Widerstand + Aufstand in Sobibór

Widerstand + Aufstand in Sobibór

14. Oktober 1943 Ausbruch jüdischer Gefangener, erfolgreich ….

Sobibór war ein wahres Menschen-Vernichtungslager (ich berichtete), denn die Züge der ‚eingesammelten’ zumeist jüdischen Mensch blieben an der Rampe stehen, eine Selektion gab es nicht, die Menschen gingen waggonweise der Tötungsmaschinerie entgegen und wurden vernichtet:
 
hunderte, tausende, hunderttausende …
 
Nichts hielt diese Menschenverachtung auf. Nichts?
 
Es gab ein kleineres Lager mit Arbeits- und Funktionsjuden, die die „Drecksarbeit“ machen musste, diese wurden häufig ausgetauscht, um „Mitwisser“ zu beseitigen.
 
Wiederholt gab es Fluchtversuche aus dem Lager, einige waren erfolgreich. Als Vergeltung wurden Dutzende von Häftlingen hingerichtet. Der Gedanke an Flucht, Aufstand und Revolte kam unter den Funktionshäftlingen des Lagers immer wieder zur Sprache. Den Häftlingen war klar, dass sie als Zeugen des Mordens in jedem Fall getötet würden. Einige Monate zuvor hatte sich eine kleine Gruppe von „Arbeitshäftlingen“ unter Leitung des polnischen Juden Leon (Ljaibl) Felhendler zu einem Untergrundkomitee zusammengeschlossen, das unter strengster Geheimhaltung Pläne für eine Massenflucht entwickelte. Die Gruppe bestand aus etwa zehn Männern, die im Laufe der Zeit aus verschiedenen Transporten zu Arbeitern im Lager selektiert worden waren. Schon davor waren Juden geflohen – u.a. fünf Männer aus dem „Waldkommando“ – oder bei einem Versuch gescheitert. Felhendler und seine Kampfgefährten kamen über den inständigen Wunsch nicht hinaus; für das Gelingen einer so komplizierten Aktion fehlte ihnen das notwendige Wissen und Können.
 
Im Sommer 1943 legte die SS zur Verhinderung weiterer Ausbruche und zum Schutz vor Partisanenangriffen rund um das Lager einen Minengürtel an. Im Juli und August desselben Jahrs bildete sich unter den jüdischen Häftlingen in Sobibór eine Untergrundgruppe unter Führung von Leon Feldhendler, dem früheren Vorsitzenden des Judenrates in Zoikiew, einer Stadt in Ostgalizien. Die Gruppe plante einen Aufstand und eine Massenflucht aus dem Lager. In der zweiten Septemberhälfte wurden sowjetisch-jüdische Kriegsgefangene aus Minsk ins Lager gebracht, darunter Leutnant Alexander Petscherski. Die Untergrundgruppe übertrug ihm das Kommando, Feldhendler war sein Stellvertreter. Die Häftlinge planten, die SS-Männer zu töten, Waffen in ihren Besitz zu bringen und sich den Weg aus dem Lager freizukämpfen. Der Aufstand begann am 14. Oktober 1943, in seinem Verlauf wurden elf SS-Männer und mehrere Trawniki-Männer getötet. Fast 300 Häftlinge konnten fliehen, aber die meisten fielen den Verfolgern zum Opfer. Auch diejenigen, die sich nicht am Aufstand beteiligt hatten und im Lager geblieben waren, wurden umgebracht. Etwa 50 Entflohene erlebten das Ende des Kriegs.
 
Kalmen Weweryk, der an dem Aufstand teilnahm und Sobibór überlebte, beschrieb seine Erlebnisse folgendermaßen:
 
