Helmut Gollwitzer • Ein Sozialist und Christ
Helmut Gollwitzer wurde am 29. Dezember 1908 in Pappenheim im Altmühltal/Bayern geboren und verstarb am 17. Oktober 1993 in Berlin. Er war evangelischer Theologe, Schriftsteller und Sozialist. Als prominenter Schüler Karl Barths engagierte er sich in der Bekennenden Kirche in der NS-Zeit. Von 1933 an war Gollwitzer scharfer Kritiker der „Deutschen Christen“ und seit 1934 Mitglied der „Bekennenden Kirche“. Er gehörte dort zum Flügel der so genannten „Dahlemiten“, die aufgrund der Barmer Theologischen Erklärung vom 31. Mai 1934 nicht nur die staatlichen Übergriffe auf die evangelische Kirche, sondern auch die Rassenpolitik des Nationalsozialismus als solche ablehnten. Er stand auch dem Antijudaismus innerhalb der Kirche zunehmend kritisch gegenüber.
Nachdem Karl Barth den Beamteneid auf Adolf Hitler verweigert hatte und Deutschland deshalb verlassen musste, folgte Gollwitzer ihm in die Schweiz und promovierte 1937 in Basel bei ihm. Nachdem Martin Niemöller, einer der Leiter der Bekennenden Kirche, im Juli 1937 inhaftiert worden war, übernahm Gollwitzer Prediger- und Pfarrdienste an dessen Pfarrstelle, der Sankt-Annen-Kirche in Berlin-Dahlem. Der Gemeinderat hielt Niemöllers Stelle jedoch frei, so dass Gollwitzer nicht dessen offizieller Nachfolger oder Vertreter wurde. Zudem half er bei der illegalen Ausbildung des theologischen Nachwuchses der. Seit der Reichspogromnacht 1938 verhalf er vom NS-Regime verfolgten Juden zur Flucht bzw. Ausreise. Seine Kontakte zu Widerständlern in der Wehrmacht brachten ihm 1940 mehrere Verhaftungen und Redeverbot ein. Seit diesem Jahr war er verlobt mit Eva Bildt, der Tochter des bekannten Schauspielers Paul Bildt. Wegen deren jüdischer Mutter erhielt er jedoch von den Nationalsozialisten ein Heiratsverbot.
Im Zweiten Weltkrieg war Gollwitzer als Sanitäter an der Ostfront eingesetzt. 1945 geriet er in vierjährige sowjetische Kriegsgefangenschaft und kam in ein Arbeits- und Umerziehungslager. Über seine Erlebnisse dort schrieb er ein Buch, in dem er sich intensiv mit dem Marxismus-Leninismus sowjetischer Prägung auseinandersetzte: „…und führen wohin Du nicht willst“. Dieser authentische Bericht erschien 1951, wurde rasch ein Bestseller und in mehrere Sprachen übersetzt. Der damalige Bundespräsident Theodor Heuss beschrieb es als „großes geschichtliches Dokument“.
Seit 1957 lehrte Gollwitzer an der Freien Universität Berlin im neu gegründeten Institut für Evangelische Theologie. 1961 sollte er Karl Barths Lehrstuhl an der Basler Universität übernehmen, doch die Basler Behörden legten dagegen wegen seiner „unklaren“ Einstellung zum Kommunismus ein Veto ein. So blieb Gollwitzer bis zu seiner Emeritierung 1975 in Berlin, wo er zeitweise auch an der Kirchlichen Hochschule lehrte. Er nahm von Anfang an regen Anteil an den Anliegen der kritischen Studenten, die er als einer von ganz wenigen Hochschullehrern aktiv unterstützte. Er engagierte sich für die 68er-Studentenbewegung, war befreundet mit Rudi Dutschke und Seelsorger von Ulrike Meinhof, setzte sich auch als Mitglied der Internationale der Kriegsdienstgegner/innen (IDK) gegen Vietnamkrieg und Wettrüsten ein. Während Gollwitzer diese Auffassung – der Christ beteiligt sich am Aufbau einer humanen Gesellschaft in Analogie zum Reich Gottes und im Konflikt mit inhumanen Systemen – schon früh vertrat, kam in den 1960er Jahren durch den intensiven Dialog mit der Studentenbewegung ein starker Antikapitalismus hinzu: Er gelangte nun zu einer radikalen Kritik am vermeintlich inhumanen kapitalistischen Gesellschaftssystem, bei der er unbefangen Elemente der marxistischen Kritik der politischen Ökonomie aufgriff. Seit etwa 1970 war Gollwitzer bekannt für die klare und in der deutschen evangelischen Theologie fast nur von ihm vertretenen These: „Sozialisten können Christen, Christen müssen Sozialisten sein“. Obwohl von studentischen Kreisen gern als Vertreter des Establishments apostrophiert, wurde er als engagierter Dialogpartner hoch geschätzt. Seine Vorlesungen waren oftmals eher ‚Massenveranstaltungen’ wie ich aus eigenem Erleben sagen kann. Sein politischer Zugang zum Christentum war für viele wegbereitend. Sein theologischer Ansatz im Zusammensein zwischen Juden und Christen half der jungen Bundesrepublik einen Gesprächsansatz nach Auschwitz zu finden. Als sein Professor an der Freien Universität Berlin war er ein enger Freund und Wegbegleiter von Rudi Dutschke.
Kritisch gesehen wurde, dass er die Grabreden von Gustav Heinemann und Ulrike Meinhof sowie die von Rudi Dutschke hielt. Darauf angesprochen entgegnete er seinen Kritikern: „Ein Tod verpflichtet zur Versöhnung.“
Helmut Gollwitzer prägte die evangelische Kirche stark in den 60er und 70er Jahren, da er sie ‚politisierte’. Darauf folgte eine große Austrittswelle, was auch sehr viele Kritiker auf den Plan rief.
Gollwitzer, der sich stets für einen Dialog zwischen Christen und Juden einsetzte, wurde 1989 mit der Ernst-Reuter-Plakette ausgezeichnet und erhielt mehrere Ehrendoktorwürden.
Nach einem Treppensturz verstarb Helmut Gollwitzer am 17.Oktober 1993.
Foto1: Helmut Gollwitzer – Quelle: die-pappenheimer.de · Foto2: Buchtitel – Quelle: enagain.ch · Foto3: Grab Gollwitzers in Berlin-Dahlem – Quelle: knerger.de
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