Otto Suhr • Leiser Streiter für Demokratie + Gerechtigkeit
„Im pluralistischen Staat muss, wie mir scheint, die Bundesregierung, jede Bundesregierung, sich in geistiger und moralischer Hinsicht beschränken auf eben dieses Grundgesetz, auf unsere Grundrechte, unsere Grundfreiheiten. Sie allein sind die für alle geltenden gemeinsamen geistig-moralischen Grundlagen.“ Helmut Schmidt
Auch wenn Otto Suhr zu den Männern des Kompromisses zählte und die leisen Töne bevorzugte so war er doch alles andere als ein beugsamer Mensch.
Eher ein Intellektueller als ein Arbeiter, trat er noch während des ersten Weltkriegs in die SPD ein, die damals von Arbeitern dominiert wurde. Doch das war für Otto Suhr kein Widerspruch, denn zum einen besaß er die Gabe des Zuhörens und zum anderen sprach er immer in einer Sprache, die jeder verstand. Zwar war er wahrlich nicht der redeschwingende Agitator, sondern eher der Mann der leiseren Töne, doch hatten diese immer Gewicht. Otto Suhr kam aus einen bürgerlichen Elternhaus, mit eher liberaler Grundeinstellung und wurde am 17. August 1894 in Oldenburg geboren. Nach dem Abitur studierte er Volkswirtschaft, Geschichte und Publizistik, musste aber sein Studium unterbrechen, da der Erste Weltkrieg ausbrach, den er fast durchgängig im Fronteinsatz verbrachte. Nach dem Krieg schloss er seine Studien in Leipzig ab und arbeitete zunächst als Pressereferent in einer Bildungseinrichtung und wurde 1921 Arbeitersekretär beim ‚Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund’ in Kassel. Hier gehörte er auch dem örtlichen Vorstand der SPD unter Oberbürgermeister Philipp Scheidemann an. 1923 promovierte er erfolgreich und ging dann nach Jena, um eine Lehrtätigkeit an der dortigen Universität für Wirtschaftswissenschaften aufzunehmen. Doch auch dort hielt es ihn nicht lange, denn es zog ihn wieder in die Politik. Dieser Wechsel zwischen dem reinen universitären Leben und der Beteiligung an politischen Prozessen begleiteten sein Leben. In beiden Bereichen war er erfolgreich, in beiden Bereichen konnte er etwas bewirken. Doch sich für nur eine Seite zu entscheiden viel ihm schwer. 1926 wurde er Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung des ‚Allgemeinen freien Angestelltenbundes’ (AfA) in Berlin. Nachdem die Nationalsozialisten 1933 die Regierungsmehrheit errangen zog Otto Suhr daraus die Konsequenzen und löste den Angestelltenbund auf. Ab 1935 schrieb er als freier Journalist für den Wirtschaftsteil der ‚Frankfurter Zeitung’, zeitweise arbeitete er auch als Buchhalter, denn er geriet nicht nur aus politischen gründen ins Fadenkreuz der Gestapo Heinrich Himmlers, sondern auch wegen seiner jüdischen Ehefrau. Doch all das hinderte ihn nicht, weiter im Untergrund gegen das unmenschliche Regime der Nationalsozialisten zu arbeiten. Er gehörte dem Widerstandskreis um Adolf Grimme an, doch zwei Jahre vor Ende des Krieges musste er aus Deutschland fliehen, denn seine Verhaftung stand kurz bevor. Nach Kriegsende beteiligte sich Otto Suhr am Wiederaufbau der SPD, wurde erster Generalsekretär und später Vorsitzender des Berliner Landesverbandes und war vorübergehend bei der ‚Zentralverwaltung für Industrie’ in der Sowjetischen Besatzungszone tätig.
