Jean Améry

Jean Améry

 

Jean Améry • Zu viel Leben – Zu viel Tod

„Überlegungen zur Judenfrage“? „Was der Antisemit wünscht und vorbereitet, ist der Tod des Juden.“ Jean Paul Sartre

Aus Hans wurde Jean und durch ein Buchstabenwürfeln wurde aus Mayer halt Améry, so entschied der junge Hans Mayer, der in Wien geborene Schriftsteller und Essayist, nunmehr  durchs Leben zu wandern, aber nur so lange er Atem hatte für seine Schritte der Wanderung. Jean Améry wuchs im Salzkammergut auf, wurde katholisch erzogen, obwohl sein Vater Jude war, doch dieser fiel bereits im Ersten Weltkrieg, so dass die Mutter allein die Erziehung des Jungen in die Hand nahm, denn sie war Christin. Gleich nach der Schule machte er eine Buchhändlerlehre, doch arbeitete er in diesem Beruf nie. Sein tägliches Brot verdiente er sich als Dozent an der Wiener Volkshochschule, ansonsten versuchte er sich im Schreiben, bis er davon Leben konnte. Vielleicht war Améry zu Menschenfreundlich, hatte einen überdurchschnittlichen Gerechtigkeitssinn und lief mit übergroßer Lebensfreude optimistisch durch die Welt, denn er scheiterte an dem was er sah. Schübe der inneren Verzweiflung konnte er gut verarbeiten, sie machten ihn nicht wirklich krank, doch kam es immer wieder zu großem Lebensüberdruss. Die Zerrbilder der Gesellschaft schmerzten ihn und das zu jeder Zeit seines Lebens. Er veröffentlichte 1935 seinen ersten Roman ‚Die Schiffsbrüchigen’, vielleicht keine literarische Glanzleistung, doch für den damals 23jährigen eine mehr als akzeptable Leistung, die vermuten ließ, dass da sich ein Talent zu entfalten beginnt. Doch es sollte anders 
kommen:


Jean Améry war 26 Jahre alt, als Adolf Hitler in Österreich einmarschierte und das kleine Land annektierte; wobei anzumerken ist, dass viele, sehr viele Österreicher ihn und seine Schergen freudig begrüßten. Was Améry selbst nie viele Gedanken bis dahin wert wahr, nun wurde es für Améry fast zum Lebensmittelpunkt und zwar zu einem äußerst entscheidenden: Durch die Nationalsozialisten galt er als Jude. 1938 emigrierte er nach Belgien, dort wurde er als ‚feindlicher Ausländer’ festgenommen und ins Camp de Gurs, in Südfrankreich interniert. 1941 Gelang ihm daraus die Flucht und er ging nach Belgien zurück und schloss sich dem ‚Widerstand gegen den Nationalsozialismus’ an, auch beteiligt er sich an der von Belgien aus operierenden ‚Österreichischen Freiheitsfront’. In einem Interview sagt er später über diese Zeit: „Zum Beispiel war ich entschlossen, während der Widerstandsbewegung, dass, hätte ich eine Waffe gehabt, ich den ersten besten Gestapomann erschieße und dann mich. Das war ein ganz fester Entschluss. Ich kam nur niemals in den Besitz einer Waffe, weil ich einer Widerstandsgruppe angehört habe, die politisch gearbeitet hat, das heißt, die nicht bewaffnet war. Aber ich habe immer getrachtet, zu einer bewaffneten zu kommen. Es hat sich nicht ergeben, denn das war, vor allem für einen Ausländer, nicht so einfach. Da war das ein fester Entschluss, und ich habe gar keine Zweifel, dass ich den durchgeführt hätte.“ Am 23. Juli 1943 wurde Jean Améry beim Verteilen von Flugblättern verhaftet, er kam ins Hauptquartier der Gestapo und von dort aus ins ‚Fort Breendonk’, einem berüchtigten Lager, in dem er schwer misshandelt und gefoltert wurde. Dazu sagt er später:„In der Einzelhaft und nach der ersten Tortur habe ich meinen ersten Suizidversuch begangen. Nicht aus Angst, sondern weil ich die konkrete Befürchtung hegte, ich würde unter der Folter Adressen preisgeben. Ich kannte sehr wenige Adressen, aber zum Beispiel kannte ich die Adresse meiner damaligen Frau. Bei der Tortur gibt es Widerstandsgrade verschiedener Ordnung. Ich habe gewusst, wenn das jetzt lange weitergeht, dann würde ich das wahrscheinlich preisgeben. Und da habe ich einen Suizidversuch begangen, der natürlich lächerlich gescheitert ist. Vom Eimer ein rostiges Stück abgerissen und versucht, die Pulsadern zu öffnen. Das hat so wahnsinnig wehgetan, dass ich zunächst einmal ohnmächtig geworden bin in der Zelle. Und dann ist aus dem Suizid nichts geworden.“ 

 



