Sterilisation – Vorstufe der Euthanasie

Sterilisation – Vorstufe der Euthanasie

 

„Zivilisiertheit ist ein Verhalten, das die Menschen voreinander schützt und es ihnen zugleich ermöglicht, an der Gesellschaft anderer Gefallen zu finden.“ Richard Sennett

Der Gedanke zur Sterilisation ist wahrlich kein Gedankengut der Nationalsozialisten. Eine breite Diskussion gab es dahingehend weltweit, auch in Deutschland. Im Zuge der Eugenik, deren Begriff seit 1883 in Hinsicht auf bevölkerungspolitische ‚Eingriffe’ kursierte, um so genannte ‚positive’ Erbanlangen zu stärken und negativ bewertete Anlagen zu ‚eliminieren’.


Es gab es diverse Fachartikel in medizinischen Fachjournalen, aber auch juristische Diskussionen, die auch Eingang in das politische Denken hatten. In der Weimarer Republik gab es Vorstöße auf landesparlamentarischer Ebene, Gesetze zur Sterilisation durchzusetzen, auch kirchliche Verbände waren diesem Anliegen durchaus positiv gesonnen, doch scheiterten diese Versuche prinzipiell an der Reichsregierung, die solchen Gesetzesvorlagen eine Abfuhr erteilte. Doch die Thematik wurde nicht nur in Fachkreisen diskutiert, auch die Öffentliche Meinung hatte einen gewissen Informationsgrad, durch die vielseitige Presse der damaligen Zeit, wie tendenziell diese auch immer war. Zwar gibt es dahingehend keine demographischen Zahlen, doch wenn man den ‚Blätterwald’ der damaligen Zeit sichtet, so kann man von gut einem Drittel der Zustimmung innerhalb der Gesellschaft ausgehen.

Abrupt endete jede Diskussion dahingehend, ebenso wie auch andere offen geführte Diskussionen zum Stillstand kamen, wegen der Übernahme der Regierung am 31. Januar 1933 durch die Nationalsozialisten. In seinem ‚Werk’ ‚Mein Kampf’ propagierte Hitler bereits 1924:


„Er [der völkische Staat] muss dafür Sorge tragen, dass nur wer gesund ist, Kinder zeugt, dass es nur eine Schande gibt: bei eigener Krankheit und eigenen Mängeln dennoch Kinder in die Welt zu setzen […]“. Deutlicher wurde er 1929 als er auf dem NSDAP-Parteitag in Nürnberg erklärte: „[…] würde Deutschland jährlich eine Million Kinder bekommen und 700.000 bis 800.000 der Schwächsten beseitigt, dann würde am Ende das Ergebnis vielleicht sogar eine Kräftesteigerung sein.“

Die NSDAP, Adolf Hitler selbst und all seine redenden Paladine ließen die Bevölkerung in keinster Weise im Unklaren, welcher Gesinnung sie waren, wenn es um die ‚Schwächeren’ der Gesellschaft geht. Trotz allem wurden sie gewählt und kamen so an die Regierungsmacht. Doch bei den Nationalsozialisten war all das kein Gedankenkonstrukt, kein intellektueller Diskurs, nein, es wurde zur ausübenden Tat geschritten. Schon am 14. Juli 1933 wurde von  Innenminister Wilhelm Frick ein Gesetzt vorgelegt, dem der Reichstag und die Länder nicht zustimmen mussten, denn durch das ‚Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich’ vom 24. März 1933 war die Regierung ermächtigt worden, gesetzliche Maßnahmen in eigener Vollmacht zu treffen. Bekannter ist diese ‚Vollmacht’ als das ‚Ermächtigungsgesetz’. Der Gesetzentwurf zur Zwangssterilisation wurde vom Kabinett am 14. Juli 1933 angenommen, die Veröffentlichung des Gesetzes erfolgte erst am 25. Juli 1933 im Reichsgesetzblatt. Das Gesetz trat zum 1. Januar 1934 in Kraft. Dieses ‚Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses’ zeichnete sich durch die breite Möglichkeit zu Zwangssterilisation und durch die Einbeziehung sehr vieler, oft unklar definierter Gruppen von ‚Erbkranken’ aus. Ministerialdirigent Arthur Gütt publizierte im Radio die Inhalte des neuen Gesetzes:

„Es ist nicht nur der Rückgang der Volkszahlen, der zu schwersten Bedenken Anlass gibt, sondern in gleichem Maße die mehr und mehr in Erscheinung tretende Verschlechterung des Erbgutes unseres Volkes, die dauernde Zunahme von Menschen mit geistig und körperlichen Erbanlagen, die aus Gründen der Vererbung minderwertig und asozial, also völlig unbrauchbar für das Leben sind. Während die erbgesunden Familien größtenteils zum Ein- und Kein-Kind-System übergegangen sind, pflanzen sich unzählige erblich Belastete hemmungslos fort, deren kranke und asoziale Nachkommen der Gesamtheit zur Last fallen. Es ist leider eine bedenkliche Tatsache dass zum Beispiel gerade oft Minderbegabte und Schwachsinnige sich erheblich stärker vermehren als  die wertvollen Gruppen […].“


Doch wer waren diese so genannten ‚Kranken’, die es für die Nationalsozialisten nicht ‚wert’ waren sich fortzupflanzen? Als ‚Schädlinge’ der Gesellschaft zählten zum einen die umherziehenden Armen und Bettler, da sie sich nicht ‚produktiv’ am Arbeitsprozess beteiligten, es begann eine regelrechte Hatz auf diese Menschen, die in Konzentrationslager eingewiesen wurden und dann eine ‚Massensterilisation’ über sich ergehen lassen mussten. Stimmen des Mitgefühls für diese Menschen, wenn es sie denn gab, galten als ‚schwach’ und ‚gefühlsduselig’. Doch die ‚Reinigung’ des so genannten ‚Volkskörpers’ ging weiter: Hilfsschüler wurden zwangssterilisiert; ebenso Epileptiker; Alkoholiker; psychisch Kranke, soweit sie als arbeitsfähig galten; sowie ‚Minderwertige’ im Allgemeinen. Um diesem Treiben einen rechtmäßigen Anstrich zu verleihen, wurden ‚Erbgesundheitsgerichte’ zur Begutachtung eines Sterilisationsverfahrens installiert, beteiligt daran waren Mediziner und Juristen mit ihrer entsprechen Begleitung. Die Klassifizierung der ‚Minderwertigkeit’ eines Menschen gab den entscheidenden Kräften einen weiten Spielraum in ihrer Entscheidungsgewalt. So traf solche Verfahren auch Blinde, Taube, Sprachgestörte und chronisch Kranke. Eugen Kogon berichtet aus eigener Erfahrung in Buchenwald von 1936:

„Neben wirklichen Landstreichern, Speckjägern, kleinen Taschendieben und Jahrmarksmitarbeitern, notorischen Säufern, Zuhältern und Alimentedrückebergern gab es unter den als asozial Verhafteten auch genug Leute, denen nichts anderes vorzuwerfen war, als dass sie zweimal zu spät zur Arbeit gekommen waren oder unberechtigt Urlaub genommen, ohne Genehmigung des Arbeitsamts den Arbeitsplatz gewechselt, ihr nationalsozialistisches Dienstmädchen ‚schlecht behandelt’, als Eintänzer ihr Brot verdient hatten, und was dergleichen ‚Vergehen’ mehr waren […],.“

Im Zuge der Zwangssterilisationen gab es auch Schwangerschaftsabbrüche, die ‚minderwertige’ Frauen in hohem Maße betraf. Eine gehörlose Frau erzählt 1982:

„1938 wurde ich schwanger. Zuerst habe ich es nicht geglaubt. Meine Mama war sehr erschrocken, weil ich schwanger war. Wir sind zum Frauenarzt gegangen. Er hat mir gratuliert. Ich war wirklich schwanger. Aber ich war doch sterilisiert! Ich musste in die Frauenklinik. Man hat mir meine Kleider weggenommen. Ich musste dableiben. Ich wollte nach hause, aber sie haben mich im Zimmer eingeschlossen. Ich habe viel geweint. Ich war verzweifelt. Ich wollte aus dem Fenster springen. Nach der Operation bin ich in der Intensivstation aufgewacht. Die Schwester sagte: Es war ein Bub. Er war normal. Die Schwester hat gesagt, dass sie schweigen muss. Christian, mein Verlobter, hat mich auf der Intensivstation besucht. Er hat gesagt: Wir stehen unter der Macht. Wir bleiben beisammen! 1938, nach der Abtreibung wollten wir unbedingt heiraten. Der Standesbeamte sagte, dass ich nochmals sterilisiert werden muss. Ich wollte ins Kloster gehen, bis Hitler den Krieg verloren hat. Aber mein Verlobter sagte: Dort wirst du auch sterilisiert und es wird abgetrieben. Mein Mann wollte mich heiraten! Schweren Herzens ließ ich mich noch einmal sterilisieren. 1941 konnten wir heiraten, weil ich sterilisiert war. Ich war so traurig ohne Kinder.“

Nach dem ‚Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses’ wurden bis Mai 1945 mindestens 400.000 Menschen zwangssterilisiert, rund 1 % der Bevölkerung des Deutschen Reiches im fortpflanzungsfähigen Alter.


