Euthanasie ► Definition ► im Wandel der Geschichte

Euthanasie ► Definition ► im Wandel der Geschichte

 

Wenn man den Begriff der Euthanasie hört, so hat jeder Bilder und Definitionen in Kopf, die meistens aus der pervertierten Perspektive des Nationalsozialismus stammen. Da ist es wenig entscheidend wie wir über dies Thema informiert sind, im deutsprachigen Raum ist dieser Begriff auf das Negativste besetzt. Aber auch der Massenmord an so genanntem ‚unwerten Leben’ der Nationalsozialisten, geht eine Definitionsgeschichte voran, denn die Abwertung von Menschen, die als nicht ‚normal’ galten, war keine Erfindung der Nationalsozialisten, es war ein gesellschaftlicher, gedanklicher Prozess und dies nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.

Der Begriff Euthanasie, stammt aus dem Griechischen ‚euthanasía’ und heißt so viel wie: ‚sehr schöner Tod’, ‚gute Tötung’ oder ‚guter Tod’. Für Sokrates, 469-399 vor der Zeitrechnung, bedeutete Euthanasie die eng mit einer vernünftigen Lebensführung verknüpfte rechte Vorbereitung auf den Tod, also mit sich und seinem Abschied im Einklang zu sein. Eine der frühesten Belege für den Begriff Euthanasie findet sich bei dem griechischen Dichter Kratinos, der ihn um 500 vor unserer Zeitrechnung, zur Bezeichnung eines ‚guten Todes’ in Abgrenzung zu einem schweren Sterben gebraucht. ‚Guter Tod’ wird als ‚leichter Tod’, als Tod ohne vorhergehende lange Krankheit, auch als relativ schnell eintretender Tod charakterisiert. Auch andere griechische Dichter und Philosophen beschäftigen sich mit dieser ‚lebens-philosophischen’ Frage, doch bleibt es in der Antike immer ein Gedankenkonstrukt, eine Grundlage zur Überlegung und Diskussion. Hier ging es nie um darum, wer den Tod ‚verdient’; es ging immer im die innere Vorbereitung auf das Unausweichliche für sich selbst und seine Umgebung. Doch Inhalte von Worten verändern sich im Laufe von Zeit, Ort und Geisteshaltung. Sir Francis Bacon (1561-1626) spricht in einem Aufsatz erstmals öffentlich über Sterbehilfe; zwar vornehmlich über die seelische Begleitung in den schmerzfreien Tod, doch er lässt auch anklingen, dass bei starkem Leiden, eine Verkürzung der Lebensdauer denkbar wäre. In Zedlers Universallexikon, von 1732, bleibt auch weiterhin der Urgedanke erhalten:

„Euthanasia: ein gantz leichter und geringer Tod, welcher, ohne schmerzhafte Convulsiones geschieht. Das Wort kommt von ευ, bene wohl, und θανατος, mors, der Tod.“  (Band 08, S. 1150).

