Im November 1941 ließ die Sicherheitspolizei Minsk und der SD („Sicherheitsdienst“) ein Lager errichten auf dem Gelände der ehemaligen Kolchose „Karl Marx“ (200 ha) in der Nähe des Dorfes Maly Trostinec, 12 km südöstlich von Minsk und 1 km südlich des Dorfes Bolshoi Trostinec. Das Lager hatte eine Größe von 4 ha (200×200 m) und sollte der Lebensmittelversorgung deutscher Einheiten im Gebiet Minsk dienen. Zusätzlich errichtete man eine Mühle, ein Sägewerk, eine Schlosserei, Tischlerei, Schneiderei, Schusterei sowie ein Asphaltwerk und andere Betriebe. Juden und sowjetische Kriegsgefangene bauten Baracken für etwa 600 hauptsächlich jüdische Zwangsarbeiter und deren Bewacher. Die hier tätigen Zwangsarbeiter hausten zuerst in einer großen Scheune und in 20 ehemaligen Erdkellern örtlicher Bauern, die dort Kartoffeln, Gemüse und Fleisch eingelagert hatten. Später übernachteten die Gefangenen in feuchten Baracken mit dreistöckigen Schlafkojen aus dicken, rohen Holzbalken. Man schlief auf Stroh, es gab weder Bettzeug noch Matratzen. Ab März 1942 wurde das Lager mit einem dreifachen Stacheldrahtzaun umgeben. Der mittlere Zaun war elektrisch geladen, Am Tor gab es ein Wachlokal. Die hölzernen Wachttürme an allen Ecken waren rund um die Uhr besetzt. Der Anblick eines Galgens schüchterte die Gefangenen ein. Mitte März 1942 griffen Partisanen das Lager an und töteten einige Wachen. Danach erhöhten die Deutschen die Anzahl der Wachtposten auf 250, zäunten jede Baracke mit Stacheldraht ein, stellten vor jede Baracke einen Wachtposten, bauten Laufwege für Wachhunde und MG-Posten um das ganze Lager. Ein unterirdischer Bunker wurde gebaut, in dem diejenigen eingesperrt waren, die am nächsten Tag erschossen werden sollten. Ein Panzer stand auf dem Bunker. Die 150 Männer der Lagermannschaft hatten jegliche Freiheit, die Gefangenen zu schlagen, zu quälen, zu hängen oder zu erschießen.
Die Planungen für ein großes Vernichtungslager in Mahiljou (Mogiljow), für das bereits im November 1941 mehrere Verbrennungsöfen bestellt worden waren, wurden aus verkehrstechnischen Gründen aufgegeben. Dafür wurden in Maly Trostinec ab Mai 1942 nach Minsk deportierte Juden aus Deutschland, Österreich, dem Protektorat Böhmen und Mähren und aus Polen teils, ab Juni 1942, durch Gaswagen, größtenteils aber durch Erschießungen ermordet. Im Laufe des Sommers wurden weißrussische Juden vor allem aus dem Ghetto von Minsk in die Vernichtungsaktionen einbezogen. Wie auch in den Lagern der Aktion Reinhard wurden die Gebäude nur für den vorübergehenden Gebrauch gebaut. Maly Trostinec hatte neben der landwirtschaftlichen Produktion letztlich nur einen Zweck: Die Tötung von Menschen und den Raub ihrer Habseligkeiten. Anders als in den Lagern der Aktion Reinhard oder Auschwitz gab es hier keine fest installierten Gaskammern zur Ermordung von Menschen. In dieser Hinsicht kann Maly Trostinec nur mit dem Vernichtungslager Chelmno verglichen werden, obwohl in Maly Trostinec hauptsächlich Erschießungen stattfanden. Gaswagen spielten hier nur eine untergeordnete aber wichtige Rolle. Anfänglich brachte man die Opfer nach Minsk, das gemäß Reinhardt Heydrich* eine wichtigere Rolle spielen sollte im Rahmen der „Endlösung der Judenfrage“. Rückschläge an der Ostfront verhinderten dies, und viele für 1942 angekündigte Deportationen aus dem „Reich“ und dem „Protektorat Böhmen und Mähren“ nach Osten wurden nicht mehr durchgeführt. Ähnlich der Verfahrensweise in den Lagern der Aktion Reinhard empfingen SS-Männer die Deportierten auf dem Güterbahnhof Minsk. Man sagte den Juden, dass sie auf Wohnungen in und um Minsk verteilt würden. Allerdings müssten sie ihre Koffer zurück lassen, die mit Lastwagen transportiert würden. Die Juden mussten auch ihre Ausweise, ihr Geld und andere Wertsachen abgeben, für die sie Quittungen erhielten. Die Opfer waren sich in keiner Weise bewusst über ihr wahres Schicksal. 20-80 Spezialisten wurden jeweils selektiert und nach dem Ghetto Minsk oder Maly Trostinec geschickt. Zwischen 1942 und 1943 brachte man alle anderen auf Lastwagen direkt nach der Tötungsstätte im Wald von Blagowshtchina. Bevor die SS die Menschen hier tötete, mussten sie sich entkleiden und ihre letzten Wertgegenstände aushändigen. Danach mussten sie in Unterwäsche nach den 60 m langen und 3 m tiefen Gruben gehen. Bis zu 100 Sipo- und SD-Männer warteten hier und erschossen die Menschen mit Genickschüssen. Eine besondere Gruppe von russischen Zwangsarbeitern hatte vorher die Gruben ausgehoben. Im Winter wurden die Gruben mit Dynamit aus der gefrorenen Erde heraus gesprengt. Nachdem die Gruben mit Leichen gefüllt waren, musste dieses Sonderkommando die Leichen mit Erde abdecken. Planierraupen oder Traktoren ebneten die Gräber ein. Beim Entladen der Opfer von den Lastwagen waren die SS-Männer sehr brutal. Die Todesschüsse und Schreie wurden von Lautsprechermusik überlagert, so dass die Bevölkerung umliegender Dörfer die Exekutionen nicht bemerkte. Die SS hatte alles so gut organisiert, dass die Opfer keine Möglichkeit zum Widerstand hatten. Jeder SS-Mann kannte seinen Aufgabenbereich im Rahmen der Massenmorde. Dies wurde in Nachkriegsprozessen deutlich.
