Toni Sender

Toni Sender

Toni Sender • Geistige + ökonomische Selbständigkeit

„Alle Emanzipation ist Zurückführung der menschlichen Welt, der Verhältnisse, auf den Menschen selbst.“ Karl Marx

Der Enge des heimischen Biebrich, dem heutigen Wiesbaden, wollte Sidonie Zippora Sender, so ihr voller Name, schon früh entfliehen. Es war aber nicht nur die örtliche Enge, die sie für ihr Leben nicht wollte, auch den strengen Regeln ihres jüdisch-orthodoxen Elternhauses wollte sie schon früh den Rücken kehren. Nun, und das zu einer Zeit, als es sich für Töchter des Mittelstandes wenig geziemte, Regeln jedweder Art in Frage zustellen. Toni Sender wurde als dritte Tochter des Kaufmanns Moritz, Moses Sender und seiner Frau Marie am 29. November 1888 geboren und erlebte eine geregelte Kindheit, in der das aktive Gemeindeleben einen großen Stellenwert hatte. Ihr Vater war zeitweise Vorsitzender der jüdischen Gemeinde und auch ihre Mutter lebte ihr ein äußerst soziales Leben vor. Doch das genügte ihr in keinster Weise, nach Abschluss der Höheren Töchterschule verließ sie bereits als dreizehnjährige das Elternhaus um in Frankfurt am Main eine private Handelsschule für Mädchen zu besuchen. Die Eltern ließen sie nur ungern ziehen, denn der Wunsch ihrer Tochter, einen Beruf erlernen zu wollen erstaunte sie doch sehr, doch wollten sie dem Bildungswillen der jungen Toni nicht im Wege stehen; wobei sie dachten, dass sie nach Abschluss der Schule ins heimische Biebrich zurück käme und unter väterlicher Aufsicht im heimischen Kontor arbeiten würde. Doch Toni Sender kehrte nicht mehr nach hause zurück, sie wollte, wie sie später schrieb, geistig und ökonomisch ihr ‚eigener Herr’ sein; doch das wussten die Eltern zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Bereits vor Abschluss der Ausbildung in Frankfurt am Main, verdiente sich Toni Sender ihren Lebensunterhalt selbst. Sie trat in die SPD ein und in die Gewerkschaft für Büroangestellte und wurde so auch politisch aktiv. Als ihr Vater die damals notwendige Zustimmung zum Studium der Nationalökonomie ihr verweigerte, ging sie nach Paris, vollendete ihre Sprachkenntnisse und engagierte sich bei den französischen Sozialisten. In Paris arbeitet Tony für eine Frankfurter Firma und gründet eine Frauengruppe. Sie schreibt ihre ersten politischen Artikel und erwirbt ein rhetorisches Rüstzeug für zukünftige Debatten und für öffentliche Reden. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs kehrte sie nach Frankfurt am Main zurück, schrieb erste Artikel und arbeitete tatkräftig in der Friedensbewegung der damaligen Zeit. Als Clara Zetkin 1915 zur ersten ‚Internationalen Frauenkonferenz’ gegen den Krieg einlädt, reist Tony Sender nach Bern, dort werden ihre Rednerbeitrage sehr beachtet und geschätzt.


