Emilie Kempin-Spyri • Unbequem + ihrer Zeit weit voraus
Emilie Elisabetha Kempin-Spyri wurde am 18. März 1853 in Altstetten geboren und verstarb am 12. April 1901 in Basel. Sie war die erste Frau, die in der Schweiz als Juristin promoviert wurde und habilitierte. Als Frau durfte sie jedoch nicht als Anwältin praktizieren, weshalb sie nach New York auswanderte, wo sie an einer von ihr gegründeten Rechtsschule für Frauen unterrichtete. Emilie Kempin-Spyri war die Nichte der Autorin Johanna Spyri (u.a. durch „Heidi“ bekannt). Die eher kleingewachsene Frau mit angenehmen Gesichtszügen, Tochter eines Pfarrers, legte ihr Abitur als Externe in einem Knabengymnasium ab, heiratete 1875 den Pfarrer Walter Kempin und hatte drei Kinder. Aber Emilie wollte nicht nur Ehefrau und Mutter sein, zumal ihrem Mann der Verlust der Pfarrstelle drohte. Sie beschloss, Jura zu studieren, um zum Unterhalt der Familie beizutragen, immatrikulierte sich 1883 an der Universität von Zürich, wo sie während des gesamten Studiums die einzige Jurastudentin blieb. Für ihre Dissertation erhielt sie schon vier Jahre später das höchste Prädikat “summa cum laude”. Die Gründung eines Rechtsberatungsbüros wurde ihr wegen ihres Geschlechts von der Stadt verweigert. Daraufhin stellte sie an der Universität den Antrag auf eine Habilitation als Dozentin für Römisches Recht. Die aufgewühlten Akademiker benötigten sieben Gremiensitzungen, um den Antrag abzulehnen. Ihre diesbezügliche Beschwerde ans Bundesgericht blieb ohne Erfolg. Am 24. November 1886 will Emilie Kempin ihren Mann Walter Kempin in einer Gerichtsverhandlung vor dem Bezirksgericht Zürich vertreten. Dort wird sie jedoch mit der Begründung zurückgewiesen, sie sei als Frau nicht zur Übernahme von Rechtsvertretungen berechtigt. Einzige Voraussetzung zur Vertretung Dritter in Zivilsachen sei das Aktivbürgerrecht, das aber nach Auffassung des Gerichts Frauen nicht zustehe. Frauen seien, so damals das Gericht, zwar im Gesetz nicht ausdrücklich vom Aktivbürgerrecht ausgeschlossen, aber nur deshalb, weil die Gesetzgeber die Möglichkeit nicht vor Augen hatten, dass dieses Recht jemals von Frauen in Anspruch genommen werden könnte. Die dagegen eingelegte staatsrechtliche Beschwerde wird am 29. Januar 1887 vom Bundesgericht zurückgewiesen. Kempins Argument, aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 4 der Bundesverfassung der Schweiz) die Gleichstellung der Geschlechter zu folgern, sei, so die Bundesrichter, sei ebenso neu als kühn. Als ihr zudem aufgrund ihres Geschlechts eine Anstellung als Privatdozentin an der Universität Zürich verwehrt wurde, wanderte sie im Herbst 1888 mit ihrer Familie nach New York aus. Dort gründete sie u.a. eine Rechtsschule für Frauen und bewirkte die Zulassung von Frauen zum Rechtsstudium und zur Advokatur, aus dieser ging die erste New Yorker Rechtsanwältin hervorbrachte. Trotz ihrer Erfolge in New York kehrten sie und ihr in den USA immer verzagteren Mann mit einer Tochter in die Schweiz zurück, wobei zwei Kinder in den USA verblieben. Mit einer Spezialbewilligung konnte Kempin-Spyri nun doch an der Universität unterrichten. Sie gründete die Zeitschrift „Frauenrecht“, in der sie Verbesserungen im Schweizer Recht vorschlug. Mit dem ebenfalls von ihr gegründeten „Frauenrechtsschutzverein“ wollte sie durch juristische Arbeit die rechtliche, wirtschaftliche und soziale Stellung der Frauen verbessern.
Von Bedeutung ist weiterhin Emilie Kempins Verhältnis zur deutschen Frauenbewegung. Das erste Werk schreibt Emilie Kempin noch im Auftrag des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins, doch schon 1895 kommt es zu Differenzen, insbesondere mit Anita Augspurg, die dem radikalen linken Flügel der Frauenbewegung zuzuordnen ist. Während Kempin den Entwurf „für einen großen Fortschritt auf rechtswissenschaftlichem und praktischem Gebiet“ hält, steht er nach Ansicht Anita Augsburgs ‚in Widerspruch zum Zeitgeist und Kulturfortschritt’. Die Differenzen finden ihren Höhepunkt 1897, als Emilie Kempin als eine ‚Gegnerin der Frauensache’ bezeichnet wird.
Nach der Trennung von ihrem Mann zieht Emilie Kempin-Spyri nach Berlin. Doch auch hier war ihr der berufliche Erfolg nicht beschieden. In finanzieller Bedrängnis und nervlich angeschlagen wird sie im September 1897 in die Nervenklinik Lankwitz (Stadtteil von Berlin) eingeliefert. Als ein neues Gesetz Emilie Kempin es 1898 gestattet hätte, sich in Zürich als Anwältin niederzulassen, wird sie entmündigt. Am 10. März 1899 wird Emilie Kempin in die Irrenanstalt Friedmatt in der Schweiz verlegt. Ob Emilie Kempin tatsächlich geisteskrank war, ist zweifelhaft. Möglicherweise handelte es sich bei der Einweisung auch um die Maßnahme einer patriarchalischen Gesellschaft, die in einer starken, intelligenten Frau eine Gefahr sah.
„Ich bitte Sie zu glauben, dass ich trotz meines Studiums die Künste und Fertigkeiten einer Hausfrau nicht verlernt habe. Meine selige Mutter hat uns darin für das ganze Leben lang tüchtig gemacht.“
Mit diesen Worten bewirb sie sich als Magd in einem Pfarrhaus aus der Nervenheilanstalt heraus. Denn einmal sagt sie:
“Ich bin vollkommen mittellos und alleinstehend; von meinem Manne schon seit Jahren getrennt, meine Kinder sind in der Welt herum zerstreut, meine Beziehungen zu Freunden und Verwandten abgebrochen… Meine Verwandten haben sich … von mir abgewandt.”
Andere berufliche Tätigkeiten waren ihr nun völlig versagt. Völlig einsam und verarmt starb sie, nur 48 Jahre alt geworden, im April 1901 an einem Krebsleiden.
Im Rahmen eines Festakts wurde am 22. Januar 2008 im Lichthof der Universität Zürich ein von Pipilotti Rist gestaltetes Denkmal in Form einer überdimensionierten Chaiselongue enthüllt; damit wird die Rolle Kempin-Spyris als erste Privatdozentin der Universität Zürich und als Pionierin für die Gleichberechtigung der Frau gewürdigt, ferner wurde sie mit einer Tafel der Erinnerung geehrt.
Heute gilt Emilie Kempin-Spyri als jene Frauenrechtlerin, die den meisten Einfluss auf das Deutsche Bürgerliche Gesetzbuch hatte.
Foto 1: Emilie Spyri – Quelle: swissingo.ch · Foto 2: Emilie Kempin-Spyri – Quelle: uhz.ch · Foto 3: Chaiselonge – Quelle: uhz..ch · Foto 4: Gedenktafel – Quelle: site-preview.net
Hinterlasse einen Kommentar