Der Frauenprotest in der Rosenstrasse

Der Frauenprotest in der Rosenstrasse

Nathan Stoltzfus: Mit jüdischen Männern verheiratete, verlobte, befreundete Frauen widersetzten sich 1943 im einzigen öffentlichen Protest in Deutschland gegen deren Deportation.

Der Rosenstraße-Protest war die größte spontane Protestdemonstration im Deutschen Reich während der Zeit des Nationalsozialismus. Ende Februar und Anfang März 1943 verlangten „arische“ Ehepartner aus „Mischehen“ und andere Angehörige von verhafteten Juden in Berlin deren Freilassung.

Bereits vorher waren Christinnen, die einen Juden geheiratet und gemeinsame Kinder hatten, schlimmsten Anfeindungen durch das Hetzblatt „Der Stürmer“ ausgesetzt. Julius Streicher, dieser Sexualverbrecher – wie ihn Joachim Fest nannte, ließ in diesem Blatt seinem sexistischen, nationalsozialistischen Gedankengut auf perverseste Form freien Lauf.  

Vor dem Haus der Rosenstraße 2-4, der mitten in der Berliner City gelegenen, damals wichtigsten Behörde der jüdischen Gemeinde, stehen in der Nacht des 27. Februars 1943 hunderte von Frauen. Sie stehen dort am Sonntag, dem 28. Februar. Sie stehen dort – tags, nachts – am Montag, dem 1. März, am Dienstag, dem 2. März, am Mittwoch, am Donnerstag. Am Freitag war die Straße „dunkel wie ein See von Köpfen, tausend Leute. Ein Gesetz vom Mai 1933 verbot alle nicht von Nazis organisierten Demonstrationen. Dass es diese Demonstration im Februar/März 43 gab, dass es Frauen waren, die als einzige während der Nazi-Zeit öffentlich demonstrierten, dass sie Erfolg hatten, wissen wenige.

Am 27. Februar 1943 begannen SS und Gestapo in der so genannten „Fabrikaktion“ die noch verbliebenen Berliner Juden zu verhaften und in mehrere Sammellager zu bringen. Unter den mehr als 8000 Verhafteten befanden sich zahlreiche Partner aus „deutschblütig“-jüdischen „Mischehen“ und „Geltungsjuden“. Diese (etwa 2000 Personen) wurden aussortiert und in das Gebäude der ehemaligen Behörde für Wohlfahrtswesen und Jugendfürsorge der Jüdischen Gemeinde verbracht, das sich in Berlin-Mitte in der Rosenstraße 2–4 dicht beim Alexanderplatz befand.

In Berlin wurden im Zuge der so genannten Fabrikaktion ungefähr 27.000 „ungeschützte“ Juden, die nicht unter eine der Ausnahmekategorien der Nationalsozialisten fielen, verhaftet und in vier Sammellagern (zwei Kasernen, das Konzerthaus „Clou“, die Synagoge in der Levetzowstraße) interniert. Bis zum 6. März wurden nahezu 7.000 von ihnen in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Fünfundzwanzig dieser Inhaftierten wurden noch während der Proteste nach Auschwitz deportiert. Drei Wochen nach der Protestaktion der Frauen wurden die Männer aus dem Konzentrationslager wieder entlassen und mit dem Zug in ein Arbeitslager in der Berliner Umgebung zurückgebracht. Das gab es in der Geschichte des Nazi-Faschismus nicht noch einmal. Die meisten von ihnen überlebten den Krieg.

Aber nicht nur arbeitende wurden ‚eingesammelt’, auch Kinder auf ihren Schulwegen wurden verschleppt, oder aus ihren Klassen geholt, ohne Kenntnis der Eltern.

Ein Teil der ca. 2.000 bei der Fabrikaktion verhafteten „Mischlinge“ oder in „Mischehe“ lebenden Juden, die aufgrund ihres „geschützten“ Status nicht in diese Deportationen eingeschlossen waren, wurden getrennt in einem Verwaltungsgebäude der Jüdischen Kultusvereinigung in der Rosenstraße 2-4 und in einem Gebäude in der Großen Hamburger Straße festgehalten.

Ein anschauliches Beispiel ist der Romanistikprofessor Victor Klemperer. Er heiratete lange vor 1933 eine Protestantin und war selbst zum Protestantismus übergetreten. Er führte im traditionellen Sinne ein ‚konfessionell reine Ehe’. Erst im Nationalsozialismus wurde diese zur ‚Mischehe’.

Chronologischer Ablauf der Protestaktion:

 

1. März 1943, Montag:

In einer für die NS-Zeit beispiellosen öffentlichen Aktion protestierten viele Hunderte von nichtjüdischen Angehörigen, zumeist Ehefrauen der verhafteten jüdischen Zwangsarbeiter, tagelang vor der Rosenstraße 2-4 und forderten die Freilassung ihrer Familienangehörigen. Am 6. März 1943 wurden die festgehaltenen Juden aus der Haft entlassen. Der Strassenbahnverkehr im Gebiet der Rosenstraße wird umgeleitet. Die SS richtet Maschinengewehre auf die größer gewordene Ansammlung von Menschen vor der Rosenstraße. Einzelne rufen „Mörder“. Die Maschinengewehre werden wieder abgezogen. Aus der Levetzowstraße werden Gefangene zum Güterbahnhof Quitzowstraße abtransportiert: der erste Deportationszug der `Fabrikaktion‘ mit 1736 Juden nach Auschwitz.

