Hilde Lion

Hilde Lion

 

Hilde Lion • Ihr Ziel: Berufliche Ausbildung für Frauen

„Es gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter.“ A. Bebel

Hilde Gudilla Lion wurde am 14. Mai 1893 in Hamburg geboren und verstarb am 8. April 1970 in Hindhead/Surry, Großbritannien. Sie war eine deutsche Soziologin, die die qualifizierte Berufsausbildung für Frauen auf den Weg brachte und Gründerin einer Schule in England. Als drittes von vier Kindern, einer seit vielen Generationen in Hamburg ansässigen jüdischen Kaufmannsfamilie, erhielt Hilde Lion eine für Mädchen ihres Standes seinerzeit übliche Lyzeumsbildung, die sie auf eine Tätigkeit als Lehrerin vorbereitete. Zwar war das für sie nicht das Ziel, doch die Zeiten waren nicht so, dass sich eine junge Frau aussuchen konnte, wie sie ihren Lebensweg gestalten wollte. Hinzu kommt, dass sie, im Gegensatz zu Millionen anderer Frauen und Mädchen, eine qualifizierte Ausbildung bekam, da dies im jüdischen Umfeld weitaus etablierter war als in anderen Familien. Für kurze Zeit war Hilde Lion als Lehrerin tätig und erlebte so hautnah das Elend der Kinder, der so genannten Unterschicht. Angesichts der Missstände entschloss sie sich für das Studium zur Wohlfahrtspflegerin, das sie am neu gegründeten Sozialpädagogischen Seminar in Hamburg absolvierte. Diese Bildungsinstitution wurde von Gertrud Bäumer und Marie Baum in Personalunion geleitet.

Hilde Lion trat der Deutschen Demokratischen Partei, einer im Gründungsgedanken linksliberale Partei, bei. Als Parteisekretärin arbeitete sie vom Dezember 1918 bis April 1919 in Hamburg und vom November 1914 bis September in Frankfurt am Main an der Aufgabe, den großen Kreis der der Partei zuströmenden Frauen zu organisieren. Ihr frauenpolitischer Ansatz fand hier auf ein breites Echo, doch kann Hilde Lion nicht als offensive Frauenrechtlerin angesehen werden, da sie mit dem Thema der Frauenrechte äußerst pragmatisch und der Zeit entsprechend umging. In diese Zeit fällt auch, dass sie Ida Dehmel bei der Herausgabe der Briefe des Dichters Richard Dehmel unterstützte. In der Folgezeit  studierte sie Volkswirtschaft an den Universitäten in Freiburg, Berlin und Köln. In Köln wurde sie 1924 bei Leopold von Wiese zum Dr. rer. pol mit der Dissertation „Die klassenkämpferische und die katholisch-konfessionelle deutsche Frauenbewegung“ promoviert. Bedingt durch ihre wissenschaftliche Untersuchung kam sie mit Clara Zetkin, Hedwig Dransfeld und Bertha Pappenheim, neben anderen, in persönlichen Kontakt. Ab 1925 unterrichtete die junge promovierte Volkswirtin Pädagogik und Methodik an dem von Anna von Gierke gegründeten Sozialpädagogischen Seminar des Vereins Jugendheim in Berlin-Charlottenburg, das ein weit verzweigtes Netz von Betreuungseinrichtungen unterhielt.

