Camp de Gurs • Südfrankreich • Vorhof der Hölle

Camp de Gurs • Südfrankreich • Vorhof der Hölle

 

Das Camp de Gurs in der französischen Ortschaft Gurs am Westrand der Pyrenäen war bereits vor dem Zweiten Weltkrieg das größte französische Internierungslager. Es wurde im April 1939 als Sammellager für republikanische Kämpfer aus dem spanischen Bürgerkrieg errichtet, ferner wurden dort politische Flüchtlinge aus der Region interniert. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges während der deutschen Besetzung Nordfrankreichs nutzte die Regierung von Édouard Daladier, später das Vichy-Regime Gurs als Internierungslager zur Unterbringung von Strafgefangenen zusammen mit unerwünschten Personen. Der Ort wurde nicht zufällig gewählt. Er liegt weit weg von den Stadtgebieten und befindet sich nur etwa zehn Kilometer vom Bahnhof von Oloron an einer Nationalstraße. Damit ist er leicht zugänglich sowohl für Züge, die spanische Republikaner bringen, als auch für die Versorgung. 

Die Tiefbauabteilung des Departements errichtet zwischen März und April 1939 eine Stadt aus Holz mit einer Aufnahmekapazität von 18.500 Personen. Die Baracken stehen beiderseits der Zentralallee des Lagers, die zwei Kilometer lang und die einzige geteerte Fläche ist. Die 428 Baracken, die das Lager bilden, befinden sich auf einem Gebiet von 79 Hektar und sind in 13 Blocks unterteilt. Jeder Block ist von Stacheldraht umschlossen. Gurs ist nach denselben Mustern gebaut wie die anderen Lager der Region: die Baracken des Lagers sind aus Holz und sehr schlecht isoliert. Für eine provisorische Unterbringung geplant, schützen sie wenig vor Kälte und Regen. Jede Baracke ist 24 mal 6 Meter groß und für ca. 60 Internierte vorgesehen. Jeder Block hat gemeinsame sanitären Einrichtungen und eine gemeinsame Küche.

Hieraus befanden sich nunmehr folgende ‚unerwünschte’ Personengruppen im Lager:

Als linke, militante Franzosen wurden damals folgende Gruppen bezeichnet Gewerkschafter, Sozialisten, Anarchisten und Kommunisten, die nach dem Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakt als gefährlich angesehen wurden. Die Ersten dieser Gruppe wurden am 21. Juni 1940 eingeliefert. Die Mehrzahl unter ihnen wurde noch vor Ende des gleichen Jahres in andere Lager verlegt. Ferner Pazifisten, die es ablehnten, in der Rüstungsindustrie zu arbeiten, sowie Repräsentanten der französischen extremen Rechten, die mit der Wehrmacht und der Nazi-Ideologie sympathisiert hatten. Die französische Verwaltung unterschied hier vier Gruppen von spanischen Gefangenen im Internierungslager Gurs. Gudaris, baskische Nationalisten bzw. Angehörige der baskischen Armee während des Spanischen Bürgerkriegs; Brigadisten: Soldaten der Internationalen Brigaden, die im spanischen Bürgerkrieg gegen Franco kämpften; sowie Spanier, die ohne verwandtschaftliche, politische oder persönliche Beziehungen in Frankreich aufgegriffen wurden, die aber keiner der übrigen Gruppen angehörten und zuvor in der Landwirtschaft oder anderen schlecht bezahlten Berufen gearbeitet hatten und die Frankreich als Last ansah. In der letzten Mai-Woche 1940 erhöht sich die Zahl der Insassen von Gurs von 1.500 auf 12.000. Es kommen deutsche und österreichische Frauen (vor allem Jüdinnen), die nach der Invasion des 10. Mai 1940 von Belgien abgeschoben worden sind, diejenigen, die in Frankreich ab dem 15. Mai festgenommen worden sind, sowie französische Kommunisten, die seit Abschluss des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts für pro-nationalsozialistisch eingestuft werden. Die deutschen Juden wurden in Deutschland verfolgt, weil sie jüdisch sind, in Frankreich, weil sie deutsch sind. All diese Personen werden von der französischen Verwaltung als unerwünscht bezeichnet und als Spione des Dritten Reiches verdächtigt. Das erste Kontingent aus den Niederlanden kam am 21. Mai 1940 in Gurs an, elf Tage nach dem deutschen Überfall auf die Niederlande. Unter ihnen befand sich eine bedeutende Zahl deutscher Juden, die vor dem Naziregime geflohen waren, wie z.B. Hannah Arendt; sie war 1933 vor den Nazis nach Frankreich geflohen und wurde im Mai 1940 in Gurs interniert.

