Artur Gold

Artur Gold

Der Pole Artur Gold ✡ gedemütigt • erniedrigt • ermordet

„Die Erniedrigung eines anderen Menschen ist immer eine Angleichung an das eigene Niveau.“ Michael Richter

Artur Gold steht unter anderem für die vielen Hunderttausenden osteuropäischen, für uns namenlosen Juden, die die Shoah grausam dahinraffte. Da er diese Zeit auch nicht überlebte, konnte er uns im Nachhinein auch nichts über sich erzählen, so sind unsere Kenntnisse von und über ihn nur Fragmente, Puzzleteile, die wenig über seine Träume und seinen Charakter aussagen. Um ihm nachzuspüren benötigen wir unsere ganze Emphatie, denn die wenigen Fakten wären schnell erzählt. Doch vielleicht ist es gerade Artur Gold, der uns aus diesen Nebeln des Grauens, des wenig Begreifbaren, eine Ahnung zuteil werden lassen kann, um das völlig Unfassbare ein wenig besser zu verstehen. Artur Gold wurde am 17. März 1897 in Warschau geboren, wo er aller Wahrscheinlichkeit auch aufwuchs. Er wurde an der Geige ausgebildet und erlernte Komposition, wo er und seine Brüder Adam und Henrik, die auch Musiker waren, ausgebildet wurden, ist nicht bekannt. Er spielte synagogale Musik, doch seine Leidenschaft war der Jazz. Variationen flossen nur aus ihm so heraus. Erst mit 25 Jahren tritt er aus dem Heer der namenlosen Musiker heraus und erwarb sich mit seiner von ihm und seinem Cousin gegründeten Jazz-Band, dem Petersburski & Gold Orchester einen Namen. Mit diesem Orchester wurden er und seine Band Kollegen in Polen sehr bekannt, auch wegen des Siegeszugs der Schallplatte. Mit Gründung der polnischen Odeon-Gesellschaft im Jahre 1929 wurden er und Petersburski auch Leiter der dortigen Hauskapelle, zuständig für alle Formen moderner Tanzmusik. Auch seine Kompositionen waren äußerst beliebt und bekannt, doch blieb diese Bekanntheit auf Polen begrenzt.

Dies freie und kreative Leben änderte sich gewaltig nach dem Einmarsch der Deutschen Truppen, dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. Wir wissen heute um die Drangsal, die auf die polnische Bevölkerung durch die Deutschen niederprasselte, dies traf am Anfang besonders die intellektuelle Schicht und vor allen Dingen die Juden Polens.


