Annemarie Schwarzenbach

Annemarie Schwarzenbach

Annemarie Schwarzenbach • Literatur der Suche + Sucht

„Ich bin schwul. Ich bin süchtig. Ich bin ein Genie.“ Truman Capote

Die aus der Schweiz stammende Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach entstammte  einer der reichsten Familien der Schweiz, der Vater besaß eine der weltweit größten Seidenfabriken, doch sie selbst konnte mit dem Lebensstil ihrer Eltern, vor allem dem der Mutter wenig anfangen. Dieser innere Konflikt begleitete sie ein Leben lang, hielt sie in Atem, trieb sie in die Sucht, motivierte und zerstörte sie; alles gleichermaßen. Bereits mit 23 Jahren promovierte sie im Bereich der Geschichte, schon in dieser Zeit veröffentlichte sie Texte und kurz nach Abschluss des Studiums kam ihr erster Roman heraus, ungewöhnlich für diese Zeit war ihr öffentliches ‚coming-out’. Im September 1931 verlässt sie, die „nur Frauen mit wirklicher Leidenschaft lieben kann“, die Schweiz in Richtung Berlin, um hier in der pulsierenden Großstadt als freie Schriftstellerin zu leben; jeder, der sie sieht, ist von ihrer außergewöhnlichen, androgynen Schönheit bezaubert. Von der Literaturkritik für ihre im Frühjahr 1933 veröffentlichte ‚Lyrische Novelle’, bei  Rowohlt, die in Berlin und Rheinsberg spielt, mit dem Vorwurf ‚sozialer Sorglosigkeit’ konfrontiert, ändert sich angesichts der an die Regierung gekommenen Nationalsozialisten nicht nur Annemarie Schwarzenbachs literarischer Stil, sondern sie engagiert sich fortan gemeinsam mit ihren Freunden Erika und Klaus Mann für die Opposition. Ihr freundschaftliches Umfeld besteht nun, bedingt durch die enge Verbindung zu den Geschwistern Mann, aus Gegnern des noch ‚jungen’ NS-Regimes, dass sie wiederum in Konflikt mit dem Elternhaus brachte, hier vor allem mit der Mutter, denn diese war der Idee des Nationalsozialismus mehr als zugeneigt. Einige Mitglieder ihrer Familie sympathisierten mit der ‚Schweizer Front’, die eine Annäherung an Deutschland und ihre damaligen Machthaber anstrebte.


Die jüdischen und politischen Emigranten im Umfeld von Annemarie Schwarzenbach, dazu ihre lesbische Neigung, hinterließen bei ihr ein ‚Migranten-Gefühl’ innerhalb des Familienverbandes und ihres vorherigen Umfelds. In diese Zeit fallen auch ihre ersten Erfahrungen mit Morphium und anderen Substanzen, die sie, trotz einiger Entzüge, ihr Leben lang begleiten werden. Sie lebte ein Leben der Extreme, schrieb, reiste und fotografierte in einer Zeit, in der Flüchtlingsströme das Weltbild beherrschten. Thomas Mann nannte sie einen ‚verödeten Engel’, der Schriftsteller Roger Martin du Gard attestierte ihr das ‚schöne Antlitz eines untröstlichen Engels’. Wenn Annemarie Schwarzenbach jene Himmelgestalt war, für die sie viele ihrer Zeitgenossen erklärten, muss sie ein schwarzer, ein vom Heilsglauben abgefallener Engel gewesen sein. Zugleich dürfte ihre Faszination zu einem Gutteil darin gelegen haben, dass in ihrer Person Vitalismus und Morbides auf paradoxe Weise in eins fielen. Ihr unstetes, fluchtartiges Reiseleben führt sie in den folgenden Jahren rund um die Welt. Mehrfach nach Persien, dessen ‚tödliche Größe’ sie anzieht und ängstigt zugleich, nach Moskau und in die USA, dort verfasst sie für die größten Schweizer Zeitungen Fotoreportagen über die unmenschlichen Lebensbedingungen der Textilarbeiterinnen, und bei Ausbruch des Krieges 1939 ist sie, zusammen mit der Ethnologin Ella Maillart, auf abenteuerlicher Fahrt mit dem Auto durch Afghanistan. Dann wieder in den USA, wo sie mehrfach in psychiatrische Anstalten zwangseingewiesen wird und schließlich führt ihr Reisen sie in den Kongo. Hier im Kongo sagt sie:


