Als irgendwer eine akademische Arbeit mehr oder weniger plagiatierte, stand die mediale Republik, schlicht und ergreifend, Kopf. Wochenlang konnte man keine Zeitung aufschlagen ohne davon zu lesen, Fernsehnachrichten waren voll davon, ob man es hören wollte oder nicht, die sozialen Netze kannten kaum ein anderes Thema. Tja, und viele, sehr viele fühlten sich gemüßigt den Stab über diesen Menschen und seine Nachahmer zu brechen, ob sie nun das Wort Dissertation schreiben konnten oder nicht. Sorry, das hört sich vielleicht hart an; doch wenn ich mich daran erinnere, dann fällt mir ein, dass fast jeder deutsche Bürger eine Meinung dazu hatte und meistens eine negative. Natürlich ist solcher Betrug nicht schön zu reden, auch kann man daran kritische Anmerkungen machen, doch was ich dabei kritisiere ist, dass viele Äußerungen weit unter die Gürtellinie gingen. Aber das ist sozusagen ‚Schnee von gestern’, doch wenn man diesen nicht korrekt weggeräumt hat, dann kann man noch heute darauf ausrutschen. Aber das wäre wieder ein anderes Problem. Bleiben wir beim Thema der ‚aufgewühlten’ Massen und der ‚aufwühlenden’ Medien: Ob es nun über Doktorarbeiten oder Staatsoberhäupter geht, da ist den Medien keine Überschrift zu reißerisch und den Lesern kaum ein Kommentar zu ‚unterirdisch’. Da will keiner wirklich informieren, auch nach gut recherchierter Information düsten nur wenige Leser, alle haben eine Meinung, wie auch immer diese aussieht. Nun könnte man sich beruhigt zurücklehnen, denn das Sprichwort
„Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern“
hat auch gegenwärtig noch Bestand, wenn man die Schnelllebigkeit der Zeit und die mediale Fülle von heute betrachtet. Doch so einfach ist das nicht, denn die Medien geben doch nur eine Richtung vor, hinterher laufen doch die Massen, wobei zu betrachten ist, dass eine solche ‚Masse’ aus viele, vielen einzelnen Personen besteht. Ja, und jeder einzelne sollte zu seiner ganz persönlichen Verantwortung stehen und sich nicht in der ‚Masse’ verbergen wollen. Doch es ist schon ein für mich merkwürdiges Phänomen, wenn die Menschen ‚schwarm-ähnlich’ manche Themen ‚hochjubeln’, andere Themen aber, die sie ganz persönlich angehen sollten, eher stiefmütterlich betrachten.
Da überlegt ein angeblich politischer Kopf in Deutschland ob man bei Obdachlosen, Suchtkranken und Homosexuellen einen ‚HIV-Zwangstest’ einführen sollte; nun natürlich gibt es ein paar protestierende Stimmen im Land, doch der Aufschrei der bereits erwähnten Massen bleibt aus. So könnte man denken, dass dieser ausbleibt weil die Leute selbst nicht zu den erwähnten Gruppen gehören; doch mal ehrlich gehörten sie zur Gruppe der Leute, die alle promoviert haben? Nein, glaub ich nicht. Es ist halt kein ‚massen-kompatibles’ Thema, würde ich mal so aus dem Bauch heraus sagen, denn noch immer spukt in den Köpfen der Leute, dass das Thema HIV nur ‚Randgruppen’ betrifft, wobei sich zu fragen ist, was sind Randgruppen und wer wird da hineingesteckt, und warum? Denn auch, wenn sich viele nicht selbst als HIV gefährdet einstufen, so sollte es doch ein gesamtgesellschaftliches Thema sein, denn zum einen könnte es jeden treffen und zum anderen sollten wir alle die soziale Kompetenz in uns tragen, auch fürsorglich für andere zu sein. Dass hinter der ganzen ‚Idee’ auch noch das Ausgrenzen von Menschen bedeutet, die ja auch erst ‚herausgefiltert’ werden müssten, oder sollte ich sagen, selektiert werden müssten, nun, das ist doch ein noch viel größeres Problem für unsere Gesellschaft und für die Zukunft aller. Solch ein Gedankengut wird also weitaus leiser hingenommen, denn Massenproteste höre ich nicht; Sondersendungen im Fernsehen gibt dazu auch keine und die Aufregung in den sozialen Netzwerken, selbst am Welt-Aids-Tag, hält sich in Grenzen. Ok, könnte man meinen, ein ‚Aufreger’ ist an der Bevölkerung vorbei gegangen, vielleicht weil sie dem Menschen, der da öffentlichen Unsinn bekundete, schlicht und ergreifend keine Aufmerksamkeit zu teil werden