„Und ist denn nicht das ganze Christentum aufs Judentum gebaut? Es hat mich oft geärgert, hat mich Tränen genug gekostet, wenn Christen gar so sehr vergessen konnten, dass unser Herr ja selbst ein Jude war.“ Gotthold Ephraim Lessing
Antisemitismus diente den Nationalsozialisten als Erklärungsmuster für alles nationale, soziale und wirtschaftliche Unglück, das die Deutschen seit dem verlorenen Ersten Weltkrieg erlitten hatten. Antisemitismus war das Schwungrad, mit dem Hitler seine Anhänger in Bewegung brachte. Die Überzeugungen, die in Hitlers ‚Mein Kampf’ zu lesen waren, die vom Chef der NSDAP und seinen Unterführern seit den Anfängen der Partei gepredigt wurden und in der Forderung nach ‚Lösung der Judenfrage’ gipfelten, gingen auf die ‚Erkenntnisse’ und Behauptungen der Sektierer und Fanatiker, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts den rassisch begründeten Antisemitismus propagierten, zurück. Diese antisemitischen Strömungen durchzogen alle gesellschaftlichen Schichten, mal stärker, mal weniger stark. Solche negativen Strömungen gab und gibt es in Gesellschaften, doch gibt es ein gemeinsames gesellschaftliches Fundament und eine Rechtssicherheit für die diskriminierte Gruppe, so kann eine solche Strömung wie ein Wellenschlag durch eine Gesellschaft hindurch gespült werden, doch greifen solche ‚Ideen’ und Meinungen meistens die Seele eines ganzen Volkes an und kulminiert nicht in groß angelegten Exessen. Wobei auch heute darauf entschiedenst hingewiesen werden muss, dass Ausgrenzungsphantasien prinzipiell entgegen getreten werden muss. Auch nachdem die NSDAP immer stärker wurde und Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, nahmen weite Teile der Gesellschaft den propagierten Antisemitismus nicht ernst, ja, er wurde als ‚Kampf- und Wahlgetöse’ betrachtet, auch in vielen jüdischen Kultusgemeinden. 1933 gab es im Deutschen etwas mehr als eine halbe Million Bürger, die sich als religiöse Minderheit zum Judentum bekannten, das waren 0,75 % der Gesamtbevölkerung. Eine statistisch nicht erfasste Zahl weiterer Deutscher war jüdischer Abstammung, sie hatten sich aber weitgehend in die christlich geprägte Gesellschaft assimiliert. Vielen von ihnen war ihre jüdisch geprägte ‚Abstammung’ gar nicht bewusst. Seit 1871 waren Juden in Deutschland rechtlich in jeder Beziehung den anderen Deutschen gleichgestellt, wobei das nicht immer die gesellschaftliche Anerkennung bedeutete, doch die Rücknahme dieser Emanzipation der Juden war das oberste Ziel der antisemitischen Strömungen und das vordergründigste Ziel der Nationalsozialisten. Die Ausschreitungen und Pöbeleien nach dem 30. Januar 1933, die vor allem von der SA zu verantworten waren, galten der Mehrheit der Deutschen nicht als Beginn einer systematischen Judenverfolgung.
Man hielt den Rau und die Gewaltakte gegen einzelne Juden im Frühjahr 1933 für Siegestaumel nach erfolgreichen Wahlen und nationalen Überschwang. Wie ernst der Antisemitismus der Nationalsozialisten tatsächlich gemeint war, zeigte sich allerdings rasch, nun aber in Verordnungen und Gesetzen.