Mit der Unterzeichnung des Waffenstillstands vom 22. Juni 1940 zwischen Frankreich und Deutschland fiel die Region, in der sich das Lager befand, in die unbesetzte Zone, die vom Vichy-Regime kontrolliert wurde; das Lager wurde unter zivile Verwaltung gestellt. Der von der Regierung Daladier eingesetzte Militärkommandant verbrannte vor dem Übergang der Autorität die Akten und ließ die spanischen republikanischen Internierten entkommen, die in der französischen Bevölkerung untertauchten. Andererseits bewirkte der Brand der Akten, dass eine große Zahl von ehemaligen Internierten nach dem Krieg große Schwierigkeiten hatten, Entschädigungen für ihre Internierung zu erhalten. Deutsche Staatsangehörige wurden entlassen, da sie nicht mehr zu den ‚Feinden’ des Landes gehörten. Das Lager ist fast leer und in einem solchen Zustand rechnet jeder damit, dass das Lager definitiv geschlossen werden wird. Die Regierung von Vichy wird jedoch anders entscheiden. Die deutschen Behörden, allen voran Adolf Eichmann, ‚wünschten’ ein Konzentrationslager.

Auf Betreiben des Gauleiters von Baden, des besonders fanatischen Nazis Robert Wagner, sowie des Gauleiters Josef Bürckel, aus dem Gau Saarpfalz wurden im Rahmen der ersten planmäßigen Deportation von Juden aus Deutschland am 22. Oktober 1940 6.538 Deutsche jüdischen Glaubens aus Baden, der Pfalz und dem Saarland von der Gestapo und französischen Behörden nach Gurs verschleppt. Ihre Eisenbahntransporte kamen aus Mannheim (2335), Heidelberg (1380), Karlsruhe (900), Baden-Baden (106), Freiburg und Konstanz. Am frühen Morgen des 22. Oktober 1940 wurden die „transportfähigen Volljuden“,  wie es in einem Merkblatt der Nationalsozialisten hieß, in ihren Wohnungen festgenommen und abtransportiert. Für die Deportation nach Gurs waren 827 Personen (483 Frauen und 344 Männer) aus der Pfalz vorgesehen. Die meisten von ihnen waren über 47 Jahre, die beiden Ältesten 87 und 88 Jahre alt! Deportiert wurden 63 Kinder, zwei von ihnen nur wenige Monate alt. Die damals neunjährige aus Kaiserslautern stammende und heute in der Schweiz lebende Margot Wicki-Schwarzschild erinnert sich noch gut an den Tag der Deportation: „Eines sehr frühen Morgens wurden wir jäh aus dem Schlaf gerissen; Stiefelgetrampel und lautes Klopfen an der Wohnungstür, Ich sah meine Eltern erbleichen, zu Tode erschrecken… In der Tür standen Gestapo-Leute in Zivil… Ich sah meinen Vater zittern, meine Mutter weinen… So standen wir, zusammen mit unserer fast 80-jährigen Großmutter, eine Stunde später übernächtigt und blass, bereit zum Abtransport… Wir wurden dann am späten Abend auf den Güterbahnhof getrieben, durch eine Unterführung, in der die Hitlerjugend der ganzen Stadt Spalier stand, uns verhöhnte, beschimpfte und anspuckte. Wir kamen uns wie der Abschaum der Menschheit vor.“ Von Ludwigshafen aus begann der Sammeltransport für die Pfälzer. Vier Tage und drei Nächte waren die Züge unterwegs bis an den Rand der Pyrenäen. Schon während des Transports waren einige, insbesondere ältere Frauen und Männer gestorben, andere starben bald nach der Ankunft in Gurs. Die aus dem westpfälzischen Brücken verschleppte Hilda Straaß, geb. Mann, schrieb am 6. Dezember 1940 an eine befreundete Familie in ihrer Heimat über die Unterbringung in Gurs: „In unserer Baracke sind 50 Personen, Frauen und Kinder… Wir sind hier interniert und leben hinter Stacheldraht… Wir liegen auf Strohsäcken auf dem Boden und die Decken geben nicht warm. Wir haben weder Tisch nach Stuhl und auch keine Fenster, nur Lucken… Wir haben dauernd Hunger und frieren auch sehr…“ Über die Situation in Gurs, die katastrophalen hygienischen Zustände und die mangelhafte Verpflegung liegen zahlreiche weitere erschütternde Augenzeugenberichte vor. Ohne den Einsatz internationaler Hilfsorganisationen, etwa des Schweizer Kinderhilfswerks und seine Schwester Elsbeth Kasser („der Engel von Gurs“) oder der amerikanischen Quäker, die tonnenweise Lebensmittel und Kleidung ins Lager brachten, wäre die Zahl der in Gurs Verstorbenen sicher noch höher gewesen. Im Frühjahr 1941 wurden viele Internierte in benachbarte Lager verlegt, manche, die über Ausreisepapiere verfügten, konnten noch auswandern.

