Lou Andreas-Salomé

Lou Andreas-Salomé

 

Lou Andreas-Salomé • Feministische Antifeministin

Lou Salomé, Taufname Louise, kam am 12.2.1861 als Tochter des 57-jährigen Generals Gustav von Salomé und seiner 38-jährigen Ehefrau Louise, in St. Petersburg zur Welt, sie verstarb am 5. Februar 1937 in Göttingen.  war eine weit gereiste Schriftstellerin, Erzählerin, Essayistin und Psychoanalytikerin aus russisch-deutscher Familie. Lou hatte drei Brüder Alexandre (12), Robert (9) und Eugene (3), denen sie sich ein Leben lang verbunden fühlte. In der Obhut einer Amme, gibt ihr, im Gegensatz zur Mutter, Wärme und Geborgenheit, gedeiht sie prächtig. Auch der Vater hatte eine liebevolle, herzliche und zärtliche Beziehung zu ihr. Mit ihren Brüdern verstand sie sich ebenfalls gut. Wohl dieser positiven Erfahrung hatte sie ihre Grundeinstellung zu verdanken, dass in jedem Mann ein Bruder stecke. Seltsamerweise aber zeichnete sie trotz ihrer relativen Geborgenheit im familiären Milieu später stets ein negatives Bild ihrer Kindheit. Sie sprach immer wieder von ihrer großen Einsamkeit in dieser Zeit, die sie in ihre Phantasiewelt trieb. Die Salomés gehörten zu den aristokratischen Familien und wohnten im vornehmen Viertel der damaligen russischen Hauptstadt St. Petersburg. Deutsch war ihre Hauptsprache. Ihr Haus war eine hervorragende Stätte hochkultivierter intellektueller Bewegtheit. Dieses geistige Klima prägte Lous Persönlichkeit entscheidend. Aber zu dem russischen Volk und zu der russischen Sprache hatte sie kaum Kontakt.

Lou studierte der Universität Zürich, da zu ihrer Zeit Frauen andere Universitäten nicht offen standen. Im September 1880 verließ sie gemeinsam mit ihrer Mutter St. Petersburg. Sie studierte mit Eifer Theologie, Religionsgeschichte und Philosophie. Der Dogmatik der protestantischen Kirche stand sie kritisch gegenüber, bereits als 16jährige trat sie aus der Kirche aus, was sowohl familiär wie gesellschaftlich ein Eklat war. Angetan hatte es ihr auch das französische Theater von Corneille, die klassische französische Literatur, Descartes und Pascals; sowie Schiller, Kant und Kierkegaard, Rousseau, Voltaire, Leibniz, Fichte und Schopenhauer. Hier werden die Grundzüge jener umfassenden Bildung sichtbar, die, ebenso wie ihre rasche Auffassungsgabe, spätere Gesprächspartner immer wieder beeindruckte. Ihr Studium musste sie jedoch abbrechen, denn sie erkrankte schwer, so reiste sie mit ihrer Mutter zur Erholung nach Rom. Dort traf Lou auf die Schriftstellerin, Pazifistin und Frauenrechtlerin Malwida von Meysenbug, in deren Salon nicht nur literarische und philosophische Themen diskutiert wurden, sondern auch die Emanzipation der Frau. Dieses Thema war für Lou sehr anziehend, denn ihr selbst schwebte ein Leben jenseits der Konvention in Freiheit und Selbstbestimmung vor. In Rom lernte Lou den Philosophen und späteren Arzt Paul Rée und Friedrich Nietzsche kennen. Beide Männer verliebten sich in die hochgebildete, interessante, schöne und junge Frau. Ihre Heiratsanträge lehnte Lou ab, doch Ende 1882 ging Lou mit Paul Rée nach Berlin, wo sie gemeinsam in einer Wohnung lebten, allerdings unter der von Lou gestellten Bedingung, dass ihre Beziehung rein geistiger Natur sein würde. In einem Briefentwurf vom Dezember 1882 äußerte Nietzsche seine  Verzweiflung und sein Selbstmitleid über den Verlust und wie er dachte den Verrat der beiden an ihm:

„An jedem Morgen verzweifle ich, wie ich den Tag überdaure … Heute Abend werde ich so viel Opium nehmen, dass ich die Vernunft verliere: Wo ist noch ein Mensch den man verehren könnte! Aber ich kenne Euch alle durch und durch“  

In Berlin verkehrte sie in einem Kreis von anregenden Gelehrten und Künstlern. Sie selbst verfasste ein Buch über Nietzsche: „Nietzsche in seinen Werken“ von 1894 versuchte Lou Salomé, auf der Grundlage ihrer genauen Textkenntnis und ihrer persönlichen Erfahrungen mit dem schwierigen Freund, den „Denker durch den Menschen zu erläutern“. Anna Freud sprach später davon, Lou Andreas-Salomé habe mit diesem Buch über Nietzsche die Psychoanalyse vorweggenommen. Des weiteren hielt sich mit schriftstellerischer Arbeit, sie schrieb Romane, Rezensionen und Kritiken, religiöse und philosophische Artikel, über Wasser. So hielt sie es ihr ganzes Leben. Finanzielle Unabhängigkeit war ihr wichtig, auch wenn sie sich manchmal sehr einschränken musste.