Am 15. März 1933 teilte die Landesregierung Berlins mit, dass die Zuwanderung von Ostjuden gestoppt werden muss und dies per Runderlass. Drei Tage später verkündete die Berliner Stadtverwaltung, dass jüdische Rechtsanwälte und Notare nicht mehr für die Reichshauptstadt tätig sein dürfen. Am gleichen Tag wurde das Schächten von Schlachttieren in Sachsen verboten. Am 22. März 1933 hob Thüringen die Geschwisterermäßigung beim Schulgeld für jüdische Schüler auf. Köln untersagte die Berücksichtigung jüdischer Firmen bei öffentlichen Aufträgen am 27. März 1933. Am gleichen Tag unter sagte Hessen ‚jüdische Einflüsse’ im Anzeigenteil von Zeitungen. Berlin warf am 31. März 1933 die jüdischen Wohlfahrtsärzte aus dem Dienst. Am gleichen Tag ordnete das Bayrische Innenministerium die Kündigung aller Schulärzte ‚jüdischer Rasse’ an. In Köln wurde jüdischen Sportlern die Benutzung städtischer Sportplätze verboten, Frankfurt am Main ordnete die Überprüfung der deutschen Reisepässe aller Personen ‚semitischer Abstammung’ an, in Düsseldorf wurde die Ausstellung von Pässen für Juden verboten und in München durften jüdische Ärzte in Krankenhäusern nur noch jüdische Patienten behandeln. Am 4. April 1933 ließ der Deutsche Boxerverband verlautbaren, dass jüdische Faustkämpfer von der Beteiligung an Wettkämpfen ausgeschlossen sein.
Diese kleine Auswahl regionaler Repressalien gipfelten dann am 7. April 1933 in dem ‚Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums’. Damit verloren alle im öffentlichen Dienst tätigen Juden ihren Arbeitsplatz. Abgemildert wurde dies Gesetz für diejenigen, die vor dem 1. August 1914 Beamte oder im Ersten Weltkrieg Frontkämpfer gewesen waren oder Väter oder Söhne im Weltkrieg verloren hatten. Zu Ärger der Nationalsozialisten, die unermüdlich das Klischee von der jüdischen Feigheit verbreiteten, war dieser Personenkreis aber sehr groß. Das zeigt sich auch bei einem anderen Anschlussgesetz, ebenfalls vom 7. April des gleichen Jahres, dass die Zulassung von Rechtsanwälten regelte. Anwälte ‚nicht arischer Abstammung’, wie die Formulierung lautete, wurde bis zum 30. September die Zulassung entzogen. Auch hier gab es die Ausnahme der ‚Frontkämpferregel’, die auf Intervention des Reichspräsidenten Hindenburg zurückging. Das Staatsoberhaupt wies Hitler daraufhin: „… wenn sie wert waren, für Deutschland zu kämpfen und zu bluten, sollen sie auch als würdig angesehen werden, dem Vaterland in ihrem Beruf weiter zu dienen.“ Wie hinderlich das Frontkämpferprivileg für die Absichten der Regierung war, zeigte sich daran, dass in Preußen von 3370 jüdischen Anwälten 2609 ihre Zulassung behalten konnten. Nach einer Schätzung der ‚Zentralstelle für jüdische Wirtschaftshilfe’ verloren 1933 etwa 2000 Beamte des höheren Dienstes Arbeitsplatz und Beruf, außerdem wurden 700 Hochschullehrer von den Universitäten hinausgeworfen. Dieses Gesetz, dass als ‚Arierparagraph’ in die Geschichte einging, diente zum Ausschluss der Juden aus allen Lebensbereichen und zu ihrer Verelendung. Seit September 1933 wurden vom Deutschen Automobilclub keine Juden mehr aufgenommen, ab Januar 1934 durften die Freiwilligen Feuerwehren in Preußen keine jüdischen Mitglieder mehr haben. Zur weiteren Verelendung der jüdischen Bevölkerung trugen die Berufsverbote bei. Schon im September 1933 hatte die Generalsynode der preußischen Union der evangelischen Kirche verboten, dass ‚Nichtarier’ als Geistliche und Beamte der kirchlichen Verwaltung berufen werden durften. Das gleiche galt für Ehemänner jüdischer Frauen. Das ‚Schriftleitergesetz’ vom Oktober 1933 verdrängte alle Journalisten jüdischer Herkunft aus den Redaktionen. Seit April 1933 begrenzte der ‚Arierparagraph’ die Zahl der Juden an deutschen Schulen, Hochschulen und Universitäten; der vollständige Ausschluss erfolgte dann 1938.