In der Nacht: (1./2. März)

 Schwere Britische Luftangriffe auf Berlin.

„Gerade in diesem Augenblick [nach schweren Zerstörungen durch die Bombenangriffe] hält der SD es für günstig, in der Judenevakuierung fortzufahren. Es haben sich da leider etwas unliebsame Szenen vor einem jüdischen Altersheim abgespielt, wo die Bevölkerung sich in größerer Menge ansammelte und zum Teil sogar für die Juden Partei ergriff. Ich gebe dem SD Auftrag, die Judenevakuierung nicht ausgerechnet in einer so kritischen Zeit fortzusetzen. Wir wollen uns das lieber noch einige Wochen aufsparen; dann können wir es umso gründlicher durchführen.“

Frau B.: Also, dann bin ich in die Rosenstraße gelaufen. Dort warteten schon Frauen vor den Toren des Sammellagers Rosenstraße. Noch nicht so viele wie am nächsten Morgen. Aber es waren bereits sehr viele. Es waren ja nicht nur Frauen. Es waren auch ein paar Männer dabei. Einige gingen auf und ab. Autos mit Festgenommenen fuhren vor. Die fuhren in diesen Hof rein und man konnte nichts sehen. Es kamen immer wieder Autos. Polizisten standen bereits herum. Auch sie gingen auf und ab. Wie viel Polizei – kann ich heute nicht mehr sagen. Und am nächsten Tag waren es noch mehr. Die anderen vor der Rosenstraße Stehenden waren ja alle älter als ich. Ich war eine der Jüngsten. Die Älteren hatten schon untereinander Kontakte. Die eine oder andere kannte sich und man wusste abends schon, dass man da morgens ganz früh wieder hingeht. Eine Verkäuferin meines Vaters, die von mir nicht wusste, aber von der ich wusste, dass ihr Mann Jude war, flüsterte: „Wir haben uns besprochen. Wir sind morgen früh wieder da.“

Ruth P: Nachts nach den Fliegerangriffen, die gerade zu der Zeit sehr heftig waren, ging ich auch zur Rosenstraße, um zu sehen, ob das Haus noch stand. Solange die Menschen dort waren, passierte nichts. Heute steht das Haus nicht mehr. Es wurde bei einem späteren Fliegerangriff zerstört. Diese Demonstration war der einzige öffentliche Protest gegen Deportationen, den es in Deutschland gab.

Wie brutal mit den versammelten Juden umgegangen wurde schildert ein Redakteur der SS-Zeitschrift „Das Schwarze Korps“, der immerhin im Rang eines SS-Hauptsturmführers war, in einem Protestschreiben:

„Ein Lastwagen stand im Innenhof, vor der Laderampe stand ein Hocker und die Männer, Frauen und Kinder mussten im Laufschritt auf diesen Lastwagen, daneben stand ein Mann in Zivil mit einer langen Hundepeitsche und schlug brutal auf die Juden ein. Er traf einen Säugling. Ist das eine deutschen Mannes würdig?“

 2. März 1943, Dienstag:

Goebbels notiert in seinem Tagebuch: „Wir schaffen die Juden endgültig aus Berlin heraus. Sie sind am vergangenen Sonntag schlagartig zusammengefasst worden und werden nun in kürzester Frist nach dem Osten abgeschoben.“

Weiter Ansammlungen von Angehörigen der Inhaftierten in der Rosenstraße.

Herta H. berichtet: Nachdem wir an dem 27. Februar vergeblich an der S-Bahn Oranienburger Straße auf unseren Vater gewartet hatten, war mein Bruder zu der Fabrik gefahren, die er natürlich verschlossen fand. Irgendjemand dort erzählte ihm aber von dem Abtransport der Juden am Morgen und bis zum Abend wussten wir, dass sie in der Rosenstraße waren. Wir hatten ja kein Telefon mehr, also fuhren wir mit der S-Bahn zu verschiedenen betroffenen Frauen, die wir kannten. Und so sagte es eine der anderen weiter. Wir wurden immer wieder von Polizisten von der Straße vertrieben, aber wir kamen immer wieder.

 3. März 1943, Mittwoch und 4. März 1943, Donnerstag:

Neu festgenommene Juden aus Mischehen und „Geltungsjuden“ werden im Lager der Großen Hamburger Straße und in der Rosenstraße interniert. Hunderte Frauen, Mütter, Männer und Kinder, Verwandte und Freude kommen jetzt auch zur Großen Hamburger Straße.

Weiter wird erzählt: Manchmal wurden wir bei dem »Ordner« in Zivil, der vor der Tür des Hauses stand, ein Stullenpäckchen los. Ich habe meinen Vater hinter einem Fenster entdeckt, er hat mit dem Zettelchen gewinkt, das wir zu den Broten getan hatten. Sie waren also angekommen.

