Anton Kuh

Anton Kuh

Anton Kuh • Den Schalk im Nacken ✍ Finger in der Wunde

„Das ist auch so ein unkollegialer Kollege. Er nimmt Vorschuss und liefert pünktlich. Ich habe ihn schon einige Male dabei ertappt.“ Anton Kuh

Anton Kuh hätte bestimmt nicht gern einen Artikel über sich gelesen, der sich so ausschließlich mit seinen Lebensdaten befasst, denn er entstammt einer Familie von Journalisten, die die Welt zwar immer versuchte realistisch zu sehen, doch immer mit einem Hoffnungsschimmer in die gestalterischen Möglichkeiten der Menschen selbst. Anton Kuh selbst hatte darüber hinaus immer ein Lächeln in seinen Texten, dieses war teils fröhlich teils bissig, je nach Sichtweise. Doch wie das so ist wenn Menschen in einem Artikel wieder wachgerufen werden, ohne eine gewisse Anreihung von Daten kommen wir da nicht aus, so kann ich nur hoffen, dass der liebe Anton da ein Auge zudrückt wenn er vom Himmel aus über meine Schulter blickt. Geboren wurde Anton Kuh am 12. Juli 1890 in Wien und verstarb am 18. Januar 1941 in New York. Er  war ein österreichisch-jüdischer Journalist, Essayist, Erzähler und Redner. Bereits sein Großvater David Kuh war ein stark beachteter Journalist in Prag, sein Vater Emil war Chefredakteur des Neuen Wiener Tagblatts. Das Schreiben war ihm sozusagen in die Wiege gelegt, tja, und er machte davon Gebrauch, zum Glück. Im Sommer 1926 übersiedelte Anton Kuh von Wien nach Berlin. Der Abschied von der Stadt, schien ihm nicht allzu schwer gefallen zu sein: Er wolle lieber „in Berlin unter Wienern statt in Wien unter Kremsern“ leben, vermerkte er dazu. Die deutsche Hauptstadt war zu jener Zeit ein Anziehungspunkt für viele Österreicher. Denn Berlin boomte, Berlin war modern, innovativ und kreativ, die Stadt bot vielfältige Chancen, im Wirtschaftsleben ebenso wie in der Kunst und der Kultur. So stellt er einen Vergleich zwischen den beiden Hauptstädtern an:

„Und der Berliner? In seinen Redensarten findest du seinen Sinn für Aktualität; seinen Hass gegen alle Antiquiertheiten des Gefühls; seinen Hang zu rascher Fortbewegung; und seine Abneigung gegen die Weitschweifigkeit. Dass er statt ‚gehen’ – ‚laufen’ sagt, ist schon allein für ihn bezeichnend; er hat ja gar keine Zeit zum ‚Gehen’ im landläufigen Sinn, etwa wie der Wiener geht: Blick in die Zeitung oder nach den Dachspatzen. Dieses Gehen gehört in die Zeit der Linienwälle und Ringplatzpromenaden. Der Berliner ‚läuft’ – er setzt die Fortbewegung seines Körpers in entschlossene Konkurrenz zu Aboag [Allgemeine Berliner Omnibus AG] und Untergrund. Er kann das Stehen bleiben nicht leiden, weder mit Fuß noch mit der Zunge; daher sein Wort ‚Mensch, mach ’n Punkt!’, was eigentlich heißt: ‚Mach um Himmels willen keinen Punkt, rede so rasch und so knapp, dass ich nicht auswachsen muss!’“

aus:“ ‚Wat will er?‘ Führer durch Berliner Redensarten“, erschienen 1929. Wien und Berlin waren für Anton Kuh zwei einander entgegengesetzte Pole: Wien schien ihm nach dem Zerfall der Donaumonarchie in dumpfer Provinzialität zu erstarren, Berlin dagegen war weltstädtisch und offen. Emotional allerdings war Anton Wien stets eng verbunden, und bei aller Begeisterung für Berlin blieb er dennoch kritisch und vor allem wachsam gegenüber der politischen Entwicklung in Deutschland.


