Ethel Mary Smyth

Ethel Mary Smyth

 

Ethel Mary Smyth • Komponistin mit Durchsetzungskraft

„Die Musik ist der vollkommenste Typus der Kunst: Sie kann ihr letztes Geheimnis nie enthüllen.“ Oscar Wilde

Dame Ethel Mary Smyth wurde am 23. April 1858 in Sidcup geboren und verstarb am 8. Mai 1944 in Woking. Sie war eine englische Komponistin, Dirigentin, Schriftstellerin und eine der Mitkämpferinnen der britischen Suffragettenbewegung. Ihr Entschluss fiel, als sie 12 Jahre alt war und ihre deutsche Gouvernante, die selbst Musik studiert hatte, ihr erstmals Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven vorgestellt hatte: Ethel Smyth schwor sich, ihre englische Heimat zu verlassen, um in Leipzig Komposition zu studieren. Hartnäckig verfolgte sie fortan ihr Ziel, gegen den erbitterten Widerstand ihres Vaters. Generalmajor Smyth hatte in Indien gedient und regierte seinen großbürgerlichen Haushalt mit strenger Hand. Er wolle seine Tochter lieber tot als in Leipzig sehen, ließ er verlauten. Ethel Smyth zeigte sich von derlei Drohungen wenig beeindruckt und konterte mit einem Hungerstreik. Mit 19 Jahren schließlich gelang es ihr, sich durchzusetzen, und sie brach auf, um in Deutschland das Komponieren zu erlernen. Ethel Smyth sei vom Stamm der Pioniere gewesen, die Felsen gesprengt und den Weg geebnet hätten für diejenigen, die nach ihnen gekommen seien, meinte Virginia Woolf Jahre später über ihre enge Freundin. Zu einer Zeit, in der sie weder über das Wahlrecht noch über das Recht der eigenen Berufswahl verfügte, brauchte eine Frau mehr als ein ‚eigenes Zimmer’, damit sie kreativ sein und Grosses leisten konnte: Um sich innerhalb der starren patriarchalischen Strukturen Handlungsspielraum zu erkämpfen, brauchte es Entschlossenheit, Durchsetzungsvermögen und eine gehörige Portion Mut. Ethel Smyth besaß all dies und stemmte sich erfolgreich gegen das gängige viktorianische Ideal des stillen, weiblichen ‚Engels des Haushaltes’, dem keinerlei Schaffensgeist gegeben war. Derartige Engel durften sich privat zwar am hauseigenen Klavier betätigen. Dass aber eine Frau beruflich komponieren wollte, das entsprach nicht dem Sinn der Patriarchen. Mit ihrer lauten Stimme und dem überschäumenden Temperament war sie weit entfernt vom viktorianischen Frauenideal. Sie ritt und radelte, erklomm Berge, spielte Golf, Tennis, Schach und Cricket und verfaßte insgesamt zehn Bücher, von denen die Autobiographie Impressions that Remained (1919) sie berühmter machte, als es irgendeine Komposition je vermochte. Bruno Walter schrieb in seiner Autobiografie Thema und Variationen über Ethel Smyth:

„Ethel Smyth… hatte eine flammende Seele. Sie brannte ununterbrochen, ob sie komponierte, ob sie schrieb… ob sie als Suffragette agitierte, ob sie in einer Art Kimono ein Orchester dirigierte oder ob sie sich unterhielt.“

Und Virginia Woolf, für die Schreiben zwar Lebenselixier, aber gleichzeitig eine Qual war, kommentierte in ihrer Rede vor der National Society for Women’s Service ein wenig neidvoll, dass Ethel Smyth „ohne jede Übung in meiner Kunst ein Meisterwerk“ hinwerfen könne.“


Endlich in Leipzig angekommen pflegte Ethel Smyth sehr engen Kontakt anfangs zu der Familie Röntgen. Engelbert Röntgen, Leiter des Leipziger Gewandhausorchesters, ermutigte sie, in ihren Kompositionen fortzufahren, indem er das Rondothema ihrer ersten Klaviersonate mit Kompositionen von Mozart verglich. Auch das wohlhabende, kinderlose Ehepaar Herzogenberg förderte sie stark: Als sie nach einem Jahr Studium das Leipziger Konservatorium verließ, nahm sie bei Heinrich Aloysius von Herzogenberg, dem Präsidenten des Leipziger Bachvereins, Privatunterricht. Die Herzogenbergs nahmen sie gleichsam als Ersatztochter an. Die Bindung zu der 11 Jahre älteren Elisabet von Herzogenberg war jedoch noch wesentlich enger: Die beiden verband ein Liebesverhältnis, das lange Jahre anhielt. Im Hause der Herzogenbergs nahm Ethel Smyth sehr intensiv am Kulturleben von Leipzig teil. Sie lernte Clara Schumann, Anton Rubinstein, Max Friedländer, Edvard Grieg und Johannes Brahms persönlich kennen und war mit der jüngsten Tochter von Mendelssohn, Lili Wach, eng befreundet. Insbesondere Brahms verkehrte viel im Hause der Herzogenbergs.