Eine entscheidende neue Sichtweise, die über das Philosophische der Antike einerseits und der Emphatischen Sicht der frühen Neuzeit anderseits, entstand nach den revolutionierenden Schriften von Charles Darwin (1809-1882). In seinem Werk ‚Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung begünstigten Rassen im Kampf ums Dasein’ verbreitet er eine These, dass sich das plan- und richtungslose Variieren der Natur nur durch die natürliche Auslese in bestimmte Bahnen lenken lasse. Entschieden muss aber darauf hingewiesen werden, dass das zum einen eine These war, also eine Diskussionsgrundlage, und zum anderen es sich darin nicht um Menschen handelte. Eine missbräuchliche Umdeutung und Übertragung ins Politische erfuhren Darwins Theorien in der Ideologie des Sozialdarwinismus. Diese unter anderem auf einem naturalistischen Fehlschluss beruhende Übertragung lässt sich weder zwangsläufig aus Darwins Werk ableiten, noch entspricht sie im Entferntesten Darwins Welt- und Menschenbild, wenn man sich mit seinem Werk, seinem Leben und seinen Äußerungen beschäftigt. Doch wie das so ist, jeder liest das heraus, was er herauslesen will, ob das früher war oder heute ist, da scheint sich in der Evolution nun wenig verändert zu haben. Ernst Haeckel (1834-1919) verbreitete die Lehren Darwins im deutschsprachigen Raum, doch er ging noch viel weiter; er baute diese Theorien Darwins zu einer Abstammungslehre aus. Er gilt als Wegbereiter der Eugenik und Rassenhygiene, weil er optimistischer Weise von der Evolution als einer Höherentwicklung und keiner ‚Degeneration’ ausging war sein Ansatz nur bedingt den späteren Nationalsozialisten genehm. So entwickelte er ein Gedankenkonstrukt über die ‚künstliche’ Züchtung auch von Menschen und trat in seinem Werk ‚Die Lebenswunder’ explizit für die Euthanasie behinderter Kleinkinder ein, wobei er sich auf Beispiele aus dem antiken Sparta oder den Indianern Nordamerikas stützte. Mit ganz anderer Schärfe ging Alexander Tille (1866-1912) an das Thema heran, er vertrat einen der radikalsten Sozialdarwinisten Formen seiner Zeit. Seiner Ansicht nach sollte eine Fortpflanzungsbegrenzung bei ‚Schwachen’ eingeführt werden und die natürliche Auslese wiederhergestellt werden. Zwar formulierte er nicht völlig aus, wer zu den ‚Schwachen’ einer Gesellschaft zählt, doch 1985 veröffentlicht er eine Studie zu ‚werthaftem’ beziehungsweise ‚wertlosem’ Leben, dass er zwar nicht der Euthanasie an Heim stellte, er aber forderte ein Absinken der Geburtenzahlen von vermeintlich Schwachen; der Gedanke der Sterilisation war geboren.

Alfred Ploetz (1860-1940) prägte den Ausdruck der ‚Rassenhygiene’. Der ‚nordischen Rasse’ räumte Ploetz einen besonderen Stellenwert ein. So Schreibt er noch am Ende des 19. Jahrhunderts:

„Die Erzeugung guter Kinder […] wird nicht irgendeinem Zufall einer angeheiterten Stunde überlassen, sondern geregelt nach Grundsätzen, die die Wissenschaft für Zeit und sonstige Bedingungen aufgestellt hat […]. Stellt es sich trotzdem heraus, dass das Neugeborene ein schwächliches oder missgestaltetes Kind ist, so wird ihm von dem Ärzte-Collegium, das über den Bürgerbrief der Gesellschaft entscheidet, ein sanfter Tod bereitet, sagen wir durch eine kleine Dose Morphium.“

Aber Ploetz geht noch weiter, denn er will eine gesamtgesellschaftliche Veränderung:

„Armen-Unterstützung darf nur minimal sein und nur an Leute verabfolgt werden, die keinen Einfluss mehr auf die Brutpflege haben. Solche und andere humane Gefühlsduseleien wie Pflege der Kranken, der Blinden, Taubstummen, überhaupt aller Schwachen, hindern oder verzögern nur die Wirksamkeit der natürlichen Zuchtwahl.“

Ploetz und auch Wilhelm Schallmayer waren prägend für die spätere nationalsozialistische Rassenlehre, auch der erste Einfluss des Kostenfaktors ‚Mensch’ war damit gedanklich geboren.