lassen wollen, oder vielleicht ist diese Meldung an den Menschen einfach vorbei gelaufen, ohne, dass sie diese bemerkten, auch ne Möglichkeit; denn bösen Willen oder Zustimmung möchte ich hier niemanden unterstellen. Doch wie ist es denn über die Grenzen Deutschlands hinaus? Schauen wir da besser hin? Vor über einem Jahr wurden Roma aus Frankreich vertrieben, in der Slowakei, Rumänien und besonders in Ungarn geht es den Roma und Sinti ganz und gar nicht gut und auch in Deutschland sind sie in vielen Gemeinden wenig gern gesehen, obwohl wir hier in unserem Land erst vor wenigen Wochen ein Denkmal für die Verfolgung der Roma und Sinti in der NS-Zeit feierlich, nach über sechzig Jahren, eröffneten. Doch Vertreibung und Unterdrückung von Minderheiten ist scheinbar auch kein Thema, das auf Seite eins des Blätterwaldes hier erscheint; von Protesten breiter Massen mal ganz abgesehen, scheint dieses Thema wenig zu interessieren. Doch wenn man dieser Frage intensiver nachgeht, so ist es schon erstaunlich wie viel Antiziganismus noch in dieser Gesellschaft sehr tief verankert ist, wobei wir doch uns alle für so ‚aufgeklärt’ und ‚tolerant’ halten. Aber wenn wir uns schon mal den tief verankerten Vorurteilen zuwenden, so treffen wir auch auf den Antisemitismus, der in Deutschland und Europa noch weit verbreitet ist, weiter als man vermuten möchte oder wahrhaben will. Tja, und manche scheinen zu glauben, dass man nun nach so langer Zeit wieder geschichtsvergessend sein darf und seinen niedrigsten Instinkten freien Lauf lassen darf. In Ungarn ruft ein rechtsextremer Abgeordneter zur ‚Registrierung’ von Juden auf, in Deutschland gibt es Attacken auf jüdische Mitbürger und die sonst so lautstarke Presse meldet solche ‚Vorfälle’ nicht unbedingt auf Seite in den dicksten Lettern. Die Europäische Union zeigt sich zwar fast ‚pflichtschuldig’ empört, doch Konsequenzen werden nicht gezogen. Und die breite und sonst so agile Masse?, nun, sie schweigt sich aus. Wir haben zwar in Deutschland einen Skandal hinsichtlich der Morde an Ausländern, wir bereiten auch keinen guten Bildungs-Boden für Jugendliche mit Migrationshintergrund, doch eine Ausländerfeindlichkeit wird gar nicht erst thematisiert.
Ihr auf den Grund zu gehen, scheint niemandes Anliegen zu sein. Interessiert all das die Bürger nicht wirklich?, oder sind sie einfach nur froh, nicht selbst im Fokus von Ablehnung und Gewalt zu sein? Fragt sich denn keiner, was hat denn das Ganze mit mir zu tun?
Jeder einzelne von uns ist ein Teil der gesamten Gesellschaft, wenn auch nur ein kleiner. Doch das Handeln eines jeden einzelnen formt diese Gesellschaft, setzt ihr prägend einen Stempel auf, dessen sollte sich jeder bewusst sein. In dieser multimedialen Gesellschaft kann auch keiner sich mehr heraus reden, dass er von nichts gewusst hätte, der einzelne müsste dann zugeben, dass er nichts wissen wollte. Doch ob es im privaten oder im gesellschaftlichen Bereich ist, eine ‚Vogel-Strauss-Politik’ ist nie von positiver Wirkung. Verschließen wir nicht die Augen vor den Vorkommnissen hier und auch bei unseren Nachbarn. Lassen wir es nicht zu, dass sich Geschichte wiederholen muss. Halten wir es mit Albert Einstein, der sagte: „Wenige sind imstande, von den Vorurteilen der Umgebung abweichende Meinungen gelassen auszusprechen; die Meisten sind sogar unfähig, überhaupt zu solchen Meinungen zu gelangen.“ Schauen wir nicht weg, bleiben wir nicht ruhig und warten wir nicht darauf, dass andere schon etwas tun werden, damit die Sätze von Martin Niemöller Geschichte bleiben:
„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen;
ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten,
gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
Darum bitte ich jeden, verschießt eure Augen nicht; ebenso wie eure Ohren und sagt es laut und deutlich, wenn Unrecht geschieht; ihr tut es nicht nur für andere, letztendlich tut ihr es für euch selbst und eure Zukunft …
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