Orchester im Vernichtungslager Auschwitz

Orchester im Vernichtungslager Auschwitz

„Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.“ Victor Hugo

Musik an einem der bestialischsten Orte, in Auschwitz, klingt wie Hohn. Doch auch das gehörte zum Lagerleben und zum perfiden Plan Initiatoren. In der Nachkriegszeit rankten viele Geschichten, auch Legenden um die Orchester von Auschwitz. Als Ursache sind zwei Dinge zu betrachten, zum einen sind und waren Häftlingsaussagen subjektiv, deshalb aber nicht weniger wahr und zum anderen war es ein ‚Beruhigungspflaster’ innerhalb des Schuldkomplexes des deutschen Volkes. Beides ist, in seiner Zeit betrachtet, durchaus legitim, doch von einem ‚romantisierten’ Bild der Lager-Orchester muss deutlich abgerückt werden. Der historische Forschungsprozess zur ‚Musik in Auschwitz’ hat zwar beträchtliche Fortschritte gemacht, ist aber noch nicht abgeschlossen. So ist auch dieser Artikel als ‚Etappe’ innerhalb dieses Prozesses zu verstehen.  


Millionen von Männern, Frauen und Kindern wurden in den von den Nationalsozialisten im so genannten Dritten Reich errichteten Konzentrations- und Vernichtungslagern gefoltert, gequält und ermordet. Trotzdem oder gerade deswegen entwickelte sich eine künstlerisch-musikalische „Szene“ innerhalb der hinter Stacheldraht und Wachtürmen gefangenen Menschen, die auf ihre Weise Widerstand gegen die unmenschlichen, abscheulichen und perversen Machenschaften des braunen Regimes leistete. Deprimierend-realistische, aber auch humoristische und zuversichtliche Lieder und Texte entstanden so unter dem todbringenden Hakenkreuz. Warum spielte gerade das Singen und Musizieren eine so wichtige Rolle in den Lagern? Der ehemaligen Dirigenten des Lagerorchesters in Auschwitz, Adam Kopycinski sagte dazu:

„Die Musik vermittelt uns das schlichte Wissen von der Wahrheit des Lebens. Die Sehnsüchte des menschlichen Herzens suchen einen Halt in der Sphäre der Töne. Dank ihrer Macht und Suggestivkraft stärkte hier die Musik in den Zuhörern das, was das wichtigste ist – die wahre Natur […] und förderte die Selbstachtung des Menschen, die in der Zeit des Lagerlebens so grausam mit Füßen getreten wurde […]“

Das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz hatte bereits im Januar 1941 ein Männerorchester, initiiert von der SS. In dieser ersten Zeit waren Juden im Orchester nicht noch zugelassen. In den vielen Außenlagern bildeten sich mit der Zeit bis zu sechs Orchester, unter anderem auch eine ‚Zigeunerkapelle’ in Zigeunerlager Auschwitz-Birkenau.

Die Männerorchester bestanden, im Gegensatz zum Mädchenorchester, zumeist aus Berufsmusikern. Das Mädchenorchester erreichte einen größeren Bekanntheitsgrad als das Männerorchester. Die Orchester mussten täglich morgens zum Ausmarsch der Häftlinge spielen und abends zum Einmarsch in die Lager.

