Für die industrielle Ermordung von Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus einen Begriff zu finden, der dieses Vorgehen, dieses Grauen auch nur im Ansatz, dafür aber gänzlich beschreibt, erscheint fast unmöglich; denn das Ausmaß dieser Verbrechen ist von solchem Grauen begleitet, dass es schier unmöglich erscheint, diese Monstrosität in ein ‚passendes’ Wort zu pressen. Es geht weniger darum welcher Begriff richtig oder falsch ist, da gab und gibt es Historiker-Streits mehr als genug, nein, es geht hier darum der eigenen Sprachlosigkeit angesichts der Verbrechen an Kindern, Frauen, Männern ein passendes Synonym zu geben, das auch nur annähernd diese Gräueltaten beschreibt. Was wir emotional angesichts der Taten im Einzelnen empfinden, kann nur in die Sprachlosigkeit führen, darum ist es auch wichtig, Definitionen zur Hand zu haben, um auch nur annähernd diese singulären Ereignisse beschreiben zu können.
In der Begegnung und auch in Gesprächen mit anderen ist mir aufgefallen, dass die Begrifflichkeiten oft genauso wenig umfassend definiert werden können, um diese Einzigartigkeit des Grauens in der Geschichte der Menschheit zu beschreiben. Darum soll hier der Versuch unternommen werden, die Begriffe zu definieren, um sie ‚richtig’ für sich selbst und im Wissen um seinen Inhalt zu benutzen. Auch um diese Begriffe nicht inflationär zu verwenden.
Porajmos:
Das Romanes-Wort Porajmos, im Deutschen ‚das Verschlingen’, bezeichnet den Völkermord an den europäischen Roma und Sinti in der Zeit des Nationalsozialismus. Dieser bildet den Höhepunkt einer langen Geschichte von Diskriminierung und Verfolgung. Die Zahl der Opfer ist (leider) nicht genau bekannt. Nach unterschiedlichen Schätzungen ist sie bei einer großen Spannbreite jedoch sechsstellig. Wie der Völkermord an den Juden war es ein Versuch der kollektiven Vernichtung. Jeder, der von den nationalsozialistischen System dem ‚Zigeunertum’ zugeordnet wurde, war grundsätzlich von Vernichtung bedroht. Dem lag die rassistische Deutung der Angehörigen der Minderheit als ‚fremdrassige’ und ‚geborene Asoziale’ zugrunde.
Der Antiziganismus war im Europa der damaligen Zeit weit verbreitet, die Ausgrenzung der Menschen von der Mehrheitsgesellschaft wurde erwünscht und auch mehrheitlich gebilligt. Die Roma und Sinti wurden im Nationalsozialismus aber zu Objekten eines ‚doppelten’, also eines ethnischen wie auch eines sozialen Rassismus.
Shoah:
Das hebräische Substantiv Sho´ah ist eine religiöse Bezeichnung einer von Gott gesandten ausländischen Bedrohung des Volkes Israel, siehe Jes. 10, 3; und heißt in seiner eigentlichen Bedeutung ‚Unheil’ oder ‚Heimsuchung’ für das gesamte jüdische Volk ist es eine Existenzbedrohung. 1940 erschien Shoah im Titel eines Jerusalemer Zeitungsartikels erstmals für NS-Massenmorde an Juden in Polen. Bis 1942 setzte sich der Ausdruck dafür zunächst in jüdischen Gemeinden Palästinas durch. Uriel Tal betitelte eine Sammlung jüdischer Augenzeugenberichte zu den Morden: „Die Sho’ah der Juden in Polen“. Shaul Tschernikowsky betitelte einen Vortrag bei der Jewish Agency in Jerusalem 1942: „Die Lehre der entsetzlichen Sho’ah, die über uns kommt“. Eine Rabbinerkonferenz erklärte im November 1942, als Massenmordbefehle der SS-Einsatzgruppen im Ausland bekannt geworden waren: „Die Sho’ah, die die europäische Judenheit erleidet, ist beispiellos in der Geschichte.“ 1943, als man von Vernichtungslagern wusste, schrieb der jüdische Historiker Ben-Zion Dinur: „Die Sho’ah symbolisiere „die Einzigartigkeit der jüdischen Geschichte unter den Völkern“.