Im September 1935 wurden auf dem ‚Reichsparteitag der Freiheit’ die „Nürnberger Gesetze“ erlassen, mit diesem wurden die deutschen Juden zu Bürgern minderen Rechts degradiert. Das ‚Reichsbürgergesetz’ unterschied jetzt ‚arische’ Vollbürger mit politischen Rechten und ‚Nichtarier’ als Staatsangehörige ohne politische Rechte. Das ‚Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre’ verbot Eheschließungen zwischen Juden und ‚Ariern’ und stellte sexuelle Beziehungen zwischen ‚Deutschblütigen’ und Juden nach dem neu eingeführten Delikt der ‚Rassenschande’ unter drakonische Strafen. Mit den „Nürnberger Gesetzen“ war die Emanzipation der Juden im Deutschen Staat rückgängig gemacht worden, der Weg zur physischen Vernichtung der Minderheit war bereitet. Die mörderische Konsequenz war freilich noch nicht erkennbar, auch nicht von den Betroffenen selbst. Komplizierte Definitionen, wer Jude im Sinne der neuen Gesetze war, wer als ‚Mischling’ ersten oder zweiten Grades eingestuft, wer zum ‚Geltungsjuden’ deklariert wurde, wer den Makel ‚Jüdisch versippt’ zu tragen hatte, wer in ‚privilegierter Mischehe’ vor Verfolgung geschützt war, bestimmten den Alltag der Minderheit, während die Mehrheit durch ‚Abstammungsnachweise’ die verhängnisvollen Konsequenzen des ‚Arierparagraphen’ vermeiden konnten.
Die ‚Eliminierung’ der Juden aus dem Erwerbsleben ging zügig weiter. Ab März 1936 erhielten kinderreiche jüdische Familien keine Unterstützung mehr, ab Oktober 1936 wurde jüdischen Lehrern verboten, Privatunterricht an Nichtjuden zu erteilen. Seit April 1937 konnten Juden keinen Doktortitel mehr erwerben, im September 1937 verloren alle jüdischen Ärzte die Krankenkassenzulassung. Ab Juli 1937 erhielten alle jüdischen Ärzte, Rechtanwälte Berufsverbot. Ende April 1938 waren alle Juden gezwungen worden, ihr Vermögen, wenn es 5000 RM überstieg, zu deklarieren. Ab Juli des gleichen Jahres mussten jüdische Unternehmen äußerlich gekennzeichnet werden, ebenfalls im Juli wurde auch ein besonderer Personalausweis für Juden eingeführt, im August erging die Verordnung zur Führung eines zusätzlichen Zwangsvornamens wie Sara beziehungsweise Israel. Ab Anfang Oktober wurde ein rotes „J“ in die Reisepässe der Juden gestempelt. Nach den Herbstferien 1938 war es jüdischen Kindern verboten an deutsche Schule zu gehen.
Zu diesem umfassenden Maßnahmekatalog gegen die jüdischen Mitbürger kamen lokale Diskriminierungen hinzu, wie zum Beispiel das Verbot Schwimmbäder zu benutzen, von bestimmten Parkbänken verwiesen zu werden oder die Gesinnung auf Ortschildern zu bekunden. Wie: „Wandlitz ist kein Judenparadies“ oder „Juden ist die Luft in Buckow unzuträglich“ oder „Juden aller Länder, vereinigt Euch, aber nicht in Birkenwerder“ … An vielen Eingängen von Restaurants, Hotels oder Geschäften gab es Schilder mit der Aufschrift: „Juden sind hier unerwünscht.“
Dieser Weg der Repressalien, Demütigungen, Diskriminierungen und der bewussten Verelendung der jüdischen Bevölkerung gipfelte in der Eskalation des 9. und 10 Novembers 1938, im sich eskalierenden Pogrom der so genannten ‚Reichskristallnacht’.
Die brennenden Synagogen waren das Signal für das was nicht nur auf die deutschen Juden, sondern auf alle Juden Europas zu kommen würde …
Alle Fotos – Quelle: wikimedia.org
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