„An den Tag unseres Aufstands erinnere ich mich ganz genau – es war der 14. Oktober 1943. Wir beteten in unserer Baracke, weil Sukkot war, das heilige Laubhüttenfest im hebräischen Kalender. Natürlich beteten wir heimlich im Dunkeln, so wie wir es schon bei Yom Kippur und Rosh Hashana getan hatten. Als es soweit war, mussten Juden an verschiedenen Arbeitsplätzen ein Zeichen erhalten, dass der jeweilige Kapo einen Deutschen herbeiholen sollte – das bedeutete, dass die Männer mit ihren Waffen bereit waren, ihn zu erledigen. Hauptsächlich wurden Messer und Äxte eingesetzt. Ein Deutscher wurde in der Schusterwerkstatt erdrosselt, da wir nicht wollten, dass laute Schüsse zu hören waren. Jedem Deutschen, der in eine Werkstatt gelockt und getötet wurde, nahmen wir seine Pistole ab und gaben sie einem unserer Gruppenanführer. […] Um 16.30 Uhr war also der Zaun durchbrochen und viele der Deutschen, die sich üblicherweise in unseren Bereichen bewegten, waren liquidiert worden. Wir hatten vorhergesehen, dass 200 bis 300 Juden bei unserem Ausbruch getötet würden, doch wir hatten uns seelisch auf diesen hohen Preis an Menschenleben eingestellt, weil wir unglaublich verzweifelt waren. Wir wussten, dass die Deutschen uns zum Tode verurteilt hatten – früher oder später. Wir hatten bis zu diesem Punkt alle Widrigkeiten zum Trotz überlebt, doch bald wären wir dran. Todesopfer bedeuteten uns nichts, denn wir waren schließlich alle toten Männer, das wussten wir […] Wir waren nur darauf erpicht, davonzukommen, den Wald zu erreichen und der Hölle zu entkommen, die Sobibór hieß. Nach einer scheinbaren Ewigkeit, die tatsächlich nur ein paar Minuten gedauert hatte, wurden die Bäume größer und völlig außer Atem rannte ich kopfüber darauf zu. Ich werde nie begreifen, woher ich die Kraft nahm, dermaßen zu rennen. Und dann – endlich – war ich unter Bäumen. Sobibór lag hinter mir. Ich war frei.“
 
Alexej Weizen war am Aufstand im Vernichtungslager Sobibór beteiligt, er berichtet:
Alle im Viehwaggon haben gewusst, dass wir ins Vernichtungslager gebracht werden. Wir alle haben gewusst, dass sie uns dorthin bringen, um uns zu töten, und dass, wenn wir dort ankommen, unser Leben zu Ende ist. Ich begann schon auf der Fahrt ins Lager auf den Tod zu warten. Im Lager Sobibór wartete ich dann ständig auf ihn. Jede Minute, jede Sekunde war ich mir bewusst, dass sie mich umbringen können. Sie konnten dich einfach so umbringen, weil sich dein Blick zufällig mit dem eines Aufsehers traf oder weil sie einfach schlechte Laune hatten. Bis zum Oktober 1943, mehr als ein ganzes Jahr lang, wurde mein Dasein bestimmt von einem einzigen Gedanken: Ich wartete auf den Tod. Jeden Augenblick. Jeden Tag wurde gefoltert, geschossen und gemordet. In solch einer Welt war wenig Freundschaft möglich. Erst Alexander Pecherski, der Anführer des Aufstands, schuf im Lager eine Atmosphäre, in der so etwas Ähnliches wie Kameradschaft unter den Gefangenen möglich war. Bald nach seiner Ankunft gründeten wir ein Untergrund-Komitee. Wenn Alexander Pecherski nicht gewesen wäre, hätten sie uns alle ermordet. Er hat uns zum Aufstand geführt. Wir haben die Deutschen einzeln umgebracht – insgesamt 14 Deutsche. Als ersten töteten wir Johann Niemann, den Stellvertreter des Lagerkommandanten. Und dann flohen wir. Viele Häftlinge starben, als sie den Stacheldrahtzaun mithilfe ihrer Körper zerstörten. Mit einem lautem Hurra warfen sie sich gegen den Stacheldraht – dann kamen andere und kletterten über die ersten hinweg in die Freiheit, während ständig auf sie geschossen wurde.“
 
 
Thomas ‚Toivi’ Blatt war 16 Jahre alt, als er 1943 mit den Eltern sowie einem Bruder aus dem polnischen Izbica in das Vernichtungslager Sobibór deportiert wurde. Dort wurde er zum Arbeitseinsatz selektiert, während die Angehörigen sofort in den Gaskammern ermordet wurden. Ein Aufschub, denn auch für ihn, wie für alle zum Arbeitseinsatz selektierten Menschen, hatten die Deutschen den Tod vorgesehen. Blatt jedoch entkam seinen Mördern. Er war an dem Aufstand der Häftlinge in Sobibór am 14. Oktober 1943 beteiligt, der 320 Menschen die Flucht aus dem Todeslager ermöglichte, in dem insgesamt über 250.000 Menschen ermordet wurden.
 
„Ich habe Sobibór aufgrund dieses Aufstandes überlebt und habe seitdem immer das Gefühl gehabt, dass seine Geschichte und die von Sobibór als Ganzes erzählt werden muss“.
 
