Pogróm (russisch für «Verwüstung», «Ungewitter») wurden die mörderischen Ausschreitungen gegen Juden von 1881 und 1905 im zaristischen Russland genannt. Später wurde Pogrom auch ausserhalb der russischen Sprache zum allgemeinen Begriff für blutige Ausschreitungen gegen Juden und andere ethnische Gruppen. So spricht man im Zusammenhang mit der deutschen Judenverfolgung des 9. Novembers 1938 häufig von der «Reichspogromnacht», um den Nazi-Ausdruck «Reichskristallnacht» zu vermeiden.Ein russisch-deutsches Wörterbuch aus dem Jahr 1900 übersetzt das Substantiv «pogróm» noch mit «1. die Verheerung, Verwüstung, Zertrümmerung; 2. das Ungewitter, Donnerwetter, die Hechelei». Das Verb «pogrómliat» bedeutet demnach «verheeren, verwüsten (durch den Krieg), aufs Haupt schlagen (den Feind), zertrümmern». Modernere Wörterbücher nennen oft nur noch eine Bedeutung: «Hetze und blutige Ausschreitungen gegen eine andere Nationalität, besonders gegen Juden». Laut Duden heisst es der oder das Pogróm/Pogrom: „Der Begriff wird heute auch für die religiös motivierten mittelalterlichen Judenverfolgungen durch die Christen verwendet, obgleich er seinen Ursprung in den Russlands im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts hatte.“ Das Wort „pogróm“ tritt auch in der polnischen Sprache auf. Es bedeutet einen entscheidenden und vernichtenden Sieg, sowohl in einer Schlacht als auch in einem Sportspiel. Die Juden wurden u. a. durch Paulus beschuldigt, „den Herrn Jesus getötet“ zu haben, „wie sie es auch vorher schon mit den Propheten getan hätten“; sie verfolgten nun die Christen „und gefallen Gott nicht und sind allen Menschen Feind“ (1.Thess 2,15). Die kirchlichen Konzilien nahmen diese Aussagen teilweise dahingehend verschärfend auf, dass „die Juden“ am Tode Jesu schuld gewesen und insofern „Gottesmörder“ seien. Zudem waren Juden oft Sündenböcke für Epidemien und Seuchen wie die Pest-Epidemie im 14. Jahrhundert.
Lange zuvor entwickelte sich nämlich die Darstellung von Juden als „Brunnenvergifter“, weil die Juden in ihren Ghettos großteils von Seuchen verschont blieben. Denn mit den Geboten im dritten Buch Mose, besaßen sie eine rudimentäre Form von Hygiene. Dazu zählten unter anderem auch Vorschriften wie die Anlage tiefer Brunnen, weshalb in diese kein verseuchtes Oberflächenwasser eindrang. Da dies nicht für die Brunnen der restlichen Bevölkerung galt, gab es bei dieser immer wieder Epidemien, vor allem Cholera. Im Heiligen Römischen Reich kam es im Zusammenhang mit der Kreuzzugspropaganda 1096, 1146 und um 1189 zu Kreuzzugspogrómen. Mit dem Auftreten der Pest eskalierten die bereits vorhandenen antijüdischen Einstellungen, so dass es in den Jahren 1348 bis 1351 zu den so genannten Pestpogrómen kam.