Im Jahre 1892 ließ Ethel sich in eine Beziehung mit Henry Brewster ein. Diese Beziehung blieb jedoch noch mehrere Jahre rein platonisch. In ihrer Autobiografie ‚What happened next’ schildert sie mit entwaffnender Offenheit, wie sie sich 1895 dazu entschließt, auch sexuell eine Beziehung mit Henry Brewster einzugehen und spricht von einer ‚erhabenen Kapitulation‘ ihrerseits. Die enge Beziehung zu Henry Brewster hielt bis zu seinem Tode 1908 an.

1887 kehrte sie nach Leipzig zurück und begegnete dort dem russischen Komponisten Pjotr I. Tschaikowski. Er beeinflusste ihre weitere kompositorische Entwicklung und regte sie an, sich vor allem auf dem Gebiet der Instrumentationslehre weiter auszubilden, was dazu führte, dass sie sich zunehmend großer Orchestermusik zuwandte. Ethel Smyth hatte nicht nur Schwierigkeiten ihre Kompositionen auf die Bühne zu bringen, denn Werke weiblicher Komponisten wurden selten bis gar nicht aufgeführt. So erging es ihr auch mit ihren Opern. Sie musste mit sehr viel Energie nach Opernhäusern suchen, die ihre Kompositionen aufführen wollten. Anstrengende Reisen und sehr viele Ablehnungen begleiteten sie. Die Uraufführung der Oper Der Wald fand 1902 an der Staatsoper Berlin statt, fand dort jedoch kein begeistertes Publikum. Der Wald wurde noch im selben Jahr am Royal Opera House Covent Garden in London aufgeführt und ein Jahr später an der Metropolitan Opera in New York herausgebracht. Die Premiere in New York war ein voller Erfolg – ein Kritiker schrieb über den Abend:

„Die Sänger wurden immer wieder vor den Vorhang gerufen, und Miss Smyth hatte eine Ovation von nahezu zehn Minuten … Sie ertrank fast in Blumen… Miss Smyths Musik gehört entschieden der deutschen Schule an. Sie zeigt den Einfluß Wagners, imitiert ihn aber in keiner Weise…“

Die schwierige Aufgabe, Bühnen zu finden, die ihre Opern aufführten, setzte sich trotz der erfolgreichen Aufführungen weiterhin fort. Zu den Personen, die sie persönlich überzeugen wollte, gehörte unter anderem auch der berühmte Dirigent Bruno Walter, der über die erste Begegnung mit ihr schrieb:
“Vor mir erschien eine hagere, etwa achtundvierzig Jahre alte Engländerin in farblosem sackartigen Gewand und erklärte mir, sie habe früher in Leipzig studiert, Brahms sei für ihre Kammermusik interessiert gewesen, ihre Oper Der Wald hätte ihre Aufführung in Dresden gehabt und nun sei sie hier, um uns in Wien mit ihrer letzten Oper nach Brousters [Walter meint hier Brewster] Les Naufrageurs bekannt zu machen. Ich sah unserer Zusammenkunft mit peinlichem Vorgefühl entgegen, aber noch hatte sie nicht zehn Minuten gespielt und mit unschöner Stimme dazu gesungen, als ich sie unterbrach, um zu Mahler hinüberzustürzen und ihn zu beschwören, mit mir zu kommen – mir spiele die Engländerin ihr Werk vor und sie sei ein wirklicher Komponist…als wir uns trennten, stand ich völlig im Bann des Gehörten und ihrer Person.“

Sowohl die englische Frauenrechtlerin Emmeline Pankhurst als auch Rhoda Garrett hatten schon lange versucht, Ethel Smyth für ihre Sache zu gewinnen. Erst der Tod von Henry Brewster 1908, der bei Ethel Smyth eine längere persönliche Krise auslöste, und die eigenen oft niederschmetternden Erlebnisse hinsichtlich der Anerkennung für ihre Werke, führten dazu, dass sich Ethel Smyth 1910 mit aller Konsequenz den militanten englischen Frauenrechtlerinnen anschloss und Mitglied der Organisation The Women’s Social and Political Union wurde. Sie vernachlässigte in dieser Zeit ihre kompositorische Arbeit jedoch nicht vollkommen. 1910 entstanden ihre drei Sonnenaufgangslieder, deren drittes, The March of Women, zur Hymne und zum Kampflied dieser Bewegung wurde. Die Uraufführung dieses Liedes fand am 21. Januar 1911 anlässlich einer Zeremonie an der Pall Mall in London statt. Als Protest gegen die Verweigerung des Frauenwahlrechts provozierte Ethel Smyth bewusst ihre Verhaftung und eine anschließende zweimonatige Gefängnisstrafe, indem sie am 12. März 1912 die Fensterscheiben des britischen Kolonialsekretariats einwarf. Sie war damit Teil einer Gemeinschaftsaktion von insgesamt 150 bis 200 Frauen, die zum Zeichen ihres Kampfeswillens um das Frauenwahlrecht rund um die Londoner Oxford Street nahezu sämtliche Scheiben zerstörten. Der Dirigent Thomas Beecham besuchte sie dort, in dem Ethel Smyth mit zahlreichen weiteren englischen Frauenrechtlerinnen inhaftiert war. Über diesen Besuch schrieb er:


