Alice Salomon

Alice Salomon

Alice Salomon • Sozialpädagogin von Weltrang

„Es gibt kein problematisches Kind, es gibt nur problematische Eltern.“ Alexander Sutherland Neill

Wohlhabend und wohlbehütet wuchs Alice Salomon in Berlin, entsprechend eines Mädchens ihrer Schicht, auf. Zwar erhielt sie eine angemessene Schulausbildung, doch ihrem Wunsch einen Beruf zu erlernen, konnten und wollten die Eltern nicht nachgeben.
Für die Eltern, Albert und Anna Salomon, wäre es ein Ansehensverlust gewesen, als ob sie ihre Tochter nicht angemessen unterhalten könnten und so blieben ihr nach ihrer Schulzeit die Türen nach draußen verschlossen. Wie in einem goldenen Käfig lebte sie mit leichter Hausarbeit, dem Klavierspielen und der Anfertigung von feinsten Stickereien zwar auf äußerst hohem Niveau der damaligen Zeit, doch glücklich war sie damit nicht. Sie erwählte nicht, wie ihre Geschlechtsgenossinnen ihrer Gesellschaftsschicht, den häuslichen goldenen Käfig in einen ehelichen zu ziehen, sondern sie machte sich selbständig auf den Weg ihres Lebens, als es ihr möglich war und zwar nach ihrer Volljährigkeit, die zu ihrer Zeit mit 21 Jahren erfolgte.

Seit 1893 engagierte sie sich in der sozialen Frauenarbeit und der Frauenbewegung. Sie arbeitete unter anderem in einem Mädchenhort und Arbeiterinnenheim und wurde 1899 Vorsitzende des Vereins der Mädchen- und Frauengruppen für Soziale Hilfsarbeit, nachdem ihre Förderin und Mentorin Jeanette Schwerin verstorben war.

 


Es war eine karitative Organisation, die von sozial aufgeschlossenen Berliner Bürgerinnen und Bürgern ins Leben gerufen worden war. Von diesem Zeitpunkt an arbeitete Alice Salomon ehrenamtlich im sozialen Bereich und lernte dabei das Berliner ArbeiterInnenelend kennen. Von 1902 bis 1906 studierte sie als Gasthörerin an der Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin Nationalökonomie, Geschichte und Philosophie, obgleich sie kein Abitur und die Schule nur neun Jahre, wie für Mädchen üblich, besucht hatte. Als Voraussetzung für den Besuch der Universität wurden ihre Publikationen anerkannt, neben anderen zwei umfangreiche Artikel in dem von Helene Lange und Gertrud Bäumer 1901 herausgegebenen Handbuch der deutschen Frauenbewegung. 1906 promovierte Alice Salomon mit einer Arbeit über die ungleiche Entlohnung von Männer- und Frauenarbeit. Zwar übernahm Alice Salomon Vorstandsfunktionen im Bund Deutscher Frauenvereine, doch wurde ihr der versprochene Vorsitz verwehrt, mit dem Hinweis auf ihre jüdische Herkunft, die nicht zum Anstoß werden sollte. Dass diesen antisemitischen Strömungen nicht entschieden entgegengetreten wurde, traf Alice Salomon tief. Freundlicher waren ihre Erinnerungen an die internationale Frauenbewegung, dem International Council of Women (ICW). An deren großen internationalen Kongressen in London 1899 und Berlin 1904 nahm sie begeistert teil und wurde 1909 auf der Versammlung in Toronto zur Schriftführerin gewählt, ab 1920 war sie Vizepräsidentin.

 

 

Der zweite Schwerpunkt ihrer Arbeit waren Frauen- und soziale Bildung. Sie eröffnete 1899 den ersten Jahreskurs der Mädchen- und Frauengruppen für Soziale Hilfsarbeit, mit dem in Deutschland die systematische Ausbildung für die soziale Arbeit begann, und gründete 1908 die Soziale Frauenschule in Berlin. Alice Salomos Ansprache, gehalten bei der Eröffnungsfeier im Pestalozzi-Fröbelhaus am 15. Oktober 1908: „In unsichtbaren Lettern steht für mich über der Tür unserer Schule, die sich heut zum ersten Mal so vielen geöffnet hat, denen sie fortan Mittelpunkt des Lebens werden soll, das Wort Carlyles: „Gesegnet, wer seine Arbeit gefunden hat!“ Das Wort enthält im Grunde alles, was ich in dieser feierlichen Stunde unseren Schülerinnen sagen kann: Zweck und Ziel unserer Schule, und all die guten Wünsche, die wir für ihre Entwicklung hegen. Zweck und Ziel der Schule. Denn diese ist entstanden und soll der Aufgabe dienen, den Mädchen und Frauen unserer Stadt, unseres Volkes Arbeit zu geben. Arbeit, das heißt nicht Beschäftigung, nicht Zeitvertreib, sondern eine Tätigkeit, die nicht nur ihre Zeit – sondern auch ihre Gedanken, ihr Interesse in Anspruch nimmt; die zunächst für einige Jahre den Inhalt ihres Lebens ausmachen soll, um den herum alles andere, was das Leben ihnen an Freuden, Genüssen, Anregungen bietet, sich nur – gleichsam wie eine schmückende Arabeske – als Beiwerk gruppiert. Arbeit, die sie nicht nur erfüllt, solange sie als Schülerinnen in diesem Hause ein- und ausgehen; sondern Arbeit, die sie mit hinausnehmen, wenn sie die Schule verlassen, als einen Teil ihres Lebens, der nicht zugrunde gehen kann, der zu ihnen gehört, der ihre Lebensauffassung und ihr Tun bestimmt, wo das Schicksal sie auch hinführen, welcher Platz ihnen auch einmal später zugedacht sein mag. …“ 1925 gründete Alice Salomon die ‚Deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit’, eine Institution zur Fortbildung von Führungskräften der Sozialarbeit mit einer eigenen Forschungsabteilung. Mit dieser Akademie wurden erstmals erhöhte Professionalisierungsansprüche an den sozial-pädagogischen Beruf gestellt, ähnlich wie in der “School of Social Service Administration” des Teams Edith Abbott, Grace Abbott und Sophia Breckinridge in Chicago.

