„Der Mensch ist der einzige unter den Primaten, der die Tötung seiner Artgenossen planvoll, in größerem Maßstab und enthusiastisch betreibt. Der Krieg gehört zu seinen wichtigsten Erfindungen.“ Hans Magnus Enzensberger
Nach einem Attentat auf den Kriegsverbrecher und Vorbereiter des Holocausts Reinhard Heydrich* am 27. Mai 1942 wurde dieser schwer verletzt und starb acht Tage später. Daraufhin folgten Racheakte der Nationalsozialisten wie die Zerstörung und das Massaker von Lidice und später auch Ležáky.
Nach der deutschen Besetzung der Tschechoslowakei gehörte Lidice unweit von Prag ab 1939 zum Protektorat Böhmen und Mähren. Im Jahre 1942 bestand Lidice aus 102 Häusern und hatte 503 Einwohner. Es gab 14 Höfe, eine Mühle, drei Lebensmittelläden, drei Wirtshäuser, zwei Metzgereien und die Kirche. Es ist ein Zufall, eine tragische Verkettung von Ereignissen, dass der blindwütige Nazi-Terror gerade Lidice ausgelöscht hat. Die Besatzer wollten Rache. Und dann gab es zugleich die harmlose Liebelei eines jungen Mannes namens Václav Riha mit dem Dorfmädchen Anna. Weil er verheiratet war und Angst hatte, die Geschichte könnte auffliegen, erfand er wilde Abenteuer. Er sei im Widerstand und sie dürfe niemandem über ihn erzählen, schärfte er seiner Geliebten ein. Irgendwann wollte er die Affäre beenden und fand seinen Vorwand ausgerechnet im Attentat auf Heydrich: In einem Brief deutete er an, dass er damit etwas zu tun habe und erst einmal untertauchen müsse. Und dann richtete er noch Grüße aus an ein paar Jungs in Lidice, die er in Wirklichkeit gar nicht kannte. Václav Riha schickte den Brief an die Arbeitsstelle des Mädchens, dort las ihn der Chef und machte Meldung. Ein paar Tage später gab es Lidice nicht mehr. Der gesamte Ort wurde dem Erdboden gleich gemacht. Die Häuser wurden zuerst ausgebrannt und dann durch Sprengstoff dem Erdboden gleich gemacht. Der Liquidationszug machte weder vor der Zerstörung der St. Martin-Kirche noch vor der Zerstörung des Friedhofs Halt. Alle Geländeplanierungen wurden im Jahre 1943 beendet und nach der lebendigen Gemeinde blieb nur ein kahles schweigendes Gelände. Die ‚Räumung’ des Dorfes ordnete der SS-und Polizeiführer Karl Hermann Frank* an. Vergleichbar mit dieser ‚Vergeltungsmaßnahme’ war die vollkommene Zerstörung von Ležáky durch die Besatzungsmacht wenige Tage später. Bis Kriegsende bezeichneten das Gebiet Lidice nur die Ortsschilder.
Das Schicksal einer kleinen Gemeinde, in der 503 Bewohnern lebten, ging am 10. Juni 1942 ein paar Minuten nach Mitternacht in Erfüllung. Am frühen Morgen des 10. Juni wurden sämtliche Einwohner von Lidice aus ihren Wohnungen getrieben. Alle 192 Männer wurden ermordet, außerdem 71 Frauen, die in Chełmno vergast wurden. Die verbliebenen 198 weiblichen Einwohner wurden ins Konzentrationslager Ravensbrück deportiert. Nur 143 kehrten nach dem Krieg in ihren Heimatort zurück. Die Ereignisse, die sich hier an einem Sommertag abspielten, zeigt ein von den Vollziehern dieses Verbrechens gegen unschuldige Leute gedrehter Dokumentarfilm. Es ist ein Stummfilm, aber dadurch verstehen ihn alle, ohne Unterschied der Hautfarbe und der Sprache. Dieser Film diente als Dokument Nr. 379 beim Gerichtsprozess gegen die deutschen Hauptverantwortlichen in Nürnberg im Jahre 1945. Es ist möglich, einige montierte Passagen des Films im Videodokument des Museums von Lidice zu sehen.
Die 98 Kinder des Dorfes wurden in das Lager der ‚Umwandererzentrale Litzmannstadt’ in der Gneisenaustraße 41 in Łódź, dass in Litzmannstadt eingedeutscht wurde, deportiert und nach rassischen Kriterien ausgesondert. Dreizehn dieser Kinder wurden zur Germanisierung in ein Lebensborn-Heim gebracht, sie galten als ‚germanisierbar’. Die anderen Kinder wurden zusammen mit elf Kindern aus Ležáky ins Vernichtungslager Chełmno deportiert und dort vergast. Die dreizehn Kinder, die zwecks ‚Germanisierung’ ausgesondert worden waren, wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in Bayern wieder aufgefunden, ebenso sechs von den sieben, die nach dem 10. Juni 1942 geboren wurden; das siebte war verstorben.
Ab dem Jahr 2000 wurde die bestehende Gedenkstätte umfassend renoviert: Die Bildhauerin Marie Uchytilová schuf eine aus 82 Personen bestehende Bronzegruppe. Sie soll an die Kinder aus Lidice erinnern, die nach ihrer Deportation umgebracht wurden, und zugleich ein Denkmal für alle Kinder darstellen, die Opfer von Kriegen sind. Der bestehende Rosengarten wurde mit 23.000 Rosenstöcken neu bepflanzt.
Heinrich Mann verarbeitete die Ereignisse um Lidice 1942 in seinem Roman Lidice. Der tschechische Komponist Bohuslav Martinů schrieb 1943 während seines Exilaufenthalts in den USA ein Mahnmal für Lidice. Es ist ein einsätziges Werk für großes Orchester. Die Kinder von Lidice Dokumentarfilm (ZDF, Deutschland, 1999, 29 Min.), Regie: Manfred Kosmann, Bohumil Neumann. Der Film stellt nach Forschungen der Berliner Journalistin Kerstin Schicha und des Berliner Rechtsanwalts Frank Metzing das Schicksal der Kinder dar, die nach der Zerstörung Lidices von den Nationalsozialisten verschleppt wurden.
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