Im August 1886 lernte Lou von Salomé in Berlin den Orientalisten Friedrich Carl Andreas kennen. Er war fünfzehn Jahre älter als sie, dunkelhaarig, temperamentvoll und bald fest entschlossen, sie zu heiraten. Seine entschiedene Absicht unterstrich er durch einen Selbstmordversuch vor ihren Augen. Nach längeren inneren Kämpfen willigte sie 1887 in die Eheschließung ein, stellte aber Bedingungen. Die Hauptsache: sie werde sich niemals bereit finden, die Ehe sexuell zu vollziehen. Aus welchen Gründen Andreas dies akzeptierte, ist nicht bekannt. Falls er hoffte, wie meist vermutet wird, dass sie es damit nicht dauerhaft ernst meinen werde, sah er sich enttäuscht. In den ersten Ehejahren gab es immer wieder Eifersuchtsszenen wegen ihrer Beziehungen zu anderen Männern. Dennoch lehnte Andreas es mehrmals ab, sich scheiden zu lassen. Die bekannteste leidenschaftliche Liebesbeziehung Lous ist die der 35jährigen zu dem 21jährigen Rilke. Sie lernte Rilke 1896 in München kennen, reiste mit ihm zweimal nach Russland, um Leo Tolstoi zu besuchen, was aber nicht gelang. Die Liebesbeziehung währte bis 1900, alle Liebesgedichte Rilkes bis 1900 sind Ausdruck seiner Liebe zu Lou. Der freundschaftliche Kontakt blieb bis zu seinem frühen Lebensende bestehen:

„Rainer, dies war unser Pfingsten von 1905. Es wurde es in einem andern Sinn, als Du es in Deiner ungestümen Ergriffenheit ahntest. Denn mir war es zugleich wie eine Himmelfahrt des Dichterwerkes über dem Dichtermenschen…Von unserm Pfingsten an las ich alles, was Du schufst, nicht nur mit Dir, ich empfing es und bejahte es wie eine Aussage über Deine Zukunft… Und hieran wurde ich noch einmal Dein, auf eine zweite Weise …“

Lou war mit fast allen bedeutenden Frauenrechtlerinnen ihrer Zeit persönlich bekannt: mit Ellen Key, Helene Lange, Helene Stöcker, Rosa Mayreder, Hedwig Dohm, Marie Lang und Anita Augspurg. Den Feministinnen war Lou Andreas-Salomé mit ihrer selbstbestimmten Lebensführung, ihrer Unabhängigkeit und Missachtung von Konventionen als Person sehr willkommen. In ihrem literarischen Werk jedoch tritt Lou keineswegs für die Frauenemanzipation ein. Von ihrer großbürgerlichen Herkunft und ihrer damit verbundenen ‚weiblichen’ Erziehung, konnte sie sich allem Anschein nach nie ganz lösen. Die Frauengestalten, die im Beruf ‚ihren Mann’ stehen, erfolgreich und unabhängig sind, leiden meist an einer unerfüllten Liebe zu einem Mann. Das Engagement im Beruf ist also die Kompensation unerfüllter Liebe. Die von Lou als emanzipiert dargestellten Frauen sind meist unglücklich oder negativ überzeichnet. Die wichtigste Tugend der Frau ist laut Lou Demut dem Manne gegenüber, dem sie sich freiwillig und bereitwillig unterordnet. Das Pendant zur devoten Frau ist der patriarchalische Mann, der die Frau formt, leitet und bildet. Lou Andreas-Salomés Leben bestand aus einer konventionellen, bürgerlichen Hälfte mit Ehemann, hausfraulicher Pflichterfüllung und geistiger Arbeit und einem anderen Bereich, in dem sie weder Pflichten noch engere Bindungen akzeptierte und mit gelegentlichen, inoffiziellen Liebhabern unterwegs war. Gleichzeitig warf sie ihrem Mann anfangs dessen Beziehung zu ihrer Haushälterin Marie vor. Doch kümmerte auch sie sich um das Kind aus dieser Verbindung, nachdem die Mutter früh gestorben war, und  adoptierte Maria Apel später sogar, diese wurde auch ihre Haupterbin.