Das Mädchenorchester von Auschwitz stellte die polnische Musiklehrerin Zofia Czajkowska, die sich als Nachfahrin Tschaikowskys ausgab, im Juni 1943 im Lager Auschwitz-Birkenau zusammen, auch die auf Befehl der SS. Die Mitglieder waren weibliche Häftlinge, die durch die Aufnahme ins Orchester vor der Vernichtung durch Arbeit und vor dem Tod in den Gaskammern bewahrt wurden. Dirigentin des Orchesters war von 1943 bis zum April 1944 Alma Rosé, die Nichte des berühmten Komponisten Gustav Mahler. Die brutale und Musik liebende SS-Oberaufseherin Maria Mandl, seit Oktober 1942 inoffizielle Leiterin des Frauenlagers Auschwitz-Birkenau, war eine Befürworterin des Orchesters. Sie unterstützte die Errichtung einer besonderen Baracke (Lagerabschnitt B I b in unmittelbarer Nähe des Stacheldrahtzaunes) für die Musikerinnen. Der Block trug die Nummer 12, ab Herbst 1943 Nummer 7. In der Baracke gab es einen mit Holzdielen ausgelegten Boden und einen Ofen, um die Musikinstrumente vor Feuchtigkeit zu schützen. Josef Kramer, seit Mai 1944 Lagerkommandant, wollte vor allem, dass die Arbeitskommandos im Gleichschritt marschierten, begleitet vom Mädchenorchester. Auch wirkte ein Orchester gut, wenn SS-Größen das Lager besichtigten. Die Musikerinnen mussten immer wieder auch Privatkonzerte geben. So ließ beispielsweise Josef Mengele, ein Liebhaber klassischer Musik, sich öfter vorspielen. Anita Lasker-Wallfisch, eine Cellistin, musste Mengele regelmäßig Schumanns Träumerei vortragen, da er dieses Stück so gerne hörte. An einem Sonntag musste das Orchester gemeinsam mit einem damals so genannten ‚Liliput-Zirkus’ auftreten. Die Kleinwüchsigen vertrauten dem SS-Arzt, der mit ihnen scherzte und sie danach selbst in die Gaskammer führte. Auch Kramer bestand auf Sonderveranstaltungen. Immer wieder erkrankten viele Musikerinnen an Durchfall, Ödemen, Tuberkulose, Fleckfieber, Typhus, Diphtherie, Malaria etc. Wenn die Krankheit nicht sehr ansteckend war, wurde die Kranke nicht in den Häftlings-Krankenbau verlegt. Wurde doch eine Musikerin in den Krankenbau eingeliefert, blieb sie von den Selektionen der SS meist verschont. Dieses Frauenorchester war eine Möglichkeit, unter ganz bizarren Bedingungen am Leben zu bleiben. Außerdem gab es eine Art Konkurrenz unter den Lagerkommandanten. Da die Männerlager jeweils ihr eigenes Orchester hatten, wollten die vom Frauenlager zeigen, dass sie das auch auf die Beine stellen können. So suchten sich die SS-Leute erst einmal junge Frauen zusammen, die überhaupt ein Instrument spielen konnten. Bei den Appellen, wenn neue Transporte ins Lager kamen, hat man einfach gefragt, wer ein Instrument spielt. Die Musikerinnen des Orchesters waren alle besonders aufeinander angewiesen, ein reibungsloses Zusammenarbeiten, was in einem homogenen Orchesterklang mündete, war eine Art Lebensversicherung. Die Historikerin Dr. Gabriele Knapp dazu: „Um diesen Orchesterblock herum war… überall Vernichtung. Die Musikerinnen hatten im Grunde nur einen Aufschub. Sie dachten immer daran, dass sie beim ‘schlechten spielen in den Tod gehen müssen.’ Und so war diese Musik einerseits natürlich eine Chance länger zu leben, aber andererseits unter großer Anstrengung produziert.“ Jeder, der Musik macht, weiß dass man seine Seele in die Musik legt. Aber diese Musik nun vor den eigenen Mördern spielen zu müssen, machte es notwendig sich in gewisser Weise emotional abzugrenzen, berichtet Dr. Gabriele Knapp: „Wie die Frauen das überwunden haben, das wissen sie wahrscheinlich bis heute nicht. Es gibt eine Zeitzeugin, die sagte, dass man das einfach wollen musste. Die Frauen haben es tatsächlich versucht, sich zusammenzureißen, wenn man das mal so sagen kann. Es ist mal mehr, mal weniger gelungen. Natürlich gab es im Lager Tränen, Zusammenbrüche, auch körperlicher Art, weil sie ja einfach chronisch unterernährt waren. Wenn jemand Flöte spielt und viel Luft braucht, dann kennt er das Problem, dass man dann in Ohnmacht fällt, wenn man nicht genug im Magen hat. Also, es gab immer wieder diese Schwächeanfälle und trotzdem war dieser Überlebenskampf natürlich immer im Hintergrund. Wir wollen überleben und wir strengen uns an und ganz maßgeblich hat dazu die Dirigentin Alma Rosé beigetragen, die Erfahrung hatte als Dirigentin und zu jeder einzelnen Frau im Orchester eine ganz intensive Beziehung aufgebaut hat. Und sie hat uns immer wieder rangeholt und gesagt, wir müssen, wir müssen, sonst kommen wir vielleicht auch in die Gaskammer. Und das überliefern eigentlich alle Zeitzeuginnen, dass Alma Rosé der treibende Motor war.“ Die Dirigentin Alma Rosé besaß ein großes psychologisches Geschick. Einerseits war sie streng, wenn es sein musste, um die Frauen auch zu disziplinieren. Aber sie hatte auch viel Mitgefühl. Sie hat schwache Frauen, die musikalisch nicht zu den Stärksten gehörten, aus Mitleid im Orchester behalten. Denn die Musikerinnen waren mehr oder weniger gut. Einige hatten schon angefangen Musik zu studieren, waren schon etwas älter, nämlich so Mitte 20. Und dann gab es die begabten Mädchen, die mit 17 oder 18 nur mit Privatunterricht in das Orchester kamen. Vor allem Proben bestimmten den Alltag der Orchestermusikerinnen in Auschwitz.


