Die Häftlings-Euthanasie • Die Aktion 14 f 13

Die Häftlings-Euthanasie • Die Aktion 14 f 13

„Der Mensch ist der einzige unter den Primaten, der die Tötung seiner Artgenossen planvoll, in größerem Maßstab und enthusiastisch betreibt. Der Krieg gehört zu seinen wichtigsten Erfindungen.“ Hans Magnus Enzensberger

Nachdem die Bevölkerung die Sterilisations-Maßnahmen an Behinderten und so genannten Asozialen lautlos hinnahm, auch die Kinder-Euthanasie erregte nicht allzu viel Aufsehen, beschlossen die Entscheidungsträger des nationalsozialistischen Regimes die Aktion T4, die Vergasung Tausender Behinderter, Kranker, Invaliden und Pflegebedürftiger.


Obwohl die Gesellschaft auf das ‚Ausmerzen’ des ‚unwerten Lebens’ durch Presse, Radio und Wochenschauen, sowie abscheulicher ‚Dokumentarfilme’ auf diese ‚Maßnahmen’ vorbereitet werden sollte, so entstand doch Protest zu dieser Vorgehensweise. Zuerst protestierten Juristen, da es hinsichtlich der Tötung ‚Lebensuntüchtiger’ keinerlei Gesetz gab, ein Hinweis auf den ‚Führererlass’ reichte nicht da allen. Dann protestierten die Kirchen, mal intensiver, mal weniger intensiv; doch die Nachfragen, die Gerüchte und so manche Predigt am Sonntag ließ die Bevölkerung rumoren und das Euthanasie-Programm wurde auf Geheiß Hitlers eingestellt, denn nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wollten die Schergen des Regimes ‚Ruhe an der Heimatfront’. So wurde zwar nach außen hin die Aktion T4 eingestellt, die Behörde in der Tiergartenstraße 4 in Berlin, agierte aber munter weiter. Zum einen wurde die Tötung von Kranken zurückhaltender gehandhabt, die Kranken verelendeten, wegen nicht vorhandener Pflege und ihre Essenrationen waren so bemessen, dass sie verhungern mussten. Kranke, die dann nicht ‚schnell’ genug starben, bekamen eine ‚Todesspritze’. Diese Form der ‚schleichenden Euthanasie’ oder auch ‚wilden Euthanasie’ wurde bis 1945 weiter und weniger offensichtlich vollzogen. In drei der Tötungsanstalten wurden die Gaskammern abgebaut, beziehungsweise zurückgebaut. Auch die Krematorien und anderen Räumlichkeiten wurden wieder so hergestellt, als wären dort nie Menschen vergast worden. Doch drei der Tötungsanstalten blieben erhalten, als im August 1941 die erste Phase der Euthanasie endete. Diese bestehenden Tötungsanstalten wurden nun zur so genannten Häftlings-Euthanasie verwendet. Seit dem Frühjahr 1941 hatte man damit begonnen, aus den Konzentrationslagern Häftlinge auszusondern. Diese Aktion ging auf eine Vereinbarung zwischen dem Reichsführer-SS Heinrich Himmler und dem Reichsleiter Bouhler zurück.  Durch die harten Bedingungen in den Lagern gab es dort immer mehr kranke Häftlinge, hinzu kamen die siechen Häftlinge, die zu ‚medizinischen Zwecken’ missbraucht wurden. Diese Invalidenaktion lief bei dem Inspekteur der Konzentrationslager und beim Reichsführer-SS offiziell unter der Bezeichnung ‚Sonderbehandlung 14 f 13’.

Aus Geheimhaltungsgründen bestanden auch für die Todesarten der Häftlinge in Konzentrationslagern Tarnbezeichnung:

14 f 1   hieß natürlicher Todesfall

14 f 2   hieß Freitod oder Tod durch einen Unglücksfall

14 f 3   hieß Erschießung auf der Flucht

14 f I    hieß Exekution

14 f 13 hieß die Häftlings-Euthanasie

Vom Beginn der Aktion an schickte die Organisation ‚T4’, aus der Tiergartenstraße 4 in Berlin, ständig Ärztekommissionen in die Konzentrationslager, um die für die Liquidierung in Frage kommenden Häftlinge auszumustern. Immer wieder wurden in diese Listen jedoch auch gesunde und arbeitsfähige Häftlinge aufgenommen, wenn irgendeine Stelle an deren Beseitigung interessiert war, nicht zuletzt jüdische Häftlinge. Anhand dieser Listen wurden Meldebögen im Lager ausgefüllt und den Kommissionsärzten der ‚T4’ vorgelegt. Die Ärzte sahen sich dann von Fall zu Fall die Häftlinge an, ohne sie jedoch näher zu untersuchen, und setzten als Entscheidung ihr Kreuz in das umrandete Feld des Meldebogens.   In einer Reihe von Konzentrationslagern wurden die Häftlinge von Anfang an getäuscht, sie kämen in ein Lager mit besseren Lebensbedingungen, allenfalls sogar in Sanatorien, wenn sie sich krank fühlten oder sonst dringend der Erholung bedürften, um wieder arbeitsfähig zu werden; so sollten sie sich im Krankenrevier melden.


Der ehemalige Häftling aus Auschwitz Stefan Boratynski berichtet:

„ Es meldeten sich cirka 40-50 Personen von jedem Block … Insgesamt dürften sich 400-500 Personen gemeldet haben … Ich erinnere mich nicht, ob es am gleichen Tage oder am nächsten Tag geschah, dass auf die Rampe neben dem Lager ein Zug gestellt wurde, und es waren, wie ich von Kameraden hörte, Personenwagen; in diese Wagen wurden dann die Häftlinge, die angeschaut waren und darüber hinaus solche Häftlinge, die aus dem Krankenhaus ausgesucht wurden, verladen … Nach einiger Zeit erfuhren wir aus Briefen von Familienangehörigen, die an Häftlingskameraden geschrieben waren, von einzelnen Benachrichtigungen der Familien über den Tod einiger von diesen Häftlingen, die zu den sogenannten Sanatoriumsbehandlung gefahren sind… Ich erfuhr schließlich von Dr. Diem und Dr. Fejkiel, Häftlingsärzten, dass alle diese Häftlinge in die Umgebung von Dresden gebracht und dort vergast wurden.“

Unter den 575 Häftlingen, die zur Vergasung von Auschwitz nach Sonnenstein in Sachsen gebracht wurden, befand sich nach Aussagen des Kommissionsarztes Schumann kein Geisteskranker. In Buchenwald hieß es ebenfalls, dass invalide Häftlinge in ein ‚eigenes’ Erholungslager gebracht werden. Der dort als Arztschreiber tätige Häftling Rudolf Gottschalk hat die Selektion, die im Frühjahr 1941 stattfand, wie folgt beschrieben:

„Über den Lagerlautsprecher wurde der Befehl veröffentlicht und die Kapos brachten etwa 800 bis 900 Häftlinge zum Revier. Zwischenzeitlich waren drei Zivilisten zusammen mit Hauptsturmführer Max Schober und Hauptsturmführer Frorstedt, beide Schutzhaftlagerführer, erschienen. Im Souterrain der Revierbaracke 3 nahmen an einem Tisch die drei Zivilisten Platz. An einem weiteren Tisch stand mit einem Fuß auf dem Tisch der SS-Standortarzt Max Blancke. […] Der Raum hatte zwei Eingänge. Durch den einen wurden die Häftlinge hereingebracht, zwischen den beiden Tischen durchgeschleucht und durch den zweiten Ausgang wieder herausgeschleucht. […] Bei dieser Selektion wurden etwa 190 Häftlinge nummernmäßig auf dem Meldebogen erfasst. In der Folgezeit hörten wir nichts mehr über die Ausleseaktion. Bis etwa im Juli 1941 über Lautsprecher die nummermäßig erfassten Häftlinge zum Lagertor befohlen wurden. […] Als die Transporte weggingen, wussten wir noch nicht, wohin die Häftlinge verbracht wurden. Einige Tage später kam der Sanitätsdienstgrad Wilhelm mit den Effekten ins Revier und übergab mir in einigen Persilschachteln Zahnprothesen, Brillen, ferner Krücken. Von da ab wussten wir mit Gewissheit, dass die Häftlinge getötet worden waren.“

Die Häftlinge aus Buchenwald wurden in der Tötungsanstalt Sonnenburg Mitte Juli 1941 vergast.