Bei einem Aufenthalt in Schweden begann Lou Andreas-Salomé ein intensives Verhältnis mit einem 15 Jahre jüngeren Mann, dem Nervenarzt und Freudianer Poul Bjerre. Als er 1911 zum Kongress der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung nach Weimar fuhr, begleitete sie ihn und traf dort erstmals mit Sigmund Freud zusammen. Er wurde zur entscheidenden Bezugsperson ihrer letzten 25 Lebensjahre. Sie ahnte und hoffte, dass die neue Denkschule der Psychoanalyse, mit Freud als Vaterfigur, ihr Zugang verschaffen könnte zum Verständnis der eigenen seelischen Verfassung. Von Oktober 1912 bis April 1913 hielt sie sich in Wien auf, später folgten viele weitere Besuche. Sie hörte im Wintersemester 1912/1913 Freuds Vorlesung in der Psychiatrischen Klinik über „Einzelne Kapitel aus der Lehre von der Psychoanalyse“ und nahm an seinen „Mittwochssitzungen“ und „Samstags-Kollegs“ teil. Mit ausdrücklicher Zustimmung Freuds beteiligte sie sich aber auch an den Diskussionsabenden Alfred Adlers, der sich 1911 von der orthodoxen psychoanalytischen Schule Freuds distanziert und mit seinem Verein für Individualpsychologie eine eigene tiefenpsychologische Schule begründet hatte. Freud riet ihr zum Beruf der Psychoanalytikerin. Sie schrieb Aufsätze für die psychoanalytische Zeitschrift „Imago“ und war schon 1913 Gastrednerin beim Psychoanalytischen Kongress in Berlin. 1915 eröffnete sie in ihrem Göttinger Wohnhaus die erste psychoanalytische Praxis der Stadt. 1921 wurde sie Mitglied der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung. Im selben Jahr begann ihre Freundschaft mit Anna, einer der drei Töchter Freuds. 1923 ging sie auf Bitten Sigmund Freuds für ein halbes Jahr als Lehranalytikerin nach Königsberg, fünf Ärzte absolvierten bei ihr eine Lehranalyse (die sie selbst nie durchlaufen hatte). Zum 75. Geburtstag ihres Freundes und Lehrers am 6. Mai 1931 schrieb sie den offenen Brief „Mein Dank an Freud“. Der Adressat antwortete ihr: „Es ist gewiss nicht oft vorgekommen, dass ich eine psa. [psychoanalytische] Arbeit bewundert habe, anstatt sie zu kritisieren. Das muss ich diesmal tun. Es ist das Schönste, was ich von Ihnen gelesen habe, ein unfreiwilliger Beweis Ihrer Überlegenheit über uns alle.“ Erst im Alter von 74 Jahren beendete Lou Andreas-Salomé ihre Arbeit als Psychoanalytikerin. Sie war schon zuvor schwächlich und herzkrank, musste deswegen mehrmals im Krankenhaus behandelt werden. Ihr Ehemann besuchte sie täglich, eine beschwerliche Situation für den alten, ebenfalls kranken Mann. Nach einer vierzigjährigen Ehe mit gegenseitigen Kränkungen und lang andauernder Sprachlosigkeit waren die beiden sich näher gekommen. Sigmund Freud begrüßte das aus der Ferne: „So dauerhaft beweist sich doch nur das Echte“. Friedrich Carl Andreas starb 1930 an einem Krebsleiden.

 

Lou Andreas-Salomé musste sich 1935 einer schweren Krebsoperation unterziehen. Am Abend des 5. Februar 1937 starb sie im Schlaf. Ihre Urne wurde im Grab ihres Mannes auf dem Stadtfriedhof in Göttingen beigesetzt.

Ihre Bibliothek und einige ihrer Briefe wurden von Nationalsozialisten Banden zerstört, weil sie als Freundin des Juden Freud galt.

Das Lou Andreas-Salomé Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie existiert seit 1954 und gehört zu den größten der insgesamt 53 psychoanalytischen Institute der Bundesrepublik Deutschland. Gegründet wurde das Institut 1954 von Gottfried Kühnel, damals Leiter des Krankenhauses Tiefenbrunn, seinem Oberarzt Werner Schwidder und von Franz Heigl, der damals als Psychoanalytiker in freier Praxis in Göttingen arbeitete und nach Schwidder die Leitung der Tiefenbrunner Klinik übernahm. Außerdem von Elli Achelis, niedergelassen in Göttingen. Margarete Seiff aus Berlin, später Bonn, gehörte ebenfalls zu den Gründungsmitgliedern und reiste in den Pionierjahren einmal monatlich zu ihrer Lehr- und Kontrollanalytikertätigkeit an. Zu den ersten Examenskandidaten gehörte die prominente Psychoanalytikerin Melitta Mitscherlich.

Foto 1: Lou Salomé 1977 – Quelle: wikipedia.org · Foto 2: Lou mit Ree + Nietzsche – Quelle: wordpress.com · Foto 3: Ehepaar Andreas-Salome – Quelle: wikimedia.org · Foto 4: Lou um 1900 – Quelle: postkarten-welsch.de · Foto 5: Psychoanalytiker Kongress in Weimar 1911 – Quelle: campodecriptane.de

Hinterlasse einen Kommentar

Your email address will not be published.