können, sondern sollte zur gesunden Lebensplanung gehören. Denn ob wir uns auf den Karrierebahnen oder den Datenautobahnen bewegen, Innezuhalten, sich der eigenen Mitte bewusst zu werden, sollte ein Anspruch an die eigenen Lebensqualität sein.
Auf der materiellen Ebene braucht man natürlich Zeit, um von hier nach dort zu gelangen, aber auf der psychischen Ebene existiert keine Zeit. Das ist eine ungeheuerliche Wahrheit, eine ungeheuer wichtige Tatsache, und wenn man sie entdeckt hat, hat man sich von allen Traditionen freigemacht. Krishnamurti
Jeden Tag einmal bewusst zu ent-schleunigen, sich selbst zu spüren und den Blick umherschweifen zu lassen, sollte ein Anspruch an uns selbst sein, um uns dem Gegenüber im Hier und Jetzt zuwenden zu können.
Ein Versuch ist es alle Mal wert, da die Kosten äußerst gering sind, die Rendite aber höchste Erwartungen übersteigt.
Foto: Waldweg – Quelle: www.beautys.de ·Foto: Autobahn – Quelle: www.n24.de · Foto: Leuchtturm – Quelle: www.sueddeutsche.de
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