Bis heute gilt Anton Kuh vor allem als ‚Kaffeehausliterat’, als ein Bohemien, der pointierte Aphorismen von sich gab und Stoff für eine Vielzahl von Anekdoten lieferte, dem man aber kein nennenswertes schriftstellerisches Werk zutraute. So wurde er für die Literaturgeschichte zu einer, wenn auch schillernden, Randfigur der Wiener Kultur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auch Rehabilitationsversuche in den 1980er und -90er Jahren in Form von drei Sammelbänden mit Texten von Anton Kuh änderten nur wenig an dieser Fehleinschätzung. Unter dem Titel „Jetzt können wir schlafen gehen! Zwischen Wien und Berlin“ hat der Wiener Literaturwissenschaftler Walter Schübler einen Sammelband mit 47 Feuilletons von Anton Kuh zusammengestellt. Darin setzt sich Kuh aus verschiedensten Perspektiven mit der Polarität von Wien und Berlin auseinander. Zu hoffen ist, dass mit dieser Edition endlich auch eine Neubewertung dieses viel zu wenig beachteten und so oft unterschätzten Schriftstellers einsetzt. Weimarer Republik beteiligt und hat es wesentlich mitgeprägt. Als Chronist erfasste der Artikelschreiber die Physiognomie der Zeit so luzide, wie er sie brillant zeichnete. Seine Texte, oft für den Tag geschrieben, weisen doch in den meisten Fällen darüber hinaus. Seine Feuilletons gehören inhaltlich und, noch mehr, stilistisch zum Besten, was in den Zeitungen jener Jahre ‚unterm Strich’ zu lesen war, die Vielzahl an zeitgenössischen Wiederabdrucken sprechen für sich.


Schon sehr, sehr früh sah er die ‚braune’ Gefahr am Horizont näher kommen. Vor allem aber war Anton Kuh, wie Kurt Tucholsky es formulierte, ein ‚Sprechsteller’, ein gefürchteter Stegreifredner. Die freie Rede in vollen Vortragssälen war Kuhs stets kontrovers aufgenommene Spezialität. Alfred Polgar erzählt es so:

„Also eine Stegreifrede bei Kuh muss man sich wirklich so vorstellen, dass da auf der Bühne ein Tisch war und ein Stuhl, auf dem Tisch eine Flasche Cognac und ein Glas, … und der Kuh trat auf, völlig ohne Spickzettel, ohne Unterlagen, und da ging’s eineinhalb, zwei Stunden, zum Teil auch zweieinhalb Stunden, ging’s dahin. Und das Publikum in diesen großen Theatersälen vor 2000 Leuten, die Leute sind gelegen vor lauter Begeisterung …“

1933 verließ er, der linke jüdische Intellektuelle, schleunigst Deutschland und ging zurück nach Wien. Zwei Wochen vor dem so genannten Anschluss Österreichs und damit dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich fragte Kuh in seiner letzten Wiener Stegreifrede: „Sind die Juden intelligent?“ und appellierte:

„Wenn ja, rettet Euch. Es ist höchste Zeit!“

Nun verließ er auch Österreich und landete schließlich, nach Stationen in London, Paris und wieder Prag, in Amerika. Dort starb er einen plötzlichen Herztod, 1941. Der Mann, den die Nazis mit Vokabeln wie ‚Kulturbolschewist’ oder ‚Asphaltliterat’ geschmäht hatten, durfte das Ende ihrer Barbarei nicht erleben. Wie hätte er es kommentiert? Er, der ja alles beschrieb? In Aberhunderten von Glossen und Feuilletons, was ihn immer in eine Reihe stellte mit den vielen anderen Großmeistern der kleinen Form, die das Wiener Fin de siècle hervorbrachte: Dort, bei Polgar, Altenberg, Friedell, Torberg, dort findet sich auch immer der Name Anton Kuh.

Auf den Vorwurf eines Freundes: „Warum sind Sie immer so aggressiv, Anton?“ gab er seine Philosophie preis: „Wenn einer Kuh heißt und ernst genommen werden will, muss er so tun, als wäre er ein Stier.“ Na, sagt das nicht alles über diesen Mann aus, der es schaffte schwierigste Themen leicht zu verpacken, leicht zu tragen waren diese Päckchen nicht immer … ;-)

Bild 1: Anton Kuh – Quelle: thypaeus.at · Bild 2: Interschrift von Anton Kuh – Quelle: wikimedia.org · Bild 3: Buchtitel Anton Kuh – lockerverlag.at · Bild 4: Buchtitel A. Kuh – Quelle: ethz.ch

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