Ermordung der Sinti und Roma in Auschwitz

Ermordung der Sinti und Roma in Auschwitz

1936 wurde die „Rassenhygienische und Bevölkerungsbiologische Forschungsstelle“ unter Leitung des Psychiaters Dr. Robert Ritter eingerichtet. Die Stelle hatte die Aufgabe, alle Sinti und Roma in Deutschland zu erfassen und so genannte „Rassegutachten“ zu erstellen. Robert Ritter, seine Stellvertreterin Eva Justin und seine Mitarbeiter erstellten rund 24.000 solcher Gutachten, die später die Grundlage für die Deportation und Ermordung bildeten. E. Justin dazu:

„So wie der nationalsozialistische Staat die Judenfrage gelöst hat, so wird er auch die Zigeunerfrage grundsätzlich regeln müssen.“

1938 richteten die Nationalsozialisten die „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ ein. Alle Sinti und Roma sollten dort erfasst werden. Sie mussten sich ab 1939 bei der örtlichen Polizei melden und durften ihren Wohnort nicht mehr verlassen. Jeder erhielt einen „Rasseausweis“, die mit einem „Z“ für Zigeuner gekennzeichnet war. Anfang 1943 wurden auf Befehl Himmlers reichsweit Tausende Sinti und Roma verhaftet und nach Auschwitz gebracht. Erklärtes Ziel war die „Vernichtung durch Arbeit“. Im sogenannten Zigeunerlager wurden etwa 23.000 Sinti und Roma eingesperrt. Mehr als zwei Drittel starben an Hunger, Krankheit und Misshandlung. Manche wurden für medizinische Experimente missbraucht, darunter viele Kinder.


Das ‚Zigeunerlager Auschwitz’ bezeichnet den von Februar 1943 bis August 1944 bestehenden Abschnitt B II e des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Dorthin wurden durch das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) Familien und Einzelpersonen deportiert, die im Sinne einer „Regelung der Zigeunerfrage aus dem Wesen dieser Rasse“ (Himmler) als ‚Zigeuner’ oder ‚Zigeunermischlinge’ kategorisiert waren, mithin Roma waren oder Roma-Vorfahren hatten. Die Deportierten kamen überwiegend aus dem deutschen Altreich und Gebiet Österreichs. Von den rund 22.600 Personen, die in Baracken des Pferdestalltyps untergebracht waren, starben über 19.300. Davon erlagen über 13.600 der planmäßigen Mangelernährung, den Krankheiten und Seuchen, und mehr als 5.600 wurden in Gaskammern ermordet. Andere wurden Opfer von individuellen Gewaltattacken oder von Medizinverbrechen, unter anderem durch den ‚Arzt’ Josef Mengele. Am 1. Februar 1943 wurde der SS-Oberscharführer Pfütze zum Lagerführer des Zigeunerlagers ernannt, und am 26. Februar 1943 traf der erste vom RSHA am 29. Januar 1943 angeordnete Transport ein. Die Häftlinge wurden in einem eigenen Hauptbuch verzeichnet und mit eigenen Nummern, an deren Anfang ein Z stand, tätowiert.  Sie mussten den Schwarzen Winkel tragen und waren somit als ‚Asoziale’ gekennzeichnet. Der Bauabschnitt des Lagers findet sich schon auf den Plänen für das „Interessengebiet Auschwitz“ vom Februar 1941. Das Zigeunerlager war bei der ersten Belegung mit Häftlingen 1943 noch nicht fertig gestellt. Schon vor Errichtung des Zigeunerlagers waren ‚Zigeuner’ nach Auschwitz deportiert worden, erstmals am 29. September 1942. Der fertige Abschnitt war etwa 80 m breit sowie etwa 1000 m lang und umfasste 40 Pferdestallbaracken, wovon 32 als Wohnbaracken angelegt wurden. Diese Baracken wurden Blöcke genannt. Von den restlichen acht Blöcken wurden zwei als Nahrungsmittellager und Bekleidungskammer, vier als Häftlingskrankenbau und zwei Baracken für Säuglinge und Kinder genutzt. Am Eingang, dem Nordende, stand separat ein Gebäude, die Blockführerstube für den bzw. die geraden aktiven SS-Aufseher, sowie je ein Küchengebäude für Männer und Frauen. Der Abschnitt war von Stacheldraht umzäunt, mit Wachtürmen versehen.

