Esther Bejarano

Esther Bejarano

 

Esther Bejarano • Häftlingsnummer 41 947 in Auschwitz

„Selbst in der Hölle von Auschwitz fanden Menschen den Mut, Widerstand zu leisten.“ E. Bejarano

Esther Bejarano wurde als Esther Loewy am 15. Dezember 1924 in Saarlouis geboren und ist zusammen mit Anita Lasker-Wallfisch eine der letzten bekannten Überlebenden des Frauenorchesters von Auschwitz. Der Vater, Oberkantors einer jüdischen Gemeinde, weckte das Interesse seiner Tochter für Musik und Esther erlernte das Klavierspiel. 1936 zog die Familie nach Ulm. Schon früh trennte sie sich vom Elternhaus, vor allem weil sie von der Idee nach Palästina zu gehen völlig eingenommen war. Doch die Planungen zerschlugen sich, wegen einer Zeit der ewigen Drangsalierung jüdischer Mitbürger. 1941 kam sie zunächst ins Zwangsarbeitslager Neuendorf bei Fürstenwalde/Spree wo sie die nächsten zwei Jahre Zwangsarbeit in einer ortsansässigen Gärtnerei leistete. Mit Viehwaggons der Deutschen Reichsbahn wurden am 20. April 1943 alle Insassen des Arbeitslagers mit weiteren über 1.000 jüdischen Menschen aus dem Berliner Sammellager in der Großen Hamburger Straße nach Auschwitz deportiert.


„Wohin der Zug fuhr, wussten wir nicht. Die Waggons waren überfüllt und wir konnten uns kaum bewegen.“

So erinnert sich Esther Bejarano, dass viele alte und schwache Menschen diesen mehrere Tage dauernden Horrortrip in den Viehwaggons nicht überlebten. Ihre Leichen blieben die ganze Zeit in den Waggons. Mit Esther saßen viele der Jugendlichen im Waggon, mit denen sie in Neuendorf zusammen war. Esther hatte ein Auge auf Eli Heymann geworfen, an dessen Seite sie den Transport in die Hölle überstand. Doch zu einer Liebesbeziehung kam es nicht mehr, denn dort, wo die Reise enden würde, gab es weder Zeit noch Raum dafür, dort musste jede und jeder jede Sekunde des Tages ums blanke Überleben kämpfen. Alle im Waggon bewegte dieselbe Frage: „Wohin werden wir gebracht?“ Der Zug hielt mehrmals, doch durch das vergitterte Fensterchen war nichts zu erkennen. „Bei jedem Halt dachten wir, jetzt sind wir erlöst und können der stinkigen Luft entfliehen, aber dann fuhren wir wieder weiter. Nach ein paar Tagen nicht beschreibbaren Erlebens hielt endlich der Zug und die Türen wurden geöffnet. Wir stiegen aus und einige zivil gekleidete Männer begrüßten uns ganz freundlich. Es hieß, wir kämen in Arbeitslager, Frauen und Männer getrennt. Etwas entfernt von der berühmten Rampe standen einige Lastautos.“ Die Bedeutung dieser Rampe sollten Esther und die anderen Gefangenen später kennen lernen, an dem Tag ihrer Ankunft dachten sie sich noch nichts dabei, als es hieß, kranke und gehbehinderte Menschen, Mütter mit kleinen Kindern, schwangere Frauen und Frauen über 45 Jahren sollten auf die Lastautos steigen, da der Weg zum Lager ziemlich lang sei. Im Gegenteil, es schien eine freundliche Geste zu sein: „Viele stiegen bereitwillig auf die Autos. Einige junge Menschen, die mit ihren Eltern mitgehen wollten, wurden aufgehalten. Ihnen wurde gesagt, sie könnten auch laufen. Die Autos fuhren direkt in die Gaskammer, aber das wussten wir damals noch nicht.“

Esther und die anderen Frauen marschierten, bis sie zu einem großen Tor kamen. ‚Arbeit macht frei’ stand dort in großen Lettern geschrieben. An die dann folgende Begrüßung kann Esther sich noch sehr genau erinnern:

„Als wir durch das Tor kamen, wurden wir von den SS-Frauen und SS-Männern mit folgenden Worten begrüßt: „So, ihr Saujuden, jetzt werden wir euch mal zeigen, was arbeiten heißt.“ „Dann wurden wir tätowiert, das heißt, wir standen alle in einer Reihe und mussten warten, dass uns eine Nummer in den linken Arm geritzt wurde. Ich bekam die Nummer 41 948. Namen waren damit abgeschafft, wir waren nur noch Nummern.“ 41 948, diese Zahlen haben sich damals genauso unauslöschlich in ihre Haut gebrannt wie die Erinnerung an das, was sie in der Hölle von Auschwitz erwartete. Nach der Tätowierung bekamen sie Sträflingskleider zugeteilt, da war ihnen klar: „Wir sind hier in einem Konzentrationslager, solche Kleidung gibt es nicht in einem gewöhnlichen Arbeitslager.“ Esther und ihre Freundinnen und Freunde waren in Polen, in Auschwitz, im Lager Birkenau.

