Agnes Primocic

Agnes Primocic

 

Agnes Primocic: “Nicht stillhalten, wenn Unrecht geschieht”

Agnes Primocic, geborene Reinthaler, wurde am 30. Januar 1905 in Hallein im Land Salzburg geboren und verstarb am 14. April 2007 in ihrem Heimatort. Sie war eine österreichische Kommunalpolitikerin der Kommunistischen Partei und Widerstandskämpferin. Die ehemalige Ehrenobfrau des KZ-Verbandes von Salzburg erfuhr von den offiziellen Stellen erst nach mehr als fünfzig Jahren Anerkennung für ihren Widerstand in der Zeit des Nationalsozialismus in Österreich. Agnes Primocic wurde als drittes von sechs Kindern in Hallein geboren. Sie wuchs in den einfachen Verhältnissen einer Arbeiterfamilie auf und begann bereits mit 16 Jahren in der Halleiner Zigarren- und Tabakfabrik zu arbeiten. Sie erlebte schon als junges Mädchen zum ersten Mal die Kraft organisierter Aktionen: Die Halleiner Tabakarbeiterinnen haben sich gemeinsam gewehrt, um die ihnen zustehenden Lebensmittelrationen zu bekommen. Ab ihrem 25. Lebensjahr kämpfte sie als Gewerkschafterin und Betriebsrätin für gerechte Arbeitsbedingungen in der Fabrik. Während des aufkommenden Austrofaschismus organisierte sie als Betriebsrätin einen Streik und wurde dann entlassen. Als Parteimitglied der Kommunistischen Partei Österreichs beteiligte sich Primocic an der Roten Hilfe für in Not geratene Familien politisch Verfolgter und leistete schon sehr früh aktiven Widerstand gegen den nun ausgebrochenen Austrofaschismus. Wegen des Besitzes kommunistischer Bücher, einer Flugzettel-Aktion ihres damals zwölfjährigen Sohnes und auf Grund der politischen Tätigkeit ihres Bruders wurde Agnes Primocic bereits in der Zeit vor dem Anschluss Österreichs an das ‚Deutsche Reich’ mehrmals eingesperrt und verbrachte insgesamt ein knappes Jahr in Haft.

Stillgehalten hat Agnes nie, auch nicht nach dem Einmarsch Hitlers, als der Widerstand noch viel gefährlicher war. Spitzelwesen funktionierte der Nationalsozialisten auch in Österreich hervorragend. Wegen ihres politischen Engagements wurde Agnes Primocic von der Gestapo mehrfach verhört und bis 1945 weitere drei Mal inhaftiert.  Als ihr Mann und der älteste Sohn in den Krieg an die Ostfront geschickt wurden, musste sie ihm versprechen, nichts gefährliches mehr zu tun, damit die Kinder nicht allein und unversorgt zurückblieben.

Doch als das erste Mal ein Brief mit der Bitte um Hilfe kam, konnte Agnes dieses Versprechen nicht einhalten. Es war vom Sepp Plieseis, einem Widerstandskämpfer im spanischen Bürgerkrieg, der von der Vichy Regierung in Frankreich verhaftet und ins Konzentrationslager eingeliefert worden war. In Hallein befand sich ein Steinbruch, und der war eine Außenstelle des Konzentrationslagers Dachau. Dort war Plieseis interniert. Mit Hilfe einer Bäuerin und der Genossin Mali schaffte sie es, ihm zur Flucht zu verhelfen. Plieseis floh in die Ausseer Berge, dort gründete er eine Widerstandsgruppe. Er blieb nicht der einzige, insgesamt hat sie 20 Widerstandskämpfern bei der Flucht geholfen. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs riskierte sie ihr eigenes Leben, als sie mit ihrer Freundin Mali Ziegenleder den Kommandanten eines Außenlagers des KZ Dachau in der Nähe von Hallein mit dem bevorstehenden Einmarsch der amerikanischen Truppen unter Druck setzte, und rettete mit ihrem Mut 17 bereits zum Tode verurteilte Gefangene vor der angeordneten Erschießung. Ihre Tochter, die damals noch klein war, erinnert sich an damals als eine Zeit ständiger Angst. Auch wenn sie nicht verstand, was passierte, fühlte sie, dass das Leben ihrer Mutter gefährlich war.

Ihren Widerstand gegen die Nationalsozialisten begründete sie Jahre später damit, dass sie ihr Leben lang kein ruhiges Gewissen mehr haben hätte können, wenn sie einfach weggeschaut hätte, als Menschen in Not um ihre Hilfe baten.

„Man muss anfangen, wenn Unrecht geschieht, denn nach dem Unrecht kommt die Gewalt“.

Nach 1945 war Agnes Primocic weiterhin politisch tätig, unter anderem als Landessekretärin der KPÖ in Salzburg. Als Halleiner Stadträtin für Fürsorge engagierte sie sich vor allem für den Aufbau von Kindergärten und die sozialen Rechte der arbeitenden Bevölkerung. Als Pensionärin besuchte sie in den 80er Jahren öffentliche Schulen, um im Rahmen des Projektes „WiderstandskämpferInnen in Schulen“ über ihr Leben zu erzählen und bei den Jugendlichen das politische Bewusstsein zu wecken und die Erinnerung wach zu halten.

„Nicht stillhalten, wenn Unrecht geschieht“

Unter diesem Titel entstand im Jahr 2002 eine Dokumentation über das Leben von Agnes Primocic, wo sie im Alter von 92 Jahren ihr Leben in humorvoller und offener Weise erzählt. Die vielen Jahre des Widerstandes, der Behandlung von Frauen als „Menschen 2. Klasse“ und das erlebte Leid hat sie nicht verbittert.  Eine starke Dokumentation über eine bemerkenswerte „Frau aus dem Volk“, wie sich Agnes Primocic selbst beschrieb. Sie starb 2007 im Alter von 102 Jahren in Hallein und war bis zu ihrem Tod Gewerkschaftsmitglied. Solidarität, Zusammenhalt, ein besseres Leben für Frauen, Demokratie und Freiheit waren die Lebensschwerpunkte von Agnes Primocic. Dafür hat sie als Gewerkschafterin, Politikerin und Bürgerin gekämpft. Noch vor ihrem Tod, als 102jährige fragt sie sich:

„Wie viele haben gegen das Unrecht gekämpft und ihr Leben verloren. Und was hat es genützt? Wenn man die Welt heute anschaut, herrschen doch immer noch überall Ungerechtigkeit und Ausbeutung!“

Buchempfehlung: Nicht stillhalten, wenn Unrecht geschieht – Die Lebenserinnerungen von Agnes Primocic, M. Zehetner (Hrsg.), 2004 Akzente-Verlag, Salzburg

Foto 1: Primocic + Widerstanskämpfer ein Auschnitt – Quelle: doew.at · Foto 2: Gruppenbild – Quelle: doew.at · Foto 3: Agnes Primocic – Quelle: salzburg.com

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