Im Rahmen der bei der Wannsee-Konferenz beschlossenen „Endlösung der Judenfrage“ wurden ab März 1942 auch die in Frankreich internierten Juden in Absprache mit der Vichy-Regierung in den Osten verschleppt. Unter ihnen befanden sich mindestens 334 der über 800 Personen, die 1940 aus der Pfalz nach Gurs deportiert worden waren. Allein 314 von ihnen kamen nachweislich nach Auschwitz. Unter ihnen war auch der 14-jährige Günther Hausmann aus Kirchheimbolanden mit seinen Eltern. Sein jüngerer Bruder Carl, der in einem südfranzösischen Kinderheim untergekommen war, blieb verschont. Er kam nach dem Krieg mutterseelenallein zu seinen Verwandten in die USA. Heute lebt er in New Jersey: „Es ist schwer für mich zu vergeben und unmöglich zu vergessen. Von meiner Kindheit bis heute plagen mich stets die Erinnerungen an die Vernichtung meiner Familie durch die Hände deutscher Menschen, All jenen, die für dieses schreckliche Verbrechen Verantwortung trugen, kann ich nicht vergeben. Ich hoffe, dass meine Aussage für die jüngere Generation und die Humanität in irgendeiner Weise von Nutzen sein wird, so dass die kleine Familie von Kirchheimbolanden wie die Millionen anderer, nicht vergebens gestorben sind.“ Allein im Winter 1940/41 starben hier 800 Gefangene. Gurs war nur eines von vielen Lagern, die unter dem Vichy-Regime unterhalten wurden und etwa 20.000 Juden fest hielten. Die Deportationszüge fuhren über Drancy nach Polen. Ende Sommer 1942 Juden an, die den Razzien in der freien Zone zum Opfer gefallen sind. Am 23. November 1942 wird die gesamte Bevölkerung des Lagers von Rivesaltes nach Gurs transferiert. Letztendlich sind die Personen, die zwischen 1940 bis 1943 im Lager von Gurs interniert sind, all diejenigen, die von der französischen Verwaltung als „für die Volkswirtschaft überzählige Ausländer“ bezeichnet wurden. In August 1942 äußert sich die Radikalisierung der Politik von Vichy auch in der freien Zone in der Abfahrt der ersten Transporte in Richtung der nationalsozialistischen Vernichtungslager. Am 6. August werden 850 Personen über Drancy in die Todeslager deportiert. Zwei Tage später fahren 800 weitere Internierte mit „unbekanntem Ziel“ ab. Insgesamt werden 1.457 Personen zwischen dem 24. August 1942 und dem 3. März 1943 auf dieselbe Art und Weise von Gurs deportiert werden. In der gleichen Zeit registriert das Lager 1.038 Tote und 910 Flüchtige. Dazu kommen 12.000 Gurs- Insassen, die in andere Lager Südfrankreichs transferiert worden sind und die auch mehrheitlich nach Auschwitz deportiert worden sind.

