Falk Harnack • Regisseur & Widerstandskämpfer
„Gedenken macht Leben menschlich. Vergessen macht es unmenschlich“ Eberhard Bethge
Falk Harnack wurde am 2. März 1913 in Stuttgart geboren und verstarb am 3. September 1991 in Berlin. Er war ein deutscher Regisseur, Drehbuchautor und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. Falk Harnack wurde als jüngster Sohn der Malerin Clara Harnack und des Literaturwissenschaftlers Otto Harnack geboren. Harnack hatte eine ziemlich illustre Verwandtschaft, als da wären Adolf von Harnack (Theologe, Onkel von F. Harnack), Erich Harnack (Professor der physiologischen Chemie, Onkel von F. Harnack), Theodosius Harnack (Theologe, Großvater von F. Harnack), Arvid Harnack (Jurist und Widerstandskämpfer im 3. Reich, Bruder von Falk), Klaus und Dietrich Bonhoeffer (Vettern von F. Harnack), um nur einige zu nennen. Er studiert zwischen 1933 und 1937 in Berlin und München. 1936 promovierte er bei Harro Kutscher in München über den heute vergessenen Dramatiker Karl Bleibtreu, Vorkämpfer und des Naturalismus und Wortführer einer engagierten Literatur. Er arbeitet als Dramaturg am Deutschen Nationaltheater in Weimar.
1942, als er sich in Chemnitz befand, nahmen Mitglieder der Münchner Widerstandsgruppe Weiße Rose, vor allem Hans Scholl und Alexander Schmorell, durch die Vermittlung der gemeinsamen Bekannten Lilo Ramdohr, Kontakt zu ihm auf. Über ihn wollten sie Verbindung zu den Berliner Widerstandsbewegungen um seinen Bruder Arvid und Harro Schulze-Boysen sowie zu Hans von Dohnanyi herstellen. Er stellte die Verbindung über seine Vettern Klaus und Dietrich Bonhoeffer her. Doch noch im selben Jahr wurde die Gruppe verhaftet. Viele von ihnen wurden hingerichtet, darunter am 22. Dezember 1942 sein Bruder Arvid und am 16. Februar 1943 dessen Ehefrau Mildred, eine gebürtige US-Amerikanerin.
Falk Harnack hatte im Februar 1943 auch Kontakt zu Sophie und Hans Scholl. Nachdem die Geschwister Scholl und weitere Mitglieder der „Weißen Rose“ verhaftet und ermordet worden waren, schien ihn das gleiche Schicksal zu ereilen. Aus seiner Zeit der Haft bei Gestapo- und Untersuchungsgefängnis sind Tagebucheinträge vorhanden:
Sonnabend, den 6. März 1943, mittags gegen 14Uhr, wurde ich zum Kompaniechef gerufen. Erst als zwei Wachtmeister der Kompanie mit entsicherter Pistole den Raum betreten hatten, erklärte er: »Auf Befehl des Oberkommandos des Heeres sind Sie vorläufig festgenommen. Weshalb, das werden Sie besser wissen als ich. Bei Fluchtversuch wird sofort scharf geschossen. Sie haben keinem Menschen eine Mitteilung hiervon zu machen.« Am selben Abend wurde ich unter Bewachung zum D-Zug nach München gebracht und am nächsten Morgen in die Gestapo-Leitstelle, Brienner Straße (Wittelsbacher Palais), eingeliefert. […] Während der ganzen Gestapohaft kam keiner von uns ins Freie, Tag und Nacht mussten wir in der Zelle verbringen, die von scharfem, hellem elektrischen Licht beleuchtet war. […] Einmal sah ich Alexander Schmorell. Er kam mir, als ich zu einer Vernehmung abgeholt wurde, entgegen (Zellenbau). Noch heute sehe ich seine große schöne Gestalt, hochrot im Gesicht, mit glühenden Augen. Wir grüßten uns stumm. […] Nach Wochen – als die Vernehmungen beendet waren – wurden wir auf die einzelnen Untersuchungsgefängnisse Münchens verteilt. So kamen Schmorell, Prof. Huber und viele andere in das Gefängnis am Neudeck. Willi Graf und ich kamen, natürlich streng getrennt, in das Untersuchungsgefängnis Cornelius. Damit war der Fall von der Gestapo der Justiz überstellt; die Maschinerie des Volksgerichtshofes lief an. Qualvolle Tage und Nächte folgten, qualvoll wegen der Ungewissheit, wann der Prozess verhandelt und wie er ausgehen würde. […] Da die Sache vor den Volksgerichtshof kam, wo kein