Wo andere mit dem Spaten über der Schulter zur Zwangsarbeit auszogen, so hatten sie ihre Geige an der Schulter. Dr. Gabriele Knapp: „Dadurch, dass sie sehr viel proben mussten, um den Ansprüchen der SS Leute überhaupt genügen zu können, wurden sie von dieser reinen Zwangsarbeit – also auf dem Feld im Freien zu arbeiten, oder Sümpfe trocken zu legen – freigestellt. Und ihre Zwangsarbeit bestand darin, dass sie täglich mindestens 10-12 Stunden zu proben hatten. Was sich erst mal leicht anhört, aber jeder, der weiß, was es bedeutet, an einem Instrument intensiv zu üben, weiß, wie anstrengend das ist. Also von daher hatten sie ein bisschen bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen, weil sie nicht im Freien bei Wind und Wetter in der Kälte usw. den ganzen schwierigen Umständen ausgesetzt waren. Der Lageralltag war trotzdem anstrengend. Sie waren morgens draußen und haben diese Märsche gespielt zu denen die Zwangsarbeiterinnen dann auch marschieren mussten. Durch die Zählung bei der Rückkehr sahen die Musikerinnen, wer inzwischen gestorben war und sie mussten dann fröhliche Wanderlieder spielen. Viele der überlebenden Frauen erzählen, dass sie sich nicht an die Bilder erinnern können, ohne immer die Musik zu hören, die sie gemacht haben. Und wenn sie nach 1945 die Musik gehört haben, dann waren die Bilder sofort vor Augen.“

Als makaber zu betrachten ist es, dass es vor dem Zweiten Weltkrieg keine ausschließlich weiblichen Orchester der klassischen Musik gab, Frauen die zusammen Musik machten, traten damals in so genannten ‚Kapellen’ auf. Dies änderte sich nach Auschwitz.

Bild 1: Moderne Zeichnung des Eingangs v. Auschwitz – Quelle: hagalil.com · Bild 2: Baracke der Musiker – Quelle: planet-wissen.de · Bild 3: Männerorchester i. Auschwitz – Quelle: planet-wissen.de · Bild 4: Mädchenorchester von Auschwitz – Quelle: shoa.de · Bild 5: Orchester musik in Auschwitz – Quelle: sfr.fr

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