Häftlingsalltag im Konzentrationslager Dachau

Häftlingsalltag im Konzentrationslager Dachau

 

„Lass mein Leben nicht vergeblich gewesen sein.“ Tycho Brahe

Gemäß amtlicher Definition und Terminologie des NS-Regime galten als Konzentrationslager nur jene, die dem Befehl der SS unterstanden. Die SS regierte hier willkürlich und ohne rechtliche Einschränkung. Andere Haftstätten, die nicht im Zuständigkeitsbereich der SS lagen, trugen in der nationalsozialistischen Terminologie Bezeichnungen wie Arbeitserziehungslager, Zigeunerlager oder Frauenlager. Im internen Schriftverkehr war die Abkürzung KL für Konzentrationslager üblich; diese wurde auch in damaligen Zeitungsberichten verwendet. Doch verwendete die SS nach 1934 das härter und bedrohlicher klingende Kürzel „KZ“. Da sämtliche Konzentrationslager der SS unterstanden, prägte sich diese damals neue Abkürzung ein, wobei der Abkürzungswahn in der NS-Bürokratie seines gleichen sucht. Wie an dieser Stelle bereits berichtet wurde die erste Gruppe der etwa 150 so genannten Schutzhäftlinge, die am 22. März 1933 aus den Gefängnissen Landsberg am Lech und Stadelheim in München nach Dachau gebracht wurden noch von der Bayerischen Landespolizei, deren Polizeipräsident Heinrich Himmler war, bewacht. Mit der Übernahme des Lagers durch die SS am 11. April verloren die Gefangenen endgültig ihre bürgerlichen Rechte und waren der Willkür ihrer Bewacher schutzlos ausgeliefert. Im Juni 1933 wurde Theodor Eicke Kommandant des Lagers Dachau. Er erstellte ein Organisationsschema mit detaillierten Reglements, das mit örtlichen Abweichungen für alle Konzentrationslager verwendet wurde. Auch die Einteilung der Konzentrationslager in das von einem Hochspannungszaun und Wachtürmen umgebene Häftlingslager einerseits und den sogenannten Kommandanturbereich mit Verwaltungsgebäuden und Kasernen andererseits, stammte von Eicke.


Die ersten Häftlinge des Lagers Dachau waren ausschließlich politische Gegner der Nationalsozialisten: Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und vereinzelt auch konservative Politiker und Monarchisten, die sich vor 1933 auch gegenseitig heftig bekämpft hatten, fanden sich gemeinsam hinter Stacheldraht wieder. Nach dem Verbot politischer Organisationen, Parteien und Gewerkschaften wurde noch im Jahr 1933 auch die Organisation der Zeugen Jehovas, damals eher Bibelforscher genannt, verboten. Ihre Anhänger, die den Kriegsdienst verweigerten, wurden in den Konzentrationslagern verhöhnt und gequält. Etwa ab dem Jahr 1935 wurden in zunehmender Zahl von der Justiz verurteilte Personen nach Ablauf ihrer Haft in einem Gefängnis oder Zuchthaus in ein Konzentrationslager eingeliefert. So konnte damals ein Urteil zu einer langjährigen Gefängnis- oder Zuchthausstrafe paradoxerweise Rettung bedeuten, Rettung vor KZ-Haft- und das hieß oftmals Lebensrettung. Bis zum Jahre 1938 füllten allmählich alle dem nationalsozialistischen Regime nicht genehmen oder verhassten deutschen Bürger, derer man habhaft werden konnte, die ansteigende Zahl der Konzentrationslager: politische Gegner aller Richtungen, Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, einzelne Geistliche, die sich gegen die Gleichschaltung der Kirchen wehrten, und viele, die aufgrund kritischer Äußerungen verschiedenster Art denunziert worden waren. Nachdem Himmler anfangs erklärt hatte, dass die Konzentrationslager für alle, „die die Sicherheit des Staates gefährden“ geschaffen würden, hieß es kurze Zeit später, dass sie der politischen Umerziehung dienen sollten. Es wurden kriminelle Gefangene in die Lager gebracht, die der SS als Spitzel Handlangerdienste leisten sollten und derer man sich auch bediente, um die politischen Gefangenen in der Öffentlichkeit als Verbrecher zu diskreditieren. Die Kennzeichnung der Häftlinge wurde systematisiert: Roter Winkel = Sozialdemokraten + Kommunisten, Rosa Winkel = Homosexuelle, Lila Winkel = Bibelforscher, Schwarzer Winkel = Asoziale, Grüner Winkel = Kriminelle, Blauer Winkel = Emigranten und später kam der Braune Winkel für Zigeuner hinzu. Juden erhielten den gelben Davidsstern. Diese Einteilung fand sich in allen Konzentrations- und Vernichtungslagern wieder, ausgehend aus dem Organisationsprogramm der ‚Dachauer Schule’.


