Medizinische Versuche im Konzentrationslager Dachau

Medizinische Versuche im Konzentrationslager Dachau

 

Das Krankenrevier des Konzentrationslagers Dachau, auch Revier oder Häftlingslazarett genannt, umfasste 1937 zwei Baracken. Die SS begann es ab 1939 zu erweitern. In den letzten Kriegsjahren erstreckte es sich auf 18 Baracken, auch Blöcke genannt. Dachau war Prototyp für spätere Konzentrationslager. In anderen Lagern waren die räumliche Situation und der organisatorische Ablauf der Reviere ähnlich, allerdings hatte Dachau einen so genannten Vorzeigebereich für Überprüfungen zum Beispiel durch das ROTE KREUZ. Nicht sämtliche, doch einige medizinische Versuche an Häftlingen fanden direkt im Häftlingslazarett statt. Während des Krieges wurden, in der von der Außenwelt abgeschirmten Konzentrationslagern,  medizinische Versuche an wehrlosen Gefangenen durchgeführt. Heinrich Himmler, der eine eigene SS-Wissenschaft aufbauen wollte, hatte keine Bedenken, den SS-Ärzten Häftlinge als Versuchspersonen auszuliefern. Tausenden Männern und Frauen wurde bei diesen Versuchen die Gesundheit zerstört, oder sie erlitten einen qualvollen Tod. Auch im Lager Dachau wurden Hunderte von Gefangenen Opfer medizinischer Experimente.

Malaria-Versuchsreihe:

Professor Dr. Claus Schilling, ein anerkannter Forscher der Tropenmedizin, war bereits über 70 Jahre alt, als er auf Veranlassung Himmlers Anfang 1942 im Konzentrationslager Dachau eine Malaria-Versuchsstation einrichtete. Er suchte nach Möglichkeiten zur Immunisierung gegen Malaria; rund 1100 Häftlinge wurden zu diesem Zweck mit der Krankheit infiziert. Den Versuchspersonen wurden Erreger eingespritzt oder durch Mückenstiche übertragen, anschließend wurden die auftretenden Fieberanfälle mit verschiedenen Medikamenten behandelt und der Verlauf der Krankheit genau registriert. Als Versuchspersonen wurden anfänglich kriminelle Häftlinge, später vor allem polnische Geistliche, aber auch Italiener und Russen ausgewählt. In den letzten Wochen vor der Befreiung wurden Professor Schilling von der Lagerleitung nur noch invalide Häftlinge als Versuchspersonen zugeteilt; er führte jedoch seine Versuche unbeirrt weiter, bis Himmler schließlich am 5. April 1945 befahl, die Versuche abzubrechen. Die genaue Zahl der Häftlinge, die an den Folgen der Malaria-Versuche starben, ist nicht mehr festzustellen, da die Häftlinge nach Abklingen der Krankheit wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren mussten und viele dort, durch die Malaria körperlich geschwächt, anderen Krankheiten zum Opfer fielen. 

Unterdruck- oder Höhenflugversuchsreihe:

Das angebliche Ziel der in Dachau unter der Bezeichnung Unterdruck- oder Höhenflugversuche laufenden Experimente war es, die Belastungen zu untersuchen, denen Piloten der Luftwaffe in großen Höhen bei Flugzeugabstürzen oder Fallschirmabsprüngen aufgrund plötzlichen Druckverlustes oder Sauerstoffmangels ausgesetzt waren. Eine Schlüsselrolle spielte der Luftwaffenarzt und SS-Untersturmführer Dr. Sigmund Rascher, der in einem Brief an Himmler vom 15. Mai 1941 zum ersten Mal die Frage aufwarf, ob Berufsverbrecher für Experimente zur Verfügung gestellt werden könnten, da sich angesichts der Gefährlichkeit dieser Versuche niemand freiwillig zur Verfügung stellte. Himmler erteilte Rascher die Genehmigung, diese Versuche im Lager Dachau durchzuführen, und nahm selbst lebhaften Anteil am Verlauf der Experimente. Die Versuchspersonen wurden in einer Unterdruckkammer künstlich den Bedingungen unterworfen, denen Piloten in großen Höhen und bei Abstürzen ausgesetzt waren. Von Mitte März bis Mitte Mai 1942 wurden etwa 200 Häftlinge, darunter auch wieder zahlreiche polnische Geistliche, den Torturen dieser Versuche unterworfen. Die Perversion der ethischen Verpflichtung eines Arztes gegenüber seinen Patienten wird in den Berichten deutlich, die Dr. Rascher an Himmler sandte. So hieß es in einem Geheimbericht vom 11. Mai 1942:

„… Um zu erklären, ob die unter Ziffer 3 geschilderten schweren psychischen und physischen Erscheinungen auf der Bildung von Luftembolien beruhen, wurden einzelne Versuchspersonen nach einem derartigen Fallschirmsinkversuch nach relativer Erholung, jedoch vor Wiedereintreten des Bewusstseins unter Wasser zum vollständigen Exitus gebracht …“

Nach Aussagen des Augenzeugen und Häftlingspflegers Walter Neff kamen von den 200 Versuchspersonen mindestens 70 bis 80 ums Leben. 

Unterkühlversuche:

Die von Mitte August 1942 bis Oktober 1942 durchgeführten Unterkühlversuche sollten klären, wie man über dem Meer abgestürzten Piloten der Luftwaffe, die durch den langen Aufenthalt im Wasser Erfrierungen erlitten hatten, schnell und wirksam helfen könnte. Die Luftwaffe erklärte sich bereit, die Versuche unter Professor Dr. Holzlöhner in Zusammenarbeit mit Dr. Rascher und Dr. Finke im Lager Dachau durchzuführen. Die Versuchspersonen wurden in Fliegeruniformen stundenlang in ein mit Eiswasser gefülltes Becken gelegt, anschließend wurden verschiedene Methoden der Wiedererwärmung erprobt. Die Ergebnisse wurden unter dem Titel „Über Abkühlungsversuche am Menschen“ auf einer wissenschaftlichen Besprechung der Sanitätsabteilung der Luftwaffe am 26./27. Oktober 1942 vorgetragen. Zu diesem Zeitpunkt brachen Professor Holzlöhner und Dr. Finke ihre Mitarbeit an diesen Versuchen ab, da sie der Auffassung waren, dass weitere Versuche keine neuen Ergebnisse mehr bringen würden. Dr. Rascher führte mit Unterstützung Himmlers die Versuche allein bis Mai 1943 weiter, nach Zeugenaussagen fanden von insgesamt 360 bis 400 Versuchspersonen 80 bis 90 den Tod. Rascher wollte außerdem im Lager Auschwitz eine größere Versuchsreihe mit Freiluftunterkühlungen durchführen. In einem Schreiben an Himmler vom 12. Februar 1943 heißt es dazu:

„… Auschwitz ist für einen derartigen Reihenversuch in jeder Beziehung besser geeignet als Dachau, da es dort kälter ist und durch die Größe des Geländes im Lager selbst weniger Aufsehen erregt wird (die Versuchspersonen brüllen (!), wenn sie frieren …“

Zu diesen Versuchen ist es jedoch nicht mehr gekommen. 

Phlegmone-Versuche:

Der Grund für die Inbetriebnahme einer Phlegmonestation geht auf Heinrich Himmler zurück. Er will die Wirksamkeit der Sulfonamide, die er bezweifelt, untersuchen und die rückständige, deutsche Kriegsmedizin voranbringen. Außerdem schwebt ihm vor, durch seinen Glauben an biochemische Mittel ein deutsches Pendant zu Penicillin zu schaffen. Am besten ein Mittel das noch breitflächiger eingesetzt werden kann. Dazu ordnet er Versuche in Ravensbrück und Dachau an.

Die Phlegmonestation befindet sich in der 3. Abteilung des 1. Blocks im Konzentrationslager in Dachau. Die Versuche beginnen in der chirurgischen Abteilung, die man als erste richtige Versuchsstation bezeichnen kann. Dort entnimmt man den Kranken flüssigen Eiter, normalerweise 10 ccm, und spritzt ihn verschiedenen Gefangenen unter die Haut; entweder in die Muskeln oder in die Venen. Fast täglich wird diese Prozedur wiederholt, vorwiegend an polnischen Geistlichen. Diese werden meist direkt in der Kirche oder auf Massenveranstaltungen festgenommen und in die Konzentrationslager gebracht. Sie werden aufgrund ihres besseren, gesundheitlichen Zustandes für die Versuche verwendet, da sich die ausgehungerten Häftlinge dafür nicht mehr eignen. Aber auch holländische und tschechische Geistliche entkommen den Qualen nicht. Einige sterben an einer schnellen, generalisierten Sepsis, andere kämpfen wochen- sogar monatelang unter größten Leiden um ihr Leben. Nachdem dann Dr. Lolling den Befehl und Prof. Grawitz aus Berlin die Aufsicht übernommen hat, werden die Versuche noch rücksichtsloser durchgeführt. In der ersten Abteilung, der Chirurgie, werden die Eiterherde entweder durch Aufstechen der Abszesse und Phlegmone ‚geheilt’. Nach ein bis drei Stunden treten jedoch schon akute Anzeichen eines Schüttelfrostes und eine schwere Blutvergiftung auf.