„Der erste Eindruck, den wir von Auschwitz bekamen war schrecklich, es war dunkel als wir angekommen sind. Ein riesiges Gelände, doch man hat nur die Lichter gesehen. Die Nacht mussten wir in einer großen Halle auf dem Fußboden verbringen. Am frühen Morgen mussten wir in das Lager marschieren. Dort hat man uns erstmal die Häftlingsnummern in den Arm tätowiert und die Haare abgeschnitten. Die Kleider, die Schuhe und die wenigen Dinge die wir noch dabei hatten, wurden uns weggenommen.“ Elisabeth Guttenberger (deportiert im März 1943) „Als sich endlich die Waggons öffneten, empfing uns die SS mit Schlägen und Bluthunden – wir waren am Ziel. In diesem Moment hörten wir auf, Menschen zu sein. Wir waren nur noch Nummern. Alles, was wir hatten, wurde uns abgenommen. Allen, auch den Frauen und Kindern, wurden die Haare geschoren, allen, auch meinen beiden kleinen Mädchen, wurden Nummern eintätowiert.“  Julius Hodosi.

Im Gegensatz zu fast allen anderen Lagerabschnitten konnten die Häftlinge im Zigeunerlager mit ihren Familien zusammen bleiben, Zivilkleidung tragen und sich die Haare wachsen lassen. Die arbeitsfähigen Häftlinge wurden nicht Außenkommandos zugewiesen, sondern auf dem Lagergelände des KZ Auschwitz zum Rampenbau oder der Anlage einer Lagerdrainage eingesetzt. Die Lagerstraße des Lagerabschnitts wurde auch von Kindern, die schwere Steine schleppen mussten, gebaut. Der Häftling Helmut Clement berichtet eine Geschichte, die mehrfach überliefert ist: „Ich erinnere mich noch an den Vorfall mit den Kindern, den beiden Sintikindern aus Österreich. Sie liefen zum Stacheldrahtzaun und hatten dort gespielt. Es gab da einen Graben, die so genannte neutrale Zone, davor waren glatte Drähte und dahinter Stacheldraht. Die beiden Kinder haben dort miteinander gespielt und miteinander geredet. Plötzlich hat ein SS-Mann vom Wachturm herunter auf die Kinder geschossen. Er hat einfach auf die Kinder geschossen. Eines der Kinder erhielt einen Schuss in den Arm und in den Bauch, es war schwer getroffen.“ Helmut Clement Die hygienischen Verhältnisse im Lager waren katastrophal, da es nur unzureichende Waschmöglichkeiten gab, die Latrinen nur selten geleert wurden und das Wasser mit Keimen versetzt war. Zudem waren die zugeteilten Nahrungsrationen absolut unzureichend. Der Hunger war allgegenwärtig:

„Die Verpflegung bestand aus 1/4 Liter Wasser, in dem Steckrüben schwammen, 1/4 Liter Tee und einer Scheibe Brot“  Hermine Horvath „Damals verlor ich auch meine beiden Kinder, sie sind buchstäblich verhungert.“  Julius Hodosi


„Die Kinder waren wie die Erwachsenen nur noch Haut und Knochen ohne Muskeln und Fett, und dünne, pergamentartige Haut scheuerte sich über den harten Kanten des Skeletts überall durch (…). Aber die Not dieser Würmer schnitt noch mehr ins Herz. Vielleicht, weil die Gesichter alles Kindliche eingebüßt hatten und mit greisenhaften Zügen aus hohlen Augen guckten (…). Krätze bedeckte den unterernährten Körper von oben bis unten und entzog ihm die letzte Kraft. Der Mund war von Noma-Geschwüren zerfressen, die sich in die Tiefe bohrten, die Kiefer aushöhlten und krebsartig die Wangen durchlöcherten (…). Vor Hunger und Durst, Kälte und Schmerzen kamen die Kinder auch nachts nicht zur Ruhe. Ihr Stöhnen schwoll orkanartig an und hallte im ganzen Block wider.“ 