Seit August 1941 gab es Massenmorde an Juden in Minsk. Dies setzte sich fort bis zur Liquidierung des Ghettos am 21. Oktober 1943. Am 10. November 1941 traf der erste Transport mit Juden aus dem „Reich“ in Minsk ein. Es waren 990 Juden aus Hamburg. Das Ghetto Minsk wurde ein Durchgangslager für die zum Tode bestimmten Juden. Die meisten Hamburger Juden wurden nach ihrer Ankunft direkt nach Maly Trostinec weitertransportiert, um in Blagowschtschina erschossen zu werden. Im April 1942 befahl Heydrich dem Kommandeur der Sipo und des SD in Weissruthenien, Eduard Strauch*, alle Deportierten gleich nach ihrer Ankunft umzubringen. Nach Ende der ersten Deportationen nach Minsk im November 1941 trafen zwischen Mai und Oktober 1942 16 Züge mit mehr als 15.000 Juden aus Deutschland, dem „Protektorat“, Polen, Österreich und Frankreich auf dem Güterbahnhof von Minsk ein. Ab 10. Mai 1942 wurden die Opfer frühmorgens zwischen 4 und 5 Uhr dienstags und freitags auf dem provisorisch eingerichteten „Bahnhof“ im Lager Maly Trostinec eingeliefert. Ab August 1942 fanden hier auch Selektionen statt. Einige wenige Juden, die nicht zum Tod selektiert wurden, bildeten ein Sonderkommando. Sie wurden unter strengster Bewachung gehalten und mussten die Leichen zu den Massengräbern bringen, nachdem sie sie nach Wertsachen untersucht hatten. Von Zeit zu Zeit wurden diese Männer selbst erschossen. Zusätzlich zu den Erschießungskommandos setzte die SS vier Gaswagen im Gebiet Minsk ein. In Maly Trostinec tötete man in diesen Wagen ab Juni 1942. Die einheimische Bevölkerung bezeichnete diese Wagen als „Dushegubki“, „Seelentöter“.
Zehntausende Juden aus Weißrussland und anderen europäischen Ländern wurden in Maly Trostinec umgebracht. Transporte hierher wurden zusammengestellt in Berlin, Hannover, Dortmund, Münster, Düsseldorf, Köln, Frankfurt am Main, Kassel, Stuttgart, Nürnberg, München, Breslau, Königsberg, Wien, Prag, Brünn und Terezin (Theresienstadt). Nachdem ein erster Transport Wien am 6. Mai 1942 verließ, folgten noch 8 weitere mit 7.500 Wiener Juden, zusammen mit hunderten österreichischer Juden aus Terezin. Von ca. 9.000 österreichischen Juden haben nur 17 Menschen überlebt. Zwischen 14. Juli und 22. September 1942 kamen fünf Transporte in Maly Trostinec an, jeder mit etwa 1.000 Juden aus Terezin. Einer dieser Transporte verließ Terezin am 4. August 1942. 40 Juden wurden in Minsk selektiert, die verbliebenen 960 Juden wurden in Gaswagen ermordet. Von einem Transport, der Terezin am 25. August verließ, wurden 22 junge Männer selektiert zur Arbeit auf einem Bauernhof. Zwei von ihnen konnten flüchten und schlossen sich den Partisanen an. Einer starb in einem Gefecht, der andere überlebte den Krieg. In seinem Bericht an Himmler (vom 23. März 1943) summiert das Mitglied der statistischen Abteilung der SS, Richard Korherr*, die Deportationen bis einschließlich 31. Dezember 1942: Deutschland 100.516, Österreich 47.555, „Protektorat“ 69.677; zusammen 217.748. Einschließlich der 1943 durchgeführten Deportationen kann man von zehntausenden von Toten in Maly Trostinec ausgehen. Maly Trostinec war auch Tötungsort für Juden aus dem Ghetto Minsk und Umgebung. Weil Maly Trostinec zwar der größte, aber nur einer von vielen Tötungsorten im Bereich Minsk war, kann man nicht mit Sicherheit sagen, wie viele Menschen hier ermordet worden sind. Mitte 1941 lebten 400.000 Juden im östlichen Weißrussland. Etwa 80% (320.000) der weißrussischen Juden wurden während der deutschen Besatzung ermordet. Relativ wenige wurden nach den in Polen liegenden Vernichtungslagern deportiert. Die meisten wurden an Ort und Stelle ermordet.
