Hugo Armann war ein junger Mann seiner Zeit, 1917 geboren und in der Nähe von Bad Kissingen in Unterfranken aufgewachsen, war er wie fast alle Jungen seiner Generation in der Hitlerjugend, was ihm auch lange Zeit Spaß machte, doch die politische Indoktrination störte ihn gewaltig, nicht unbedingt, weil er etwas gegen den Nationalsozialismus hatte, nein, sondern weil er selbst denken wollte. Seine Eltern waren keine Nationalsozialisten, versuchten ein unauffälliges Leben zu führen, um nicht in den Fokus von Fanatikern zu geraten. Sie hatten jüdische Freunde, wie auch Hugo selbst. Später, lange nach dem Zweiten Weltkrieg erzählte Hugo Armann:
„Viele wussten von Konzentrationslager und der Kristallnacht, der Nacht des 9. Novembers 1938, als überall im Reich die Fensterscheiben der Häuser von Juden zerbrochen, Synagogen zerstört und jüdisches Eigentum geplündert wurde. Alle hatten gesehen, dass ihre jüdischen Nachbarn den gelben Stern tragen mussten und zu den Bahnhöfen getrieben wurden. Jeder wusste, dass man die Juden nicht ins Paradies abtransportierte.“
Wie mit den Juden im Osten umgegangen wurde, erlebte Hugo Armann dann 1942, als er in der Weißrussischen Stadt Baranawitschy als Oberfeldwebel stationiert war. Baranawitschy galt als wichtiger Eisenbahnknotenpunkt, es hatte und hat zwei Bahnhöfe, so ließ sich ein Teil der
Administration der Wehrmacht hier nieder.
Zwischen den Weltkriegen gehörte die Stadt zu Polen und wurde bis zum Zweiten Weltkrieg mehrheitlich von Polen und Juden bewohnt. In der Zeit von Juni 1941 bis Juli 1944 befand sich in der Stadt für Juden ein deutsches Ghetto, in dem ungefähr 10 000 Juden zur Zwangsarbeit herangezogen wurden. Immer wieder kam es zu Massenerschießungen so genannter Polizeieinheiten an nicht arbeitsfähigen jüdischen Männern, Frauen und Kindern. Tief ausgehobene Massengräber wie hier in Baranawitschy waren üblich in Städten Weißrusslands und der Ukraine.
Hugo Armann war innerhalb der nachrückenden Truppe der Wehrmacht beschäftigt, er stellte die Eisenbahnfahrscheine für die Soldaten, die Heimaturlaub hatten aus, sein Büro war auf einem der Bahnhöfe von Baranawitschy. Die Offiziere waren, wie der Dreiundzwanzigjährige schnell herausfand, gern zu Gefälligkeiten bereit, um an die begehrten Urlaubspapiere heranzukommen. Später gestand Hugo Armann durchaus bestechlich gewesen zu sein, nicht um sich selbst zu bereichern, sondern wie er selbst erzählte:
„Aufgrund meiner Position konnte ich jüdischen Helfer beschäftigen und Lebensmittel für hungernde Menschen beschaffen.“
So kam er mit weiteren Juden aus dem Ghetto in Kontakt und versuchte in geringem Maße die Leiden der Menschen zu verringern. Im März 1942, zur Zeit des jüdischen Purimfestes, trieben Sonderpolizisten, SS und ihre Helfer 2 300 Männer aus ihren Häusern und Unterkünften, verspotteten sie, knüppelten sie nieder, zwangen sie sich auszukleiden und erschossen sie vor den Augen ihrer Angehörigen. Den Abtransport der Leichen mussten andere Juden übernehmen und die Leichen dann auf einem nahen Feld verbrennen. Hugo Armann war zwar nicht Zeuge dieses Massakers, doch ihm wurde von den 40 jüdischen Helfern, die er beschäftigte, aber auch von beteiligten Polizisten davon berichtet. Als er sechs Monate später erfuhr, dass an Jom Kippur, dem jüdischen Versöhnungsfest, ein zweites Massaker geplant war, nun sollten Frauen und Kinder in großem Maße erschossen werden, versteckte er ungefähr 40 Juden auf Dachböden und in Kellern, der von der Wehrmacht rekrutierten Gebäude. In einem Brief, den Sara Czazkes 1985 aus Baltimore an Yad Vashem schickte geht hervor:
„Uns war der Tod bestimmt, doch Hugo Armann rettete alle Juden, die für ihn arbeiteten. Er holte uns von dort, wo die Selektion stattfand, weg und behielt uns in seinem Haus, bis die ‚Shechitah’ (jiddisch für das Schächten von Tieren) vorüber war.“
Bei diesem Massaker zu Jom Kippur wurden ungefähr 3 000 Menschen ermordet. Alle ahnten, dass das nicht das letzte Massaker gewesen war.
Als das Ghetto liquidiert werden sollte, erhielten alle Juden den Befehl in ihre Häuser zu gehen, nur die mit ‚kriegswichtiger’ Arbeit betrauten Personen, durften das Ghetto verlassen. Hugo Armann war klar, dass er allein viele der Juden nicht retten konnte, so nahm er Kontakt zum Polnischen Widerstand auf und schmuggelte Familien und kleine Gruppen in die Wälder zu den Partisanen. Der Schwager von Sara Czazkes, Shabtai Sternfeld sagte später:
„G´tt sei Dank wurde er nicht erwischt, sonst wäre das sein Ende gewesen.“
Hugo Armann und der Partisanenanführer Czaczia arbeiteten ‚Hand in Hand’, um so viele Juden wie nur möglich zu retten. Faigel Sternfeld, die Ehefrau von Dr. Sternfeld, schrieb:
„Hugo Armann organisierte unsere Flucht. Czaczia brachte uns an einen sicheren Ort.“
Teils mit, teils ohne die Hilfe von Hugo Armann konnten zu diesem Zeitpunkt mindestens vierhundertfünfzig Juden in die Wälder fliehen.
Hugo Armann blieb bis Mitte 1944 in Baranawitschy, dann wurde er an die Westfront verlegt, in Frankreich wurde er verwundet und erlebte das Kriegsende im Lazarett.
Nach dem Krieg lebte und arbeitete Hugo Armann als Lehrer in Detter, nahe Bad Kissingen, und hatte mit einigen ‚seiner’ Juden Kontakt. Dr. Sternfeld, dessen gesamte Familie durch Hugo Armann gerettet wurde, lebte nach dem Krieg in Tel Aviv und schickte seinem Freund bis zu seinem Tod im Mai 1989, jedes Jahr eine Kiste Orangen.
1986 erkannte Yad Vashem Hugo Armann den Titel der ‚Gerechten unter den Völkern’² an, der damals knapp 70jährige pflanzte seinen Baum in der Anlage Yad Vashem selbst und traf dabei viele seiner Freunde von damals.
Hugo Armann sagte: „Ich tat nicht viel, doch wenn viele ein weniges getan hätten, hätte viel daraus werden können.“
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