Otto Freundlich

Otto Freundlich

 

Otto Freundlich • Pionier der Abstrakten • Vergast in Majdanek

Otto Freundlich am 10. Juli 1878 im pommerschen Stolp geboren und wurde am 9. März 1943 im Vernichtungslager Majdanek ermordet. Er war ein deutscher Maler und Bildhauer, auch Verfasser kunsttheoretisch-philosophischer Schriften, einer der ersten Vertreter der abstrakten Kunst. Freundlich entschloss sich nach unterschiedlichen Tätigkeiten, darunter auch ein Zahnmedizinstudium, Künstler zu werden. Er begann 1902 Kunstgeschichte zu studieren, schrieb und veröffentlichte Aufsätze, doch erkannte er, dass die Bildhauerei und Malerei seine stärksten Begabungen waren. 1908 ging er nach Paris und wohnte am Montmartre im Bateau-Lavoir unter einem Dach mit dem damals jungen Pablo Picasso, mit Braque und anderen. Hier fand er zu seinem persönlichen „figural-konstruktivistischen Stil symbolistischer Prägung“. Ein Schlüsselerlebnis, das den Künstler für sein späteres Leben tief prägen wird:

„Ich war circa fünf Monate der Welt Chartres verfallen und bin für mein Leben lang gezeichnet daraus hervorgegangen.“

Nach Deutschland zurückgekehrt, versucht Otto Freundlich, mit geringem Erfolg, in München eine Malschule zu eröffnen. 1910-14 hält er sich zumeist in Paris auf. Er beteiligt sich an den Ausstellungen der ‚Neuen Sezession‘ in Berlin, der Kölner ‚Sonderbund‘ Ausstellung 1912 und am Ersten Deutschen Herbstsalon 1913. Von 1914 bis 1924 lebt er zumeist in Köln und Berlin. Im September 1918 erscheint in der expressionistischen Zeitschrift ‚Die Aktion‘ ein Sonderheft mit den Arbeiten Freundlichs. Wenig später wird er Mitglied der in Berlin gegründeten ‚November-Gruppe‘, 1919 organisiert er zusammen mit Johannes Theodor Baargeld und Max Ernst die erste Kölner Dada-Ausstellung.


Der Künstler, der immer wieder mal in Paris lebte und dort alle berühmten Maler der Zeit kennen lernte, war auch mit Moissey Kogan bekannt. Sie hatten schon 1912 zusammen ausgestellt. Sauerland, ein Mäzen von Otto Fröhlich, förderte auch Kogan, von ihm kaufte er Werke an. Er begeisterte sich für die zarten Frauengestalten in Zeichnung oder Druckgraphik, als Relief oder Terrakottafigürchen. Das Unfertige, Archaische, roh und zerbrechlich zugleich, zog ihn an. Kogan, der ebenfalls oft den Wohnsitz wechselte und kaum Geld für Bronzegüsse hatte, fand für sich die Lösung in dieser kleinen Form. Er lernte Aristide Maillol kennen, mit dessen Kunst er vieles gemeinsam hatte. Wie aber ist wohl der ‚freundschaftliche Kontakt’ zu Arno Breker zustande gekommen, Hitlers späterem Lieblingsbildhauer, dessen monumentale Plastiken alle Dimensionen sprengten? Breker hatte ein paar gravierte Steine von Kogan aus Paris mit nach Deutschland genommen und sogar eine Büste von Kogan angefertigt, die der 1929 in Berlin in seiner Ausstellung bei dem Galeristen Alfred Flechtheim zeigte. Kogan wurde 1943 in der Gaskammer ermordet, der andere, Breker, setzte nach 1945 als Chefplastiker der deutschen Industrie seine Karriere fort.

Als er 1925 nach Paris zurückkehrt, wird Otto Freundlich Mitglied der Künstlervereinigung ‚Abstraction-Création‘, die er jedoch 1934 wieder verlässt. Die „Sculpture Architecturale“ aus den Jahren 1934/35 sollte ursprünglich bis zu einer Höhe von 20 bis 30 Meter ausgeführt werden. Obwohl es sich um eine Skulptur aus abstrakten geometrischen Elementen handelt, bleiben die Verweise auf Gegenständliches, etwa auf eine Säule, einen Helm, einen Torso oder einen archaischen Thronstuhl, erkennbar. Der Maler und Bildhauer Otto Freundlich gehört zur „Pionier-Generation der Abstrakten“ und fand insbesondere im Bereich der Skulptur einen eigenständigen Weg zur Abstraktion. Nicht nur aufgrund seines politischen Engagements geriet er in Gegensatz zu den Nationalsozialisten. Seine Skulptur „Der neue Mensch“ aus dem Jahr 1912 wurde 1937 als Titelbild des Ausstellungshefts „Entartete Kunst“ anprangernd gezeigt. Otto Freundlich vertrat die Idee eines humanistisch verpflichteten Kunstschaffens. Seine Kompositionen formulieren und repräsentieren das Ideal eines sozialen Gefüges, in dem das Einzelne im Dialog mit dem Ganzen steht. 1938 machte Freundlich seinen gesellschaftlich-künstlerischen Anspruch in dem Text ‚Der bildhafte Raum’ deutlich:

„Kunst und Gesellschaft basieren auf einer gemeinsamen ethischen Grundlage. Nach Freundlich ist sie eine alle Menschen verbindende Sprache, die besonders durch Malerei, Skulptur und Architektur zum Ausdruck gebracht wird. Kunstwerke sollen daran erinnern, dass die Menschheit die Aufgabe hat, eine soziale Einheit zu werden.“

