Hilde Meisel • Leben und Schreiben gegen Hitler
Hilde Meisel wurde am 31. Juli 1914 in Wien geboren und verstarb am 17. April 1945 in Tisis bei Feldkirch. Sie war eine Sozialistin und Publizistin, die vielleicht eher als Hilde beziehungsweise Hilda Monte bekannt wurde. Ihre Geburt stand unter keinem guten Stern, denn drei Tage zuvor hatte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg erklärt. An Hildes zweitem Lebenstag folgte die Kriegserklärung Deutschlands an Russland, der Beginn des Ersten Weltkriegs. Schon 1915 zog die Familie zurück nach Berlin, hier hatten Ernst und Rosa Meisel lange Jahre gelebt, und hier war 1912 bereits ihre erste Tochter Margot geboren worden. Die assimilierte bürgerlich-jüdische Familie wohnte im Berliner Westen, Ernst Meisel bestritt mit dem Import und Export von Haushaltsartikeln sein Auskommen. Bis zur Pubertät prägt eine Schilddrüsenkrankheit das Leben des Mädchens, oft muss es mit der Mutter in die Schweiz zur Kur. Auf diese Weise soll sie auch vor den Verführungen der Großstadt Berlin und insbesondere vor dem Einfluss der älteren Schwester Margot beschützt werden. Diese war, noch mit Billigung der Eltern, 1924 in den Deutsch-Jüdischen Wanderbund Kameraden eingetreten und hatte sich dort der linken-sozialistischen Richtung, dem Schwarzen Haufen, angeschlossen, einer geistigen Köpfe der Gruppe war Hans Litten, doch Max Fürst leitete die Gruppe. Die Auseinandersetzungen mit den Eltern sind programmiert, bis diese der 14-jährigen Margot erlauben, in ein möbliertes Zimmer zu ziehen. Da ist sie schon die Freundin des Führers der Schwarzen Haufen, Max Fürst, den sie wenige Jahre später geheiratet hat und mit diesem 1935 nach Palästina zog. Auch Hilde fühlt sich dem SH, einer geradezu legendären Gruppe der jüdischen Jugendbewegung, zugehörig. Ohne diese Erinnerungen an die Freunde und den Zusammenhalt an den Freundeskreis ist die Biografie Hilde Meisels schwer zu verstehen. Vor allem der Familie von Hannchen Gerbeit, der ‚Heimmutter’ des SH, hält sie die Treue. Die Familie wird später, in Hildes posthum veröffentlichter Novelle Where Freedom perished, zur Hoffnung und zum Prototyp des ‚anderen Deutschland‘. Noch im Juli 1944 schreibt Hilde an Margot nach Palästina:
„Ein Freund von mir, der in einem neutralen Land lebt und möglicherweise Dachau besucht, möchte, falls er nach Berlin kommt, Hannchen sehen (die er kennt)“. Hannchen Gerbeit und ihre Familie gehören zur kleinen Gruppe der „unbesungenen Helden“,
jener Minderheit nichtjüdischer Deutscher, die ihre jüdischen Freunde und Nachbarn in einer Zeit unterstützt haben, als dies nicht mehr selbstverständlich war.