Lucie Adelsberger Die Tötung der erkrankten Häftlinge war dabei ein übliches Mittel der ‚medizinischen‘ Behandlung. Josef Mengele war ab dem 24. Mai 1943 Lagerarzt im Zigeunerlager und stieg dort zum leitenden Lagerarzt auf. Er war für die alltäglichen Krankenblockselektionen verantwortlich und ließ sich von jedem Block ein genaues Verzeichnis der Kranken mit Diagnose und Prognose durch die von ihm abhängigen Häftlingsärzte anfertigen. Eine Prognose über eine Heilungsdauer von mehr als drei Wochen bedeutete praktisch automatisch das Todesurteil für den betreffenden Häftling. Mengele nutzte die Möglichkeiten, die das Lager bot, für Menschenversuche und zum Sammeln vielfältiger Proben und Messwerte, wozu er Häftlinge auch tötete. Nachdem die Anthropologin Karin Magnussen am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, Schülerin Otmar von Verschuers, in einer Familiengruppe von ‚Zigeunermischlingen’ mehrere Zwillinge entdeckt hatte, die unterschiedlich farbige Augen hatten, wurden die Zwillinge nach den Daten der Rassenhygienischen Forschungsstelle (RHF) und der Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens genealogisch-erbbiologisch untersucht. Die Familie war im März 1943 nach Auschwitz deportiert worden, sie war Josef Mengele, der von Verschuer promoviert worden war, angekündigt worden. Die Zwillingspaare wurden anschließend ermordet und ihre Augen zur wissenschaftlichen Auswertung ans Kaiser-Wilhelm-Institut geschickt. Nach Aussagen eines Häftlingsarztes wurde, da nur die Augen von sieben Zwillingspaaren versandfertig waren, das achte Paar aus den Augen zweier Leichen zusammengestellt und nach Berlin geschickt. Nach Aussage des Häftlingsarztes Adam C. tötete Mengele ein „Zigeunerzwillingspärchen“ im Alter von sieben oder acht Jahren, bei dem eine Unklarheit über die Schwellung der Gelenke bestand. Die Vertreter der über 15 Fachdisziplinen, die unter den Häftlingsärzten vertreten waren, hatten eine andere Diagnose als Mengele vertreten. Mengele bestand auf seiner Diagnose: Veränderungen aufgrund einer Tuberkulose. Er wies Adam C. an, an seinem Platz zu bleiben, kehrte nach einer Stunde zurück und teilte mit, dass es keine Tuberkulose gewesen sei: „Jawohl, ich habe sie seziert.“Mengele hatte die beiden Kinder mit Genickschuss getötet und die noch warmen Leiber selbst untersucht, wie sich der Häftlingsarzt Miklós Nyiszli erinnerte.


Nyiszli berichtet auch über weitere Morde:

„In einem Arbeitsraum neben dem Sektionssaal warteten 14 Zigeunerzwillinge unter Bewachung von SS, bitter weinend. Dr. Mengele sagte kein Wort zu uns, bereitete eine 10 ccm und eine 5 ccm-Spritze vor. Aus einer Schachtel legte er Evipan, aus einer anderen Chloroform auf den Operationstisch. Danach führten sie den ersten Zwilling herein, es war ein 14 Jahre altes Mädchen. Dr. Mengele befahl mir, das Mädchen zu entkleiden und auf den Seziertisch zu legen. Danach spritze er in dessen rechten Arm intravenös Evipan ein. Nachdem das Kind eingeschlafen war, tastete er die linke Herzkammer aus und injizierte 10 ccm Chloroform. Das Kind war nach einer einzigen Zuckung tot, worauf Dr. Mengele es in die Leichenkammer bringen ließ. In dieser Weise folgte in dieser Nacht die Tötung aller 14 Zwillinge.“ Helmut Clemens berichtet über seine Hilfsdienste für Mengele: „Abends musste ich die Leichen des Krankenbaus, die in einer kleinen Hütte gestapelt waren, einzeln herausziehen, die Nummern am Arm notieren und einige zu Dr. Mengele hineintragen. Er hat sie dann irgendwie aufgeschnitten. In den Regalen standen überall Gläser, in denen sich Organe befanden, Herzen, Gehirne, Augen und menschliche Teile. Ich war bei Mengele, wenn er Zwillinge aussuchte für seine Experimente, ich musste sie dann zu ihm bringen, er hat ihnen extra Nummern gegeben […] Einmal war ich aber doch bei ihm im Raum, zufällig, da habe ich gesehen, wie die Kinder irgend eine Flüssigkeit in die Augen bekommen haben, sie bekamen dann riesengroße Augen. Einige Tage später habe ich dieselben Kinder dann tot in der Leichenbaracke gesehen. Solche Versuche machte Dr. Mengele jeden zweiten oder dritten Tag im Lager“.


