Getarnt wird, was als verwerflich galt, selbst im streng geheimen Schriftverkehr von Massenmördern. Auch intern vermied die SS konkrete Begriffe für den millionenfachen Judenmord und schrieb stattdessen ‚Sonderbehandlung’. Als genauso anrüchig galt in Heinrich Himmlers Apparat offenbar eine andere Einrichtung. Wie sonst ist zu erklären, dass die ab 1942 in fast allen großen KZs eingerichteten Lagerbordelle in den Akten schamhaft ‚Sonderbau’ hießen? Heute ist allgemein bekannt, dass die Konzentrationslager große Höllen auf Erden waren. Wer aber weiß schon, dass zu bewusst miserablen ‚Lebens’-Bedingungen, zu sadistischen Quälereien und völliger Rechtlosigkeit der Insassen bis hin zur „Vernichtung durch Arbeit“ auch noch sexuelle Ausbeutung kam? Ausgerechnet der Pedant Himmler war, gemessen an der Zahl ‚seiner’ Zwangsprostituierten, der wohl größte Zuhälter der deutschen Kriminalgeschichte. Lagerbordelle wurden zwischen 1942 und 1945 in den meisten großen Konzentrationslagern eingerichtet und sollten männlichen Häftlingen als Anreiz zur Mehrarbeit dienen. Die Idee der Einrichtung von Lagerbordellen geht zurück auf einen Besuch Heinrich Himmlers im Konzentrationslager Mauthausen und der umliegenden Steinbrüche. Nach seinen Vorstellungen sollte die totale Ausbeutung der Arbeitskraft von männlichen Häftlingen durch die Einführung von Gratifikationen forciert werden. Privilegierten männlichen Häftlingen sollte der Besuch des ‚Sonderbaus’, so der Euphemismus der SS für diese Bordellbaracken, erlaubt werden. Himmler dazu 1942: „Für notwendig halte ich allerdings, dass in der freiesten Form den fleißig arbeitenden Gefangenen Weiber in Bordellen zugeführt werden.“ Außerdem müsse ein „gewisser kleiner Akkordlohn“ gezahlt werden, wies Himmler den Chef des neu gegründeten ‚Wirtschafts-Verwaltungs-Hauptamtes’ Oswald Pohl an, dem die Zuständigkeit für alle Konzentrationslager übertragen worden war. Als Grund gab Himmler an: „Wenn diese beiden Bedingungen gegeben sind, wird die Arbeitsleistung enorm steigen.“ Rund zwei Monate später ging versuchsweise das erste Lagerbordell in Betrieb, in Mauthausen, Oberösterreich. Die Frauen waren, meist unter falschen Versprechungen oder unter Zwang, in Ravensbrück rekrutiert worden. Sie mussten nach NS-Rassekriterien ‚arisch’ sein und gesund, jedenfalls nicht an Geschlechtskrankheiten leiden. Untergebracht war das Bordell in der Baracke 1 direkt am Appellplatz des Konzentrationslagers. 24 Frauen aus Ravensbrück mussten hier ausschließlich ausgewählten Häftlingen, in der Regel Funktionshäftlingen und Kalfaktoren, zu Diensten sein. Bezahlt wurde mit ‚Prämienscheinen‘, die von der Lager-SS willkürlich an ‚hilfsbereite’ oder besonders ‚leistungswillige’ Gefangene verteilt wurden.
Das Lagerbordell im KZ Auschwitz I wurde ab Juni 1943 auf Geheiß Himmlers im Block 24a (gegenwärtig Sitz des Museum-Archivs) eingerichtet. Zuvor hatte die SS den Plan verworfen, eine Bordellbaracke (Bauvorhaben 93) hinter dem Block 11 zu errichten. Es eröffnete im Oktober 1943 und sollte privilegierten Funktionshäftlingen zur Belohnung dienen. Den SS-Wachen war der Besuch verboten, sie besuchten ein Bordell in der Stadt Auschwitz. Über 60 deutsche, polnische und ukrainische Frauen selektierte die SS im Frauenlager im KZ Auschwitz II–Birkenau für die beiden Bordellkommandos in Auschwitz I und KZ Auschwitz III–Monowitz. Das Lagerbordell bestand bis wenige Tage vor der Evakuierung von Auschwitz. Ab 1943 gab es innerhalb des Schutzhaftlagers in Buchenwald ein Lagerbordell für Häftlinge als ‚Antriebsmittel für höhere Leistungen’. Zu diesem Zweck wurden im Juli 1943 16 weibliche Häftlinge aus dem KZ Ravensbrück nach Buchenwald verbracht und zur Prostitution gezwungen. Am 11. Mai 1944 wurde im KZ Dachau ein Lagerbordell in Betrieb genommen, sechs Frauen aus Ravensbrück trafen ein. Es stand in Zusammenhang mit der Dienstvorschrift Oswald Pohls, außergewöhnliche Arbeitsleistungen bei Häftlingen zu honorieren und damit zu steigern. Gegen Ende des Jahres löste man es wieder auf.
