Meine Tante, die Schwester meiner Mutter, pflegte zu sagen: „Familienmitglieder sind auch Menschen.“ Wobei sie inhaltlich natürlich recht hatte, doch meinte sie dies eher zum Teil belustigend, zum Teil aber auch resignierend. Ein weiterer Spruch, der in unserer Familie immer wieder mal zur Geltung kam, war: „Freunde kann man sich aussuchen, Familie nicht.“ Nun wie auch immer diese Äußerungen einzuschätzen waren, sie zeigen ganz deutlich, spannungsfrei ging es in unserer Familie nicht unbedingt zu. Dabei sahen sich viele Familienmitglieder äußerst selten, eben nur zu bestimmten Anlässen, doch andere wiederum kamen äußerst regelmäßig. Na, alles in allem eine recht ‚normale’ Familie, wenn ich das heute so aus der Entfernung betrachte. Trotzdem bewegte mich der innerer Zustand unserer Familie von Kindheit an und so auf dem Weg zum Erwachsenwerden, beschloss ich so ganz für mich selbst, dass ich persönlich etwas anderes unter Familie verstehe und auch leben wollte. Doch wie funktioniert so eine ‚Traumfamilie’? Na, gar nicht erst einmal, jedenfalls hab ich das festgestellt, denn die Menschen, auch innerhalb einer Familie, sind unterschiedlich in ihrem Charakter, ihren Lebenseinstellungen und in ihren Phantasien. Die unter ein Dach von Familie zu bekommen ist per se nicht immer leicht, doch mit der Achtung vor dem Einzelnen und der Liebe innerhalb der Familie ist das durchaus lebbar und die so viel zitierte Harmonie darf nichts überdecken, sondern muss, oder besser sollte von jedem gewünscht und erarbeitet werden. Wer das Aufwachsen von Geschwisterkindern erlebt, nun, der weiß wovon ich rede, denn oftmals sind beide so verschieden, dass harmonische Augenblicke oftmals zur Seltenheit gehören. Aber schon hier, in den manchmal konfliktreichen Kindertagen, kann man den Respekt vor dem Anderssein des anderen lernen, aber auch die Gemeinsamkeiten herausarbeiten. Tja, und in diesen Lernprozessen innerhalb einer Familie können wir uns soweit sozialisieren, dass wir auch außerhalb des familiären Umfelds zu sozialverträglichen Mitgliedern der Gesellschaft werden. Wir werden in eine Familie hinein geboren, die wir uns zwar nicht aussuchen können, wobei in manchen Religionen das durchaus so gesehen wird, doch sind wir willkommen und werden meistens mit ganz viel Liebe erwartet. Solch bedingungslose Liebe lässt uns stark werden in uns selbst, so dass auch wir liebensfähige und natürlich liebenswerte Menschen werden.
All das Rüstzeug gibt uns unsere Familie mit auf den Weg und sollten wir das eine oder andere vermissen im eigenen Familiären Umfeld, so können wir das im Zusammensein mit anderen kompensieren. Aber natürlich lernen wir auch äußerst gegensätzliches in den menschlichen Verhaltensweisen innerhalb einer Familie kennen. Nun, und das ist oftmals, gelinde gesagt, noch sehr freundlich ausgedrückt. Es gibt Streit, manchmal unwiderrufliche Zerwürfnisse, und bedauerlicher Weise kann so etwas auch verheerend eskalieren. Doch gerade in der Auseinandersetzung, die unter dem geschützten Dach einer Familie stattfindet, könnten wir lernen, mit Konflikten umzugehen, wie in einen Schutzraum sozusagen. Wir könnten hier unsere Konfliktfähigkeit erlernen und erproben, was uns außerhalb der Familie nur zu Gute kommen kann. Doch meistens muss man einsehen, dass auch die einzelnen Teile einer Familie ganz normale Menschen sind, mit all ihren Eitelkeiten, Besserwissereien, Aggressionen und Verformungen. Dies zu erkennen kann zwar schmerzlich sein, doch wenn eine Familie eine gute Gesprächsebene hat, könnte auch das durchaus einen familiären Zusammenhalt ergeben, wenn auch die weniger guten Anteile des einen oder anderen liebevoll und ohne Vorwurf angesprochen werden. Denn eine Familie ist ja keine kurze Bekanntschaft und auch keine Freundschaft, sondern ein Projekt, das auf Lebenszeit angelegt ist. Hier darf man sich fallen lassen, muss keine gesellschaftsfähige Maske tragen und soll auch dann Rückhalt erhalten, wenn man selbst mal nicht so richtig auf seinem Weg des Lebens Fuß fassen kann. So können wir die Familie als Rückzugsort betrachten, als Tankstelle um wieder Kraft, Mut und Lebensfreude zu sammeln um dann gestärkt unseren eigenen Lebensweg weiter gehen zu können, mit erhobenem Haupt. Die Familie als Hort der körperlichen und auch psychischen Erholung und Erweiterung, eine wohlige Vorstellung. Tja, sind wir dann wieder voll erstarkt, so können wir diese Kräfte auch wieder der Familie zurückgeben, und zwar dann, wenn wir es leichten Herzens können und nicht dann, wenn wir es müssen. So ein Band innerhalb einer Familie ist manchmal dicker, manchmal dünner, doch meistens nicht zerreißbar.
Denn wenn wir es nicht innerhalb einer Familie schaffen in Frieden, Toleranz und Liebe zu leben, nun, wie wollen wir denn das sonst in andere Gemeinschaften hineintragen können, beziehungsweise dies erreichen? Die Familie als ‚Übungsfeld’ ist da durchaus geeignet, denn auch wenn man dort mal hinfällt, so gibt es vielleicht nur blaue Flecken, aber die Schürfwunden sind etwas seltener. Ich denke, dass die ‚ideale’ Familie, wobei natürlich zu diskutieren wäre, was ideal ist, keine dauerhafte Harmonieveranstaltung ist, in einer kuscheligen Phantasie vielleicht, doch in der Realität ist sie ein festes Band der Zusammengehörigkeit, ganz gleich was auch immer geschieht oder wie weit entfernt man voneinander ist. Das Wissen um einen solchen Rückzugsort, auf die offenen Arme anderer lieber Menschen, das macht dann uns selbst aus, wenn wir uns so den Wind des Lebens um die Nase wehen lassen.
Ach, wie auch immer es gerade so aussieht in der eigenen Familie, stimmen wir ein, auf ein Hoch auf die Familien-Bande… 🙂
Bild 1: Familie Kinderzeichnung- Quelle: huefingen.de · Bild 2: Familie von Lena 7 Jahre alt - Quelle: remscheid.de · Bild 3 Bunte Spirale - Quelle: heilpraxis-stieder.de
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