Am 1. April 1938, drei Wochen nach dem Anschluss Österreichs, kamen mit dem so genannten Prominententransport die ersten 151 Österreicher nach Dachau. Bei ihnen handelte es sich in erster Linie um medienwirksame Gegner verschiedener politischer Richtungen. Im selben Jahr entstand auch das Dachaulied. Im Juni erfolgte mit der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ eine weitere Verhaftungswelle, die Personen mit ‚asozialem’ Verhalten betraf. Ausländische Journalisten und Vertreter internationaler humanitärer Organisationen waren bereits 1933 eingeladen worden, das Lager zu besichtigen. Am 19. August schrieb Guillaume Favre, ein Mitglied des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, in einem Brief an Himmler:

„Deshalb möchte ich hier nur hervorheben, dass alles, was ich zu sehen und hören bekam, ebenso in Bezug auf die Wohnverhältnisse, die materiellen und hygienischen Einrichtungen des Lagers, wie auch in Bezug auf die Behandlung, die Ernährung und die Arbeit der Inhaftierten, mir einen sehr günstigen Eindruck hinterlassen hat.“

Im Oktober trafen erste sudetendeutsche Häftlinge ein. Das Lager Dachau war während der zwölf Jahre seines Bestehens immer ein politisches Lager, dass heißt, die politischen Gefangenen, die die ersten gewesen waren und deshalb die Bedingungen am besten kannten, konnten einen großen Teil der Schlüsselstellungen in der so genannten Häftlingsselbstverwaltung besetzt halten. Die hierarchisch aufgebaute Häftlingsselbstverwaltung war von der SS eingerichtet worden, damit die Organisation des Lagerlebens weitgehend von den Gefangenen selbst durchgeführt werden konnte. Im Lager Dachau konnte im Allgemeinen verhindert werden, dass kriminelle Häftlinge in Positionen gelangten, die ihnen Macht über ihre Mithäftlinge gaben, die sie in anderen Konzentrationslagern auf vielfältige Weise grausam missbrauchten. Doch dies änderte sich im Jahr 1938, nach der Reichspogromnacht.


Die ersten Juden, die ins Lager Dachau kamen, waren auf Grund ihrer politischen Gegnerschaft zum Nationalsozialismus verhaftet worden. Erst mit der Systematisierung der Verfolgung der Juden in Deutschland wurde ihre Zahl größer. Nach dem Pogrom vom 9. November 1938 wurden mehr als 10 000 Juden aus Deutschland und Österreich nach Dachau gebracht. Die meisten von ihnen wurden nach Konfiszierung ihres Eigentums und mit der Auflage, Deutschland zu verlassen, nach einiger Zeit wieder entlassen. Auch im Lager Dachau wurden die jüdischen Gefangenen am schlechtesten behandelt, sie befanden sich auf der untersten Stufe der Häftlingshierarchie, und nachdem die systematische Ermordung der europäischen Juden begonnen hatte, wurden sie aus den in Deutschland gelegenen Konzentrationslagern in die in Polen errichteten Vernichtungslager in den Tod geschickt.


Die Qualen der Häftlinge begannen mit der Einlieferung ins Lager. Die SS machte aus der ‚Begrüßung’ ein grausames Ritual, das die Gefangenen in Angst versetzen und ihnen ihre Recht- und Schutzlosigkeit drastisch vor Augen führen sollte. Es hagelte Schläge und Beschimpfungen auf die durch den Überfall verwirrten und überraschten Neuankömmlinge. Dann wurden ihnen alle persönlichen Gegenstände abgenommen, die Haare geschoren und sie erhielten die gestreifte Häftlingskleidung, oftmals in einer nicht passenden Größe. Jeder Gefangene erhielt eine Nummer sowie einen farbigen Winkel, beides musste gut sichtbar auf dem Anzug angebracht werden. So begann ihre namenlose Existenz als Ausgestoßene. Der Alltag des Häftlings war ausgefüllt mit Arbeit, Hunger, Müdigkeit und Angst vor Krankheit und der Brutalität sadistischer SS-Bewacher. Theodor Eicke hatte bereits im Jahr 1933 eine Disziplinar- und Strafordnung erstellt, die später auch für die anderen Konzentrationslager Gültigkeit erhielt und in der es hieß:

„Toleranz bedeutet Schwäche … hütet Euch, dass man Euch nicht erwische, man wird Euch sonst nach den Hälsen greifen und Euch nach eurem eigenen Rezept zum Schweigen bringen.“ 