„Ich begriff nur, dass ich abreisen musste und wieder ganz allein sein würde. Ich freute mich überhaupt auf nichts, und es war doch meine Arbeit, das Innere der Länder kennen zu lernen und sie aufrichtig zu lieben, um sie für andere Menschen beschreiben zu können! Und ich hatte es doch selbst so gewollt! Aber so ist man immer feige und fürchtet jeden Schmerz, und doch ist er mit jener Freude verbunden wie ein Geschwister, die ich am weißen Weltrand von Léopoldville empfand und immer wieder erkenne.“ Annemarie Schwarzenbachs faszinierende Persönlichkeit, ihre androgyne Schönheit eines ‚untröstlichen Engels’, zog viele Menschen an, dennoch fand sie selten ein länger anhaltendes Glück. Um Erika Mann, die ihre große Liebe war, warb sie vergeblich lange Zeit, die Ehe mit dem homosexuellen, französischen Diplomaten Claude Clarac verlief wenig glücklich, denn beide erwarteten etwas anderes von dieser Verbindung. Er, den äußeren Schein des ‚Ehelebens’; sie, die Geborgenheit eines Zuhauses. Beide Erwartungen scheiterten, wobei das ihrer Freundschaft zu einander nicht schadete. Sie schreibt weiter, und sie reist weiter; immer mit voller Inbrunst:
„Aber der Zauber, unterwegs zu sein, das Geheimnis der Namen, die sich erst mit Inhalt und Leben füllen, das Wirklichkeits-Werden eines Traums, das Entzücken an der Entdeckung! Dass eine Stadt, deren Name man auf der Landkarte gelesen hat, heute wirklich existiert und mit Kirchen und Toren aus dem Abendnebel steigt, dass man tagelang durch heißes Binnenland fuhr und dann die windbestrichene Küste erreicht und das Meer in seiner Heiterkeit und schaumgekrönten Bläue! Ich habe Mallorca entdeckt!“ Die Sucht, das extreme Leben, und das Schreiben ‚verbrauchen’ sie in höchstem Maße. Hinzu kam ein Intrigen-Spiel ihrer Familie, so dass sie in der Schweiz als ‚unerwünschte Person’ galt. Ausgelaugt und zermürbt, doch endlich die Sucht im Griff, kehrte sie mit Hilfe eines ihrer Brüder, der immer in Verbindung mit ihr geblieben war, 1942 in die Schweiz zurück. Weltweit waren ihre Reportagen, ihre Fotoreihen, ihre Novellen und Bücher bekannt, beliebt und gelobt – nur nicht im deutschsprachigen Raum, eine Demütigung, die ihr schwer zusetzte. Sie bereitete sich gerade auf eine Reise nach Portugal vor, als am 7. September 1942, während einer Fahrradtour mit Freundinnen, einen schweren Sturz mit dem Fahrrad hatte, von diesem erholte sie sich, auch wegen eines Behandlungsfehlers, nie wieder. Am 15. November 1942 verstarb sie an der Kopfverletzung in Sils im Engadin. Das literarische Werk von Annemarie Schwarzenbach wurde erst 45 Jahre später im deutschsprachigen Raum erfolgreich veröffentlicht, wobei es noch Frühwerke gibt, die bis heute noch auf die Veröffentlichung warten. Sucht und Sehnsucht begleiteten Annemarie Schwarzenbach, die nur 34 Jahre alt wurde und von der ein Nachkomme der Familie sagte: „Das einsame Sterben ist nur das Symbol des einsamen Lebens“.

Bild 1: Annemarie Schwarzenbach – Quelle: fembio.net · Bild 2: Buchtitel – Quelle: buch.de · Bild 3: Buchtitel – Quelle: libri.de · Bild 4: Buchtitel – Quelle: amazon.com

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