1940 war Artur Gold gezwungen im Warschauer Ghetto zu leben, doch auch dort spielte er auf, um dem dortigen Leben so viel ‚Normalität’ wie möglich angedeihen zu lassen. Im Warschauer Ghetto trat er mit anderen im Nowoczesna-Restaurant auf, gab aber auch Geigenunterricht. 1942 wurde Artur Gold nach Treblinka deportiert. Als der Stellvertretende Lagerleiter Kurt Franz ihn mit seiner Geige aus dem Deportationszug aussteigen sah, holte er ihn aus der Gruppe der zu vergasenden jüdischen Menschen heraus und zwang ihn in dem kleinen Lager der Häftlinge, die für die ‚reibungslose’ Durchführung des Massenmordes zwangsweise tätig waren, ein Orchester zu bilden. Das Häftlingsorchester bestand aus bis zu 10 Musikern, die auch zum üben von der Arbeit befreit wurden. Artur Gold versuchte und schaffte es, aus den zusammen gewürfelten Menschen ein Orchester zu formen. Sie spielten bei Abendappellen Marschmusik, polnische und jiddische Lieder; spielten vor der SS-Mannschaft Operettenmusik und mussten laut aufspielen, um die Schreie der zu vergasenden Menschen zu übertönen. Das Orchester spielte oftmals so laut auf, dass in der bäuerlichen Umgebung häufig der Satz fiel: „Die Juden sind heute aber besonders übermütig, denen geht’s aber gut.“ Der Sadist Kurt Franz, seinen Sadismus bestätigte später das Landgerichtes Düsseldorf im Jahre 1965 in seiner Urteilsbegründung unter anderem: „[…] Er offenbarte dabei einen derartigen Sadismus und eine solche Missachtung allen jüdischen Lebens, dass die menschliche Phantasie kaum ausreicht, um sich die von ihm oder unter seiner Leitung und Mitwirkung verübten Untaten überhaupt vorstellen zu können. Er bezeichnete die im Lager befindlichen Juden als ‚Arschlöcher‘, als ‚Dreck‘, als ‚Scheiße‘ und als ‚Hunde‘, die so bald und so gründlich wie möglich beseitigt werden müssten. Irgendeine Achtung vor dem Leben und der Persönlichkeit seiner Opfer war ihm völlig fremd. Er misshandelte, boxte, prügelte und tötete, wenn es ihm Spaß machte und wenn er gerade dazu aufgelegt war. Er fand nichts dabei, wenn sein Hund Barry sich auf seinen Zuruf auf die hilflosen Juden stürzte, sie zu Boden warf und sie in seiner Anwesenheit verletzte und zerfleischte. War ein Häftling infolge dieser Misshandlungen nicht mehr arbeitsfähig, so erschoss ihn Franz auf der Stelle oder ließ ihn zur Liquidierung ins Lazarett bringen, wenn ihm aus irgendwelchem Grunde nicht danach zumute war, die Erschießung selbst vorzunehmen. […] Demgemäß war der Angeklagte Franz der Schrecken des ganzen Lagers. Sobald er sich zu Fuß, zu Pferde oder auf dem Fahrrad im Lager sehen ließ, warnte einer den anderen vor seinem Kommen, weil man wusste, dass jetzt wieder irgendeine Misshandlung oder Tötung fällig sein würde. Jeder Häftling, mochte er noch so krank oder schwach sein, erhöhte seinen Arbeitseifer und bemühte sich, einen möglichst günstigen Eindruck zu machen, um nur ja nicht aufzufallen. Gleichwohl fand der Angeklagte immer wieder Gründe, um jüdische Häftlinge zu misshandeln und zu quälen und sie sogar entweder an Ort und Stelle zu töten oder zum Lazarett zur Erschießung zu schicken. Besonders gefürchtet war seine Anwesenheit bei den täglichen Appellen, wo er sehr häufig in großem Umfang Selektionen vornahm, um die Kranken und nicht mehr voll Arbeitsfähigen für die Liquidierung im Lazarett auszusuchen oder als Vergeltung für irgendwelche Fluchtversuche, Verstöße gegen die Lagerdisziplin oder sonstige Nichtigkeiten. In zahlreichen Fällen verhängte er auch die Prügelstrafe und vollzog sie eigenhändig auf dem dafür vorgesehenen Prügelbock. Dabei beschimpfte und bedrohte er sowohl die bedauernswerten Opfer als auch die angetriebenen Arbeitshäftlinge in der gemeinsten und unflätigsten Weise und machte aus allem eine große Schau, die Furcht und Schrecken verbreitete und in der der Angeklagte sich selbst bestätigen wollte […].“ Dieser Sadist also, verlangte später von den Männern des Orchesters, dass sie eine frackähnliche Einheitskleidung aus weißer und blauer Seide mit grotesken, übergroßen Fliegen zu tragen hätten. Auch musste das Häftlingsorchester vor der SS und den Wachmannschaften Boxkämpfe vorführen, die nicht gespielt sein durften. Die Häftlinge mussten einander schädigen, geschwächt wie sie waren, nur zur Belustigung der unmenschlichsten Triebe der ‚Herrenmenschen’. Auch kleine Schauspielstücke und Tanzvorführungen gehörten zum Repertoire der Demütigungen. Der Überlebende Samuel Willenberg erzählte vom Orchester aus Treblinka: „Um das, was sich dort abspielte ins Lächerliche zu ziehen. Sie spielten mittags für die Deutschen beim Essen, vor dem Fenster des Speisesaals. Sie spielten nach dem Appell, nachdem geprügelt worden war. Wir sangen das Lied ‚Góralu, cy ce ni źal…’, damit sie in den umliegenden Dörfern hörten, dass es hier Leben gab. Die Bauern erzählten anschließend: die haben aber gesungen! Und die Deutschen brüllten: Lauter!“

Dies ‚Góralu, cy ce ni źal…’ ist eine sentimentale Volksweise, die auch heute noch im Süden Polens gesungen wird, besungen wird die Rückkehr in die Bergheimat; welch Gefühle muss diese Lied in den Häftlingen ausgelöst haben … Doch bleiben am Ort des kaum vorstellbaren Schreckens, Treblinka. Nachdem ein Gedicht über Treblinka von Walter Hirsch verfasst wurde, zwang Kurt Franz den Leiter des Häftlingsorchesters, Artur Gold, dies zu vertonen. Artur Gold komponierte die Musik zur so genannten Treblinka-Hymne:

Festen Schritts und Tritts und den Blick geradeaus,
immer mutig und froh in die Welt geschaut,
marschiert die Kolonne zur Arbeit.
Für uns gilt heute nur Treblinka,
das unser Schicksal ist.
Darum haben wir uns auf Treblinka
umgestellt nach kurzer Frist.
Wir hören den Ton der Kommandanten.
und folgen ihnen auf den Wink
und geh’n in Schritt und Tritt zusammen
für alles, was die Pflicht von uns verlangt.
Die Arbeit soll uns alles hier bedeuten
und auch Gehorsamkeit und Pflicht,
wir wollen weiter, weiter leisten,
bis uns das kleine Glück auch einmal winkt.

Dieses Lied musste nach dem Appell, beim Abmarsch zur Arbeit, bei der Rückkehr zwei- bis dreimal und beim Abendappell erneut von den Häftlingen gesungen werden, und dies im Angesicht des Todes Hunderttausender und dem Wissen um den eigenen Tod.

Im Zug der Vertuschungsaktionen des Völkermords in Treblinka und dem Abbau der Gebäude und Baracken, wurde Artur Gold von der SS 1943 ermordet.

Wir wollen nicht vergessen, dass es ihn gab …

Bild 1: Artur Gold – Quelle: wikimedia.org · Bild 2: Band mit Artur Gold – Quelle: wikipedia.org · Bild 3: Plastik des Orchesters von Treblinka – Quelle: deathcamp.net

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