„Ich kam im Gefängnishof an und fand die edle Gruppe der Märtyrerinnen vor, wie sie dort auf- und abmarschierten und mit Herzenslust ihr Kriegslied ‚March of the Women‘ sangen, während die Komponistin wohlwollend aus einem der oberen Fenster zusah und dazu mit bacchantischer Energie den Takt mit einer Zahnbürste schlug.“

Ethel Smyth widmete zwei Jahre ihres Lebens intensiv den Zielen der britischen Frauenrechtsbewegung und unterstützte diese bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Der Beitrag von Ethel Smyth zur Emanzipation der Frau liegt sicherlich nicht nur in ihrem aktiven Kampf für das Frauenwahlrecht. Bereits im Dezember 1911 schrieb Richard Specht in Der Merker über Ethel Smyth:

„Die Geringschätzung gegen Komponistinnen im allgemeinen ist von einer unbekümmert resoluten, keinem Hindernis ausweichenden, in froher Energie ihren Weg gehenden Engländerin über den Haufen gerannt – fast hätt‘ ich gesagt: geboxt – worden. Eine sehr lebhafte, hagere, bewegliche Dame, trotz des leicht ergrauten Haars von siegreich erkämpfter, innerer Heiterkeit und ungeheurer, zäher Willenskraft, die es gezeigt hat, dass die Weiblichkeit kein Hemmnis für ursprüngliche tondichterische Produktion ist….“

Auch Virginia Woolf sah Ethel Smyth in dieser Rolle. In einer Rede vor der „National Society for Womens’s Service“ im Jahre 1931 sagte sie über ihre Freundin Ethel Smyth:

“… Sie ist vom Stamm der Pioniere, der Bahnbrecher. Sie ist vorausgegangen und hat Bäume gefällt und Felsen gesprengt und Brücken gebaut und so den Weg bereitet für die, die nach ihr kommen. So ehren wir sie nicht nur als Musikerin und Schriftstellerin … sondern auch als Felsensprengerin und Brückenbauerin.“


Viele Ehrungen erhielt Ethel Smyth, bereits 1910 erhielt sie Ehrendoktorwürde der University of Durham, der 1926 eine zweite durch die Universität Oxford und 1928 eine dritte durch die University of St Andrews folgten. 1922 machte König Georg V. Ethel Smyth zur Dame Commander des Order of the British Empire. Anlässlich ihres 75. Geburtstags wurde sie im Vereinigten Königreich im großen Stil gefeiert. Die Feierlichkeiten begannen mit einem Konzert in der Queen’s Hall und einem Dinner mit dreihundert Gästen. Der Abschluss war am 3. März die von Thomas Beecham dirigierte Aufführung ihrer Messe in D in der Royal Albert Hall. Sie selbst war zu diesem Zeitpunkt schon fast völlig gehörlos, verfolgte die Aufführung aber gemeinsam mit Königin Mary von der königlichen Loge aus. Sie starb 1944 im Alter von 86 Jahren im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte, wenige Tage, nachdem sie anlässlich der Einweihung eines Denkmals für ihre längst verstorbene Freundin Emmeline Pankhurst die Londoner Metropolitan Police Band dirigiert hatte.

Ethel sagte einmal: „Der genaue Wert meiner Musik wird wahrscheinlich erst dann erkannt werden, wenn nichts von mir übrig geblieben ist als geschlechtslose Punkte und Striche auf liniertem Papier… Wenn das kümmerliche Rinnsal eines persönlichen Schicksals mit dem Strom menschlicher Erfahrungen davongetragen wird; wenn auch nur ein Quäntchen von alledem ins Werk eines Künstlers einfließt, lohnte es sich, dieses Werk verfasst zu haben. Und sollten andere jetzt oder nach meinem Tod nur ein schwaches Echo eines solchen Geistes in meiner Musik erfassen, dann ist alles gut, und mehr als gut.“

Bild 1: Zeichnung von J. Singer Ethel Mary Smyth – Quelle: wikimedia.org · Bild 2: Noten v. E. Smyth – Quelle: anima-inventrix-berlin.de · Bild 3: Ethel Mary Smyth – Quelle: wordpress.com · Bild 4: Cover E. Smyth – Quelle: classical.net · Bild 5: Ethel Smyth vor ihrem Landhaus – Quelle: zeit.de · Bild 6: Ethel Smyth vor dem Klavier – Quelle: bach-cantata.com

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