 
 
Auf der Grundlage eigener Aufzeichnungen sowie jahrelanger intensiver Nachforschungen berichtet Blatt über den „vergessenen Aufstand“ in Sobibór. Wenn Blatt von einem „vergessenen Aufstand“ spricht, so geht es ihm um die angemessene Würdigung der Ereignisse. Blatt schildert den Verlauf des Aufstandes präzise und anschaulich. Seinen Bericht, der im Übrigen auch eine allgemeine Geschichte des Lagers Sobibór enthält, vervollständigen zwei Interviews. Das eine führte Blatt 1979 mit Alexander Pecherski, der bis zu seinem Tode im Jahr 1990 in der Sowjetunion lebte. Das andere Interview führte Blatt mit einem der Mörder aus Sobibór. 1983 traf er den ehemaligen SS-Scharführer Karl Frenzel. Der konnte bis 1962 unerkannt in der Bundesrepublik leben, wurde dann verhaftet und im Hagener Sobibor-Prozess 1966, über den der Beitrag „Sobibór im Spiegel bundesdeutscher Justiz und Medien“ im Anhang des Buches berichtet, zu lebenslanger Haft verurteilt. Zu Beginn der 80er-Jahre strengte er ein neuerliches Verfahren in seiner Sache an, das aber 1985 abgelehnt wurde. Die lebenslange Strafe wurde bestätigt. Trotzdem kam Frenzel frei, weil das Gericht in der weiteren Inhaftierung eine gesundheitliche Gefahr für ihn anerkannte. Über die „Begegnung mit einem Mörder“ schrieb Blatt einen Artikel, der 1984 im Stern erschien und hier nun in überarbeiteter Form wiedergegeben wird.
 
Tatsächlich wurden die jüdischen Widerstandsaktionen gegen die deutschen Mörder in der Forschung lange Jahre vernachlässigt. Die Vernichtungsgeschichte wurde aus der Perspektive der Täter und auf der Grundlage ihrer Hinterlassenschaften erzählt. In dieser Sichtweise dominierte das Bild wehrloser jüdischer Opfer, die ihr Schicksal widerstandslos hinnahmen. Unbeachtet blieb die Frage, welche Möglichkeiten des Widerstandes für die Menschen überhaupt bestanden und wie sie diese hätten wahrnehmen können. Deutlich wurde erst allmählich, dass der massenhafte Mord etwa an den polnischen Juden auch deshalb möglich war, weil diese Menschen durch brutale Ghettoisierung und einer aus heutiger Sicht kaum mehr vorstellbaren Politik der Gewalt und Unterdrückung sowohl körperlich als auch seelisch entwürdigt und entkräftet waren. Wie sollten diese Menschen zu Widerstand fähig sein?
 
Umso bewunderungswürdiger ist es, dass sie es dennoch immer wieder waren. Der Aufstand in Sobibór ist unter diesen Umständen von besonderer Bedeutung, weil er „erfolgreich“ war. Was das unter den gegebenen Umständen bedeutete, hat der französische Regisseur Claude Lanzmann 2001 in dem Dokumentarfilm „Sobibór, 14. Oktober 1943, 16 Uhr“ thematisiert.
 
Durch diesen Aufstand und den gewaltsamen Ausbruch nahmen sich diese Männer nicht nur die Freiheit wieder zurück, sie gaben sich auch wieder ihre Menschenwürde und nicht nur sich selbst sondern allen Opfern.
 
Das Vernichtungslager Sobibór wurde nach dem Aufstand aufgelöst. Es fanden keine Deportationen jüdischer Menschen nach Sobibór mehr statt, in den Gaskammern wurde nicht mehr gemordet.
 

Zum 60. Jahrestag des Häftlingsaufstandes wurde 2003 eine Gedenkallee eingeweiht.

Diese Gedenkallee verläuft auf dem letzten Weg der Jüdinnen und Juden, die nach Sobibór deportiert wurden, er verläuft von der Rampe bis zur Gaskammer. Entlang dieses Weges werden Bäume gepflanzt und Steine mit den Namen Ermordeter gesetzt. Auch für Jüdinnen aus Ostwestfalen-Lippe sind dort einige Steine gesetzt. Ergänzt wir dies mit einem  Archivraum im Museum, es sind dort u.a. Fotos und fragmentarische Lebensläufe der Opfer einsehbar.

Die einzelnen Menschen mit ihren unterschiedlichen Lebenswegen können so der Anonymität der großen Zahl entrissen werden.

Heute befindet sich eine große Gedenkstätte auf dem ehemaligen Lagergelände. Denkmäler und ein kleines aber gut geführtes Museum informieren den Besucher über das grausige Geschehen.
 

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