Unter dem Einfluss von Karl Binding und Alfred Hoche erreichte die Diskussion um die Euthanasie im 20. Jahrhundert ihren eigentlichen Höhepunkt. Ihre Schrift ‚Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens’ initiierte und bestimmte die Euthanasie-Debatte während der Weimarer Republik, die zu dieser Zeit sehr lebendig war und es gab auch konservative, entscheidende Kräfte die entsprechende Gesetze erlassen wollten. Dazu kam es aber nie, da sich die Politiker von SPD und KPD auf diese Thematik gar nicht einlassen wollten, doch beachtet werden muss, dass es entsprechende Gesetzesvorlagen in den Schubladen einzelner Fraktionen gab. Der Rechtsgelehrte Binding (1841-1920) propagierte den schmerzlosen Tod als ‚Heilbegriff’ zuzulassen, um Unheilbaren die Leidenszeit zu verkürzen. Meyers Konversations-Lexikon von 1926 definiert wie folgt:

„Euthanasie (griech., schöner Tod), gewöhnlich ein schönes, würdiges Sterben; in der Medizin Sterbehilfe, die vom Arzt durch geeignete Mittel herbeigeführte Erleichterung schweren Sterbens augenscheinlich zugrunde gehender Kranker. Die schon von K. Binding unterstützte Euthanasiebewegung fordert Straflosigkeit für Ausführung der Euthanasie.“

Alfred Erich Hoche (1865-1943) vertrat als Psychiater und Neurologe die Ansicht, das Menschenleben,

„die so stark die Eigenschaft des Rechtsgutes eingebüßt haben, dass ihre Fortdauer für die Lebensträger wie für die Gesellschaft dauernd allen Wert verloren hat“,

da sie somit Tieren gleichzusetzen sind, schmerzfrei zu töten sind. Doch nicht nur Politiker lehnten solche Überlegungen ab, auch die deutschen Ärzte wandten sich mehrheitlich gegen die Vernichtung ‚lebensunwerten Lebens’. Das sich diese Sichtweise durchsetzte zeigt der Eintrag im Großen Brockhaus von 1930:

„Euthanasie (grch.), Todesbehagen, das Gefühl des Wohlseins beim Sterbenden, das vom Arzt, wenn er den Tod als unvermeidlich erkannt hat, durch Schmerzbetäubung und Anwendung narkotischer Mittel gefördert werden darf. Eine absichtliche Tötung zur Erlösung eines Schwerkranken mit narkotischen Mitteln, auch bei unvermeidlichem Tode, wird bestraft.“

Doch die Zeiten änderten sich abrupt, nachdem die Nationalsozialisten an den Schalthebeln der Macht saßen. Bereits am 14. Juli 1933 wurde das Gesetz zur ‚Verhütung erbkranken Nachwuchses’, verabschiedet und dem pervertierten Gedankengut der Euthanasie durch die Nationalsozialisten war Tür und Tor geöffnet.

Wie sehr sich dieses Gedankengut in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens einschlich, zeigt der Eintrag des Großen Brockhaus von 1934 exemplarisch auf:

„Sterbehilfe, grch. Euthanasie, die Abkürzung lebensunwerten Lebens, entweder im Sinn der Abkürzung von Qualen bei einer unheilbaren langwierigen Krankheit, also zum Wohle des Kranken, oder im Sinn der Tötung z.B. idiotischer Kinder, also zugunsten der Allgemeinheit.“  

Eine gesellschaftliche Diskussion zur Tötung auf Verlangen, flammt auch heute in Deutschland immer wieder einmal auf, doch die Schatten der Grausamkeiten des NS-Regimes sind auch noch immer viel zu lang und düster. Somit kann es hierzulande eine möglichst wertfreie Auseinandersetzung über die Frage ‚Ab wann und wie lange ist jemand ein Mensch und was ist für diesen lebenswert?’ noch für lange Zeit nicht geben.

Dies ist als Einleitung zu einer Artikelserie zum Thema Euthanasie in der NS-Zeit zu betrachten, weitere Artikel zu diesem Thema werden folgen …

Bild 1: Platon – Quelle: station-lounge.de · Bild 2: Charles Darwin – Quelle: charles-darwin-jahr.at · Bild 3: Karl Binding – Quelle: wikimedia.org · Bild 4 Alfred Erich Hoche – Quelle: umn.eu · Bild 5: Buchtitel Paul Klee – Quelle: amazon.com

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