Die Israelische Unabhängigkeitserklärung von 1948 begründet das Existenzrecht Israels unter anderem mit der Shoah, hier wird das mit ‚die in Europa Millionen von Juden vernichtete’ definiert. Seitdem wird der Ausdruck in Israel nur noch darauf bezogen. Dies entsprach einer jüdischen Tradition, besonders einschneidende Ereignisse der jüdischen Geschichte mit einem biblischen Wort zu bezeichnen und dieses so daran zu binden. 1951 führte Israel den Yom Hashoah, den‚Shoah-Tag‘, als nationalen Gedenktag für die Judenverfolgung in der Zeit von 1933–1945 ein.
In Westeuropa machte der Dokumentarfilm ‚Shoah’ von Claude Lanzmann im Jahr 1985 das Wort bekannt. Seitdem hat er sich auch vielen anderen Ländern als mit Holocaust gleichberechtigt durchgesetzt. Wer den Holocaustbegriff als Oberbegriff auch für andere NS-Massenmorde verwendet oder als unpassend für den Judenmord der NS-Zeit ablehnt, bevorzugt als Synonym dafür heute oft Shoah.
Holocaust:
Der Begriff Holocaust kommt aus dem Griechischen und heißt im Deutschen so viel wie ‚vollständig verbrannt’. Seit dem 12. Jahrhundert bezeichnete ‚holocaustum’, die lateinische Form des Wortes, Feuertode vieler Menschen. Um 1895 bezeichneten englischsprachige Autoren das Massaker an den Armeniern als ‚holocaust’. Damit wurde der Begriff erstmals auch für Massenmorde an einer Ethnie verwendet, die nach 1945 als ‚Völkermord’ oder Genozid bezeichnet und rechtlich definiert wurden. Seit 1942 wurden zuerst im Großbritannien die Massenmorde von Nationalsozialisten an Juden so genannt. ‚Der Holocaust’ ist seit etwa 1960 in den Vereinigten Staaten und seit 1978 auch in vielen Staaten Europas, darunter der Bundesrepublik Deutschland, zum verbreiteten Hauptbegriff für das geworden, was die Nationalsozialisten selbst als ‚Endlösung der Judenfrage’ bezeichneten. Selbst im Englischen wird das Wort groß geschrieben und ihm auch ein Artikel vorangesetzt, schon um die Einmaligkeit der Verbrechen in der NS-Zeit darzustellen.
Diskutiert wurde welcher der Begriffe, ob Shoah oder Holocaust die Einzigartigkeit der Judenmorde in der NS-Zeit beschreibt; wobei jüdische Historiker darauf bestanden, den Begriff ‚Shoah’ ausschließlich den Opfern zugestatten, nicht aber den Tätern. Durchgesetzt dabei hat sich der Holocaust-Begriff im allgemeinen Verständnis weltweit. Um die Einmaligkeit der Ereignisse zu unterstreichen, verbietet es sich, andere Völkermorde oder Tötungsaktionen als Holocaust zu bezeichnen, um so einer Relativierung des industriellen Massenmordes an Menschen zu entgehen. Durchgesetzt hat sich hier der Begriff ‚Genozid’ für systemische Völkermorde.
Mit großer Vorsicht zu betrachten ist, dass oftmals der Holocaust-Begriff inflationär benutzt wird, wie zum Beispiel in der Abtreibungsdebatte in Deutschland geschehen; denn das schwächt die Erinnerung an einen der grausamsten Ereignisse in der Geschichte der Menschheit.
Heute wird auch häufig der Begriff ‚Auschwitz’ nicht nur als der Ort des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau verwandt, sondern auch als Synonym für die Gräueltaten im NS-Regime. Dies ist auch deshalb äußerst legitim, da diese Vernichtungsmaschinerie an diesem Ort von Schergen der NS-Zeit errichtet wurde und so Täter und Opfer deutlich dargestellt werden.
Abschließend ist zu all diesen Begrifflichkeiten und ihrer ‚korrekten’ Verwendung zu sagen, dass sich jeder hüten sollte, diese Begriffe mit anderen schrecklichen Ereignissen zu vergleichen, denn ein jeder Vergleich, kann nur zur Relativierung dies (hoffentlich) einmaligen Ereignisses des unvorstellbaren Grauens führen. Dies soll andere Gewalttaten an Menschen nicht schmälern, nein, in keiner Weise; doch müssen wir auch diese dann ‚korrekt’ definieren, um auch deren Opfer gerecht zu werden und den Tätern den entsprechenden Stempel ihres Verbrechens aufzudrücken.
Bild 1:Roma vor ihrer Vergasung – Quelle: izieeu.com · Bild 2: Kinder der Shoah – Quelle: desperate-hours.eu · Bild 3: Holocaust – Quelle: bp-blogspot.com · Bild 4: Auschwitz-Birkenau – Qelle: guim.co.uk
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