Ebenso ging es Häftlingen aus Sachsenhausen, Ravensbrück, Dachau und Mauthausen. Bei der Vorauswahl hatten die vom jeweiligen Lagerkommandanten erfassten Häftlinge vor der Ärztekommission anzutreten. Es wurde keine ärztliche Untersuchung im eigentlichen Sinne gemacht; die Häftlinge wurden über ihre Kriegsteilnahme und eventuelle Kriegsauszeichnungen befragt. Anhand der Personal- und Krankenakten wurde dann entschieden, in welche Kategorie der betreffende Häftling einzustufen war. Die abschließende ‚Begutachtung’ der so erfassten Häftlinge geschah mittels des Meldebogeninhalts und beschränkte sich auf die Entscheidung, ob der Häftling der Sonderbehandlung 14 f 13 zugeführt werden sollte oder nicht. Die mit dem entsprechenden Ergebnis versehenen Meldebogen wurden an die T4-Zentrale in Berlin zur aktenmäßigen Registrierung gesandt. Die erste bekannte Selektion fand im April 1941 im KZ Sachsenhausen statt. Bis zum Sommer 1941 wurden aus diesem Lager mindestens 400 Häftlinge ‚desinfiziert’. Im gleichen Zeitraum wurden 450 Häftlinge aus Buchenwald und 575 aus Auschwitz in der Tötungsanstalt Sonnenstein vergast. 1.000 Häftlinge aus dem KZ Mauthausen wurden in der Tötungsanstalt Hartheim umgebracht. Von September bis November 1941 wurden 3.000 Häftlinge aus dem KZ Dachau sowie mehrere 1.000 aus dem KZ Mauthausen und dessen Zwillingslager Gusen ebenfalls in der Tötungsanstalt Hartheim vergast. Dasselbe geschah mit Häftlingen aus KZ Flossenbürg, KZ Neuengamme und KZ Ravensbrück. In der anschließenden Zeit wurden nochmals 1.000 Häftlinge aus dem KZ Buchenwald, 850 aus dem KZ Ravensbrück und 214 aus dem KZ Groß-Rosen in der NS-Tötungsanstalt Sonnenstein und NS-Tötungsanstalt Bernburg umgebracht. Im März/April 1942 wurden etwa 1.600 selektierte Frauen aus dem KZ Ravensbrück in Bernburg vergast. Anlässlich einer Selektion im KZ Buchenwald schrieb Friedrich Mennecke, seines Zeichens Gutachter der T4-Aktion, nun auch mit der 14 f 13-Aktion betraut,  an seine Frau:

„Weimar, den 25.11.41, 20.58 […] Zunächst gab es noch 40 Bögen fertig auszufüllen von einer 1. Portion Arier, an der schon die beiden anderen Kollegen gestern gearbeitet hatten. Von diesen 40 bearbeitete ich etwa 15. […] Anschließend erfolgte dann die ‚Untersuchung‘ der Pat., d.h. eine Vorstellung des Einzelnen u. Vergleich der aus den Akten entnommenen Eintragungen. Hiermit wurden wir bis Mittag noch nicht fertig, denn die beiden Kollegen haben gestern nur theoretisch gearbeitet, so dass ich diejenigen ‚nachuntersuchte‘, die Schmalenbach (u. ich selbst heute morgen) vorbereitet hatten u. Müller die seinigen. Um 12.00 machten wir erst Mittagspause. […] Danach untersuchten wir noch bis gegen 16.00, und zwar ich 105 Pat., Müller 78 Pat., so dass als damit endgültig als 1. Rate 183 Bögen fertig waren. Als 2. Portion folgten nun insgesamt 1200 Juden, die sämtlich nicht erst ‚untersucht‘ werden, sondern bei denen es genügt, die Verhaftungsgründe (oft sehr umfangreich!) aus der Akte zu entnehmen u. auf die Bögen zu übertragen. Es ist also eine rein theoretische Arbeit, die uns bis Montag einschließlich ganz bestimmt in Anspruch nimmt, vielleicht sogar noch länger. Von dieser 2. Portion (Juden) haben wir darum heute noch gemacht: ich 17, Müller 15. Punkt 17:00‚warfen wir die Kelle weg‘ und gingen zum Abendessen. […] So wie ich oben nun den heutigen Tag geschildert habe, werden auch die nächsten Tage verlaufen – mit genau demselben Programm und derselben Arbeit. Nach den Juden folgen noch etwa 300 Arier als 3. Portion, die wieder ‚untersucht‘ werden müssen […]“

