Liesl Karlstadt

Liesl Karlstadt

Liesl Karlstadt • Auch allein eine große Künstlerin

„Denn das ist Humor: durch die Dinge durchsehen, wie wenn sie aus Glas wären.“ Kurt Tucholsky

Heute würde man Liesl Karlstadt sicher als Eventkünstlerin bezeichnen. Allein die Tatsache, dass sie viele Instrumente spielen konnte, zeigt die musikalische Bandbreite des nicht nur musikbegabten Mädchens. Schon 1919, neun Jahre früher als Karl Valentin, machte sie erste Plattenaufnahmen.
Das Improvisieren lag ihr. Deshalb war es für sie so selbstverständlich, aus dem jeweiligen Stegreif heraus zusammen mit dem genialen Karl Valentin Stücke zu entwickeln. Fast 25 Jahre standen sie zusammen auf der Bühne, die ja auch eine Bühne des Lebens war. Etwa 400 Sketche und Komödien entstanden so. Und so wuchs allmählich eine Art Textamalgam, das gar nicht mehr die Frage zuließ: Was ist von dir und was ist von mir. In der Flut von Valentin-Kommentaren tauchte sie jahrzehntelang allerdings nur wie ein ‚Anhängsel’ auf, doch war sie weitaus mehr. Als Elisabeth Wellano wurde sie am 12. Dezember 1892 in München als Kind eines Bäckers italienischer Abstammung geboren. Sie flieht aus der häuslichen Armut und macht mit sechzehn Jahren eine Lehre als Verkäuferin im Kaufhaus Hermann Tietz. Aber sie will mehr vom Leben und sie gerät in ihrer Freizeit zu einer Dachauer Volkskapelle, singt Soubrette, jodelt in Einaktern und bringt das Vorstadtpublikum im Stück ‚Am Glück vorbei’, einer Kurzfassung der Kameliendame, zum Weinen. 1911 sieht Karl Valentin die sicher recht unfreiwillige Komik der Elisabeth Wellano. Er spricht sie an. Der dürre, rothaarige Salonkomiker kann sie nicht sofort überzeugen, dass sie beim Singen schmalzig-süßer Lieder ihr Talent vergeudet. Doch ihre Neugierde siegt, sie verlässt das Vorstadtensemble und tritt mit Karl Valentin ab 1913 gemeinsam in allen bekannten Münchner Kabaretts auf. In diese beißend bayerische Atmosphäre passte der italienische Name ‚Wellano’ nicht. Er erinnerte Karl Valentin an Trapezkunst und Zirkus. Deshalb gibt er ihr den Namen Karlstadt, der viel unauffälliger und scheinbar bodenständiger war. So scheint es, dass sie ein Produkt Karl Valentins war; doch ihr Talent bewies ihm und dem Publikum, dass sie eine echte Partnerin auf der Bühne war. Ihr Leben verändert sich. Valentin, immer wieder als ein besessener Künstler geschildert, nimmt sie in eine Welt der Bühne mit, die so grenzenlos ist, dass sie sich völlig darin verliert.


