„Eine Wahrheit kann erst wirken, wenn der Empfänger für sie reif ist. Nicht an den Wahrheiten liegt es daher, wenn die Menschen noch so voller Unweisheit sind.“ Christian Morgenstern
Den Begriff der Wahrheit zu definieren ist äußerst schwer, denn ganze Regalwände kluger Gedanken sind damit gefüllt. So geht der Jurist von einem anderen Wahrheitsbegriff aus, als der Psychologe, und der Philosoph hat wiederum einen anderen Ansatz. Obwohl es zu diesem Thema mannigfaltige Thesen und Ordnungsprinzipien gibt, führen wir das Wort ‚Wahrheit’ häufig im Mund. Doch haben wir auch alle die gleiche Definition, wenn wir von der Wahrheit sprechen? Verstehen wir einander, wenn wir auf die Wahrheit pochen? Ist die Wirklichkeit des einen, auch die Wirklichkeit des anderen? Würden wir diese Fragen alle mit ‚ja’ beantworten können, dann müsste es auch eine so genannte ‚Wahrheitsformel’ geben, der wir alles unterordnen können. Doch leider gibt es diese nicht und deshalb müssen wir uns selbst auf den Pfad des gemeinsamen Wissens begeben um zu einem vielleicht annähernden Ergebnis zu kommen.
„Es gibt keine wahre Aussage, denn die Position des Menschen ist die Unsicherheit des Schwebens. Wahrheit wird nicht gefunden, sondern produziert. Sie ist relativ.“ Friedrich Schlegels
Hierzu möchte ich eine kleine Geschichte bemühen:
Vor einigen hundert Jahren, in einer kleinen Stadt ereignete sich folgendes: an einem Markttag bei bitterer Kälte kommt ein Mann daher und erzählt den erstaunten Bürgern: “Leute vor eurer Stadt, unweit der eurer Stadtmauer steht ein baumähnliches Gebilde, dass sich schwarz und braun in den Himmel reckt und ist wie mit Wölkchen von weißem Schnee umhüllt.“ Die Leute steckten erstaunt die Köpfe zusammen, denn das was sie von diesem Mann hörten, hörten sie zum ersten Mal. Aber sie gingen ihren Geschäften weiter nach, bis, ja bis, nach einiger Zeit, wieder an einem Markttag, ein anderer Wanderer auf dem Platz der Stadt kam und sprach: „Oh, Bürger dieser Stadt, was seid ihr gesegnet, vor euren Mauern steht der schönste Baum, den ich je sehen hab, er hat hellgrüne Blätter und trägt üppig an wunderschönen weißen, duftenden Blüten. Soviel Schönheit hab ich auf meiner Wanderung noch nie gesehen.“ Wieder steckten die Menschen die Köpfe zusammen, tuschelten und waren ob dieser Neuigkeit sehr erstaunt, ja, auch ein wenig stolz. Doch wieder musste die Arbeit des Alltags getan werden und so wandten sie sich wieder ihren Pflichten zu. Es war um die Erntezeit und auf dem Marktplatz war das Treiben gar so bunt, dass die Rede eines Mannes fast unterging, denn er sprach: „Leute hört mir zu, vor eurer Stadt da steht ein Baum mit tiefgrünen Blättern und an seinen Ästen hängen die saftigsten Früchte, die ich je gegessen hab. Diese sind von solcher Süße, dass sie dem Honig Konkurrenz bereiten könnten.“ Nachdenklich schauten die Bewohner der Stadt den Mann an, tuschelten und zeigten erstaunte Gesichter; doch so manch einer schüttelte nur ungläubig den Kopf. Aber das Tagewerk musste vollbracht werden, so ging ein jeder seiner Aufgabe nach und auch diese Rede geriet in Vergessenheit. Die Tage wurden schon kühler, doch zur Mittagzeit war es noch angenehm warm, als ein Mann durch die Tore der Stadt schritt und mit strahlendem Gesicht folgendes, der Traube von Menschen um ihn herum erzählte: „Ehrbare Leute dieser Stadt, mein Herz ist noch gänzlich erfüllt von so viel Schönheit und Farbenpracht. Vor den Toren eurer Stadt steht ein Baum in den prächtigsten Farben, grün, braun, rot all das vermischt sich mit einem goldenen gelb, so dass es den Anschein hat, als wolle dieser Baum dem goldenen Schein der Sonne gleichen.“ Die Menschen schauten sich erstaunt, verwundert an und bevor auch nur einer seine Stimme erheben konnte, fragt eine helle Kinderstimme laut: „Mama, welcher dieser Männer sprach die Wahrheit?“
Die eigene Sichtweise zuzüglich der Erkenntnisse und Erfahrungen entscheiden also über die Bewertung von einem Wahrheitsgehalt einer Aussage. Sich das immer bewusst zu machen, dass das was man selbst als wahrhaftig erachtet, subjektiv ist, somit nicht unbedingt allgemeingültig zu sein hat, ist nicht der einfachste Weg zu sich selbst. Ein solches Wissen ist bestimmt nicht leicht zu tragen, oder auch zu er-tragen, doch in Hinsicht auf die persönliche Wahrheit gänzlich bei sich selbst zu bleiben, sowohl im Reden wie auch im Handeln ist der individuelle Weg zur Wahrhaftigkeit.
Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu versengen. Georg Christoph Lichtenberg
Nun wie erkennt man aber die Wahr-Haftigkeit seines Gegenübers? Denn auch wenn man selbst bei sich bleibt und seine Wahr-Nehmung als subjektiv akzeptiert, so ist ja nicht immer davon auszugehen, dass das Gegenüber ähnlich behutsam mit seinen Äußerungen umgeht. Wie immer gibt es auch hier keine absolute Sicherheit, keinen messbaren Wert, wieder müssen wir uns auf unsere Wahr-Nehmung, unseren Wissensschatz und unsere Erfahrungen in der Wertung verlassen. Ein kleiner Hinweis wäre, die Gesamtheit des Gegenübers zu betrachten, um zu schauen, ob Aussagen mit dem Handeln, der Gestik und Mimik übereinstimmen. So sensibel mit dem anderen umzugehen, ihn in seiner Gesamtheit zu betrachten, kann manch einen überfordern, doch in dieser Form der Hin-Wendung geben wir viel und werden viel zurück bekommen. Der Versuch, uns selbst und dem Gegenüber auf die Spur zu kommen, ist es aber allemal wert.
Alles was du sagst, sollte wahr sein. Aber nicht alles was wahr ist, solltest du auch sagen. Voltaire
Foto: Der Wahrheit ins Auge schauen Quelle: zoomyboy.com ·Bild: „Der Apfelbaum“ von Klimt Quelle: kunstkopie.de ·Bild: „Licht der Wahrheit“ Annette Jacobi Quelle: annettejakobi.de
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