In die Selektionen wurden im Laufe der Zeit zunehmend auch politisch oder sonstig Missliebige, Juden und so genannte Asoziale einbezogen. Gemäß den allgemeinen Richtlinien der bayerischen Polizei vom 1. August 1936 über das Verhängen von Schutzhaft waren dies: „Zigeuner, Landfahrer, Landstreicher, Arbeitsscheue, Müßiggänger, Bettler, Prostituierte, Querulanten, Gewohnheitsverbrecher, Raufbolde, Verkehrssünder, Psychopathen und Geisteskranke“. Aufgrund des zunehmenden Bedarfs der Rüstungsindustrie an Arbeitskräften verfügte die Inspektion der Konzentrationslager, die am 16. März 1942 als Amtsgruppe D unter SS-Brigadeführer Richard Glücks in das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt eingegliedert worden war, am 26. März 1942 einen Runderlass. Dieser nachstehende Erlass wurde von Arthur Liebehenschel als Vertreter Glücks unterschrieben und an alle Lagerkommandanten verteilt:


„Durch die Meldung eines Lagerkommandanten wurde bekannt, dass von 51 für die Sonderbehandlung 14 f 13 ausgemusterten Häftlingen 42 dieser Häftlinge nach einiger Zeit ‚wieder arbeitsfähig‘ wurden und somit der Sonderbehandlung nicht zugeführt werden brauchten. Hieraus ist ersichtlich, dass bei der Auswahl dieser Häftlinge nicht nach den gegebenen Bestimmungen verfahren wird. Es dürfen der Untersuchungskommission nur solche Häftlinge zugeführt werden, die den gegebenen Bestimmungen entsprechen und vor allen Dingen nicht mehr arbeitsfähig sind. Um die den Konzentrationslagern gestellten Arbeitsaufgaben durchführen zu können, muss jede Häftlingsarbeitskraft dem Lager erhalten werden. Die Lagerkommandanten der Konzentrationslager werden gebeten, hierauf ihr besonderes Augenmerk zu richten.

Der Chef des Zentralamtes – gez. Liebehenschel – SS-Obersturmbannführer“

Neue Richtlinien nach Befehl vom 11. April 1944 leiteten die zweite Phase der Aktion 14 f 13 ein. Fortan wurden weder Meldebogen erstellt noch Häftlinge durch Ärztekommissionen selektiert. Die Auswahl der Todesopfer oblag von nun an ausschließlich den Lagerverwaltungen, also in der Regel dem Lagerarzt. Das schloss jedoch nicht aus, dass weiterhin auch körperlich Kranke, die nicht mehr arbeitsfähig waren, getötet wurden. Dies geschah innerhalb der Lager selbst oder durch Überstellen der Häftlinge in ein mit Gaskammer ausgestattetes Lager, wie beispielsweise das KZ Mauthausen, das KZ Sachsenhausen oder das KZ Auschwitz. In Hartheim wurden jetzt neben den Lagerinsassen auch nicht mehr arbeitsfähige Zwangsarbeiter aus dem Osten, sowjetische Kriegsgefangene und ungarische Juden vergast. Mit dem letzten Häftlingstransport nach Hartheim am 11. Dezember 1944 endete die Aktion 14 f 13. Auch in Hartheim wurden die Gaskammern entfernt und die Spuren ihrer Nutzung so weit wie möglich beseitigt. In der Folgezeit wurde das Schloss als Kinderheim genutzt. Die Zahl der im Rahmen der Aktion 14 f 13 getöteten Menschen ist nicht genau ermittelt. Die Fachliteratur nennt hierbei Zahlen zwischen 15.000 und 20.000 für den Zeitraum bis Ende 1943. Die Forschung dahingehend ist noch nicht abgeschlossen.

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