Sie entdeckt an sich im Zusammenspiel mit dem ehemaligen Einzelkämpfer schauspielerische Talente, von denen sie als junges Ladenmädchen nichts geahnt hat. Weil sie im positiven Sinn so unfertig ist, wird sie auch offen für das Experimentieren mit ihrem Körper, der auf den frühen Fotografien unauffällig pummelig ist. Ihr Gesicht eignet sich für alle Masken. Sie treibt mit Karl Valentin Bewegungsstudien, beobachtet die unterschiedlichen Charaktere auf Münchens Straßen und in den Biergärten, sie spielt mit Valentin die Szenen nach und feilt an der Herausarbeitung des oft beschönigenden, bayerischen Gemüts. Als Komikerin perfektioniert sie aber nicht weibliche, grazile Bewegungen; gerade das Hässliche und Dämonische reizt, die Übertreibung wird Stilmittel. Zwar haben die Auftritte des Komikerduos in Münchens Lokalitäten nicht den Charakter einer politisch aggressiven Satire wie in den dadaistischen Berliner Kabaretts, aber viele Künstler der dadaistischen Szene nannten Chaplin und Valentin/Karlstadt bewundernd in einem Atemzug. Das lag vor allem daran, dass das Duo die Darstellungsformen des Slapsticks und der Pantomime wählte und sich oft in surreale Sprachspiele hineinsteigerte. Viele Lichtspielhäuser schießen aus dem Boden. Mit der großen technischen Dynamik hat das Komikerduo nichts gemein – ihre Auftritte wirken eher bescheiden. Besonders Liesl Karlstadt fällt aus dem Zeitgeschmack der attraktiven, mondänen Künstlerin heraus. Die Amerikanismen der damaligen Zeit fanden in Berlin mehr Niederschlag als in München. Dort war die Frau der Metropole unabhängig; sie rauchte und ging in anrüchige Cafés. Liesl Karlstadt war nicht mondän. Zwar trug sie auch den forschen Bubikopf, es fehlte ihr aber die Eleganz der Großstadtdame. Sie betritt als Komikerin alle Terrains der Verwandlung. In einer langen Reihe von Einaktern, Szenen und abendfüllenden Stücken spielt sie alles, nur nicht die Geliebte oder feine Dame. Bevor sie auf der Bühne der berühmte, dick-bornierte Dirigent eines ländlichen Vorstadtvarietés wurde, geht sie mit Bert Brecht und Valentin aufs Oktoberfest und macht den Mann an der Trommel. Sie beherrscht mehrere Blasinstrumente und übt sich mit Valentin in immer wechselnden Improvisationen von Stücken, deren Kunst die Darstellung des Misslingens ist. Ihr erster Biograf Theo Riegler schreibt: „Ob sie einen faulen und doch munteren Fotografenlehrling, ein unverschämtes Geheimratssöhnchen, einen behänden Pyrotechniker, einen Schusterbuben oder Feuerwerker darstellt, immer schlüpft sie in ihre Rollen so sehr hinein, dass selbst Freunde sie nicht erkennen.“ Das Verhältnis Karlstadt-Valentin ist auf der Bühne und hinter den Kulissen kompliziert.


Als er sie im „Frankfurter Hof“ ansprach, ist er bereits verheiratet. Und er bekennt lakonisch: „Ich entdeckte ihr komisches Talent, und wie sie in den ersten Jahren meine Schülerin war, so wurde sie später meine Mitarbeiterin und Mitverfasserin meiner Stücke.“ Er führt Elisabeth Wellano aus der Unscheinbarkeit heraus und sie wird zur Begleiterin eines Komikers, der in der Öffentlichkeit immer distanzierend vom ‚Fräulein Karlstadt’ sprach. Wie beinahe alle Komiker ist Karl Valentin ein todernster Mann. Er hat eine entsetzliche Angst vor dem Alltag und sichert sich doppelt ab. Für die abgespaltene Häuslichkeit ist seine Ehefrau zuständig, für das künstlerische Leben Liesl Karlstadt. Eifrig und dankbar wie sie war, lernt sie die schwierige Psyche Valentins zu lesen und mit ihr umzugehen. Valentin darf überempfindlich sein, weil sie so robust ist. Sie übernimmt es, seinen Alltag zu glätten, sie regelt den täglichen Kleinkram, organisiert die Reisen. Sie überredet ihn geduldig zu Tourneen, arbeitet gegen seine Angst an, beruhigt ihn im Zug und auf den Autofahrten, bei denen sie am Steuer sitzt und nicht schneller als 40 Stundenkilometer fahren darf. Sie sagt über den Mann, den sie öfter als ‚ewigen Partner’ bezeichnet hat. Im Alltag wirft Valentin seine Todesängste auf ihre Schultern und ruht sich an ihrer Seite aus. Er überstrapaziert sie als Alltagskumpelfrau und als heimliche Geliebte. Allmählich erschöpfen sich ihre Energien. Von seinen Anforderungen geformt, vergisst Liesl Karlstadt ihre eigenen Wünsche. Um immer da zu sein und ihn nicht zu verärgern, opfert sie einen großen Teil ihres persönlichen Vergnügens. Aber die von Valentin zugewiesenen und von ihr eifrig gestalteten Rollen kosten allmählich zuviel Kraft. Da sie nicht böse sein kann wie ihr Partner, wird sie immer trauriger. Sie kennt nicht die Ursache, nämlich einen aggressiven Konflikt mit dem Narzissmus. Die daraus resultierende Depression ist ein missglückter Kompensationsversuch. Valentin, der seine Neurose voll ausleben konnte, ist zufrieden, die starke Liesl Karlstadt bekommt einen Nervenzusammenbruch, springt in die Isar, wird gerettet und muss sich zwischen 1935 und 1939 einige Male in die Psychiatrie begeben. Aber selbst nach diesem Selbstmordversuch kreiste ihr ganzes Leben, wenn auch aus einer gewissen Distanz heraus, um ihn, den Schwierigen, über den Bert Brecht sagte: „Dieser Mensch ist ein durchaus komplizierter, blutiger Witz.“ 


