Mathilde Jacob • Mit stillem Kampfgeist für andere …
„Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der Gerechtigkeit, sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die Freiheit zum Privilegium wird.“ Rosa Luxemburg
Bezeichnender Weise wurde Mathilde Jacob am Internationalen Frauentag, also am 8. März im Jahre 1873 in Berlin geboren, denn sie lebte ein für sich emanzipatorisches Frauenleben, auf ganz eigene kämpferische Weise, ohne dabei die Öffentlichkeit zu suchen. Als Tochter des jüdischen Schlachtermeisters Julius Jacob und seiner Frau Emilie wuchs sie in gesicherten, kleinbürgerlichen Verhältnissen auf. Nach dem Schulbesuch und einer Ausbildung als Übersetzerin und Stenotypistin machte sie sich zum Erstaunen aller sofort selbständig, in dem sie ein kleines Schreibbüro eröffnete. Weder ihre Eltern, noch Freunde oder Verwandte verstanden diesen Schritt, denn sie war nach außen hin die ideale Angestellte, ruhig, besonnen und anpassungsfähig. Aber wie gesagt nach außen hin, denn die junge Dame setzte sich durch, und ihr kleines Büro sicherte immer ihre Existenz, wobei sie zu manchen Zeiten bis zu vier Mitarbeiter hatte, meistens waren es aber nur zwei. Ende 1913 lernte sie über Schreibaufträge für ‚Die sozialdemokratische Korrespondenz’ deren Herausgeber Julian Balthasar Marchlewski, Franz Mehring und Rosa Luxemburg kennen. Mit diesen und vielen anderen verband sie nicht nur ein Arbeitsverhältnis, es entstanden Freundschaften, besonders zu Rosa Luxemburg. Tief beeindruckt von der Persönlichkeit Rosa Luxemburgs half Mathilde Jacob der Antimilitaristin insbesondere während der mehrmaligen Inhaftierung. Das ging von der Versorgung der Wohnung, inklusive der Katze Mimi bis hin zum Schmuggeln von Briefen und hochpolitischen Manuskripten aus dem Gefängnis. So schmuggelte sie sowohl Rosa Luxemburgs ‚Spartakusbriefe’ als auch die berühmte ‚Junius-Broschüre’ aus dem Gefängnis. Viel Briefe schrieb Rosa Luxemburg an ihre Freundin Mathilde, über sie schrieb sie:
„Aber sie war noch viel mehr als das: treue, verlässliche, immer hilfsbereite Freundin, zuverlässige und tapfere Widerstandskämpferin und Genossin.“
Die intensive Zusammenarbeit Mathilde Jacobs auch mit Leo Jogiches seit 1917 dauerte in der Revolution weiter an. Mathilde Jacob war auf dem Gründungsparteitag der KPD zumindest anwesend, vermutlich dort sogar aktiv beteiligt. Nach der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts sowie Jogiches im Januar bzw. März 1919 war Mathilde Jacob, die zunächst weniger gefährdet schien, einige Zeit für die Finanzen der jungen Partei zuständig, von Juni bis September 1919 aber selbst inhaftiert. Nach ihrer Entlassung reiste sie nach Stuttgart zu Clara Zetkin und arbeitete in der Redaktion der Zeitschrift ‚Kommunistin’. Aber die sehr enge Freundschaft zu Paul Levis, dessen Sekretärin sie auch war, ließ sie zurück nach Berlin gehen. Paul Levi, ein Weggefährten von Rosa Luxemburg blieb ihren Gedanken treu, was dem leninistischen Flügel der KPD ein Dorn im Auge war. Mathilde Jacob war dann auch verantwortliche Redakteurin der Zeitschriften Paul Levis ‚Unser Weg’ und ‚Sozialistische Politik und Wirtschaft’. Der innerparteiliche Streit ging so weit, dass beide, Paul Levi und auch Mathilde Jacob 1921 aus der KPD ausgeschlossen wurden. In diesem Zusammenhang veröffentlichte Levi auch die bislang unbekannte Schrift Rosa Luxemburgs Die Revolution in Russland, die sie im September und Oktober 1918 im Gefängnis verfasst hatte. Darin stand ihre scharfe Kritik an den Bolschewiki: „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden.“ In Reaktion auf diese Kritik am Kaderkonzept Lenins wurde Rosa Luxemburg von Stalin später des „Spontaneismus“ bezichtigt. Mathilde Jacob wurde vor ihrem Parteiausschluss nicht nur inhaltlich, sondern auch persönlich verletzt, so verlautete die Zentrale der KPD:
„… die praktische Ausführung wird wahrscheinlich daran scheitern, daß der Nachlaß Rosa Luxemburgs sich in den Händen eines Fräuleins befindet, die durch den Bruch der Parteidisziplin nicht mehr zur Partei gehört. Es ist fraglich, ob sie das Material an uns herausgibt.“
Seltenst trat Mathilde in die Öffentlichkeit, doch darauf antwortete sie in einem Leserbrief:
„Viele Proletarier werden wohl verwundert gefragt haben, wer wohl das ‚Fräulein’ sein mag, die Rosa Luxemburgs Vertrauen in so hohem Maße besaß, daß sie sogar zur Hüterin ihrer politischen Hinterlassenschaft bestellt wurde. Es widerstrebt mir, von mir selbst zu sprechen. Ist es doch so selbstverständlich, dass man seine Schuldigkeit tat und sie weiter tut. Ich marschierte als einfacher Soldat im Spartakusbund, aber ich habe nie den Kampfesmut verloren, ich habe nie die Arbeit im Stich gelassen, wie so manche der Offensivhelden, die heute in der Zentrale der V. K. P. D. sitzen. Ich arbeitete vor dem Kriege lange Jahre hindurch mit Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Franz Mehring und vielen anderen. Ich leistete in der schwierigsten Zeit während des Krieges Leo Jogiches freiwillige Sekretärdienste. Denn der Spartakusbund hatte keine Mittel, und wir alle, die wir in ihm kämpften und arbeiteten, opferten unseren letzten Pfennig und unsere äußerste Kraft. Es war eine erheblich aufreibendere Arbeit als heute. Wir kamen nicht auf Festung! Wir wanderten in die Gefängnisse, in die Zuchthäuser. Wie schwierig war es, die Beiträge für die Spartakusbriefe zu bekommen! Wer schrieb außer Rosa Luxemburg für die Spartakusbriefe? Alle Mitteilungen hierfür gingen durch meine Hände, und neben ganz winzigen Beiträgen von anderer Seite schrieb außer Rosa Luxemburg nur – der ‚Opportunist’ Paul Levi … Heute haben ungeheuer viele ihr revolutionäres Herz entdeckt und sprechen von mir als ‚Fräulein’. Aber weshalb ist sie für diese Fräulein und nicht mehr Genossin? Wahrscheinlich, weil ich [für] die Zeitschrift Paul Levis ‚Unser Weg’ verantwortlich zeichne. Ja, ich bekenne mich ganz offen zur Richtung Levi …“
Nach diesem Parteiausschluss ging Paul Levi zurück in die SPD, Mathilde Jacob trat 1921 der SPD bei. Weiter arbeitete sie mit und für Paul Levi, bis dieser 1930 verstarb, doch behielt sie immer ihr kleines Schreibbüro. Nachdem 1933 die Nationalsozialisten an die Regierung kamen, versuchte sie ein möglichst unauffälliges Leben zu führen. Sie wurde auch nicht als Sozialistin verhaftet, so blieb sie weiter in ihrer Wohnung in der Altonaer Straße 11 im Hansaviertel.
Sie versuchte nach 1936 vergebens, das nationalsozialistische Deutschland zu verlassen. Sie wandte sich an die in den Vereinigten Staaten lebende Schwester Paul Levis und andere Menschen dort, die sich bemühten, aber denen die Dringlichkeit nicht bewusst schien, erst im Mai 1943 war alles bereit für ihre Ausreise. Es gelang Mathilde Jacob noch 1939, einige von und an Rosa Luxemburg gerichtete Briefe und Dokumente in die USA bringen zu lassen, Unterlagen, die heute von unschätzbarem Wert sind. Am 28. Juli 1942 wurde Mathilde Jacob, nun bereit 69jährig, in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, mit dem sogenannten „30. Altertransport“ wurde sie mit 102 anderen Frauen und Männern vom Jüdischen Altersheim in der Großen Hamburger Straße zum Anhalter Bahnhof verschleppt. Dort kam sie am 14.April 1943 ums Leben kam.
1995 wurde der Rathausvorplatz des damaligen Berliner Bezirks Tiergarten nach ihr benannt, 1997 eine dazugehörige Gedenktafel am Rathaus eingeweiht. Seit der Berliner Bezirksfusion 2001 gehört der Mathilde-Jacob-Platz 1 nun zum Bezirk Mitte.
Bild 1: Mathilde Jacob – Quelle: rosalux.de · Bild 2: Gedenktafel für M. Jacob – Quelle: oorlogsmusea.nl · Bild 3: Vor dem Rathaus Tiergarten – Quelle: goruma.de
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