An dem Eingriff starben etwa 5.500 Frauen und 600 Männer, über Folgeerkrankungen gibt es keine gesicherten Zahlen. Doch hinter jedem Einzelnen steht ein Schicksal, der Traum von einer Familie, das kleine Glück der Geborgenheit, dieser Traum konnte nicht mehr Realität werden. Da gab es eine Frau im ländlichen Bereich Württembergs, sie war verheiratet hatte zwei Kinder, arbeitete hart, aber sie hatte eine eigene Meinung. Sie äußerte sich negativ über Hitler, wurde denunziert, kam vor Gericht und musste verurteilt werden. Doch der Richter hatte ein Einsehen mit der noch jungen Frau und wollte sie nicht, wie damals üblich in ein Konzentrationslager schicken, darum schloss er sich der Meinung der Verteidigung an und verurteilte die Frau zu 3 Monaten Psychiatrie wegen kurzer geistiger Umnachtung. Kaum eingeliefert, fiel die Frau dem Sterilisationsgesetz zum Opfer. Zwar überstand sie die Operation der Sterilisation körperlich gut, doch psychisch verfiel sie in Depressionen. Aus den 3 Monaten wurden fast drei Jahre, dann wurde sie nach Grafeneck verbracht und dort, im Rahmen des Euthanasieprogramms, vergast.

Über die Sterilisationsmaßnahmen wurde in der gleichgeschalteten Presse, im Rundfunk und in der viel gesehenen Wochenschau im Kino durchaus berichtet. Weder Kirchen, deren Verbände, Paritätische Vereinigungen oder die Gesellschaft als solches stieß sich an diesem Vorgehen, Proteste wurden wenig, bis kaum vernommen. So konnten die Nationalsozialisten ihr eigentliches Ziel angehen, das der Euthanasie ‚unwerten Lebens’, denn durch die Massen-Sterilisation war die erste Hürde genommen, denn namhaften Kräften der NSDAP gingen diese Maßnahmen sowieso nicht weit genug.

Noch bevor die Zwangssterilisationen im großen Stil als beendet galten, wurde an den Plänen für eine ‚reibungslose’ Vernichtung ‚Minderwertiger’ gearbeitet …

Noch einmal erfuhren diese leidgeprüften Menschen, wie wenig sie der Gesellschaft und den politisch Verantwortlichen wert wahren, in der noch jungen Bundesrepublik Deutschland:

Die Bundesregierung erklärte am 7. Februar 1957 vor dem Deutschen Bundestag: „Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 ist kein typisch nationalsozialistisches Gesetz, denn auch in demokratisch regierten Ländern – z. B. Schweden, Dänemark, Finnland und in einigen Staaten der USA – bestehen ähnliche Gesetze; das Bundesentschädigungsgesetz gewährt aber grundsätzlich Entschädigungsleistungen nur an Verfolgte des NS-Regimes und in wenigen Ausnahmefällen an Geschädigte, die durch besonders schwere Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze Schäden erlitten haben.“

Im Jahre 1988 ächtete der Bundestag das Gesetz, als er einen Beschluss verabschiedete, in dem es heißt:

1. Der Deutsche Bundestag stellt fest, dass die in dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 vorgesehenen und auf der Grundlage dieses Gesetzes während der Zeit von 1933 bis 1945 durchgeführten Zwangssterilisierungen nationalsozialistisches Unrecht sind.

2. Der Deutsche Bundestag ächtet die Maßnahmen, die ein Ausdruck der inhumanen nationalsozialistischen Auffassung vom ‚lebensunwerten Leben’ sind.

3. Den Opfern der Zwangssterilisierung und ihren Angehörigen bezeugt der Deutsche Bundestag Achtung und Mitgefühl.

Am 25. August 1998 verabschiedete der Bundestag das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege und von Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte.

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