Strafgesetzbuch Gültigkeit hatte, sondern nur die Willkür entschied, bereitete sich jeder von uns auf die Todesstrafe vor. Langsam überwand man die Furcht vor dem Tode. Nur ein Gefühl quälte jeden von uns: nicht genug gegen das verbrecherische System getan zu haben. Man hatte das Gefühl, man gibt sein Leben zu billig her. […] Am 16. April 1943 traf die Anklageschrift ein, die auf Hochverrat, Landesverrat, Zersetzung der Wehrmacht, Aufbau illegaler Organisationen etc. lautete. Am 19. April 1943, morgens um 5 Uhr, wurde ich geweckt, rasiert und kam in die sog. Empfangszelle. Wenige Minuten später kam Willi Graf hinein. Wir beide wurden in den Gefängnishof geführt. Dort stand ein grüner Gefängniswagen. Die Tür öffnete sich, und wir erblickten Prof. Huber, Alexander Schmorell und die anderen Angeklagten, darunter die Geschwister Hirzel, Grimminger, Bollinger usw. Wir stiegen ein, und die Fahrt zum Justizpalast, quer durch München, begann. […]
Im Hof des Justizpalastes empfing uns ein Polizeikordon. Die Hände wurden uns gefesselt, und wir kamen herauf in die große Wartezelle, zum ersten Male alle gemeinsam. Nur ein paar Wortbrocken konnten wir wechseln, da wir streng beaufsichtigt wurden. Schmorell war schweigsam, er hoffte auf nichts mehr. […] Dann öffnete sich das Tor, und wir wurden gefesselt über den langen Korridor in den Schwurgerichtssaal geführt. Links und rechts standen Menschen, Kopf an Kopf. Viele Studenten der Münchener Universität, Arbeiter, Soldaten. Wir gingen an ihnen vorbei. Kein böses Wort traf uns – nur Blicke voll tiefer Sympathie und voller Mitleid. Als erster betrat Schmorell den Saal, ihm folgte Prof. Huber, und dann kamen wir anderen. – An der Tür sah ich meine Mutter stehen. Ich konnte ihr, obwohl gefesselt, die Hände drücken und ihr, der man soeben ihren ältesten Sohn und ihre Schwiegertochter auf so grausame Weise ermordet hatte, sagen: »Ich denke an Euch alle.« […] In hämisch-pathetischer Weise verlas Freisler die einzelnen Anklagepunkte. Als die Flugblätter verlesen wurden, wuchs die feindliche Erregung im Saal und nahm bedrohliche Formen an. Sofort nach der Verlesung sprang der Wahlverteidiger von Prof. Huber auf, nahm stramme Haltung an, grüßte mit »Heil Hitler« und erklärte mit großem Pathos: »Herr Präsident! Hoher Gerichtshof! Da ich erst jetzt Kenntnis von dem Inhalt der Flugblätter erhalten habe, sehe ich mich als deutscher Mensch und Rechtswahrer des Deutschen Reiches außer Stande, ein solch ungeheuerliches Verbrechen zu verteidigen. Ich bitte den hohen Gerichtshof, mich von meiner Verteidigung zu entbinden und die angeführten Gründe zu würdigen.« [] Prof. Huber, neben dem ich saß, war auf das Tiefste erschüttert. Aber noch eine Enttäuschung traf Prof. Huber. Er hatte als Entlastungszeugen den Münchener Historiker, seinen Kollegen Geh.Rat Alexander von Müller, benannt. Von Müller ließ sich entschuldigen, er sei dienstlich von München abwesend. Als erster wurde Alexander Schmorell vor die Schranken gerufen. Mit bestialischer Rhetorik überschüttete Freisler den jungen Studenten und machte ihm eine Vorhaltung nach der anderen; eine Beschimpfung jagte die andere – brüllend, tobend, so daß Schmorell überhaupt nicht zu Worte kam. Jedes Mal, wenn er nur ansetzte, seine Handlungen zu erklären, zu verteidigen, schnitt ihm Freisler kreischend das Wort ab. Als Freisler sich ausgetobt hatte, stellte er die Frage: »Was haben Sie denn an der Front getan?« Schmorell antwortete: »Ich habe mich um die Verwundeten gekümmert, wie es meine Pflicht als angehender Arzt ist.« Darauf Freisler: »Ja, und wenn die Russen kamen, haben Sie nicht auf die Russen geschossen?« – »Genau so wenig, wie ich auf Deutsche schieße, schieße ich auf Russen!