Zu denen, die die Lagerchefs für den Dienst in den Bordellen aussuchen, gehören zunächst überwiegend angeblich ‚verdorbene’ Frauen, die, tatsächlich oder vermeintlich, ‚Dirnen’ gewesen waren und darum als ‚Asoziale’ ins Konzentrationslager verschleppt wurden.
Es waren deutsche Mädchen und Frauen, Polinnen, Ukrainerinnen, Russinnen und auch ‚Zigeunerinnen’. Jüdischen Frauen war der Dienst in Lager-Bordellen ‚verboten’, wegen der ‚Rassenschande’, so wurde auch in solch perfiden Bereichen der ‚Lager-Politik’ auf die Einhaltung der Nürnberger Gesetze geachtet. In bewährter Bigotterie hatten die Nationalsozialisten Prostitution zwar nicht verboten, wohl aber mehr oder weniger willkürlich diejenigen Frauen verfolgt, die sich „öffentlich in auffälliger Weise zur Unzucht anbieten“. Himmler: „Für uns kommt es nur darauf an, wie die Wirkung auf die Allgemeinheit und das Straßenbild ist.“ Als jedoch immer mehr Häftlingsbordelle errichtet werden, zwölf insgesamt, reicht der Nachschub aus dem ‚Hurenblock’ nicht mehr aus. Jetzt werden auch Frauen, die sich anderer ‚asozialer’ Vergehen ‚schuldig gemacht’ haben, für die verordneten Vergewaltigungen ausgesucht: Zum Beispiel Lesben oder solche, die mit einem Juden, Franzosen oder Polen ‚Rassenschande’ begangen hatten. Letztlich müssen auch die ‚Politischen’ ihren eigenen Genossen zu Diensten sein. Bei der Rückkehr ins Lager werden sie dann zu ‚Asozialen’ heruntergestuft. Wenn sie zurückkehrten. Denn wer schwanger oder geschlechtskrank geworden war, wird ‚liquidiert’. Am Morgen des 2. Juli 1943 werden Margarethe W. und einige ihrer Mithäftlinge aus dem Strafblock geholt:
„Nummer sowieso, Nummer sowieso, nicht zum Arbeitsappell antreten, drinbleiben! Etwas später mussten wir doch raus, mussten uns anstellen.“
Auf dem Vorplatz der Baracke stehen Lagerkommandant Kögel, fremde SS-Leute und ein weiterer Kommandant, den Margarethe W. nicht kennt. Die Männer schreiten die Frauengruppe ab und winken einige heraus, darunter auch Margarethe W. Die 25-Jährige aus Güstrow hatte als Köchin auf einem Gut bei Rostock gearbeitet und eine Liaison mit einem Gastwirt im Nachbarort, einem ‚Halbjuden’, begonnen: ‚Rassenschande’. Sie erinnert sich:
„In einem Raum mussten wir uns alle ausziehen, nackend. Dann kam diese SS-Horde rein, da war auch Schiedlausky, der Lagerarzt, dabei. Da haben sie uns gemustert. Ich hörte, wie der Schiedlausky sagte: Was, das Gerippe wollen Sie auch haben? Damit war ich gemeint. Da meinte der fremde Kommandant: Die füttern wir uns schon wieder raus. Die kriegt was auf die Knochen, die ist an und für sich gut gebaut.“
Margarete W. ahnt, wofür sie und ihre Leidensgefährtinnen gerade selektiert worden sind.