Juden waren nicht die einzigen Opfer der Nazis. Viele tausend weißrussischer Zivilisten, Partisanen und vor allem Kriegsgefangene wurden in Maly Trostinec ermordet. Im Gegensatz zu den Transporten aus dem Westen gibt es keine Aufzeichnungen über die Deportierten aus Weißrussland. Aus diesem Grund, und weil die Deutschen sämtliche Unterlagen offensichtlich vernichtet haben, variiert die geschätzte Zahl der Opfer enorm. Schätzungen nennen 206.000 Opfer (W. Benz: „Dimension des Völkermords“, „Mordfelder“). 1995 gemachte Untersuchungen von Archivmaterial nennen eine Todesziffer von 546.000, allerdings bezogen auf den ganzen Raum Minsk. Im Blagowshtchina Wald, 5 km von Maly Trostinec entfernt, fanden zwischen September 1941 und Oktober 1943 Massenerschießungen statt. Man schätzt die Zahl der Getöteten auf 150.000. Im Oktober 1943 wurden die Morde in den Wald von Shashkowa verlegt, wo man mehr als 50.000 Juden ermordete. Sowjetischen Untersuchungen, die in Minsk in den Jahren 1944-45 stattfanden, kamen zu dem Ergebnis, dass ca. 65.000 Menschen in Maly Trostinec ermordet wurden. Der deutsche Historiker Christian Gerlach schätzt die Zahl der Opfer auf 60.000. Da allein im Wald von Blagowshtchina ca. 100.000 Leichen vergraben waren, dürfte die Zahl also zwischen 100.000 und evtl. über 206.000 liegen.
In Maly Trostinec begannen die Verbrennungen am 27. Oktober 1943. Der Lagerkommandant erhielt Verstärkung von Polizei-Einheiten, sowie 100 Juden für die Exhumierungen und Verbrennungen. Die Juden weigerten sich, diese grauenvolle Tätigkeit auszuüben und wurden in Gaswagen umgebracht. An ihrer Stelle sollte nun eine Gruppe von Insassen des Gefängnisses in Minsk die Verbrennungen durchführen. Man versprach ihnen die Freiheit für den Fall, dass sie ihre grauenvolle Tätigkeit vollenden würden. Natürlich wurden sie nach getaner Arbeit vergast. Während der Arbeit und bei Nacht im Bunker wurden sie mit Ketten aneinander gebunden. Dies war üblich bei den Sonderkommandos 1005. 34 Massengräber im Wald von Blagowshtchina wurden geöffnet, manche enthielten bis zu 5.000 Leichen. Nachdem ca. 100.000 Leichen exhumiert und verbrannt worden waren, mussten sowjetische Kriegsgefangene die Asche nach Gold durchsuchen. Die Asche wurde anschließend als Dünger auf den Feldern des Lagers verwendet.
Am 30. Juni 1944 verbrannten die Deutschen alle noch vorhandenen Einrichtungen des Lagers. Am 4. Juli 1944 erreichten sowjetische Truppen Maly Trostinec. Die brennenden Scheiterhaufen waren noch sichtbar.
In Anbetracht der jahrzehntelangen Vernachlässigung der Bemühungen um die Schaffung einer würdigen und dem Ausmaß der an diesem Orte begangenen Verbrechen angemessenen Gedenkstätte ist es zu wünschen, dass die geäußerte Hoffnung bald in Erfüllung geht. Vielleicht wäre es möglich, die bislang in der Bundesrepublik nicht selten anzutreffende Ignoranz in Bezug auf die östlich des Bug gelegenen Gedenkstätten abzubauen, auch diejenige Orte, die bislang zu den Vergessenen gezählt haben, in verstärktem Maße ins Blickfeld zu rücken und sie mit einem Besuch zu ehren. Der Verein IM-MER beschäftigt sich mit den Opfern von Maly Trotinec, aber ’nur‘ in Hinsicht auf die Österreichischen Juden.
Foto 1: ‚Warnschild‘ in Maly Trostinec – Quelle: deathcamp.org · Foto 2: Gaswagen – Quelle: deathcamp.org · Foto 3: Koffer eines Opfers – Quelle: dumjahn.de · Foto 4: Massenerschießungen – Quelle: welt.de · Foto 5: Massengrab – Quelle: Gelsenzentrum.de · Foto 6: Maly Trostinec Memorial – Quelle: wikipedia.org
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