 


Alice Salomon veröffentliche zahlreiche Schriften über Mutter- und Arbeiterinnenschutz, Wohlfahrtspflege und Ausbildungsfragen. Trotz ihrer mannigfaltigen Tätigkeiten, publizierte sie viele Artikel zum Thema Mädchen- und Frauenbildung und machte aufmerksam auf die häufig unwürdigen Lebensbedingungen Der Arbeiterinnen. Obwohl Alice Salomon 1914 zum Protestantismus konvertierte und Elemente der protestantischen Sozialethik eine wichtige Grundlage ihres Werkes wurden, galt sie für die Nationalsozialisten als Jüdin.

Zu ihrem sechzigsten Geburtstag 1932 wurden ihr hohe Ehrungen zuteil, so auch ein Ehrendoktorat der Universität Berlin. Ein Jahr später verlor sie alle Ämter. 1933 hatten die Nationalsozialisten die international bekannte Wegbereiterin Sozialer Arbeit aus allen öffentlichen Ämtern gedrängt. Sechs Jahre später wurde die inzwischen 65-Jährige, kurz nachdem sie von einer Vortragsreise aus den USA zurückgekehrt war, nach Verhören durch die Gestapo zur Emigration gezwungen, die Alternative war das Konzentrations- beziehungsweise Vernichtungslager. Dass sie überhaupt vor die Alternative gestellt wurde, hatte sie ihrem internationalen Ruf zu verdanken. Bis zu ihrer Vertreibung hatte Alice Salomon in einem Hilfskomitee für jüdische Emigranten gearbeitet. Sie emigrierte am 18. Juni 1938, über England in die USA und lebte von dort an in New York. In ihrem Abschiedsbrief an ihre Freunde und Weggefährten schrieb sie zum Abschied: “Ich gehe in ein Leben des Kampfes um Brot – aber guten Mutes in froher Zuversicht – völlig ungebrochen in geistiger und sittlicher Kraft, in meinem Wertgefühl, das nicht von außen beeinträchtigt werden kann. Das Eine, wozu meine Kraft nicht reicht, ist zum persönlichen Abschiednehmen.”

 


1939 wurden ihr die deutsche Staatsangehörigkeit und die beiden Doktortitel aberkannt. 1944 erwarb sie die amerikanische Staatsbürgerschaft. Ein Jahr darauf wurde sie Ehrenpräsidentin des Internationalen Frauenbundes und der Internationalen Vereinigung der Schulen für Sozialarbeit.

In der neuen „Heimat“ konnte Alice Salomon ihre berufliche Karriere nicht fortsetzen, wie so viele andere Emigranten, die aus einem erfolgreichen und erfüllten Leben unfreiwillig herausgerissen wurden. Als bezeichnend für ihre Situation kann ihr Versuch gelten,ihre Autobiografie zu veröffentlichen. Begleitet von Vertröstungen, Zusagen und Absagen blieb ihr dieses wichtige Anliegen verwehrt. Die Memoiren erschienen in Deutschland erst im Jahr 1983 (Neuauflage 2008), in den USA 2004.

Alice Salomon, geboren am 19. April 1872 und verstarb am 30. August 1948 in New York beeinflusste die Pädagogik in aller Welt, von Skandinavien bis Japan. Auch die von ihr angestoßene Akademisierung von Frauenberufen halte bis heute an. Die große Fachhochschule für ErzieherInnen und SozialpädagogInnen in Berlin trägt heute ihren Namen, wie auch ähnliche Projekte in der ganzen Welt.

 

Bild 1: Alice Salomon – Quelle: j-zeit.de · Bild 2: A. Salomon mit Schülerinnen 1915 – Quelle: alice-salomon-archiv.de · Bild 3: Gedenktafel in Berlin-Schöneberg – Quelle: wikipedia.org · Bild 4: Buchtitel Alice Salomon – Quelle: ash-berlin.eu · Bild 5: Briefmarke A. Salomon – Quelle: wikipedia.org

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