5. März 1943, Freitag:

Andauer der Ansammlungen bzw. des Protestes.

 6. März 1943, Samstag:

25 Inhaftierte aus der Rosenstraße werden nach Auschwitz abtransportiert. (Sie wurden nach der Ankunft dort ausgesondert. 12 Tage nach ihrer Verhaftung wurden sie von Auschwitz aus wieder nach Berlin zurückgebracht und von dort aus in das „Arbeitserziehungslager“ Großbeeren gebracht.)

Deportation von 690 Menschen jüdischer Herkunft vom Bahnhof Putlitzbrücke aus nach Auschwitz. Seit Beginn der `Fabrikaktion‘ hatte man schon 7031 Juden dorthin verschleppt.

Freilassung der Inhaftierten aus der Rosenstraße.

Goebbels in seinem Tagebuch: „Gerade in diesem Augenblick hält der SD es für günstig, in der Judenevakuierung fortzufahren. Es haben sich da leider etwas unliebsame Szenen vor einem jüdischen Altersheim abgespielt, wo die Bevölkerung sich in großer Menge ansammelte und zum Teil sogar für die Juden etwas Partei ergriff. Ich gebe dem SD Auftrag, die Judenevakuierung nicht ausgerechnet in einer so kritischen Zeit fortzusetzen. Wir wollen uns dass lieber noch einige Wochen aufsparen; dann können wir es umso gründlicher durchführen.“

Schon seit dem 2. März und fortlaufend in den beiden nächsten Wochen wurden die in der Rosenstraße versammelten Juden aus „Mischehen“ sowie „Geltungsjuden“ und einige „Ausnahmefälle“ nacheinander freigelassen. Wahrscheinlich kamen fast alle dieser 2000 in die Rosenstraße verlegten Personen wieder frei, nachdem ihre Angaben zeitaufwendig überprüft worden waren und ihr „Status“ zweifelsfrei feststand.

Die Journalistin Ruth Andreas-Friedrich veröffentlichte ein Tagebuch mit dem Titel „Der Schattenmann“. Der Eintrag für den 28. Februar 1943 lautet:

„Sollen wir hingehen und die SS zur Rede stellen? Ihre Lastwagen stürmen und unsere Freunde und Verwandten herunterreißen? Die SS hat Waffen – wir haben keine. Es gibt uns niemand welche. Und wenn man sie uns gäbe, wir verständen nicht, mit ihnen umzugehen. Wir sind keine ‚Umbringer’. Wir haben Ehrfurcht vor dem Leben. Das ist unsere Stärke und – unsere Schwäche.“

Die aus dem Gewahrsam in der Rosenstraße Entlassenen mussten sich beim Arbeitsamt melden und wurden zur Zwangsarbeit verpflichtet. Vielen wurde eine Arbeit bei der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland und deren Einrichtungen zugewiesen. Dort ersetzten sie „volljüdische“ Arbeitskräfte, die deportiert worden waren.

Dieses Vorgehen stimmt mit einer schriftlichen Anweisung des Reichssicherheitshauptamts vom 20. Februar 1943 überein, nach der in Mischehe lebende Juden sowie ähnliche andere, genau definierte Gruppen von der Deportation ausgenommen werden sollten. Folgerichtig fand die dazu erforderliche Überprüfung im Gebäude Rosenstraße 2–4 statt. Der Historiker Wolf Gruner weist darauf hin, dass nur ein geringer Teil der insgesamt 8000 in Mischehe lebenden Juden verhaftet worden war; ihre Deportation war offensichtlich nicht vorgesehen. Diese Quellen und Argumente widersprechen der weit verbreiteten Ansicht, der „Protest mutiger Frauen“ habe ursächlich zur Freilassung der inhaftierten Juden aus „Mischehen“ geführt.

Heinz Ullstein, Enkel des Verlagsgründers, setzte in seinen ‚Lebenserinnerungen’ seiner zweiten Frau ein Denkmal mit dem Kapitel „Deutschland ….Anne, das bist du!“ Das Ehepaar Ullstein stand kurz vor der Scheidung, in allerletzter Minute zog Anne Ullstein die Scheidung zurück, auch sie war eine der Frauen der ‚Rosenstrasse’ und konnte so ihren Mann retten.

Vereinzelt werden einzelne Freilassung auch auf eine Intervention von Adolf Kardinal Bertram zurückgeführt.

 

Über die Staatsdoktrin des ‚Dritten Reichs’ schrieb Heinz Ullstein:

„Alle Menschen seien entweder durch Vorteile käuflich oder durch Drangsalierungen zu zermürben. Die christlichen Frauen, die während der zwölf Jahre zu ihren Männern hielten, haben diesen Lehrsatz widerlegt.“

….und noch etwas ganz persönliches: Ich gedenke hier meiner Großtante Ernestine Hecht, geb. Wienig – auch sie war eine der Frauen der Rosenstrasse….

Das Denkmal von Ingeborg Hunzinger steht in der Rosenstrasse in Berlin

Fotos entnommen www.rosenstrasse-protest.de

 

 

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