„Ich hatte von einem Kapo gehört, dass es Bordelle gab für die jugoslawische SS in Berlin. Und wenn diese Frauenhäftlinge ‚ausgeleiert‘ waren, hat man sie erschossen, und dann kam ein neuer Transport.“
Was Margarethe W. nicht weiß: Die Männer, denen sie künftig zur Verfügung stehen soll, sind nicht die SS-Schergen, die Bewacher, Folterer und Mörder, sondern die eigenen Mithäftlinge. Mindestens 35.000 Frauen wurden bis zum Ende der braunen Ära in Bordelle verschleppt. Die meisten von ihnen rekrutierten die SS Schergen im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Wie Margarethe W., die ‚Nr. 13’ unter den 16 Frauen des Häftlingsbordells Buchenwald. Drei Wochen hat sie zunächst ‚Schonzeit‘, weil sie zum Skelett abgemagert ist.
„Als ich wieder gesund war und dann doch ran musste, wollte ich nicht mehr. Ich überlegte dauernd, wie geht es am besten, Schluss zu machen?
Ich habe es nicht gemacht und musste dann zum ersten Mal doch einen Häftling nehmen. Wir mussten nun jeden Abend acht Männer über uns rübersteigen lassen, innerhalb von zwei Stunden.“ Eine der Frauen berichtete unter der Zusicherung völliger Anonymität nach dem Krieg: Man habe ihnen gesagt, jede Frau müsste „an jedem Tag zwei Stunden, pro Häftling eine Viertelstunde (…) über sich rüberrutschen lassen“. „Wir hatten uns unserem Schicksal gefügt“, erzählte ein anderes Opfer. „Wir hatten schon so viel mitgemacht.“ Im Lager-Bordell in Neuengamme, das etwa zwölf mal 44 Meter gemessen hat, kontrollierte die SS selbst das, was in den „Kabinen“ geschah, durch Gucklöcher: „Da waren Spione mit einer Klappe drüber, und die schob die SS dann auf. Hämisch gegrinst haben sie“, erzählte eine der missbrauchten Frauen. Nach jedem Akt mussten sich die Frauen zum Häftlingsarzt begeben, der sie mit Milchsäure ‚ausgespült‘ hat, wie eine Betroffene berichtete.
Viele, vornehmlich politische männliche, Häftlinge weigerten sich an diesen Vergewaltigungen teilzunehmen. Die entschiedensten Verweigerungen fanden im Konzentrationslager Dachau statt, dessen Bordell nur 7 Monate bestand. Doch darf hieraus keine Pauschalierung entstehen, denn auch von den politischen Häftlingen, die überhaupt noch Kraft nach ihrer Zwangsarbeit hatten und im Überlebenskampf innerhalb des Konzentrationslagers noch den ‚Anreiz’ verspürten ein solches Bordell aufzusuchen, beteiligten sich an der Erniedrigung der Frauen und sich selbst.
Während also die Existenz der Lagerbordelle nach 1945 nie geheim war, wurde an die Leiden der Insassinnen dennoch eher verdrängt. Nur in Mauthausen und Gusen sind die Baracken erhalten, in denen die Frauen sich prostituieren mussten.
In der Gedenkstättenarbeit spielte das Thema jahrzehntelang eine höchstens untergeordnete Rolle, wurde oft sogar ganz verschwiegen. Fast alle Frauen verschwiegen nach dem Krieg, zur Arbeit in einem Lagerbordell gezwungen worden zu sein. Die Frauen wurden von der SS meist als ‚Asoziale’ bezeichnet, diese Bezeichnung blieb auch nach dem Krieg in den Köpfen der Behörden bestehen. Möglicherweise auf Grund dieses Rufes verweigerten ihnen nach dem Krieg beide deutschen Staaten die Anerkennung ihres Opferstatus. Sie waren der Öffentlichkeit zumeist unbekannt und wurden erst seit den 1990er Jahren von Wissenschaftlern thematisiert. Bis in die 1990er Jahre galten die Betroffenen nicht als Opfer der Naziherrschaft und erhielten keine Entschädigung.
Bild 1: Antragsformular zum Besuch eines Lager-Bordells – Quelle: geschichteinchronologie.ch · Bild 2: Lager-Bordell Mauthausen – Quelle: bundesarchiv.de · Bild 3: Häftlingskarte – Quelle: geschichteinchronologie.ch · Bild 4: Gesundheitliche Untersuchung – Quelle: hna.de · Bild 5: Lagerzaun Buchenwald – Quelle: vol.at
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