Visuell greifbar wird Freundlichs Utopie in seinen Gemälden und Gouachen durch den bewusst konzipierten Zusammenklang von Form und Farbe. Im bildhauerischen Werk wird der Anspruch explizit: Der Titel seiner ersten Monumentalskulptur Ascension (1929) verweist auf den Gedanken des Aufstiegs, den potentiellen Aufstieg einer benachteiligten Klasse, den Aufschwung des Geistes und die Entfaltung des Menschen an sich. Die eigene Wahrnehmung öffnet sich für die gemeinsame Aufgabe, das Soziale neu zu denken. Otto Freundlich war damit ein herausragender Vertreter jenes Kunstverständnisses, welches in den 1960er Jahren Fluxus- und Aktionskünstler, allen voran Joseph Beuys, erweiterten.


Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 zerstört Freundlichs enge Kontakte zu den deutschen Kunstkreisen. Seine Werke werden aus deutschen Museen entfernt, die Plastik ‚Der neue Mensch‘ auf dem Titelblatt der Ausstellung ‚Entartete Kunst‘ gezeigt. Nach Kriegsausbruch beginnt eine Odyssee durch verschiedene französische Internierungslager. Nach seiner Freilassung im Mai 1942 flüchtet er im Juni in das kleine Pyrenäen-Städtchen Saint-Paul de Fenouillet, wo er mit der Abfassung des Textes Ideen und Bilder beginnt.

„Es ist ein schönes Dorf in den Hügeln mit vielen Weinbergen…Ich habe hier viel gezeichnet und drei Federzeichnungen gemacht, 15×20 cm oder etwas größer, die der Anfang einer Zehner-Reihe werden sollen. Ich habe die Absicht, ein Album mit 10 Radierungen zu veröffentlichen. Die Radierungen werde ich später nach den Zeichnungen machen. (…) gesundheitlich geht es mir ziemlich gut, doch habe ich sehr abgenommen und es ist wünschenswert, dass diese entbehrungsreichen Tage bald zu Ende gehen…“ (Saint-Paul de Fenouillet, 10.07.1942, Hôtel Galamus)

In dem kleinen Pyrenäendorf wird Otto Freundlich Anfang 1943 denunziert. Der Tag seiner Ankunft im Konzentrationslager Majdanek wird auch sein Todestag sein. Sein tragisches Schicksal und die bis heute unzureichende Würdigung seiner Persönlichkeit und seines künstlerischen Werkes dürfen als beispielhaft angesehen werden für die Leiden von Juden und Avantgardekünstlern unter der Herrschaft der Nationalsozialisten.

„Verlassen wir die Kausalität der Grenzen, es gibt eine Kausalität der Grenzenlosigkeit“ Otto Freundlich

Von Otto Freundlich stammt die Idee einer völkerverbindenden „Straße der Skulpturen Paris-Moskau“: une voie de la fraternité humaine, une voie de la solidarité humaine en souvenir de la libération  „Weg der menschlichen Brüderlichkeit, Weg der menschlichen Solidarität in Erinnerung an die Befreiung“. 1971 wurde auf Initiative des Künstlers Leo Kornbrust in Erinnerung an diese Idee mit einer Straße der Skulpturen im Saarland begonnen. Eine zweite Skulpturenstraße im Saarland („Steine an der Grenze“), die ebenfalls der Idee Freundlichs gewidmet wurde, initiierte der saarländische Bildhauer Paul Schneider im Jahr 1985. Mittlerweile umfasst diese Straße etwa 30 Skulpturen internationaler Künstler. 1999 begann der Verkehrsverein Salzgitter-Bad nach einer Anregung des Künstlers Gerd Winner mit der Realisierung eines weiteren Skulpturenweges als Hommage à Otto Freundlich 1878 – 1943, der mittlerweile (2006) sieben großformatige Stahlskulpturen renommierter internationaler Künstler zeigt. Während der Wanderung der Ausstellung ‚Entartete Kunst’ durch weitere Städte ist die Plastik der neu Mensch von 1912 abhanden gekommen und gilt seither als verschollen, vermutlich zerstört. 

Im Jüdischen Museum Berlin ist nun für diese Figur ein Stellvertreter, ein „Schwarzer Fleck“ ausgestellt (Gallery of the Missing), als Symbol für den Verlust und die Zerstörung von Kultur- und Kunstwerken durch den Nationalsozialismus.

Im Jahr 1964 wurden posthum Arbeiten von ihm auf der documenta III in Kassel gezeigt.

Die Pinakothek der Moderne in München veranstaltete 2007 eine Ausstellung mit dem Titel „Otto Freundlich – Bilder einer sozialen Utopie“. Das Mittelpommersche Museum in Słupsk (Stolp) präsentierte 2008 „Otto Freundlich – 1878-1943 Artysta ze Słupska – Ein Künstler aus Stolp“.

Bild 1: Otto Fröhlich – Quelle: museum-wnd.de · Bild 2: Komposition 1911 – Quelle: van-gogh.fr · Bild 3: Selbstportrai – Quelle: raederscheidt.com · Bild 4: Katalog ‚Entartete Kunst‘ – Quelle: skidmore.edu · Bild 5: Skulptur „Sculpture Architecturale“- Quelle:

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