Meine Familie nutzte Macht über Leben und Tod

Meine Familie nutzte Macht über Leben und Tod

 

Das 27. Internationale Dokumentarfilmfestival München findet vom 2.-9. Mai in diesem Jahr statt. Viele Interessante Produktionen werden zu sehen sein, aber wie immer gilt, wo Licht ist, da ist auch Schatten.

Am 7. & 9. Mai wird in München der Film ‚Meine Familie, die Nazis und ich’ von dem Dokumentarfilmer Chanoch Ze’evi gezeigt. Alan Posener von der Welt hat sich diesen Film schon einmal angeschaut, der auch dieser Tage in Nürnberg gezeigt wird.

 

Meine Familie und die Nazis

Von Alan Posener

Hitler sells. Nazis gehen immer, je länger das Dritte Reich zurückliegt, desto besser. Das mag sich Rainer Höß gedacht haben, als er ein paar Erinnerungsstücke seines Großvaters der Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem zum Kauf anbot. Denn Rainers Opa Rudolf war Kommandant in Auschwitz. Die Museumsleitung lehnte bestürzt ab. Dass einer mit den Familienfotos und Nazi-Kitsch eines Massenmörders im Land der Opfer ein Geschäft machen wollte, das fand man in Yad Vashem dann doch ziemlich degoutant.

So erfand sich Rainer Höß neu. Bis dahin war der 44-Jährige allenfalls durch kleine Betrügereien aufgefallen. Die fünf Kinder des von den Polen gehenkten KZ-Kommandanten haben ein zurückhaltendes Leben geführt und der Sensationslust der Medien keine Projektionsfläche geboten. Doch der Enkel erkannte die Möglichkeit, den medialen Voyeurismus auszunutzen: mithilfe des berüchtigten Großvaters, den er nie gekannt hatte, selbst berühmt zu werden. Und damit seinen Marktwert zu erhöhen. Von allein wäre er vielleicht nicht auf den Gedanken gekommen.

Seine Spezialität ist eigentlich das Einfädeln angeblicher Geschäfte in der arabischen Welt, wobei ihm leichtgläubige deutsche Steuerexilanten Geld zum Anlegen überlassen. Aber als der israelische Journalist Eldad Beck vom geplatzten Deal mit dem Nazi-Nachlass hörte, interessierte er sich für den Verkäufer. Beck schlug Höß vor, mit ihm nach Auschwitz zu reisen, um den Ort des Massenmords zu sehen, aber auch die Villa, in der sein Vater als kleines Kind lebte. Die Reise fand statt und wurde sogar auf Film gebannt: „Meine Familie, die Nazis und ich“ heißt das Werk des israelischen Filmemachers Chanoch Ze’evi, in dem auch die Großnichten (!) von Hermann Göring und Heinrich Himmler sowie die Kinder von Amon Göth und Hans Frank – und eben auch der Enkel von Rudolf Höß – über Schuld und Sühne räsonieren.

Über den Sinn eines solchen Projekts kann man streiten. Materielles kann man erben, Schuld nicht. Dass die Kinder der Täter dennoch leiden, mag man nachvollziehen. Bei Enkeln und Großnichten ist das schon sehr viel weniger wahrscheinlich. Bei Rainer Höß, der auf dem kathartischen Höhepunkt des Films eine Begegnung mit jungen Israelis in Auschwitz hat und von einem Holocaust-Überlebenden umarmt wird, kamen Journalisten, die ihn in Polen, Israel und Deutschland erlebten, zum Schluss, dass seine Empathie allein seiner eigenen Person gilt, dass ihn der Holocaust langweilt, sofern es nicht um ihn und seinen Großvater geht.

Beck ist davon überzeugt, dass Höß die Rolle des Reumütigen nur spiele. Er teilte dem Regisseur seine Bedenken mit und bat darum, wenigstens selbst nicht im Film aufzutauchen, da er nicht Teil einer Inszenierung sein will, die er als Verhöhnung der Opfer und Irreführung der Zuschauer begreift. Es nutzte nichts. „Meine Familie, die Nazis und ich“ wurde bereits in Leipzig gezeigt, wird am 7. Mai beim Münchner Dokumentarfilmfestival zu sehen sein und am 13. Juni in der ARD ausgestrahlt. Im August wird Rainer Höß überdies seine Memoiren im Münchner Verlag Belleville veröffentlichen. Als Ghostwriter fungieren die ehemaligen „Stern“-Journalisten Petra Schnitt und Jörn Voss. Lukrative Vorabdrücke sind zu befürchten. Hitler sells.

Eine Genehmigung des Journalisten Alan Posener für die gänzliche Veröffentlichung des Artikels liegt vor.

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