Doch Berlin wird auch Hildes letzte Station in Deutschland sein. Nur wenige Tage vor Beginn des Zweiten Weltkrieges, im August 1939, gelang ihr die Flucht nach England, wo sie schon seit 1934 studierte. Hilde Meisel, nun immer bekannter als Hilda Monte, belegte Kurse in Nationalökonomie an der London School of Economics und veröffentlichte zahlreiche ökonomische Aufsätze. An der London School of Economics nahm sie ab 1933 auch ihren Widerstand gegen den Nationalsozialismus auf. Über den Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK) fand sie Kontakt zu politischen Freunden in verschiedenen Ländern. Als Hilda Monte brachte sie ihren Gesinnungsgenossen in Deutschland Literatur und Informationen und half auch so manchem bei der Flucht aus Deutschland. Die Beiträge, die sie für die Sozialistische Warte, die Exil-Publikation des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK), schrieb, befassten sich meist mit Problemen der Wirtschaft. Zwei ausgesprochen aktive, stark international ausgerichtete Kleingruppen trugen zu den Diskussionen und Entwürfen über ein Deutschland nach dem Krieg, beziehungsweise nach dem NS-Regime entscheidendes bei: der Internationale Sozialistische Kampf-Bund (ISK), dem Hilda Monte lange Zeit angehörte und dessen Vorsitzender Willi Eichler war, und seine britische Sektion, die Socialist Vanguard Group (SVG). Es handelt es sich beim ISK um eine der sogenannten ‚linken Splittergruppen‘ in der Weimarer Republik, die auf dem politischen Spektrum zwischen SPD und KPD anzusiedeln ist. Die Ursprünge der Organisation sind nicht im Sozialismus marxistischer Prägung zu suchen, von dem sich die Gruppe stark distanzierte, sondern in der Jugend- und Lebensreformbewegung der Jahrhundertwende zum einen und in der Rechtslehre des Göttinger Philosophieprofessors Leonard Nelson zum anderen. Dessen 1917 gegründeter Internationaler Jugend-Bund (IJB) war innerhalb der SPD angesiedelt, bis seine Mitglieder 1925 nach einem Unvereinbarkeitsbeschluss des Parteivorstandes aus der Partei ausgeschlossen wurden. Nelson gründete daraufhin den ISK als eigenständige Partei. Hildes gesamtes Sinnen und Trachten ihrer Studentenzeit galt der Vision von einem anderen Deutschland, für deren Wurzeln sie bereits kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs kämpfte, zu einer Zeit, als das deutsche Volk noch die ‚Blitzkriege’ und deren Erfolge bejubelte. In einem Artikel fragte Hilda 1940:
„What is in fact the job which is waiting to be done when this war is over?“
Trotz aller Warnungen versuchte Hilde Meisel, auch unter dem Namen Monte nach Deutschland zu reisen um Freunden und Bedrängten zu helfen. Der Nimbus des SH wird auch von der Person Hans Littens, dem ideologischen Kopf der Gruppe, getragen, zu dem nicht nur Hilde aufsah. Hans Litten hatte als Rechtsanwalt eine Reihe von wichtigen Prozessen gegen SA-Schläger geführt, aber auch angeklagte sozialistische Arbeiter verteidigt. Im ‚Edenpalast-Prozess‘ 1931 ließ er Hitler einen Meineid schwören. Seit Ende der zwanziger Jahre wohnte Litten mit Max und Margot Fürst in einer Wohngemeinschaft. Margot unterstützte ihn außerdem als Sekretärin bei seiner Anwaltsarbeit. Litten wurde in der Nacht des Reichstagsbrandes verhaftet, Ende 1933 misslang der Versuch von Max und Margot Fürst, den Freund aus dem Konzentrationslager Brandenburg zu befreien. Während Max im Frühjahr 1934 aus dem Konzentrationslager Oranienburg entlassen wurde, kam Margot erst im Herbst des Jahres, anlässlich der ‚Hindenburg-Amnestie’ frei. Da begegnen sich die Schwestern noch einmal kurz.
„Hilde hatte wohl damals – und sie war noch sehr jung – eine feste Vorstellung von einer Revolutionärin, die aus dem Gefängnis kommt. Für die Margots immer mögliche, harmlose Freude und Entspannung hatte sie kein Verständnis“,
erinnert sich Max Fürst später. Doch die Lage Hans Littens, der zu dieser Zeit im Konzentrationslager Dachau festgehalten wird, erneut verschlechtert, beteiligt sich Hilde intensiv an den Bemühungen um seine Freilassung. Sie korrespondiert darüber intensiv mit anderen Unterstützern und erreicht, dass am 26. Januar 1938 im Manchester Guardian ihr Aufruf „In Dachau Camp. The Tragic Case of Hans Litten“ veröffentlicht wird. Doch da ist es schon zu spät. Hans Litten entschließt sich nur wenige Tage später, in der Nacht vom 4. auf den 5. Februar, seinem verzweifelten Leben ein Ende zu machen.