Pogróm wurden in Russland die antijüdischen Ausschreitungen von 1881/82 genannt. Am 13. März 1881 tötete die Untergrundbewegung Narodnaja Volja («Volkswille») in Petersburg Zar Alexander II. mit einer Bombe. In monarchistisch-nationalistischen Kreisen der Elite und des Volkes machte man die Juden für das Attentat verantwortlich, eine grausame Ironie, da Narodnaja Volja selbst eine ausgeprägt antisemitische Ideologie besass. Ab Ostern 1881 flammten in ganz Südrussland antijüdische Ausschreitungen auf, die sich bis 1882 hinzogen und sich auf die nördlichen und baltischen Teile Russlands ausdehnten. Mit Unterstützung der Behörden, namentlich der 1881 gegründeten Geheimpolizei Ochrana, zogen Banden und aufgeputschte Bürger prügelnd, raubend und mordend durch jüdische Quartiere. Der Pogróm löste die erste grosse Auswanderungswelle russischer Juden nach Amerika aus. Nach der ersten russischen Revolution von 1905 wurden wieder die Juden pauschal als Drahtzieher denunziert. Die antisemitische Gruppe «Schwarzes Hundert» klebte in Petersburg und anderen Städten Plakate mit dem Aufruf: «Nieder mit den Juden, nieder mit der Intelligenz, es sind Feinde der Regierung! Brüder, habt kein Erbarmen, schlagt sie alle nieder, im Namen Gottes und des Zaren.» Nach ersten Pogrómen in Westrussland folgten im Süden, in Odessa und 70 anderen Städten, die schwersten Massaker an Juden. Von da an war der Begriff Pogróm auch in Westeuropa und im deutschen Sprachraum bekannt. Den Tatbestand allerdings kannte man aus der eigenen Geschichte als «Judenhetze».
Judenpogróme traten sodann auch in Gebieten, die heute zu Russland, Polen, Ukraine, Weißrussland oder Bessarabien und Moldawien gehören, in regelmäßigen Abständen auf. Nach den Hep-Hep-Unruhen von 1819 (primär in Deutschland) gilt als erster Pogróm der modernen Zeit der Judenpogróm von Odessa im Jahr 1821. Zwischen 1903 und 1906 kamen bei Pogrómen in Russland schätzungsweise 2.000 russische Juden ums Leben. Besonders bekannt wurden die Pogrome von Kischinew in der heutigen moldawischen Hauptstadt Chișinău. Sie wurden wohl zumindest teilweise von der russischen Regierung bewusst geschürt. Aufgrund dieser Ereignisse kam es zu einer ersten größeren Auswanderungswelle russischer Juden nach Palästina.
Die deutschen Novemberpogróme 1938, die als „Reichskristallnacht“ bekannt wurden, markierten den Auftakt der physischen Judenverfolgung im Nationalsozialismus.
Weil die fabrikmäßigen Massenmorde an jüdischen Menschen in und aus ganz Europa durch die Nationalsozialisten selbst mit dem Wort Genozid (Völkermord) nur unzureichend zu fassen waren und über jedes Pogróm der Geschichte weit hinaus gingen, wurde in der Nachkriegszeit für die durch die nationalsozialistischen Machthaber begangenen Morde das Wort Shoa (Unheil) bzw. im englischsprachigen Raum auch Holocaust (Brandopfer) neu definiert. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichnete Pogróm die Verfolgung und Ermordung von Juden. Die Geschichte der Juden im Dritten Reich hatte gezeigt, wie fliessend der Übergang vom Pogróm zum Völkermord ist. Auch der Holocaust begann mit Pogrómen, «spontanen» (in Wirklichkeit aber von der NSDAP gesteuerten) Ausschreitungen gegen die Juden. Sie begannen mit Plünderungen jüdischer Geschäfte durch die SA ab Ende Februar 1933, führten zum reichsweiten «Judenboykott» vom 1. April 1933 und erreichten einen ersten Höhepunkt mit den Brandstiftungen und Tötungen der so genannten «Reichskristallnacht» vom 9. November 1938. Da «Reichskristallnacht» eine nationalsozialistische Wortschöpfung ist, ziehen viele heute die Bezeichnung «Reichspogrómnacht» oder « Pogrómnacht» vor.
Im heutigen Sprachgebrauch hat Pogróm eine erweiterte Bedeutung: Er bezeichnet jede Art von kollektivem Angriff auf eine ethnische oder religiöse Minderheit.
Bild 1: Judenprogrom i. Mittelalter – Quelle Wikipedia · Bild 2: Judenhetze 1614 i. Frankfurt – Quelle: jüdische-Geschichte-Hamel.de · Bild 3: Russischer Progrom – Quelle: flickr.com · Bild 4: Plaktklebende SA – Quelle: planet-wissen.de
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