1928 wurde sie Studienleiterin und 1929 die erste und einzige Direktorin der Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit, die von Alice Salomon ins Leben gerufen wurde. Im Vorstand der Weiterbildungs- und Forschungseinrichtung für typische Frauenberufe saßen neben der Vorsitzenden Alice Salomon, Charlotte Dietrich, Gertrud Bäumer, Marie Baum, Eduard Spranger, sowie vielen anderen, insgesamt 25 Personen und 28 Organisationen vom Deutschen Akademikerinnenbund über soziale Berufsvereinigungen bis zum Fröbel-Verband und zum Lette-Verein zusammen. Viele bedeutende Wissenschaftler der Zeit konnte die Studienleiterin für Vorträge gewinnen: Sowohl Gertrud Bäumer, Helene Weber, Marie Baum, Eduard Spranger, Romano Guardini, um nur einige zu nennen, sprachen über soziale, ethische, religiöse, philosophische und literaturwissenschaftliche Themen. So hielt beispielsweise letztgenannter Religionsphilosoph im Februar 1932 einen viel beachteten Vortragszyklus über den russischen Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski. Für Hilde Lion waren diese intellektuellen Bildungsinhalte genauso wichtig, wie der praktische Bildungsinhalt. Sie versuchte hier immer eine Balance herzustellen, um dem Beruf auch einen allgemein bildenden Resonanzboden zu geben. Diese Grundeinstellung von praktischer Berufsausbildung, deren Weiterbildung und einer sich aufbauenden kulturellen Ausbildung blieb sie ihr Leben lang treu. Neben ihrer Tätigkeit in der Aus- und Weiterbildung für typische Frauenberufe engagierte sich Lion noch in der deutschen Frauenbewegung, sie war unter anderem Vorsitzende der ‚Vereinigung der Dozentinnen an sozialpädagogischen Lehranstalten’ und legte zahlreiche Veröffentlichungen zur Frage der Ausbildung für die Soziale Arbeit, zur Frauenbewegung sowie zum freiwilligen Arbeitsdienst von Mädchen und Frauen vor.


Da Hilde Lion jüdischer Abstammung war, wurde bald nach der Regierungsübernahme der Nationalsozialisten ihre Entfernung aus der Akademie verlangt. Der Vorstand der Akademie, unter ihnen auch Gertrud Bäumer, beschloss daraufhin die Auflösung des Instituts. Lion musste 1933 die Frauenakademie verlassen und emigrierte mit ihrer damaligen Lebenspartnerin Emmy Wolff nach England. Dort gründete Hilde Lion mit Unterstützung der Quäker, die Stoatley Rough School, die sie bis zu deren Schließung (1960) leitete, bei ihrem Abschied wurde sie gewürdigt:

„Die von ihr gegründete Heimschule im Exil zeichnete sich unter den in Großbritannien relativ zahlreichen vergleichbaren Einrichtungen durch eine professionelle Betreuung auch kleinerer und schwieriger Kinder seitens sozialpädagogischer Fachkräfte sowie durch die reiche Organisation interkultureller Angebote (Theateraufführungen, Konzerte, Literaturkurse) für das einheimische Publikum aus.“

Nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Diktatur besuchte Hilde Lion Deutschland häufig, auch um sich mit den ehemaligen ‚Jugendheimern’ zu treffen. Eine endgültige Rückkehr in ihre angestammte Heimat zog sie nie in Erwägung.

Mehr als bedauerlich ist es, dass das Gedankengut der berufstätigen Frau in den Gründungsjahren der Bundesrepublik fast gänzlich in den Hintergrund trat. Die sich sorgende Hausfrau und Mutter wurde, fast wie in ‚kaiserlichen Zeiten’, zwar ‚modernisiert, aber doch weit verbreitet propagiert und auch von der aufkommenden Werbung unterstützt. Das emanzipatorische Denken der 20er Jahre war nach 12 Jahren Terrorherrschaft  wie ausradiert. So blieben Frauen wie auch Hilde Lion (leider) nicht im Gedächtnis der Geschichtsschreibung. Noch bis heute trägt die Gesellschaft schwer an diesem ‚Gedächtnisverlust’, ob es sich dabei um die gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit handelt oder ob Frauen, wegen der nicht vorhandenen Betreuungsplätze für Kinder, dem Arbeitprozess fernbleiben, so gibt es noch viele wunde Punkte in der heutigen Arbeitspolitik für Frauen und das fast 80 Jahre nach der Emigration einer Frau wie Hilde Lion.

Ein beachtlicher Teil ihres Nachlasses: Der Briefwechsel mit Gertrud Bäumer, Clara Zetkin, Hedwig Dransfeld, Bertha Pappenheim, Emmy Wolff, Alice Salomon, Marie Baum, Helene Weber, Hannah Karminski  und vielen anderen, befindet sich im Ida-Seele-Archiv in Dillingen an der Donau.

Bild 1: Hilde Lion – Quelle: brown.edu · Bild 2: Schule in England – Quelle: eyploringsurreyspast.org.uk

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