Am 2. Juli 1943 übernahm Alois Brunner das Kommando des Lagers, assistiert von vier SS-Offizieren. Das französische Personal wurde entlassen. Nun setzte man Gefangene als Lagerpolizei ein („Membres du Service d’Ordre“). Die Lagerinsassen litten unter einem permanenten Mangel an Nahrung. Bis November 1942 belief sich die tägliche Essensration auf 600-800 Kalorien. Von Zeit zu Zeit konnten die Gefangenen diesen Notstand mildern, weil ihnen gestattet wurde, Essenspakete von Verwandten, französischen Hilfsorganisationen und dem Roten Kreuz zu empfangen. Unter Brunners Leitung verschlechterte sich die Essensversorgung jedoch schnell wieder, er ließ keine ‚Vorzugsbehandlung’ zu. Das Lager von Gurs hatte sich in der Internierung von ausländischen Juden ‚spezialisiert’. Das Regime von Vichy verhärtet seine antisemitische Politik. Für alle deutschen Frauen, die im Juli 1940 nicht weggegangen waren, weil sie nicht wussten, wohin sie gehen konnten, und dachten, sie wären im Lager vergleichsweise sicher, schnappt die Falle unwiderruflich zu. Während der Besatzungszeit starben mehr als 3.000 Juden. Mehr als 1.000 Juden sind auf dem Friedhof in Gurs beerdigt. Von den 76.000 deportierten Juden, die nach Osten verbracht wurden, haben weniger als 3.000 überlebt.

Ende Sommer 1943 sind noch etwa hundert Internierte im Lager. Es scheint sich eine baldige Auflösung des Lagers abzuzeichnen. Es dauert jedoch bis zum Handstreich des Widerstandes vom 25. September 1943, bei dem zwei Widerstandsgruppen die Lagerwachen ausschalten und sich sämtlicher in der Waffenmeisterei des Lagers befindlicher Waffen bemächtigen, bis das Innenministerium die Unmöglichkeit feststellt, das Lager länger zu schützen und seine Auflösung am 1. November 1943 beschließt. Auch wenn kein Internierter mehr in Gurs lebt, wird das Lager doch nicht geschlossen: vier Blocks und die Verwaltungsgebäude bleiben für den Fall einer Neueröffnung offen. Am 9. April 1944 wird eine Gruppe Roma und Sinti  in Block J interniert. Sie kommen aus dem Lager für Nomaden von Saliers, das kürzlich geschlossenen wurde. Von einer Verwaltung, die es nicht eilig hatte, mit den Lagern Schluss zu machen, werden ungefähr 78 Roma, die als Unerwünschte betrachtet werden, ins Lager von Gurs gebracht. Am 5. Juni kommt noch eine Gruppe von 151 Frauen aus Brens hinzu. Angesichts des schrecklichen Zustands der Baracken beginnt die Gruppe Feuer zu legen. Der Lagerleiter ist überfordert und beschließt, sie im Zentralspital zu internieren. Zigeuner und Frauen aus Brens flüchten am 25. Juni, als die deutsche Armee die Widerstandskämpfer im Krankenhaus Sainte Blaise angreift. Am 31. Dezember 1945 wird das Lager von Gurs endgültig geschlossen.

Im Wissen, dass die Freiheit nur Kilometer, über Spanien und Portugal, entfernt ist; mussten die Menschen unter unmenschlichen Bedingungen versuchen zu überleben und wurden dann zum größten Teil gen Osten, in Zügen gepfercht, vorwiegend nach Auschwitz, verfrachtet.

Eine Gedenkstätte befindet sich heute in Gurs, ebenso wird der jüdische Friedhof gepflegt, beides ist der Öffentlichkeit zugänglich.

Mit dem Hinweis auf Gurs gibt es zahlreiche Gedenkstätten in Baden und der Pfalz.

 

Foto 1: Lager Gurs – Quelle: christen-und-juden.de · Foto 2: Lager Gurs, Luftaufnahme – Quelle: jgm-net.de · Foto 3: Gurs 1941 – Quelle: jgm-net.de Foto 4: Frauen in Gurs – Quelle: yadvashem.org · Foto 5: Beim Essen 1941 – Quelle: jgm-net.de · Foto 6: Gedenkstätte Gurs – Quelle: wikimedia.org

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