Nach dem Krieg arbeitete sie maßgeblich in der Arbeiterrätebewegung mit und wurde 1919 Abgeordnete der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung. 1920 wurde sie für die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands im Wahlkreis Hessen-Nassau in den Reichstag gewählt. Seit 1922 nahm sie ihr Mandat für die SPD wahr. Von 1924 bis 1933 wirkte sie als Reichstagsabgeordnete für den Wahlkreis Dresden-Bautzen mit den Arbeitsschwerpunkten Zoll- und Handelspolitik. Bei all der politischen Arbeit, die ihr höchste Anerkennung einbrachte und sie zu einer geschliffenen Rednerin formte, waren es ihre Artikel in verschiedenen Zeitungen, durch die sie höchste Aufmerksamkeit erlangte. Allein als Redakteurin der Betriebsräte-Zeitschrift des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes verfasste sie bis 1933 fast 420 Beiträge. 1928 wurde ihr zudem die Redaktion der ‚Frauenwelt’, einer Illustrierten der SPD, übertragen. Nicht nur wirtschaftspolitische Aspekte gehörten zu ihren Schwerpunktthemen, immer stärker rückte auch der frauenpolitische Aspekt in Toni Senders Fokus. Schon in ihrer frühen Zeit in Frankfurt am Main beeinflussten sie die Schriften der weiblichen Emanzipationsbewegung, wobei sie das Zitat von Hedwig Dohm aus dem Jahre 1902: „Die Charakterschwachen machen Front gegen die Frauenbewegung; aus Furcht. Sie haben immer Angst, von der Frau,  besonders von ihrer eigenen, unterdrückt zu werden. Weil sie sich heimlich ihrer Schwäche bewusst sind, betonen sie bei jeder Gelegenheit ihre Oberhoheit.“, häufig verwendete. Für kurze Zeit kehrte sie ins heimische Biebrich zurück, als ihr Vater 1929 plötzlich und unerwartet verstarb. Sie steht ihrer Mutter bei, ordnet die wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie und kommt selbst etwas zur Ruhe, die sie dringend benötigte. Die Zeiten werden unruhiger, wegen der immer dreister auftretenden NSDAP, doch Toni Sender vertraut auf die Demokratie der Weimarer Republik; genauso wie ihre weitläufige Familie. Als ich Anfang 1930 das elterliche Haus wieder verlässt, weiß sie noch nicht, dass sie nie mehr zurückkehren und auch niemanden aus ihrer Familie je wieder treffen wird. Sie nimmt unermüdlich ihre Arbeit in Frankfurt und Berlin wieder auf, doch die Zeiten ändern sich, am 30. Januar 1933 wird Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt, die Nationalsozialisten beginnen zügig mit der Umsetzung ihres Terrorregimes und nach offenen Morddrohungen flieht Toni Sender am 5. März 1933 in die Tschechoslowakei, wobei sie dort gleich wieder ihre politische Arbeit aufnimmt um den Widerstand in Deutschland zu verstärken. Über Antwerpen, auch hier arbeitet sie für kurze Zeit im Widerstand gegen die Nationalsozialisten in Deutschland, geht sie 1935 in die USA. Hier arbeite sie in verschiedenen Emigrantengruppen, hält Vorträge und schreibt Artikel. Zeitweilig erarbeitete sie für einen amerikanischen Geheimdienst Berichte und Lageeinschätzungen zu diversen von der Wehrmacht okkupierten Ländern sowie zu Deutschland, wodurch bereits erste Weichen gestellt wurden für die von den Westalliierten beabsichtigte dortige baldige Re-Demokratisierung. 


Im amerikanischen Exil setzt sich Tony Sender vehement gegen Faschismus und Krieg ein. 1943 wird sie amerikanische Staatsbürgerin.

1946 ist sie Teilnehmerin an der ersten Vollversammlung der Vereinten Nationen. Sie ist Mitarbeiterin in einer Non-Government Organisation und wird im Jahrbuch als consultant der Organisation genannt. 1947 lädt der Sekretär der ‚Gewerkschaft Öffentliche Verwaltungen’ (heute: Verdi) Tony Sender nach Frankfurt ein. Im Gewerkschaftshaus spricht sie zum Thema: ‚Amerika und die deutsche Arbeiterbewegung’. Sie engagierte sich in der UN-Menschenrechtskommission und der Kommission zur Rechtsstellung der Frau. Besondere Verdienste erwarb sie sich bei der internationalen Bekämpfung und Ächtung der Zwangsarbeit. Sie starb am 26. Juni 1964 in New York an einem Schlaganfall.

Im Jahr 1988 wurde ihr zu Ehren an ihrem Geburtsort die Ausstellung ‚100 Jahre Toni Sender’ gezeigt. 1992 wurde ihr auch in Frankfurt am Main eine große Ausstellung gewidmet. Seit 1992 verleiht die Stadt Frankfurt den ‚Tony-Sender-Preis’ zur Förderung von „hervorragenden innovativen Leistungen, die der Verwirklichung der Gleichberechtigung der Geschlechter dienen und der Diskriminierung von Frauen entgegenwirken.“ Die Parteischule der SPD Hessen-Süd, Toni-Sender-Akademie, ist nach ihr benannt.

Bild 1: Toni Sender – Quelle: paul-lazarus-stiftung.de · Bild 2+3: Buchtitel über Toni Sender – Quelle: zvab.de

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