„Ich weiß noch, dass ich gedacht habe, nachdem ich die Nummer eintätowiert bekam:

„41 947 Menschen waren also schon vor mir hier. Wo sind die bloß alle?“ 


Am Anfang war sie in einem Arbeitskommando zugeteilt, die Steine schleppen mussten. Erinnerungen, die Esther bis heute quälen:

„Ich sehe auch den endlos langen Appell oder Sonderappell vor mir, wo die SS-Frauen die Gefangenen auspeitschen ließen: 25 Schläge auf dem Bock. Nach 10 Schlägen waren die meisten schon bewusstlos, aber es wurde immer weiter geschlagen. Täglich sahen wir abgemagerte Leichen auf den Straßen liegen. Sie wurden auf Schubkarren geladen und ins Krematorium gebracht. Viele Frauen waren physisch und psychisch völlig erledigt. Manche Frauen liefen aus Verzweiflung an den elektrisch hoch geladenen Stacheldrahtzaun, um ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Tote Frauen, die am Stacheldraht hängen, auch das ist ein schrecklicher unvergessener Anblick. Es gab viele Momente, in denen auch ich gehofft habe, bald tot zu sein, um die Grausamkeiten der SS-Bestien nicht mehr ansehen zu müssen.“

Bis sie sich zum Mädchenorchester von Auschwitz meldete, das gerade neu aufgestellt wurde, war sie in dieser Arbeitkolonne. Hier spielte sie Akkordeon. Das Orchester hatte die Aufgabe, zum täglichen Marsch der Arbeitskolonnen durch das Lagertor aufzuspielen.

„Ich hatte großes Glück, dass in dem Block, in dem ich übernachtete, eines Abends Frau Tschaikowska, eine polnische Musiklehrerin, nach Frauen suchte, die ein Instrument spielen konnten. Die SS befahl ihr, ein Mädchenorchester aufzustellen. Ich meldete mich, sagte, dass ich Klavier spielen könne. Ein Klavier haben wir hier nicht, sagte Frau Tschaikowska. Wenn du Akkordeon spielen kannst, werde ich dich prüfen. Ich hatte nie zuvor ein Akkordeon in der Hand. Ich musste alles versuchen, um nicht mehr Steine schleppen zu müssen. Ich sagte ihr, dass ich auch Akkordeon spielen könne. Sie befahl mir, den deutschen Schlager „Du hast Glück bei den Frauen, Bel Ami“ zu spielen. Ich kannte diesen Schlager, bat sie um ein paar Minuten Geduld, um mich wieder einzuspielen. Es war wie ein Wunder. Ich spielte den Schlager sogar mit Akkordbegleitung und wurde gemeinsam mit zwei Freundinnen in das Orchester aufgenommen.“

Zwar nagten auch Gewissensbisse an Esther Bejarano, dass die Arbeitskolonnen im Takt ihrer Musik, an ihr und den andren im Orchester, vorbei marschieren mussten, doch diese Mitgliedschaft im so genannten Mädchenorchester von Auschwitz sicherte ihr eine Zeit des Überlebens. Doch die vorbei marschierenden Arbeitskolonnen waren nicht die größte Belastung für die aufspielenden Frauen.

Aber es kam noch schlimmer. Die SS befahl uns, am Tor zu stehen und zu spielen, wenn neue Transporte ankamen in Zügen, in denen unzählige jüdische Menschen aus allen Teilen Europas saßen, die auf den Gleisen fuhren, die bis zu den Gaskammern verlegt wurden und die alle vergast wurden. Die Menschen winkten uns zu, sie dachten sicher, wo die Musik spielt, kann es ja nicht so schlimm sein. Das war die Taktik der Nazis. Sie wollten, dass all die Menschen ohne Kampf in den Tod gehen. Wir aber wussten, wohin sie fuhren. Mit Tränen in den Augen spielten wir. Wir hätten uns nicht dagegen wehren können, denn hinter uns standen die SS-Schergen mit ihren Gewehren.“

Als das Vernichtungslager Auschwitz, wegen der herannahenden Roten Armee aufgelöst wurde, kam Esther Bejarano in das Konzentrationslager Ravensbrück. Auf einem Todesmarsch 1945 konnte sie fliehen und überlebte so diese Zeit des unaussprechlichen Schreckens. Sie lebte danach einige Monate mit etwa 70 anderen KZ-Überlebenden, darunter auch Sylvia Wagenberg, einem weiteren Mitglied des Mädchenorchesters von Auschwitz, auf dem Gehringshof bei Fulda, der von seinen Bewohnern Kibbuz Buchenwald genannt wurde und wo sie sich auf die Auswanderung nach Israel vorbereiteten. Sie wanderte nach Palästina aus und kehrte später nach Deutschland zurück. Gemeinsam mit Tochter Edna und Sohn Joram gründete sie Anfang der 1980er Jahre die Gruppe ‚Coincidence‘ mit Liedern aus dem Ghetto und jüdischen sowie antifaschistischen Liedern.


Im Oktober 2008 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz I. Klasse geehrt. In der Begründung heißt es: „Viele ihrer Familienangehörigen wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Sie überlebte, weil sie im KZ Auschwitz Aufnahme in das Mädchenorchester fand und später im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück Zwangsarbeit leistete. Es ist ihr ein wichtiges Anliegen, besonders junge Menschen über den Nazi-Terror und den Rechtsextremismus aufzuklären.“ Anlässlich ihres 70. Geburtstags wurde sie 1994 vom Senat der Freien und Hansestadt Hamburg mit der Biermann-Ratjen-Medaille für ihre künstlerischen Verdienste um die Stadt Hamburg geehrt.

Ihr Lebens- und Überlebensmotto lautet: “Mir lejbn ejbig!”

Bild 1: Esther Bajarano – Quelle: bloogsport.eu · Bild 2: Schienen nach Auschwitz – Quelle: paxchristi-hueckelhoven.de · Bild 3: Eingangstor Auschwitz – Quelle: uminho.pt · Bild 4: Baracke im Frauenlager Auschwitz – Quelle: blogspot.com · Bild 5: Maedchenorchster v. Auschwitz – spurensuche-online.de · Bild 6: Ester Bajarano – Quelle: Kindertransporte.de

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