„Gewalt ist die letzte Zuflucht des Unfähigen.“ Isaac Asimov
Die Köpenicker Blutwoche fand vom 21. bis 26. Juni 1933 im Berliner Stadtteil Köpenick statt. Köpenick im Süden von Berlin zählt zu den schönsten Bezirken der Stadt, doch nicht im Juni 1933, etwa 500 Gegner des Nationalsozialismus, Juden, Christen, Leute des Reichsbanners, der Roten Hilfe, der KPD oder der SPD vielen in dieser Woche der Grausamkeit der Köpenicker SA-Standarte 15 zum Opfer. Sie wurden gefangen genommen, gedemütigt, gefoltert; einige wurden ermordet oder erlagen den Folgen der Folterungen, etliche blieben zeitlebens körperlich und psychisch gezeichnet. Nachdem Hitler Reichskanzler geworden war, war dem SA-Terror Tür und Tor geöffnet. Die Zügellosigkeit, die sich hier darstellte und auch das nicht nur hier in Berlin Köpenick, war von unbeschreiblichen Hass und Menschenverachtung geprägt. Die von SA-Sturmbannführer Herbert Gehrke* geleitete widerrechtliche nazistische Verhaftungs- Folter- und Mordaktion sollte ein Exempel von Grausamkeit und Willkürherrschaft an politischen Gegnern statuieren. Sie folgte einige Wochen nach den Reichstagswahlen 1933, die in Berlin noch immer 1.377.000 Stimmen für SPD und KPD ergeben hatten. Seit der Bildung der Regierung Hitler, Hugenberg, von Papen im Januar 1933 wurden Gegner des Nazi-Regimes terrorisiert, die KPD ihrer Mandate beraubt und in die Illegalität getrieben, die Gewerkschaften zerschlagen und ausgeraubt. Am 22 Juni wurden die SPD und ihre Zeitungen verboten, die Abgeordnetenmandate annulliert und das Vermögen beschlagnahmt. Die Sonderaktion wurde von SA-Sturmbannführer Herbert Gehrke geleitet. Ab vier Uhr morgens befanden sich am 21. Juni die Köpenicker SA-Stürme mit mehreren hundert Mitgliedern in erhöhter Alarmbereitschaft. Vormittags erhielten sie Verstärkung durch den berüchtigten Maikowski-Sturm aus Charlottenburg. Unterstützung erhielt die SA von Gestapo und Polizei. Ihren Ausgangspunkt nahm die Terroraktion in der Siedlung Elsengrund am S-Bahnhof Köpenick. In den Vormittagsstunden des 21. Juni wurden die ersten Verhaftungen vorgenommen. Der von Gehrke geführte Sturmbann 15 hatte sein Stabsquartier im Köpenicker Amtsgericht, das zu einer berüchtigten Folterhölle wurde. In den einzelnen Gefängniszellen waren zeitweise bis zu 20 Personen zusammengepfercht. Die Einlieferungen waren so zahlreich, dass nicht einmal mehr die Personalangaben aufgenommen wurden. Abends gegen 22.15 Uhr, nach Angaben der Gestapo gegen 23.30 Uhr, drang der SA-Sturm 1/15 erneut in das Haus Alte Dahlwitzer Straße 2 ein, angeblich, um ‚Auftragsgemäß eine Durchsuchung bei dem sozialdemokratischen Gewerkschaftsfunktionär’ Johannes Schmaus durchzuführen, denn Anton Schmaus, einer der widerrechtlich Verhafteten des ersten Tages, in Notwehr drei SA-Männer niederschoss, hatten die Gewaltaktionen zuvor bereits ihren Anfang genommen. Die Gaststätten Demuth in Köpenick und Seidler im Siedlungsviertel Uhlenhorst, das ehemals dem Reichsbanner, einer Kampforganisation der SPD, gehörende Wassersportheim in der Wendenschloßstraße sowie Bootshäuser in Grünau und das Amtsgerichtsgefängnis an der Puchanstraße waren Schauplätze, an denen sich die folgenden Quälereien ereigneten. Ein Teil der Verhafteten wurde nach Misshandlungen im Lokal Seidler ins Polizeipräsidium gebracht, von wo man manche, nicht alle, wieder entließ. Opfer waren Mitglieder von KPD und SPD, des Reichsbanners, des Deutschnationalen Kampfringes (DNVP), Juden, Gewerkschafter und Parteilose; unter ihnen der frühere Ministerpräsident von Mecklenburg-Schwerin Johannes Stelling, der Reichsbannerführer Paul von Essen und der Kommunist Karl Pokern. Zahlreiche Personen starben an Verletzungen, die ihnen durch Folter zugefügt wurden, oder behielten bleibende gesundheitliche oder psychische Schäden. Die Angaben zu den Todesopfern schwanken zwischen 24 und 91, dabei bis zu 70 Vermisste. Manche Leichen der Opfer wurden in Säcken verschnürt in umliegende Gewässer und den Schmöckwitzer Wald geworfen. In den Säcken, die das Wasser der Dahme wenige Tage nach den Gräueltaten nahe der Grünauer Fähre anschwemmte, wurden unter anderen die oben erwähnten Johannes Stelling, Paul von Essen und Karl Pokern identifiziert.