Das publizistische Werk von Hilde Meisel ist beachtenswert und doch in Vergessenheit von Archiven geraten. Ein erhalten gebliebenes Rundfunk-Manuskript, das Hilde Mitte Dezember 1942 verfasst, beschäftigt sich mit der Ermordung der europäischen Juden:
„Was heute in Polen geschieht: die kaltblütige Ausrottung des jüdischen Volkes, das geschieht in Ihrem Namen, im Namen des deutschen Volkes.(…) Beweisen Sie diesen Menschen Ihre Solidarität, auch wenn es Mut kostet – gerade wenn es Mut kostet.“
Doch das Exil und ein Leben in Ungewissheit haben Spuren hinterlassen. Bis zur ihrer letzten Reise, 1944 in die Schweiz, arbeitet sie für die Fabian Society, hält Vorträge in Bildungseinrichtungen und vor Armeeangehörigen über die Situation in Deutschland, den Widerstand gegen Hitler und die Ziele des Nationalsozialismus. Um dessen Ende zu beschleunigen, werden Kontakte zu den Geheimdiensten der Alliierten und anderen Widerstandsgruppen hergestellt. Deswegen ist Hilde auch 1941 in Portugal. In Zusammenarbeit mit der syndikalistischen Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) versucht sie unter dem Namen Helen Harriman neue Kontakte zu knüpfen und zerrissene Fäden der Widerstandsbewegung gegen Hitler wieder zu aufzunehmen. Von den deutschen Emigranten erhält sie außerdem wichtige Informationen über die Stimmung in Deutschland. „Mir wurde gerade erzählt, dass ein Mann hier ist, der in Berlin die ersten großen Angriffe der Royal Air Force erlebt hat. Er bekräftigte, dass die Berliner Bevölkerung einen heftigen Schock erlitten und nervös reagiert habe“, schreibt sie nach England. Gisela Peiper-Konopka, die Hilde in Lissabon trifft, ist auf dem Weg in die amerikanische Emigration.
„Sie sagte mir, sie habe den Auftrag, zurück in Länder unter Naziherrschaft zu gehen, um Untergrundarbeitern zu helfen“,
erinnert sich Gisa in ihrer Autobiografie. Im September 1944 werden Hilde und ihre Freundin Anna Beyer von einem Flugzeug in der Nähe des Genfer Sees in Frankreich abgesetzt. Nach vier Wochen kommen sie in die Schweiz und finden bei ISK-Genossen in Zürich, wenig später im Tessin, Unterkunft. Doch angesichts des nahen Endes des Nazi-Regimes hält Hilde es hier nicht. Sie hat Kontakte zu österreichischen Genossen aufgenommen und geht illegal über die Grenze. Auf dem Rückweg in die Schweiz läuft sie einem Grenzpolizisten in die Hände, der nach einem Fluchtversuch auf sie schießt. An den Folgen des Schusses in den Oberschenkel verblutet sie noch am Ort, in der Nähe von Feldkirch. Es ist der 17. April 1945.
Nora Platiel schrieb aus dem Schweizer Exil an die Eltern und Freunde von Hilde Meisel/Monte.
„Sie erscheinen mir armselig, wenn ich an das heitere, sprühende Wesen Hildes denke. Aber es kommt ja nicht auf Worte an. Ich möchte Ihnen nur sagen, dass nicht Sie allein Hilde verloren haben. Wir alle haben sie verloren, und sie wird uns sehr fehlen.“
Max Fürst, Schwager von Hilde Meisel und Autor von „Gefilte Fisch“ setzte Hilda Monte in seinem zweiten Buch „Talismann Scheherezade“ ein literarisches Denkmal.
Bild 1: Hilde Meisel Passbild · Bild 2: Hilda Monte in England · Bild 3: Buchtitel v. H. Monte · Bild 4: Zeichnung v. 1940 · Bild 5: Stolperstein Hilda Monte – alle Bilder Quelle: wikimedia.org
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