Nach diesen Torturen wurde er mit vielen anderen jüdischen Menschen nach Auschwitz verbracht. Mit der eintätowierten Häftlingsnummer 17 23 64 überstand er auch diese Hölle. Dieser Mann der Zeit seines Lebens zwischen dem ‚richtigen’ Tun im Leben und dem Entsagen dieses irdischen Daseins lebte, war in Auschwitz nach eigenem Bekunden nie suizidal, hier wollte er durchhalten, denn er wollten die Nazis durch sein Ableben nicht ‚beschenken’, die ‚Freude wollte er ihnen nicht machen, sie sollten nicht obsiegen. Nach der Auflösung des Vernichtungslagers Auschwitz wurde er mit Tausenden anderen nach Mauthausen, dann nach Buchenwald und letztendlich nach Bergen-Belsen verbracht; ein Todesmarsch, auf dem er viele Freunde verlor. Nach der Befreiung durch die Alliierten ging Jean Améry zurück nach Belgien. Er hatte überlebt, wie viel von ihm selbst bereits gestorben war, nun, vielleicht wurde selbst ihm das nie bewusst, doch wenn, so behielt das dies für sich. Seine Erlebnisse hat Améry in seinem Werk ‚Jenseits von Schuld und Sühne’ verarbeitet, mit dessen Veröffentlichung er 1966 im deutschsprachigen Raum bekannt wurde. Doch weitaus beeindruckender sind seine Essays, in denen man so viel Aufrichtigkeit entdeckt, die durch eine Klarheit der Sprache bestechen und die mehr als nur zu Herze gehen. Tief enttäuscht war Jean Améry von der jungen Bundesrepublik, die eine fest schließende Decke des Schweigens über die Zeit der Shoah legte und die Überlebenden kaum Freiräume der Sprache, des Redens und der Aufarbeitung gab; genauso verhielt es sich in Österreich. Seine politische Hoffnung lag in der aufkeimenden Studentenbewegung, sowohl in Frankreich wie in Deutschland, doch wieder fühlte er sich enttäuscht; denn er stellte die Israelfeindliche Haltung dem Antisemitismus gleich. 

 


In seinem Aufsatz in der ‚Zeit’ von 1969 zum Thema ‚Der ehrbare Antisemitismus’ schreibt er im Schlusswort:„Wenn aus dem geschichtlichen Verhängnis der Juden- beziehungsweise Antisemitenfrage, zu dem durchaus auch die Stiftung des nun einmal bestehenden Staates Israel gehören mag, wiederum die Idee einer jüdischen Schuld konstruiert wird, dann trägt hierfür die Verantwortung eine Linke, die sich selber vergisst. „Der Antizionismus ist ein von Grund auf reaktionäres Phänomen, das von den revolutionären antikolonialistischen Phrasen über Israel verschleiert wird“, sagte neulich Robert Misrahi, ein französischer Philosoph, […] der zur weiteren Sartre-Familie gehört. Der Augenblick einer Revision und neuen geistigen Selbstbestreitung der Linken ist gekommen! Denn sie ist es, die dem Antisemitismus eine ehrlose dialektische Ehrbarkeit zurückgibt. Die Allianz des antisemitischen Spießer-Stammtisches mit den Barrikaden ist wider die Natur, Sünde wider den Geist, um in der vom Thema erzwungenen Terminologie zu bleiben, Leute wie der polnische General Moçzar können sich die Umfälschung des kruden Antisemitismus zum aktuellen Anti-Israelismus gestatten. Die Linke muss redlicher sein. Es gibt keinen ehrbaren Antisemitismus…“Jude zu sein wurde Améry aufgezwungen, Jude wurde er in Auschwitz, Zionist wurde er nie. Er war nie in Israel, konnte kein Hebräisch, doch das Existenzrecht des Staates Israel war ihm immer ein Anliegen. Sein politischer Blick konnte sich im linken Spektrum der europäischen Parteien schwer durchsetzen.

Die Ambivalenz zwischen Leben und Sterben trieben ihn weiter und er rieb sich an dieser Ambivalenz in seinem letzten Buch ‚Diskurs über den Freitod’ aus dem Jahre 1976, vielleicht sogar auf. Für Jean Améry war der Suizid eine der höchsten Formen des Ausdrucks von Freiheit, von eigener Entscheidung. Für ihn persönlich hatte das weniger mit Flucht zu tun, als mit dem Mut, diese Freiheit für sich zu nutzen.

Von sich selbst sagte er: „Im Oktober geboren – im Oktober gestorben.“

 


Der am 31. Oktober 1912 geborene Jean Améry beendete durch eine Überdosis Schlafmittel am 17. Oktober 1978 im Hotel ‚Österreichischer Hof’ in Salzburg sein Leben. Im Abschiedsbrief an seine zweite Ehefrau Maria schrieb er: „Ich kann meinem Niedergang, intellektuellen, physischen, psychischen, nicht zusehen.“ Im Hotelzimmer lagen auf dem Tisch die Abschiedsbriefe samt dem Geld für die Hotelrechnung […]

Noch heute ist sein Zitat so gültig wie vor Jahrzehnten: „Niemand kann aus der Geschichte seines Volkes austreten. Man soll und darf die Vergangenheit nicht auf sich beruhen lassen, weil sie sonst auferstehen und zu neuer Gegenwärtigkeit werden könnte.“   

Jean Améry vergessen wir nicht.

 

Bild 1: Jean Améry – Quelle: wdr3.de · Bild 2, 3 + 4: Buchtitel – Quelle: klett-cotta-verlag.de · Bild 5: Zäune von Auschwitz – Quelle: auschwitzmemorial.pl 

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