Schon 1946 zog er als Abgeordneter in die Stadtverordnetenversammlung ein und wurde zu deren Vorsteher gewählt. 1948/49 gehörte er dem Parlamentarischen Rat zur Ausarbeitung des Grundgesetzes an, auch gilt er als einer der Väter der Ende 1950 in Kraft getretenen West-Berliner Verfassung. Von 1949 bis 1951 war er Mitglied des Bundestages. Gegen die Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED als alleiniger Partei des Staates in der sowjetischen Besatzungszone widersetzte sich Otto Suhr erfolgreich. Es ging ihm dabei nicht um das Gedankengut der Genossen der KPD, sondern um den Alleinanspruch einer Partei, in diesem Fall der SED. Otto Suhr war bis in die Tiefen seines Herzens ein Demokrat. Nach der Spaltung der Hauptstadt war er seit 1951 als Präsident des Abgeordnetenhauses, dem Parlament von West-Berlin. Neben seiner politischen Arbeit war Suhr seit 1952 als Honorarprofessor für Theorie der Politik an der Freien Universität Berlin tätig, von 1948 bis 1955 wirkte er als Direktor der Deutschen Hochschule für Politik, die 1958 als Otto-Suhr-Institut in die Freie Universität eingegliedert wurde. Mit Louise Schroeder gab Suhr die Zeitschrift ‚Das sozialistische Jahrhundert’ heraus. Nach dem Wahlsieg der SPD und erheblichen Stimmenverlusten der FDP bei den Berliner Wahlen vom Dezember 1954 bildete Otto Suhr, obwohl die SPD mit einer Stimme Mehrheit auch alleine hätte regieren können, eine Koalition mit der CDU. Das stieß nicht bei allen Genossen der SPD auf Zuspruch, als Otto Suhr am 11. Januar 1955 zum Regierenden Bürgermeister gewählt wurde, doch er gehörte nie zu den Männern, die sich Fraktionszwängen beugten, auch brauchte er eine große Mehrheit im Parlament um die schwierige Aufgabe des Aufbaus der zum größten Teil zerstörten Stadt zu stemmen. Zu seinen größten Innovationen gehörte es, die Internationale Bauaustellung 1957 nach Berlin zu holen, womit das total zerstörte Hansaviertel im Bezirk Tiergarten völlig neu aufgebaut wurde und das von den bekanntesten Architekten der damaligen Zeit. Ferner führte er die Berlinförderung ein, dass Industrieansiedelungen in West-Berlin beförderte. So schaffte er Arbeitplätze, denn die Insellage der Stadt musste in diesem Fall ganz andere, besondere Strategien verfolgen. Bei der Bewältigung der kommunalen und verwaltungsreformerischen Aufgaben agierte Suhr eher als Wissenschaftler und Verwaltungsfachmann denn als Parteipolitiker, er hatte hier immer eher das Wohl der Stadt und ihrer Menschen im Blick, als den Parteipolitischen Konsens.
Der Mann mit der Fliege, er trug nie Krawatten, sondern immer eine Fliege, mal mit kleinen, Mal mit größeren Punkten, nur abends waren sie einfarbig, war für seine Durchsetzungskraft gefürchtet, vor allen Dingen in Bonn, dem damaligen Regierungssitz. Seinen leisen Tönen und seiner starken Argumentationskraft konnten nur wenige widerstehen. Otto Suhr erreichte es, dass die Regierenden Bürgermeister in den turnusmäßigen Wechsel als Bundesratspräsidenten einbezogen wurden, obwohl Berlin im Bundesrat nur eine beratende Stimme hatte. Dies ging auf die Sowjets zurück, die als Alliierte, einen Sonderstatus für West-Berlin verlangten. Am 19. Juli 1957 wurde er einstimmig in dieses Amt des Bundesratspräsidenten gewählt. Zu der für den 1. Oktober vorgesehenen Amtsübernahme kam es jedoch nicht mehr. Otto Suhr starb am 30. August 1957 in Berlin an Leukämie.
Willy Brandt, sein Nachfolger im Amt des Regierenden Bürgermeisters in West-Berlin wurde so dann auch der erste Bundesratspräsident der jungen Bundesrepublik.
Die Otto-Suhr-Allee in Berlin führt vom Theodor-Heuss-Platz am Rathaus von Charlottenburg und Tiergarten vorbei bis zum Schloss Charlottenburg.
Bild1: Otto Suhr – Quelle: haus-der-geschichte.de · Bild 2: Otto Suhr auf dem Flughafen Tempelhof – Quelle wikipedia.de · Bild 3: Briefmarke Otto Suhr – Quelle: wikimedia.com
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