Jeder hat in diesem Land die Möglichkeit, durch das Erlernen der Kulturtechniken, zu Wissen zu gelangen. Was ein jeder unter Wissen versteht, mag zwar unterschiedlich sein, doch der Zugang dazu, auch wenn es nicht immer einfach ist, steht jedem offen. Doch es gibt auch ein ganz anderes Wissen in uns, das wir bereits verinnerlicht haben, bevor wir lesen und schreiben können, das Wissen, vom Richtig oder Falsch oder anders gesagt, von Gut und Böse. Noch bevor wir in die Schule kommen, haben wir bereits gewisse grundlegende Regeln des Miteinanders gelernt, und haben so diese unserem Wissensschatz hinzugefügt. Wir wissen bereits genau, dass wir keine Schmerzen mögen, denn als wir noch nicht so ganz fest auf den Beinen standen, fielen wir häufig hin, das tat weh, wir wurden vorsichtiger um das Hinfallen zu vermeiden, also lernten wir und wandten das Gelernte an. Im Kindergarten lernten wir, dass es den Altergenossen nicht anders ging. So brannte sich das Wissen um den Schmerz, sowohl des eigenen, wie auch das der anderen, bei uns ein. Dies nur als kleines Beispiel von unserem reichhaltigen Wissen aus frühen Kindertagen. Gar viele Dinge gab es, die wir erlernten, als wir klein waren, die noch heute im Erwachsenenalter wichtig sind und Anwendung finden, ohne dass es uns bewusst wird. Auch all das gehört zu unserem Wissen. Durch Schule, Berufausbildung jeglicher Art und vielen Medien sowie dem Umfeld in dem wir lebten, lernten wir weiter, meistens abrufbares Wissen, das, auch wenn es nicht immer gleich da ist, irgendwo in den Weiten unserer menschlichen Festplatte verankert ist. So sind wir angereichert von allgemeinem Wissen, Fachwissen aber auch emotionalem Wissen. Man kann diese ‚Sparten’ zwar gesondert betrachten, doch gehören sie zusammen, denn einzeln betrachtet, wäre der Mensch in all seinen Facetten kaum ‚gesellschaftsfähig’. Es geht also letztendlich weniger darum, wie viel Wissen wir angehäuft haben, sondern eher, wie wir dies Wissen in unser Leben integrieren. Aristoteles sagt:
„Alle Menschen streben von Natur nach Wissen.“
Tja, ich denke, dass das stimmt, doch streben wir doch mehr nach der Erkenntnis, nachdem wir uns, zu welchem Thema auch immer, uns selbst Fragen stellten. Mit diesem Wissen, dem wir auf den Grund gegangen sind, folgt die Erkenntnis der Fakten, die es ins Leben des einzelnen oder auch in seiner Umgebung, zu integrieren gilt. Doch so einfach, wie sich das hier darstellt ist es gar nicht, denn in all der Informationsflut unserer Zeit, müssen wir zum einen lernen, wichtiges von unwichtigem zu trennen, aber was noch viel entscheidender ist, wir müssen unsere Erkenntnisse kritisch überprüfen.
Denn das unkritische übernehmen von Erkenntnissen anderer, kann durchaus Gefahren in sich bergen, denn diese könnten ideologisch gefärbt sein. Es ist also gar nicht so einfach zu ‚reinem’ Wissen zu gelangen, denn da muss man sich oftmals durch einen Dschungel von ‚Wenn’ und ‚Aber’ schlagen, das ist mühsam, kraftraubend und meistens sehr zeitaufwendig. Nun neigen wir Menschen nicht dazu, mit fliegenden Fahnen, den beschwerlicheren Weg zu wählen, nein, der Bequemlichkeit halber begnügen wir uns, den einfacheren Weg zu wählen. Dies wäre natürlich gar nicht verwerflich, wenn wir uns dessen bewusst wären und wir unsere ‚Erkenntnisse’ als weniger reflektiert weiterzugeben. Dann könnte das Umfeld entsprechend reagieren, also das Wissen übernehmen, natürlich unter Vorbehalt, oder sich selbst auf die Strümpfe machen, das kritischer unter die Lupe zu nehmen. Es wäre also weitaus wahrhaftiger zu sagen:
„So weit ich weiß …“ oder „Meines Wissens zufolge …“
So kann das dann gesagte in der richtigen Denkschublade landen. Meine Großmutter pflegte immer zu sagen: „Bildung ohne Herzensbildung ist gar nichts wert.“ Sie wollte damit in keiner Weise der Bildung eine Absage erteilen, eher im Gegenteil, denn sie legte sehr viel Wert auf Bildung im Allgemeinen, doch es ging ihr nicht um seelenloses Wissen, sondern um eine Symbiose aus Herz und Verstand. Ihr war es wichtig, mittels der Bildung den ganzen Menschen zu bereichern und nicht nur Areale von grauen Zellen. In dieser Vereinigung von humanistischer Bildung und der Zuwendung vom ich zum wir, erweitern wir uns selbst und dadurch natürlich auch unsere Umgebung. Das Anwenden von Wissen zum eigenen Wohl, führt auch zum Wohl anderer. Ich denke, dass ich damit gar nichts Neues geschrieben habe, denn das ist meines Erachtens gesellschaftlicher Konsens, doch die Frage bleibt, warum werden gerade diese Intentionen um das Wissen herum, häufig nicht gelebt?
Am Anfang des Artikels wies ich auf frühkindliche Erfahrungen hinsichtlich des Schmerzes hin, doch erleben wir tagtäglich, dass anderen absichtlich körperlicher Schmerz zugefügt wird. Nichts gelernt? Meistens haben wir über Kriege in der Schule oder den Medien genug gelernt, um diesen abzulehnen; doch fast tagtäglich hören und lesen wir von kriegerischen Auseinandersetzungen. Auch hier, nichts gelernt? Wir haben intellektuell, aber auch sehr viele Menschen ganz real und am eigenen Leib, gelernt, dass wir Menschen alle gleich sind, gleich welcher Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder sexueller Ausrichtung. Doch die Gegenwart im gesellschaftlichen Zusammenleben zeigt mehr als große Lücken in der Anwendung des Erlernten. Da ist die Abwertung anderer noch fast das kleinste Übel. Schon wieder nichts gelernt? Nun könnte jeder Einzelfall psychologisch unter die Lupe genommen werden, um all diese Desaster zu erklären, doch darum geht es gar nicht. Mir erscheint es eher so, dass auch das scheinbar geringste Wissen bei Menschen dort verbleibt, wo es zuerst ankommt, nämlich im Kopf, sich aber wenig im ganzen Menschen niederschlägt. Lassen wir unser Wissen sacken, so tief, dass es auch unsere Gefühle, unser Herz erreicht. Lassen wir es nicht zu, dass Wissen ausschließlich abrufbar im Kopf verweilt, sondern lassen wir uns anfüllen bis in die Zehenspitzen. Lernen und lehren wir ganzheitlich, mit der größten Portion an Mitmenschlichkeit, die uns zur Verfügung steht.
„So mancher scheint beim ersten Blick
Verschlossen, starr und eisig kühl,
Doch birgt sein Herz, für den, der sucht,
Den reichsten Schatz an Mitgefühl.“
Carl Friedrich Wilhelm Jordan
Bild 1: Kinder lernen – Quelle: kidsweb.de · Bild 2: Buch Wissen – Quelle: aew.ch
Hinterlasse einen Kommentar