Es lag im Ermessen eines jeden SS-Bewachers, angebliche Vergehen der Häftlinge festzustellen, und es war zumeist vollkommen unvorhersehbar, was den Zorn eines SS-Mannes erregen und damit eine so genannte Strafmeldung bewirken konnte. Ein abgerissener Knopf an der Jacke oder ein Fleck auf dem Fußboden der Baracke, eine kurze Verschnaufpause bei der Arbeit, oder eine falsche Antwort, jeden Häftling konnte zu jeder Zeit eine Strafmeldung treffen, was oftmals einem Todesurteil gleichkam. Zu den häufigsten Strafen gehörte die Prügelstrafe, bei der der Häftling über einen dafür angefertigten Holzbock geschnallt wurde und die Schläge des Ochsenziemers laut bis 25 mitzählen musste. Verlor er das Bewusstsein, so wurde die Strafe wiederholt; das so genannte Baum- oder Pfahlhängen, bei dem der Häftling stundenlang mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen über den Boden schwebend aufgehängt wurde; das Strafstehen, bei dem der Häftling tagelang bei jeder Witterung unbeweglich auf dem Appellplatz stehen mussten; individueller oder kollektiver Essensentzug;

 


die Arreststrafe im sogenannten Bunker, dem Lagergefängnis, in dem die Gefangenen oftmals im Dunkeln angekettet und ohne Nahrung gelassen wurden; auch die Todesstrafe war in der Disziplinar- und Strafordnung aufgeführt. Neben den ‚offiziellen’ Lagerstrafen verfügte die SS jedoch über eine Vielzahl von weiteren Strafmaßnahmen, mit denen die Häftlinge gequält und gefoltert wurden, die ihre Gesundheit und in vielen Fällen ihr Leben zerstörten. Neben Strafexerzieren und Freizeitarbeit waren die Zählappelle ganz besonders gefürchtet. Zweimal täglich mussten sich die Häftlinge auf dem Appellplatz aufstellen, um gezählt zu werden. Je mehr Gefangene im Lager waren, desto länger dauerte die Prozedur, und wenn eine Nummer fehlte, so mussten die Gefangenen so lange stehen bleiben, bis der betreffende Häftling gefunden worden war. In zahlreichen Erinnerungen von Überlebenden wird geschildert, dass am 23. Januar 1939, als ein Häftling aus dem Lager geflohen war, die Gefangenen die ganze kalte Winternacht auf dem Appellplatz stehen und die Zusammengebrochenen liegen bleiben mussten. Wurden Häftlinge nach ihrer Entlassung ein zweites Mal ins Lager Dachau eingeliefert, so kamen sie in die Strafkompanie. Dort waren ihre Lebensbedingungen noch härter als die der anderen Gefangenen, von denen sie durch eine Stacheldrahtabgrenzung isoliert wurden. Die SS lernte sehr schnell den Wert der billigen Arbeitskraft der Häftlinge zu schätzen und rücksichtslos auszubeuten. Zunächst wurden innerhalb des Lagerbereichs verschiedene Handwerksbetriebe, wie eine Korbflechterei, eine Schreinerei und eine Kunstschmiede eingerichtet, die direkt dem Lagerkommandanten unterstellt waren. Ein Teil der Gefangenen wurde für die Bewirtschaftung und den Unterhalt des Lagers benötigt, andere arbeiteten unter SS-Bewachung außerhalb des Lagers in sogenannten Außenkommandos im Straßenbau, in Kiesgruben oder bei der Kultivierung des Moores.


Als im Jahr 1937/38 das Lager erweitert und ausgebaut wurde, mussten die Gefangenen im Laufschritt und oft 7 Tage in der Woche arbeiten. Im Jahr 1938 wurden die „Wirtschaftlichen Unternehmungen der SS“ zentral dem SS-Verwaltungsamt in Berlin unterstellt. Es begann eine zielstrebige Expansion der SS-Wirtschaftsbetriebe auf wichtige Produktionsgebiete.

Die Zahl der Häftlinge im Konzentrationslager Dachau von seiner Errichtung bis zur Befreiung betrug über 200.000. Eine gänzlich exakte Angabe ist nicht möglich.

 

Bild 1: Konzentrationslager Dachau 1933 – Quelle: Bundesarchiv · Bild 2: Häftlingskennzeichnung – Quelle: Bundesarchiv · Bild 3: Häftlingsapell in Dachau – Quelle: Bundesarchiv · Bild 4: Zeichnung e. jüd. Häftlings – Quelle: yadvashem.org · Bild 5: Zwangsarbeit in Dachau – Quelle: Bundesarchiv · Bild 6: Zug von Häftlingen bei der Arbeit – Quelle: Bundesarchiv · Bild 7: Zeichnung eines ungarischen Häftlings – Quelle: welt.de

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