« […] Prof. Huber, der als nächster vorgerufen wurde, wurde in hämischer Weise mitgeteilt, die Universität habe ihm seinen Professorenrang und seinen Doktortitel aberkannt, weil er ein Verführer der deutschen Jugend sei. Als Prof. Huber antwortete, seine Kollegs seien immer überfüllt gewesen und er habe es als Hochschullehrer und Philosoph als seine Pflicht angesehen, den jungen Menschen bei ihren inneren Kämpfen beizustehen, erklärte Freisler zynisch lächelnd: »Sie halten sich wohl für einen neuen Fichte?« Prof. Huber, der seit seiner Geburt an einem leichten Sprachfehler litt, hielt sich mit aller Kraft aufrecht und versuchte, stimmlich gegen dieses Meer von Unflat anzukämpfen. Er bebte am ganzen Körper, jedoch nicht aus Furcht oder Angst, sondern vor tiefster Erregung und Empörung über diese unwürdigen Zustände. Als Dritter folgte Willi Graf – ruhig und gelassen. Der Ton Freislers mäßigte sich etwas. Freisler sagte: »Sie haben ja der Gestapo schöne Lügengeschichten aufgebunden, und um ein Haar wären Sie herausgekommen. Aber …«, und jetzt nahezu mit einem verbindlichen Lächeln, als ober er ein Spiel gewonnen hätte, »… wir sind doch schlauer als Sie!« […]
Als ich vor die Schranken gerufen und meine Daten verlesen wurden und Freisler mit Hohn auf die vor kurzem erfolgte Hinrichtung meines Bruders und meiner Schwägerin hinwies, ging eine Welle der Erregung durch den Saal. Ich musste an mich halten, um nicht auszubrechen, um die klare Verhandlungslinie nicht zu verlassen. Unter anderem wurde mir vorgehalten, ich hätte defätistische Äußerungen getan, dass der Krieg für Deutschland verloren sei. Ich entgegnete Freisler, meine Äußerung sei gewesen: »Ich befürchte, dass Deutschland den Krieg verliert, und halte es deshalb für notwendig, sich mit den daraus ergebenden Problemen rechtzeitig auseinanderzusetzen. Die nationalsozialistische Propaganda erklärt: Nach dem Zusammenbruch kommt das Chaos. Diese Propagandarichtung halte ich für überaus gefährlich, denn« – und jetzt mit erhobener Stimme – »Deutschland darf nicht untergehen.« Durch diesen Salto stand ich plötzlich auf der nationalen Plattform. Freisler, der deutlich merkte, dass ihm der Degen aus der Hand geschlagen war, stoppte einen Moment seinen Redefluss und wusste nicht genau, wo er wieder einsetzen sollte, insbesondere, da ich gerade in diesem Moment ein Führungszeugnis eines mir bekannten Generals vorlegen konnte, was verlesen wurde. Mit dieser nervenaufreibenden Taktik gelang es mir allmählich, Freisler auf eine Verhandlungsbasis zu bringen, auf der ich meine Argumente ausführen konnte. Auf die Frage von Freisler, warum ich die Sache nicht angezeigt hätte, argumentierte ich mit meiner Kriegserkrankung – Nerven – und mit den schweren Verlusten, die unsere Familie betroffen habe, und sagte: »Das kann vielleicht eine kalte Maschine, aber kein Mensch. Was Sie erwarten, ist –«, da fiel mir Freisler ins Wort und vervollständigte »übermenschlich«. »Nein«, antwortete ich, »fast zuviel für einen Menschen.« […]
Gegen 10.30 Uhr abends wurden wir wieder gefesselt in den großen Schwurgerichtssaal mit seiner lächerlich geblümten Tapete geführt. Die Urteilsverkündung begann. Freisler erhob sich, hinter ihm das Bild mit der widerlichen Fratze Hitlers. Mit genießerisch rhetorischer Breite formulierte er die Urteilsbegründung, die nicht schriftlich vorlag. Alexander Schmorell, Prof. Huber und Willi Graf wurden mit dem Tode bestraft, Grimminger mit 10 Jahren Zuchthaus. Er war also gerettet. Und nun folgten die anderen Angeklagten mit längeren oder kürzeren Freiheitsstrafen. Zum Schluss kam ich an die Reihe, und obwohl der Oberreichsanwalt 5 Jahre beantragt hatte, wurde ich mangels Beweisen freigesprochen. Die Freunde, die ihr Todesurteil vernommen hatten, waren still und gefasst, keine Träne, aufrecht.