Die Leiden der Familie Schmaus:
Es war der gleiche SA-Sturm, der gegen 23.30 Uhr in das Haus der Familie Schmaus eindrang, um den bekannte SPD-Politiker und Gewerkschaftsfunktionär Johannes Schmaus und seine beiden Söhne zu verhaften. Schmaus war nicht im Haus. Anton Schmaus trat der eingedrungenen und ihn bedrohenden SA mit einer Pistole entgegen und schoß drei SA-Leute in Notwehr nieder. Anton Schmaus schoß sich dann den Weg frei und flüchtete in Richtung Friedrichshagen. Die Leiche von Erich Janitzky fand man später in unmittelbarer Nähe mit tödlichen Schußverletzungen in der Dahlwitzer Straße. Es ist nicht auszuschließen, daß Erich Janitzky von einem Irrläufer aus der Pistole von Schmaus getroffen wurde. Anton Schmaus stellte sich schließlich auf dem 244. Polizeirevier. Es war der Polizei kaum möglich, ihn gegen den SA-Mob zu schützen. Die SA bestand auf sofortige Auslieferung. Schmaus wurde deshalb in der gleichen Nacht zum Polizeipräsidium am Alexanderplatz überstellt. Auf dem Weg dorthin wurde er Transport in der Augusta-Viktoria-Straße (heute Puchanstraße) von etwa 80 SA-Männern angehalten, die vergeblich versuchten, der Polizei den Gefangenen zu entreißen. Im Polizeipräsidium spürte ein Trupp SA-Leute mit Herbert Gehrke an der Spitze Anton Schmaus auf. Trotz Bewachung durch zwei Schutzpolizisten wurde er vermutlich von Gehrke durch einen Schuss in den Rücken schwer verletzt. An den Folgen dieser Schussverletzung, die ihn lähmte und an späteren Misshandlungen durch die SA, die ihn aus dem Krankenhaus verschleppte, starb Anton Schmaus 1934. Nach der Schießerei und Flucht von Anton Schmaus stürzten sich die SA-Leute auf den Vater Johannes Schmaus, der von ihnen fürchterlich misshandelt wurde.
Schließlich wurde der wehrlose Mann, ob bereits tot oder nicht, ist bis heute unklar, im Stallgebäude beim Haus aufgehängt, um einen Selbstmord vorzutäuschen. Frau Schmaus wurde verhaftet und in das Amtsgerichtsgefängnis überführt, wo sie ebenfalls misshandelt wurde. Die SA zwang sie, den Boden und das Treppenhaus im Gefängnis von den Spuren der Folterung zu reinigen. Frau Schmaus war nach dem Tod ihres Mannes und Sohnes und den Erlebnissen im Amtsgerichtsgefängnis geistesgestört und starb 1943. Ihre 13jährige Tochter war ebenfalls vorübergehend festgenommen worden. Sie musste im Lokal Seidler die Grausamkeiten der SA gegenüber den Verhafteten, die sie zumeist persönlich kannte, mit ansehen.
Im Jahr 1950 fand vom 5. Juni bis 19. Juli unter großer öffentlicher Anteilnahme vor dem Landgericht Ost-Berlin ein Prozess gegen 61 identifizierte Angeklagte statt. Darunter waren zur Tatzeit 47 SA-Männer, drei NSDAP-Mitglieder, ein SS-Mann und zehn Nichtorganisierte. Das Gericht verurteilte 15 zum Tode, 13 zu lebenslänglich, sieben zu 25, zwei zu 20 Jahren, acht zu 15, drei zu 12und fünf zu zehn Jahren Zuchthaus sowie vier zu fünf Jahren Zwangsarbeit.
Wer heute den S-Bahnhof Köpenick verlässt und in nördlicher Richtung geht, gelangt bald in den Stellingdamm, der Weg führt weiter zur Schmausstraße, zum Essenplatz und zur Janitzkystraße. Vielen Berlinern und Touristen werden diese Namen kaum etwas sagen. Sie sind – wie auch die Pohle-, Spitzer-, Aßmann- und Karl-Pokern-Straße – mit dem wohl schrecklichsten Ereignis der Köpenicker Geschichte in unserem Jahrhundert verknüpft. Die Straßen tragen, meist seit 1947, die Namen von Antifaschisten, die in der Köpenicker Blutwoche vom 21. bis 26. Juni 1933 von der SA ermordet wurden.
Im Amtsgericht Köpenick, im ehemaligen Gefängnis ist die Gedenkstätte für die ‚Blutwoche von Köpenick’, diese ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet.
Bild 1: Bezirk Köpenick von Berlin – Quelle: heimatmuseum-treptow.de · Bild 2: Gedenktafel Schmaus – Quelle: wikipesia.org · Bild 3 : Anton Schmaus – Quelle: falken-neukoelln.de · Bild 4: Gedenktafel ‚Köpenicker Blutwoche‘ – Quelle: wikimedia.org
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