Es wurden auch Versuche im Bereich der Psychiatrie gemacht, hierbei wurden durch Medikamente Wahnvorstellungen erzeugt um diese dann in so genannten Versuchsreihen mit Psychopharmaka zu ‚heilen’.

Schwester Pia:

Schwester Pia, mit richtigem Namen Eleonore Baur, war eine fanatische Nationalsozialistin und persönliche Freundin Hitlers. 


Als Krankenschwester begleitete sie die frühe NSDAP um Verletzte eigene ‚Genossen’ auf  Saalschlachten medizinisch zu versorgen. Nachdem die Nationalsozialisten an die Macht kamen wurde sie mit dem goldenen Parteiabzeichen geehrt und wurde ‚Trägerin des Blutordens’ als einzige Frau. Himmler ernannte sie zur Fürsorgeschwester der Reichsführung SS im Range einer SS-Oberführerin. Ihr wurde eine großzügige Villa vor den Toren Münchens, in der Nähe des Konzentrationslagers Dachau, vom ‚Führer’ persönlich zum Geschenk gemacht. Wie kaum ein anderer, konnte Schwester Pia, ohne Voranmeldung, im Konzentrationslager ein- und ausgehen. Sie führte sich als Fürsprecherin der Häftlinge auf und belehrte diese ständig über die Güte des Führers und forderte zur Treue ihm gegenüber auf. Schwester Pia war zwar nicht an den medizinischen Experimenten direkt beteiligt, doch besuchte sie die Patienten regelmäßig und mahnte sie, die Leiden ‚mannhaft’ zu tragen, da die Ergebnisse den ordentlichen Volksgenossen und den kämpfenden Soldaten zu Gute kämen. Aus solchen Äußerungen Überlebender, ist zu schließen, dass Eleonore Baur über die Menschenversuche völlig im Bilde war. Ihre Aufforderungen Häftlinge zu töten wurde in perfide Worthülsen verpackt, so dass sie nach dem Krieg dafür nicht belangt werden konnte. Doch da sie bei einigen Experimenten anwesend war, wurde sie zu 10 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, die sie (leider) nicht vollständig ableistete, denn sie wurde aus ‚gesundheitlichen’ Gründen vorzeitig entlassen und verstarb erst 1981, immer noch in der Villa bei Dachau lebend. Dr. Punzengruber, der als Häftling an den medizinischen teilnahm beschrieb sie während des Prozesses so:

„Sie war arm an Geist, selig im Nehmen und glücklich in der Meditation über ihren geliebten Führer gewesen. Die Grenze zwischen Sadismus und Masochismus sei bei ihr schwer zu finden.“

Unter den Häftlingen gab es viele Ärzte, doch durften diese nicht im Revier der ‚Krankenstationen’ arbeiten, auch medizinisch Vorgebildete, wie Studenten oder Krankenpfleger wurden dort nicht eingesetzt, dafür sorgte vor allen Dingen der Revierkapo Josef Heiden. Vor ihm zitterten Patienten und Pfleger. Er verlangte von den Patienten den ‚Führergruß’ und ließ diese in ‚Habachtstellung’ in ihren Betten liegen. Viele Überlebende schilderten seine sadistischen Exesse und bekundeten ihm ein inneres ‚Bedürfnis’ beim Töten.

Die pseudomedizinische Abteilung der Menschenversuche war ‚Vorbild’ in Struktur und Aufbau für andere Konzentrations- und Vernichtungslager.

 

Bild 1: Krankenrevier in Dachau – Quelle: google.com · Bild 2: gepeinigter Häftling – Quelle: wikimedia.org · Bild 3: Höhenversuchsreihe – Quelle: wordpress.com · Bild 3: Unterkühlungsversuch – Quelle: schule.de · Bild 4: Schädelöffnung – Quelle: uni-erlangen.de Bild 5: Schwester Pia bein SA Marsch – Quelle: bseditions.fr · Bild 6: Leichenberg in Dachau – topzine.cz

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