Nachdem Falk Harnack überraschend vom Volksgerichtshof München am 19. April 1943 aus Mangel an Beweisen und wegen „einmalig besonderer Verhältnisse“ freigesprochen wurde, wurde er in ein Strafbataillon versetzt und Im Winter 1943 desertierte Falk Harnack, um wieder einer Verhaftung durch die Gestapo zu entgehen. Er schließt sich der griechischen Partisanenbewegung ELAS an, gründet dort das Antifaschistische Komitee „Freies Deutschland“ und kann das Kriegsende überleben.
Mit Gerhard Reinhardt gründet er das „Antifaschistische Komitee Freies Deutschland“ und wird dessen Leiter. Als er nach Kriegsende nach Deutschland zurückkehrte, erfuhr er, dass mehrere Angehörige seiner Familie, nämlich sein Cousin Ernst von Harnack, die Vettern Klaus und Dietrich Bonhoeffer und der Schwager Hans von Dohnanyi, noch im Frühjahr 1945 von der SS ermordet worden waren. Seine berufliche Tätigkeit als Regisseur und Dramaturg nahm er zuerst am Bayerischen Staatsschauspiel München auf. 1947 ging er an das Deutsche Theater Berlin. Von 1949 bis 1952 war er künstlerischer Direktor bei der DEFA. In dieser Zeit drehte er dort den Film Das Beil von Wandsbek nach einem Buch von Arnold Zweig. Die Ereignisse, die in diesem Film geschildert werden, sind unter der Bezeichnung „Altonaer Blutsonntag“ in die Geschichte eingegangen.
Als es mit der SED zu Auseinandersetzungen über diesen Film kam, verließ er 1952 die DDR und ging nach West-Berlin.
In den ersten Jahren arbeitete er für die Produktionsfirma CCC-Film und war neben Helmut Käutner und Wolfgang Staudte der wichtigste Regisseur des deutschen Nachkriegsfilms. Ab Ende der 1950er Jahre war er fast nur noch für das Fernsehen tätig. Zu vielen seiner Filme schrieb er auch die Drehbücher. Von 1962 bis 1965 war er leitender Regisseur beim neu gegründeten ZDF. In den folgenden Jahren war er freischaffend tätig. Neben Unterhaltungsfilmen drehte er auch anspruchsvolle Filme, die teilweise die Zeit des Nationalsozialismus und den Kampf dagegen zum Thema hatten. So schuf er 1955 den Kinofilm ‚Der 20. Juli‘, der sich mit dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler beschäftigte. 1962 drehte er für das Fernsehen den Film ‚Jeder stirbt für sich allein‘ nach dem gleichnamigen Roman von Hans Fallada, in dem es um den Widerstand kleiner Leute geht, nämlich um das Ehepaar Anna und Otto Quangel, die am Ende scheitern und hingerichtet werden.
Falk Harnack, der mit der Schauspielerin Käthe Braun verheiratet war, verstarb am 3. September 1991 nach einer langen schweren Krankheit, hoch geehrt.
Bild 1: Falk Harnack – Quelle: beepworld.de · Bild 2: weisse Rose – Quelle: blogspot.com · Bild 3: Filmplakat ‚Das Beil von Wandsbek‘ – Quelle: ggpht.com · Bild 4: Filmplakat Der 20. Juli – Quelle: ofdb.de · Teile der Tagebucheinträge von F. Harnack sind zeit-online
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