Camilla Jellinek

Camilla Jellinek

Camilla Jellinek • Abschaffung von § 218

„Wenn Männer schwanger werden könnten, wäre die Abtreibung längst ein Sakrament.“ Florynce Kennedy

Camilla Jellinek, geborene Wertheim wurde am 24. September 1860 in Wien geboren und verstarb am 5. Oktober 1940 in Heidelberg. Bekannt wurde sie als Schriftstellerin und Frauenrechtlerin. Als Tochter des Dermatologen Professor G. Wertheim besuchte sie 1875-77 die beiden obersten Klassen der vierjährigen höheren Bildungsschule des Wiener Frauen-Erwerb-Vereins, der ersten anerkannten Mädchenmittelschule Wiens mit ausgezeichnetem Erfolg und hörte nach ihrer Heirat mit dem hoch angesehenden Juristen Georg Jellinek, Sohn des jüdischen Gelehrten Adolf Jellinek, an der Universität Heidelberg philosophische, und juristische Vorlesungen. Unter dem Einfluss von Marianne Weber, einer der führenden Frauenrechtlerinnen ihrer Zeit, schloss sich Camilla Jellinek dem Bund Deutscher Frauenvereine an. Zwischen 1900 und 1933 arbeitete sie als Leiterin der Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine in Heidelberg und wurde 1907 zu dessen Vorsitzender gewählt. Ihr Interesse und ihr Einsatz galten dabei vor allen Dingen den juristischen Fragen, der Abschaffung des § 218, den Rechten unehelich geborener Kinder und der Staatsbürgerschaft sowie dem Wahlrecht für Frauen. Mit ihren Scharfsinn und ihre beharrliche Arbeit der Frauenfrage, stand ungezählten rat- und hilflosen Frauen klug und gewissenhaft zur Seite und leitete auch andere zu gleicher sozialer Arbeit an. Eine große Anzahl der Rat suchenden Frauen jener Tage arbeitete als Kellnerinnen, was damals als anrüchig galt, und häufig im ‚Zwielicht’ der Prostitution gesehen wurde. Dies wurde zum Anlass für Camilla Jellinek, sich intensiv mit der Problematik jener Frauen zu befassen. In ihren Artikeln versuchte sie die Öffentlichkeit auf die schlechten Arbeitsbedingungen und die Ausbeutung der als Kellnerinnen arbeitenden Frauen aufmerksam zu machen. Mit Hilfe einer Spendensammlung und eines städtischen Zuschusses, gründete sie schließlich im Jahre 1907 ein Frauenheim für Kellnerinnen. 1915 wurde Camilla Jellinek Mitglied des Vorstandes des Bundes Deutscher Frauenvereine. 1930 wurde Camilla Jellinek die Ehrendoktorwürde der juristischen Fakultät der Universität Heidelberg, der Doctor iuris utriusque, für ihr Engagement und ihren unermüdlichen Einsatz für die Rechte der Frau verliehen. Ihre Streitschriften zur Abschaffung des Paragraphen 218, Verbot der Abtreibung, wurden über die Grenzen Deutschlands bekannt, dazu wollte sie eine Gleichstellung nichtehelicher Kinder mit ehelichen erreichen. Skandalöse Forderungen in der damaligen Zeit. Denn in ihren Gedanken, Forderungen uns Ausführungen war sie 50 Jahre ihrer Zeit voraus.


Privat musste sie mit vielen Schicksalsschlägen fertig werden, als Mutter von sechs Kindern, wobei nur vier das Kindesalter erreichten, musste sie erfahren, dass ihr jüngster Sohn Otto nach Gestapo-Haft verstarb und ihre anderen Kinder nach Theresienstadt deportiert wurden, ihren Mann hatte sie bereits 1911 verloren. Nur ihr Sohn Walter Jellinek überlebte die Zeit des Holocaust, doch dieses Wissen erreichte sie nicht mehr, denn sie verstarb 1940 und wurde neben ihrem Mann auf dem Bergfriedhof  in Heidelberg, in der so genannten ‚Professoren-Reihe’ zur letzten Ruhe gebettet.

Eine Rede von Marianne Weber zu ihrem 70. Geburtstag macht die Person der Camilla Jellinek deutlich:

„Als ich die Jubilarin, die wir feiern, kennen lernte, stand sie in sommerlicher Reife auf der Höhe ihres Frauenglücks, ihrer Frauenbestimmung. Sie war damals die stolze Gattin ei­nes weltberühmten Gelehrten, dessen geistiger Umfang weit über sein Fachwissen hin­ausreichte, und der ein großes, gütiges, anschlußbereites Herz besaß. Die Gattin nahm vollen Anteil an seiner Geistigkeit, denn sie selbst hatte aus ihrem Elternhaus in Wien ho­he Kultur und geistige Regsamkeit mitgebracht. Ihre ästhetisch-literarische Bildung war früh im Burgtheater geschult, und das Theater bedeutet ihr bis heute eine Quelle tugendfrischer Ergriffenheit. Die junge angeregte Frau war von ganzem Herzen Gattin, Mut­ter und Hausfrau, u.a. auch Meisterin der Wiener Kochkunst. Das Schicksal schenkte ihr eine Reihe Kinder, zwei davon musste sie hergeben, vier durfte sie zur Reife geleiten. So­lange die Kinder klein waren, widmete sich die Mutter ihnen mit dem ihr bei allem Tun ei­genen Eifer und vollem Einsatz, und sie betonte später, in Rückschau auf diese Zeit, welch‘ unvergleichliches Glück die gefüllte Kinderstube gewesen sei. Auch mit ihren er­wachsenen Kindern und Enkeln, die sie als ‚Matriarchin’ verehren und lieben, verbindet sie innige Gemeinschaft. Drei davon leben hier am Ort und mit Stolz durfte sie ihren älte­sten Sohn auf dem Lehrstuhl seines Vaters begrüßen. Zur Zeit unserer Bekanntschaft begann gerade ein Teil ihrer Energien durch Heran­wachsen der Kinder frei zu werden. Frau Jellinek war für neue Aufgaben bereit, die sich denn auch alsbald herzudrängten. Damals begann hier die junge Frauenbewegung ihre Flügel zu regen, der erste Verein war gegründet, die Leitung entfaltete den gebühren­den Eifer, um dem neuen Frauenstreben und einem neuen Frauentypus Raum und Aner­kennung zu erringen. Vorurteile mussten besiegt, Schranken durchbrochen, Gefolgschaft geworben werden. Die Eroberung der ‚akademischen Gesellschaft’, der älteren Ge­heimräte und Rätinnen, die sich in einer anderen Zeit erfüllt hatten, war schwierig, aber gerade deshalb begeisternd und natürlich kolossal wichtig. Schon im ersten Ver­einswinter ließ sich der berühmte Gelehrte Georg Jellinek zu einem Vortrag über ‚die öf­fentlich rechtliche Stellung der Frau’ herbei, und als die Veranstalterinnen von seiner Stellungnahme nicht befriedigt waren, sogar zu einer öffentlichen Disputation. Er war zwar zu unseren Bildungsbestrebungen, aber noch nicht zu den rechtlichen Forderungen bekehrt. Jedoch hatte er nun mehr als den kleinen Finger gereicht, und es war hoch her­gegangen im Verein. Wir konnten uns nicht damit begnügen, etwa nur die Ideen der Frauenbewegung zu propagieren, wir mussten vor allem auch in ihrem Geist sozial ar­beiten. Die erste soziale Neuschöpfung sollte eine unentgeltliche Rechtsschutzstelle für Frauen und Mädchen sein, zu der wir die Anregung von unseren damaligen älteren Füh­rerinnen empfingen. Das war ein schwieriges Unternehmen! Rechtskenntnisse fehlten uns vorerst, dafür besaßen wir den naiven Wagemut der Jugend. Frau Jellinek musste durchaus zur Mitarbeit gewonnen werden, aber der Weg zu ihr ging über ihren Gemahl, und der war ein berühmter Rechtsgelehrter! Frauen ohne jede juristische Schulung wollten Rechtsrat erteilen? Und zu solch dilettantischem Beginnen sollte seine Frau ver­führt werden?! Die Bedenken waren berechtigt. Wir erschienen mit Hilfstruppen aus Mannheim, wo die Rechtsschutzstelle schon bestand und noch kein Unheil angerichtet hatte. Aber als Professor Jellinek mir die Frage stellte, ob wir ‚friedensrichterliche’ oder ‚schiedsrichterliche’ Tätigkeit auszuüben gedächten, geriet ich einen Augenblick in gro­ße Verlegenheit. Diese Begriffe waren mir durchaus nicht geläufig, aber ein guter Geist gab mir ein, auf die richtige Karte zu setzen: „Friedensrichterliche“. Damit war das Exa­men bestanden. Der Gelehrte lächelte gütig, und wir verließen das Ehepaar mit Gefühlen des Triumphs und der Dankbarkeit, denn der Gewinn war ein doppelter: die Frau mit ei­nem Juristen an ihrer Seite als begeisterte Mitarbeiterin, den Gatten selbst bald als treuen Freund unserer Bewegung. Was wir und abstrakte Ideale allein nicht vermochten, gelang natürlich alsbald seiner Frau. Er bekannte sich dazu, auf der ganzen Linie aus „einem Saulus ein Paulus“ geworden zu sein. Die neue Mitarbeiterin erfüllte alle unsere Hoffnungen und mehr. Sie entfaltete den für alles Neue und Gewagte so notwendigen „heiligen Eifer“ und Mut. Wir konnten nichts Besseres tun, als das neue Unternehmen bald ihrer Leitung zu unterstellen, wodurch sie dann ganz mit ihm verwuchs. Und wie das stets zu gehen pflegt: Es wuchs durch sie, sie wuchs an ihm. Während der Epoche von dreißig Jahren, die sie nunmehr die Rechts­schutzstelle betreut, erschloss sich ihr ein ganz neuer, außerfamiliärer Wirkungskreis, der ihr reiches persönliches Dasein aufs schönste ergänzte. Denn die lokale Arbeit wurde der Ansatzpunkt zu Frau Jellineks Eingliederung in überlokale Interessenkreise, in eine gro­ße geistige und soziale Bewegung, die jeder regsamen und selbständigen Frau Wirkensmöglichkeiten mannigfacher Art bot und noch bietet. Der Umkreis ihres Wollens und Könnens erweiterte sich in organischem Wachstum. Ring schloss sich um Ring, derart, dass die umfassenderen stets den Kern mit umfingen. So wurde Frau Jellinek in die Vor­stände und Kommissionen überlokaler Organisationen eingereiht, wurde Mitglied des Gesamtvorstandes des Bundes deutscher Frauenvereine und dadurch auch mit der inter­nationalen Frauenarbeit verbunden. Schließlich übernahm sie die Führung des badischen Verbandes für Frauenbestrebungen und verhalf ihm zu neuer Lebendigkeit. Die Rechtsschutzarbeit stellte sie aber nicht nur in die Organisationen ein, sondern wies ihre Begabung noch in andere Richtung. Die in der Praxis gewonnenen Eindrücke in die Wir­kungen der gesetzlichen Benachteiligungen unseres Geschlechts gaben ihr Antrieb zu eingehender denkender Vertiefung in die Frauenrechtsfragen, deren Früchte sie dann in literarischer Betätigung: in einer Fülle von Aufsätzen für die Tagespresse und für Frau­enzeitschriften darbot und bietet. Darüber hinaus veröffentlichte sie in wissenschaftli­chen Zeitschriften wertvolle Beiträge über die verschiedenen, uns Frauen seit Jahrzehn­ten bewegenden Rechtsfragen, vor allem über das Familienrecht, stets mit dem Ziel einer gerechteren und sachgemäßeren Gesetzgebung den Boden zu bereiten. Diese Beiträge sind ausgezeichnet durch die Vereinigung juristischer Sachkunde mit der Frische des am Leben orientierten „Laien“. Der erste Vorstoß zur Umgestaltung unserer unwürdigen Stellung im Rechts- und Staatsangehörigkeitsgesetz, deren traurige Folgen der Krieg an den Tag brachte, ging bei uns von Frau Jellinek aus. Es wäre noch mancherlei hinzuzufü­gen, aber ich verzichte auf Vollständigkeit. Dafür möchte ich noch einmal zum Anfang zurückkehren: die gewissenhafte, unscheinbare lokale Arbeit war der Ausgang von Frau Jellineks sachlichem Tun und mir scheint, in gewisser Weise blieb sie stets dessen inner­ster Kern. Denn in ihr wirkt sich ihr starkes Frauentum am unmittelbarsten aus. Einst, in der Blütezeit, entfaltete es sich in der Hingabe an ihren Gatten, ihre Kinder – als diese beglückendsten Aufgaben sie freigaben, fand sie neue Erfüllung durch sachliche Leistung, die zugleich neuer Dienst am Lebendigen bedeutete. Denn Frauen-Rechts­schutz ist mehr, als dieses Wort ausdrückt, er ist soziale Fürsorge, geduldige, gütige, mütterliche Anteilnahme an den Sorgen und Wirrnissen derjenigen Frauenschichten, die in Rechtshändeln und Benachteiligungen am hilflosesten sind. Gelegenheit zu unbe­schränkter Aussprache, wohlmeinender Zuspruch, kluger Rat hilft ihnen dort ebenso zu­recht wie die energische Vertretung ihrer Interessen. Da ist keine Mühe zu groß – sie ge­schieht. Die Wohltat solcher weisen und verstehenden mütterlichen Dienstbereitschaft haben zahllose Heidelberger Frauen aus den kleinen Gassen gespürt und viele werden sich dessen an Frau Jellineks Ehrentag dankbar erinnern. Die Jubilarin kann an ihrem 70. Geburtstag auf ein in jeder Altersphase reich erfülltes und bewährtes Leben zurück­schauen. Es war ihr vergönnt, sich im Bereich des persönlichen Wirkens wie im Bereich der Sachlichkeiten voll zu entfalten. Der Segen solchen sinnerfüllten Daseins ruht auf ihr, strömt von ihr aus und wird ihr die Freudigkeit zu weiterem Wirken verleihen.“

Bild 1: Camilla Jellinek – Quelle: heidelberg.de · Bild 2: Jellinek-Grab in Heidelberg – Quelle: wikipedia.org

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