Während Valentin in München 1939 eine Ritterspelunke eröffnet, verlässt Liesl Karlstadt ihre Heimatstadt, erholt sich in Garmisch und begibt sich schon bald auf die Ehrwaldalm, wo sie bei Gebirgsjägern lebt, sie trägt Männerkleider, als passionierte Bergsteigerin Hochgebirgsübungen mitmacht und schließlich als Mulitreiber den Namen ‚Leutnant Gustl’ erhält. Ihre letzte Hosenrolle muss ihr ausnehmend gut gefallen haben, sie passt sich völlig harmonisch in das Leben der Gebirgsjäger ein. Als der Krieg zu Ende ist, kehrt sie nach München zurück. Sie trifft wieder auf Valentin und beide spielen im Simpl, einem berühmten Schwabinger Lokal die ‚Orchesterprobe’. Valentin ist sehr geschwächt, er stirbt 1948 an einer Lungenentzündung. In panischer Angst, allein kein Engagement mehr zu bekommen, nimmt sie alle Rollen an, die ihr angeboten werden. Ab den 1950-er Jahren arbeitet Liesl Karlstadt zunehmend bei Film und Rundfunk, später auch im Fernsehen, allerdings nicht mehr in Hosenrollen, sondern in der Hausfrauen- und Mutterrolle,  als ‚Meisterhausfrau Wally Brandl’. Ihre Vielseitigkeit und Verwandlungsfähigkeit werden hier nicht mehr gefordert. Während eines Urlaubs in Garmisch-Partenkirchen im Sommer 1960 stirbt sie an einem Schlaganfall. Sie wird auf dem Friedhof München-Bogenhausen beerdigt; ihr Grabkreuz ist ein rot gestrichenes Herz mit doppeltem Boden.

Auf dem Viktualienmarkt erinnert seit 1961 eine meist mit Blumen geschmückte Brunnenfigur an sie.

Im 2001 in ’Valentin-Karlstadt-Musäum’ umbenannten Museum im Isartor wird zugleich das Liesl-Karlstadt-Kabinett eröffnet, in dem unter anderem auch ein Persil-Werbefilm mit Liesl Karlstadt zu sehen ist, der erste Werbespot für das deutsche Fernsehen überhaupt.

Bild 1: Liesl Karlstadt – Quelle: fembio.net · Bild 2: Buchtitel Liesl Karlstadt – Quelle: morebooks.de · Bild 3: Karlstadt + Valentin – Quelle: br.de · Bild 4: Liesl Karlstadt II – Quelle: t-online.de

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