„Die Zigeuner, Sinti und Roma, wurden unter nationalsozialistischer Herrschaft dem Mord preisgegeben. Dieser Genozid scheint in eigentümlichem Kontrast zu der Tatsache zu stehen, dass die »Zigeunerfrage« in den Phantasmagorien und politischen Überlegungen Hitlers eine ganz untergeordnete Rolle spielte. Charakteristisch für die Vorstellungen des Diktators über diese Gruppe sind die Äußerungen während eines Gespräches, das er am 2. Oktober 1941 mit Reinhard Heydrich, dem Chef des Reichssicherheitshauptamtes, führte. Es ging um den Kriegsdienst deutscher Zigeuner. Heydrich, der dieses Thema anschnitt, hantierte mit dem Terminus des vermeintlich »asozialen« Zigeuner-»Mischlings«, einem Begriff, der für die nationalsozialistische Zigeunerpolitik zentralen Stellenwert hatte. Hitler beschränkte sich darauf, hergebrachte Klischees wiederzugeben. Anfangs nannte er die Zigeuner eine »Plage« für die Landbevölkerung, dann kleidete er das Stereotyp vom zigeunerischen Dieb in die absurde Anekdote von Tausenden Zigeunern aus Rumänien und Ungarn, die – „schulmäßig“ zu Taschendieben ausgebildet – 1908 zu Kaiser Franz Josefs 60. Regierungsjubiläum nach Wien „geströmt“ seien. Zum Schluss lokalisierte er die Zigeunerromantik in den „Bars von Budapest“ und erklärte die Ungarn allesamt zu Zigeunern. Nach diesem wohl als Pointe gemeinten Schluss wechselte man das Thema. Des Diktators geringes Interesse an der »Zigeunerfrage« hatte erhebliche Folgen für die Geschichtsschreibung. Vor allem jene Historiker, die Hitler ins Zentrum ihrer Forschungen zur nationalsozialistischen Herrschaft rückten, vermochten ihre Aufmerksamkeit kaum auf den Mord an den Zigeunern zu richten, hatten sie sich doch vom Blick auf den Diktator und damit in gewisser Weise auch vom Blick des Diktators abhängig gemacht. Die Frage, warum Zehntausende Zigeuner in Auschwitz-Birkenau und anderenorts umgebracht wurden, ist aber gerade angesichts der geringen Bedeutung dieser Gruppe in Hitlers persönlicher Weltsicht von Wichtigkeit.

Das gilt zunächst für die Folgerungen, die sich aus dem Auseinanderklaffen zwischen diesem Mord und des Diktators geringem Interesse an der »Zigeunerfrage« für das Bild des NS-Systems ergeben. Implizit geht es aber auch um das Gewicht, das die Historiographie den marginalisierten Gruppen unter nationalsozialistischer Herrschaft insgesamt zumessen will.“ Dr. ZIMMERMANN, Michael, Privatdozent an der Ruhr-Universität Bochum.

Um Platz für jene Juden zu schaffen, welche die SS im Frühjahr und Sommer 1944 zu Hunderttausenden aus Ungarn und anderen Ländern nach Auschwitz-Birkenau deportieren ließ, dort aber nicht immer sofort ermordete, wurde das Birkenauer Zigeunerlager liquidiert. Die 2.900 dort noch lebenden Sinti und Roma wurden im Gas erstickt. Insgesamt wurden über 19.300 der etwa 22.600 im Zigeunerlager von Birkenau Zusammengepferchten um ihr Leben gebracht; mehr als 5.600 wurden im Gas erstickt, über 13.600 erlagen dem Hunger, den Krankheiten, den Seuchen. Längst nicht alle der etwa 3.200 Verbleibenden überlebten das Ende Nazi-Deutschlands. In den Monaten vor der Auslöschung des Birkenauer Zigeunerlagers in andere KZs und KZ-Außenlager gebracht, kamen viele von ihnen bei der Zwangsarbeit, insbesondere im thüringischen Dora-Mittelbau, oder bei Sterilisationsexperimenten um ihr Leben. Andere starben auf den Todesmärschen in den letzten Kriegswochen.

Bild 1-7: Roma und Sinti in Auschwitz – Quelle: Auschwitz-Memorial

Hinterlasse einen Kommentar

Your email address will not be published.